Bibliothek der Unterhaltung
und des Wissens
* v I» % •
i
by Google
Met SM8w*t
COT
von $an« Hrncmer
(fttroa 280 Seiten £cxt mit über
, -200 teiCroeife ganjfcitiaeu Ee*t- . /'
V ilTuRrationen unb 42 <£xtra- (
ISoU’bil’&ern.
0
fju.z~y- 7 }n 14 ftrfrrnngeii ä, 2 IHarlt.
Verlag der Union Deutsche Verlagsijesellschaft in Stuttgart, Berlin . Leipzig.
3)»rcß Sie meiden SucBtymBfunijtit ?>i FejieBen. ^
Digitized by G jpgle
^§11
. J ' v , J
p
(/)(•')
* y\ * /
n
• •> • ■
r — f/.<
k ^ » j
»iMfof&el
6er
3lnfer§affittt<} itttö öe» 3$i|[ens.
fb;b\
v>C
Digitized by Google
3“ btt ©ijäblung „9ltt bet ©tenje*. ffion ©. 8. 29$bovff. (S. 111)
Criginatjtitynutig Bon 91. ftitdjer.
XtMiofßeß
hex
'gltnfer^aHung
uti6 f>e*
Wi ffens.
5Rit 3)riginaf-38citrägcn
&er Ijeruurrrtgciibllcn ^djriftßeüer uub (ßeldjrtcn,
fontie ?af;freicfjen $ffuflraüonen.
Sa^rgang 1895.
Vierter JSattb.
<(>
Stuttgart, Berlin, gftpjfg.
Union 3>euffd?e 33 e r Ca g * g e ft fff# a f f.
Priüted in Germany
Digitiz
3y Coogte
T
• *r
Püijx-Io LißRARY
j 27541 8A
AS~'CP, LENOX AND
L Tli__)jL.i. POVNDATIONS
R 1928 L
Imd ber Union Xrutfd)c 3?cr(agtgtfrnjd)int in Stuttgart.
Digitized by Google
3n£affe-liter?ei$ni|.
edi«
Unter bem ©djtoerte ber^tjerniä Stoman oon Steins
$olb Drtmann (gfortfefcung u. ©cf)lufs) 7
SBeldje oon Seiben? Stoman oon Salbuin SJtönJjaufen 67
2ln ber ©renje. ©^äljtung oon 8. o. Sgc^borff . . 99
90! it 3Uu{ttotionen oon H. Rittet.
Sugenb. StooeBe oon ißaul Blifj 148
3)er fdjtoarje Bertljolb unb feine Stadjfotger. 3 ur
®efd)ic§te ber ©Eploftoftoffe. Bon 3>uftuä Branbt . 177
90!it 11 3Hu[irationen.
©in §unbefriebljof. Äulturgefcf)icfjtlict)e ©tijje oon
§an3 ©djartoerfer 197
2J!it 6 3Qufltationcn.
9Jt o b e r n e §ochftaplerinnen. Äriminaliftifdje ©fi 33 e
oon 21. DSlar ßlaufsmann 211
SSBie bie Sögel fingen. Statunoiffenf^aftlic^säft^etif^e
Betrachtung oon Ä. SGßeft^of 221
3Jlit 7 3fIuftrationcn.
SltannigfaltigeS:
©iit finbiget ©afhoirtf; 28S
©in SJtittel jum Staunen 235
Digitized by Google
6
6»itt
ffiie ©oetije’8 „fl-auft" auf bie SBüQne fam .... 237
(Sine Xurftnenenbeluftigung 238
g)gg SBIumenmäbdjen ooit ©t. fcefena 238
3$ Reifee %orf 239
(geangelt 239
jjaupt tmb ftopf 240
3Bag bebarf eine ftta«? 240
Ü£.
< I
Digitized by Googtj
linkt Sem 6<$merfe 5er Sl^emis.
Kötnern
pon
Keinfialtt #rfntann.
(jortfe&ung u. SdfiuJ.)
(nadjöturf ptrbottn.)
§ed?3«?§ttf es gkapitet.
tte büftere , gebrücfte ©timmung, roie fte in biefen
fonnig heiteren Siäumen fonft ganj unbefannt geraefen
mar, lag feit jroei Stagen über SDoftor Hermann fRutharbt’s
$aufe. SDie runblidje, fleine §auSfrau mar bie ©njigc,
bie ihre gewöhnliche gute Saune wenigftenS jum ©cf)ein
bewahrt hatte; aber auch fie fonnte fid^ jule^t ber unoer--
meiblid)en SBirfung nic^t entjie^en, bie eine fcfjroeigfame,
grämliche Umgebung auf ba§ ©emiith be§ -Iftenfdjen übt.
2 ln ©igiSmunb’S ftilleö , oerfchloffeneS Söefett mar
man ja freilidE) nadjgerabe gewöhnt. ©o ängftlich, rnie e§
je£t gefdf)ah, mar er feinen Slngehörigen fonft allerbingS
nid^t aus bem 2Bege gegangen; fo ganj oerftummt unb
appetitlos hatte er fonft nicht am ^amilientifdje gefeffen.
2lber man glaubte ja ben ftiHen Kummer ju lernten, ber
iljn bebrücfte, unb ba er felber offenbar nicht ben 2Bunfd)
hatte, bauon ju reben, mar man längft ftiUfdjraeigenb
übereingefommen, iljn mit feiner jmecflofen %T<xa,c 31t be:
fettigen. Um fo mehr beunruhigte fidj 3 röu fHutljarbt
Digitized by Google
8
JCnter itm $c§roert« btx ®$etni*.
über SJlargarethenS plöfclich oeränberteS Seneljmen, Uber
ihre fonberbare 3 cr f tm »theit unb if)r ganj augenfällig
oerfdßechterteS Sluäfehen. ©in oorgefdjüfcteä Unwohlfein
mürbe ihr oießeidjt als genügenbe ©rflärung erfcf)ienen
fein; aber baS junge SJläbdjen mar ju ehrlich, ftch biefer
Stige ju bebienen. 35ie SJlutter erhielt auf äße beforgten
fragen immer nur bie nämliche Slntwort, bah ihr nichts
fehle, unb mit aufrichtigem Kummer fam fte mehr unb
mehr ju ber Ueberjeugung , bah SKargarethe jum erften
SJlale in ihrem Seben etwas, baS fte ernftlich quälte, oor
ihr oerbarg.
3 n ber grülje beS jweiten $age 8 hatte fte ft<h nach
einigem ©eelenfantpf entfchloffen , mit ihrem SJlanne ba*
oon ju fpredjen. Slber fte hatte bei ihm nicht baS Ser*
ftänbnifj für ihre mütterlichen Sorgen gefunben, auf baS
fte gerechnet hatte, ©ei eS, bah tbn feine eigenen Singe*
legenheiten noch ju fehr in Slnfpruch nahmen, fei eS, bah
er ber oorübergehenben, fdheinbar grunblofen Serftimmung
eines jungen SläbdjenS wirflich feine Sebeutung beilegte —
jebenfaßS war ber $oftor fehr rafch über ben ©egenftanb
hinweggegangen unb hatte eS nicht für nöthig gehalten,
SJiargarethe auch feinerfeitS ju befragen.
„$)aS wirb ftch fchon wieber änbern," meinte er bei*
nahe ungebulbig, als feine 5 rfl u noch einmal barauf ju*
rücffommen woßte. „3$ fenne baS SJläbel jur ©eniige,
um ju wißen, bah mir oon ihr nichts ju fürsten haben;
wenn fie roirflid) etwas auf bem §erjen hat, wirb fie 35ir’S
fd;on bei guter ©elegenhcit bcid;ten. llnb im Uebrigen
bift 2 )u ja auch eine fluge $rau, bie ftch barauf oerftefjt,
bie Slugen offen ju halten."
9iun wuhte fte, bah bie ©odje bamit für ihn oor*
läufig abgethan fei, unb eS blieb ihr wohl nidjtS SlnbercS
übrig, als gebulbig ju warten unb ihre heßen Slugen babei
in ber Xljat fo weit als möglich offen 3 U halten. 2 )enn
Digitized by Google
JRomatt oon ®rtwann.
9
fte Ijatte am Enbe noch Erinnerung genug an ihre eigenen
2Jiäbcf)enjaljre bemalten, um ftch über ba8 oerroanbelte
SBefen i^reä SöchterdjenS allerlei feljr ernfte ©ebanfen unb
©orgen ju machen.
fjür ben Softor roaren bie lebten Sage auch in feiner
Eigenfchaft als Arjt fehr unerfreuliche unb anftrengenbe
geroefen. ©eine ohnehin auSgebehnte gratis h atte ftch nm
eine 2lnjal)l fernerer $ranfheit§fälle oermehrt, bie jumcift
auf Rechnung einer mit befonberer §eftig!eit unb Sücfe
auftretenben 3>ip^t^criti§epibemie ju fe§en roaren. 3Jlan
hatte heute Vormittag lange nach ihm fudjen müffen, als
e§ galt, bem fchroer erfranften 93anfier Slorrenberg ärjt*
liehe $ilfe ju bringen, unb ba§ Ergebnis, roeld)e3 fchon
bie erfte, fluchtige Unterfu^ung biefeä neuen Sranfen ge«
habt, roar auch nicht barnach angethan geroefen, feine Saune
ju oerbefjern. -Blühe unb abgefpannt lehrte er erft am
fpäten ÜHachmittag nach §aufe jurtief, bie tiefe gälte
jroifchen ben Augenbrauen, unb beglich roenig jum $lau*
bem mit ben ©einen aufgelegt. Als ftdfS feine grau
trojjbem nidjt oerfagen fonnte, nach tfranj -Jlorrenberg’S
93efinben unb nach bet 2trt feiner Erfranfung ju fragen,
meinte er jiemlich furj:
„Ein ©djlaganfaC mit fdhlechten Au§fid)ten. ©eine
©efunbljeit roar oljnebieS oöllig jerrüttet. I^ch ^öbe leine
Hoffnung, baf$ er ben tommenben Sag überleben roirb."
„Sie arme Sora!" feufjte grau Slutfjarbt ooll innigen
■BlitlcibS. ,,©ie h a * in biefen Sagen geioifi fdjon fo niete
Aufregungen burd;mad)cn müffen. 2Bie roirb fte ben neuen,
furchtbaren ©djlag ertragen! -Bleinft Su nidjt auch, § ers
mann, ba| e§ meine ißflidjt roäre, fie ju befud?en unb if)r
meinen Söeiftanb anjubieten?"
„9lein!" oerfefcte ber Softor mit großer Seftimmtljeit.
„Sie junge Same h at mir burdjauS nicht ben Einbrucf
gemacht, als ob fie eines 23eiftanbeS bebürfe. ©efdjränfe
Digitized by Google
10
Änlet 6«ra Jcfrotrt« 5«
$>icfi nur aud; fünftig auf 2>etne 2lrmenpraj:t8. 5Da ift,
rote mid) bünft, bic Setfjätigung deines guten SBillenS
beffer am Sßlafce."
„2öie unfreunblidf) er heute ift!" bacf)te bie flehte $rau.
„(Sr mufc ntel 3ammen>olIe§ ßefe^en haben bei feinen
Kranfen, ober es ift noch immer biefe unglüdffelige ©e*
fchichte mit bem ©tabtratlj ©artoriuS, bie ihm am §erjen
frijjt."
9?id^t lange nachher mürbe ®oftor Kutfjarbt abermals ab*
gerufen, unb e§ fehlte !aum nod) eine äMertelftunbe an -Kitter*
nacht, als er Ijeimfam, burdf) bie ©trapagen beS arbeitS*
reichen £ageS auf’S Steu^erfte ermattet. (SS galt als eine
ftrenge unb unumftöjjlidhe 23orfd;rift in feinem §aufe, bajj
Kiemanb feinetmegen über bie geroöljnliche 3eit ^inauS
aufbleiben bürfe, unb fo lag benn auch heute SlUeS an*
fdjeinenb fchon in tiefem ©dE)lafe, als Kutljarbt fein 3lrbeitS*
gimmer betrat.
(Sr Ijatte faum 3 ß it gehabt , gu SJlittag gu effen, unb
feit melen ©tunben mar fein Stffen mehr über feine Sippen
gefommen. ^ro^bem lief} er bie einfache 2lbenbmaljlgeit,
bie $anf ber treuen ^ürforge feiner $rau für fold^e 3'äde
immer bereit ftanb, oorläufig unberührt. Kid;t um ber
fpäteren Kcdjnungen mißen, fonbern bamit ja feine (Singel*
heit beS KranfheitSoerlaufeS feinem ©ebädfjtntf} entfdEjroinbe,
pflegte er ftch attabenblid; über jeben feiner Patienten aus«
füfjrliifje Kotigen gu madjen, unb trofs feiner Kiübigfeit
füllte bie Erfüllung biefer Pflicht auch heute ber leiblichen
(Srquidmtg ooraufgeljen.
2lber er fj«tte nodf) faum oor feinem ©dfjreibtifd) $lai}
genommen, als mit mohlbefanntem, burdE)bringenbem
Klang bie Kadhglocfe anfdfflug, erft mit einem einigen
furgcn Xo n, als ob fie oon fchüchterner §anb in 58e*
roegung gefegt morben fei, bann aber lang nnljattenb unb
ftiirmifdj.
Digitized by Google
Roman non Rcin^oß ®rtmann.
11
„Sßieber ein franfeS ßinb!" faßte $oftor SRutffarbt
t>or fidfj Ijin, mäljrenb er fein 93udf) gufdjlug unb ficf) erljob.
„llnb roafjrfdjeinlicf) roieber gu fpät. 2Baljrf>aftig , eS ift
fcfjroer, ba nid&t ben SJlutl) gu uerlieren."
(Sr nafjm bie Sampe nom 2ifdj unb ging IjinauS, um
gu öffnen. (Sin fdfjroadfjer Sid(jtfdE)ein fiel auf bie (Stein-
treppe IjinauS, als fidj bie fernere X^ür in ifjren Singeln
gebreljt l)atte; aber ber $oftor üermodfjte im erften 2tugen=
blicf ba braunen nichts oon einem menfdljlidljen 2Befen gu
gemäßen.
„2ßer ift ba?“ rief er. „2BiH man fiel) etroa einen
fdjlecfjten Sdfjcrg mit mir machen?"
35a antroortete aus ber 35unfelljeit eine bekommene,
Reifere Stimme: „3$ bin eS, Stutljarbt! Unb idf) bitte
35id£) con §ergen : roirf bie SElfür nic^t roieber gu, meil icf)
eS bin."
(Sin fleineS mageres SJiänndjen mit fpifjem, oerfniffenem
©eficfyt mar gögernb in ben Sid)tfreis ber Sampe getreten.
(Sr trug feine ßopfbebedfung, unb ein paar Strähnen beS
fpärÜdOen grauen §aareS gingen if)tn mirr über bie Stirn.
Sein Unterfiefer gitterte, unb aus bem Sedjgigjäljrigen
fd£)ien plöijlicfj ein 2lcf)tgiger gemorben.
„Sartorius — 2)u?" fagte ber iüoftor, unb feine S'tebc
flang Ijart roie ber SdEjlag eines ftäljlernen Jammers.
„2BaS gibt es für 2)idj ttodj in meinem #aufe gu fud&en?“
„Sei gut, Stutljarbt, oergib mir, maS idfj 35ir an=
get^an Ijabe! 3>d^ Ijabe feine Hoffnung tnefjr, als auf
35idf)! SJiein Sofyn“ — unb bie gitternbe Stimme brofjte
ifjm oollenbs gu oerfagen — „mein Soljn liegt im Sterben.
35enfe an ®eine $inber, Stutfjarbt! Ijnbe ja nidjtS
auf ber 3Belt, als ben jungen."
„®u rufft ben Slrgt — baS ift etrcaS StnbereS! fiomm
Ijerein unb fage mir, um maS eS fid; Ijanbelt."
ßaum fünf Minuten fpäter gingen bie beiben ©egner
Digitized by Google
12
JCrtUr btm $d}i?<rf« 5«r
©eite an ©eite bie ©trafee hinab — bet $)oltor mit
taffen, langen ©dritten, als ob alle fDlübigleit oon ihm
abgefallen fei, unb ber Heine, barhäuptige 9Jlann ^aftig
trippelnb neben ihm her, bas btinne Waar bem fchneiben=
ben 9lad)tminb preiSgebenb unb mit bem 2lu3brurf oer»
gweifelter 2lngft in ben 3ügen.
2113 fte über bie ©djwelle traten, bie ber SDoltor 9tut<
harbt fuherlicfe nie mehr in feinem Seben hatte überfchreiten
wollen, wanbte er ft<h, gum erften SJlale auf bem 2Bege
baS ©djmeigen brechenb, nach feinem Begleiter gurürf:
,,23leib’ braufeen, ©artoriuS, bis ich mich übergeugt habe,
wie eS fteht. ©in ©eftdjt, wie baS $>eine, foll man einem
©djwerlranlen erft geigen, wenn man ficher ift, bafe ihm
auf ©rben nichts mehr fchaben fann."
SDann öffnete er leife bie £l)ür beS matt erleuchteten
ÄranlengimmerS unb ging hinein.
gafel bämmerte im Dften ber junge Stag herauf, unb
in ben ftiHen ©trafeen begannen ftd) fdhon hier unb ba
bie erften SebenSäufeerungen ber erwadjenben ©tabt gu
regen, als bie h°h e ©eftalt beS 2lrgteS wieber aus beS
©tabtrathS ©artoriuS’ Waufe fam. 2tuf feinem ©eficfit
war nichts oon ber freubigen Weiterleit beS 9letter3, bem
ein fchwereS, aber beglürfeitbeS 2Bert gelungen ift. ®üfte*
ren SlirfeS unb mit gefenftem Waupte lehrte er langfam
in fein §eim gurücf.
©chon auf bem glur oernahm er bie ©timme feiner
grau, bie im 33egriff war, ihre £od)ter gu werfen.
,,©tel/ fdjnell auf, ©rete! SDein armer SSater ift bie
gange SRadjt nicht nach Waufe gefommen — ©ott weife,
was er wieber hat burdjmadjen mtiffen. 2lber er fofl
wenigftenS eine gute Stoffe Kaffee bereit finben, unb S)u
weifet ja: wenn SDu fte gemacht feaft, fd^merft fie ifem am
beften. 2lber ba ift er fdjon — bem $immel fei $anl!
Digitized by Google
■ JLjtBTft
Roman von Jtein^of5 ®rfmanft. ]g
$d) ^abe feit Sängern nidfjt mef>r eine fo Ijeillofe Angft
auSgeftanben rt»ie in biefer 9iadf)t."
„EDie grau eines ArjteS foEte non folgen ©d§mädjen
frei fein," meinte ber EDoftor, eine beabfic^tigte Umarmung
fanft abwefjrenb. „Unb 25u barfft mid) nidfjt anderen,
beoor icfi miclj gewafdjen Ijabe. 3dfj fomme oon einem
EDipljtljeritiSfranfen."
9ZadE) einer EBiertelftunbe erft erfd^ien er oöllig urnge*
Ileibet im SBo^njimmer. EDer aromatiftij buftenbe Älaffee
ftanb bereits auf bem E£ifd)e, aber ber §auSljerr jeigte
wenig Appetit. @r fpradj nidjt gern oon ben Vorgängen
in feiner EfkajiS, unb nadEj ber etwas barfdEjen Abfertigung,
bie i^r geftern in 33ejug auf granj -Jiorrenberg ju E£ljcil
geworben war, Ijatte feine grau nidfjt ben SJiutjj, eine
grage an iljn ju rieten. Aber gegen feine ©ewoljnfjeit
fd)ien iljr ber EDoftor tjeute aus freien ©tüdfen bie ESiid
tfjeilung madtjen ju wollen, naclj ber fie fiel) mit frauen*
fjafter -IBifjbegierbe feinte.
„E£)aS war eine -Jladfjt, wie idE> if)rer nidjt oiele mef>r
erleben möd)te!" fagte er befümmert. „Unb wenn fie
wenigftenS nod£) mit einem $offnungSfdf)immer geenbet
Ijätte! ©o aber — eS ift mitunter bodEj ein redEjt troft*
lofeS §anbwerf, baS man ba treibt."
„2ßen fjat eS benn getroffen?" erlunbigte ftdj grau
9lutljarbt fcEjüdfjtern. „3ft eS eine gamilie, bie idj
fenne?"
„3a, EDu Jennft fie fefjr gut. EDer arme EHSaltljer ©ar=
toriuS ift eS, ber feine pflichttreue oermutfjlidE) wirb mit
feinem jungen Seben bejahen müffen."
(Srftaunt unb beftärjt fdjjlug bie fleine grau bie §änbe
Hufammen.
„3ft es möglidfj? Unb 3)u beljanbelft iljn, Hermann?
35u bift in beS ©tabtratfyS £aufe gewefen?"
„äßaS fann $idj baran SBunber nehmen? 93in ich
Digitized by Google
14
Zitier 6«m 4<$tperle &er
bettn nidjt ein 91rgt? Sin Premier ift für mich weber
greunb nod^ geinb, fonbevn einfad} ein Äranfer. ®er
wäre ein pflidhtoergeffener 9frgt, ber barin anberB benfeu
fönnte."
®ie grau hatte fid) leife an feine ©eite geftohlen unb
legte ihren 2lrm um feinen -Raden.
„©ei mir nicht böfe, bafj id) über fo ganz ©elbft»er=
ftänblidjeS in Perwunberung gerätsen fonnte! Unb eS fteljt
wirllidE) ganz hoffnungslos um ben armen jungen 9Rann?"
„2Ber fann fid; oernteffen, baS $ufünftige mit ©ewifj:
heit uorauBjufagen? gn jungen, lebenSlräftigen Körpern
finb wohl fefjon größere Söuitber gefdhehen, als fid; ^ier
eines ereignen müfjte. $ie -Jiatur fümmert fidf ben Teufel
um meine ärjtlidje 2öiffenfd;aft. 2lber menn biefe Söiffem
fd;aft fRe^t hat, ift er oerloren."
„2ldh, ber arme gunge! Unb EDu fagft, bafj er ein
Dpfer feiner pflichttreue geroorben fei? Sr ift atfo an
einem Slranlenbette angeftedt morben?"
„ga. Siner armen SÖittwe, bie auf bem ©runbftüd
feines SBaterS wohnt, waren gleichzeitig beibe Äinber an
ber tüdifdjen ©eudhe erfranft, unb bie grau hotte, wie eS
in foldhen gäßen ja leiber nur zu häufig gefd^te^t , oer=
fäumt, rechtzeitig ärztliche §ilfe zu fudjen. 2llS fie enblidh
zu nächtlicher ©tunbe laut jammernb oor bie Sßohnung
beS ©tabtratljS fain, waren bie armen lleinen 3)inger be--
reitS auf bem fünfte, zu erftiden. Sßalther ©artoriuS hat
fid} bie ganze -Rächt mit ben beiben Äinbern abgequält,
gefct finb bie beiben Uranien aufjer jeber ©efahr, unb er
liegt auf ben EEob. 95aran, bafj eS auch eine Slrt non
§elbentob ift, benft nachher, wenn er geftorben fein wirb,
wahrscheinlich lein SRenfch- Sin 2lrjt, ber ftdh am $ranfen=
bette ben EfcobeSleitn geholt hat — was ift baoon t»iel
2lufljebenS z u machen! Sr hat ja nur feine ©chulbigfeit
gethan — weiter nidjtSl"
Digitized by Google
Koman von Ktin^ofb ©rlmann.
15
2luS ber Sitterfeit biefer 9febe Hang für $eben, bev
ben $>oftor Sfut^avbt fanntc, beutlidj eine tief f c^rrterjlid^e
Seroeguttg. $)aS ©djicffal feines jungen Sollegen ging
ihm offenbar oiel mehr 51 t §erjen, als er eS zeigen wollte,
unb als feine ffrau, bei ber bie frönen beS SDfitleibS
niemals fefjr roeit mären, in lautes ©d)ludjzen ausbrach,
lehrte er fid) haftig ab.
2lber mit einem SluSruf beS (SrftaunenS fpraitg er faft
gleichzeitig oon feinem ©tufjl empor.
„©retlje, Sinb! 28aS foCT baS bebeuten? SBillft SDu
mir benn am (Snbe auch nod) franf roerben?"
(SS mar rooljl begreiflich, bafj er juerft auf eine folche
Sermuthung fam; benn baS junge Wählen, beffen 2ln*
roefenheit fie bisher nicht bemerft hatten, lehnte tobtenbleich
an bem Sfoften ber offenen 'Jljü^ mit feft oerfchtungenen
§änben unb mcit geöffneten, entfetten 2 fugen.
„Sd; habe 2tUeä gehört , maS $u gefagt l)aft, SSater !
(SS gibt alfo feine Rettung mehr für ihn? (Sr tnufj fterben?"
„$>ie fyrage mufft 25 u an einen Seiferen ridjten,
mein Sinb, als ich eS bin. 2lber ift eS roirflid) biefe
9ieuigfeit gemefen, bie 2 >idj fo erfchrecft hat? §aft 2 )it
benn nodh immer fo oiel oon Salther ©artoriuS gehalten?"
(Sr hatte ihre §änbe ergriffen unb fte fanft ju fid)
herangezogen. 9Jlit einer ©eberbe müber Serzroeiflung
lehnte 3Jlargarethe ihr Söpfdjen an feine Sruft.
„Sch bin fo häfelid) gegen ihn gemefen, Saier, fo un=
freunblich unb hart! Unb nun — menn er fterben muff — "
Sh^e ©timme brach, unb ih* fdjlanfer Seib erzitterte
roie in unterbrüdtem ©<hfu<hjen, menn audj feine Stfjräne
ihre 2 lugen ne^te. Sit einer liebeooHen gärtlidjfeit, roie
er fte im täglichen Seben nicht eben häufig an ben Xag
legte, ftreichelte 2)oftor Slutharbt ihre Sangen.
„Sa, rotr haben ihm Unrecht gethan, ©rethe, unb bie
©djulb baran fällt rooljl gumcift auf mich- Sch hätte ihn
Digitized by Google
16
Knter 6cm 6t i £§fnii#.
nidljt fo aus meinem #aufe geljen faffen bürfen, als er in
ber red)tfdjaffenen Slbfidjt fam, ^rieben ju ftiften jroifdjen
feinem Sßater unb mir. &enn er ift ein Brauer Surfdje,
ber nic^t bloS am ßranfenbett baS §erj auf bem redeten
$led Ijatte. @r märe ein tüdjtiger -Dienfcf) gereorben —
ein ganjer fßiann."
„llnb nun foß er fterben, oljne bafj idj eS iljm gejagt,
oljne bafj idj tyn um Vergebung gebeten Ijabe! 9?cin,
SSater, idf) roerbe feinen ruljigen 21ugenblid meljr Ijaben
in meinem Seben, roenn iclj bie Saft auf bem ©eroiffen
bemalte."
„©ei ruljig, liebes $inb! $dj f)abe in biefer 9fad)t
mit Ujm baoon gefprodjen, unb er Ijegt feinen ©roß,
meber gegen 3)id^ nod; gegen mid;. @r Ijat mir fogar
ausbriidliclj aufgetragen, ®id^ »on if;m ju grüßen. Unb
rcenn man mit fo viel ^affinrg bem £obe entgegenficljt,
roie er, fpridjt man fidjerlid) nichts mefir, baö nid)t aus
aufrichtigem §erjen fäme."
„D SSater, lieber ÜSatcr, gibt es benn gar fein Mittel,
iljn ju retten!"
„35ie $ranfl)eit ^at iljn in iljrer tiidifdjeften S orm
gepadt, unb er felber roeijj eS am beften. 33ießeidjt bringt
iljn feine SebenSfraft noef) barüber Ijinroeg — bie SBiffem
fdjjaft ift leiber oljnmäcfjtig."
@r füllte, roie fie gitterte, unb brüdte fie barum mit
fünfter ©eroalt auf einen ©tuljl nieber. 2Bo^t in bem
©lauben, iljre Setrübnifj bamit gu linbern, fpraclj er roeiter :
„$er ©tabtratlj ©artoriuS felber fam geftem Sfbenb,
miclj ju feinem franfen ©oljne gu ^olen, unb roaS midi)
auefj fonft oon bem ÜDlanne trennen mag, bafiir roenigftenS
roeifj idj iljm £)anf. 2)enn in biefer traurigen SJfacfjt ^abe
idj gelernt, roieber an fEreue unb männlicfje 2Ba^r^aftigfeit
ju glauben. 2luS beS ©tabtratfjS eigenem fßfunbe roeifj
i<$, bafe iljm SSaltfjer nadj jener unglüdfeligen ©tabt*
Digitized by Google
XoiRrttt »on Jteinljorb iPrfniünn.
17
oerorbnetenji^ung furj unb bünbig crflärt bat, er werbe
fein §au§ für immer oerlaffen unb oor aller Seit gegen
ihn Partei ergreifen, wenn er bie 23efcf)impfung, bie er
wiber befjereS Siffen gegen mich gefcbleubert, ttid^t öffent»
lieb jurücfnäbme.
Sftocb auf feinem ßranfenbett bat »b n nichts 2lnbere§
fo fe^r gequält roie bieS. ©artoriuS mufete geftem 2lbenb
oor feinen Slugen ben Siberruf nieberf ^reiben, ber b eute
ben beiben b^ftgen Rettungen überfanbt werben foßte.
$cb b«be ibn gelefen unb habe ba§ 93!att natürlich jer*
riffen. 2lber bem waeferen jungen Sanne habe ich oon
§ergen ba§ Unrecht abgebeten, ba§ id) ibm in ©ebanfen
unb Sorten jugefügt. Sabrbaftig, ich würbe ben ©tabt«
ratb um feinen ©ofjn beneibet haben, wenn biefer ©obn
nicht leiber auf bem ©terbebette läge."
Sargaretbe batte ihre 2lrme auf ben f£if<b gelegt unb
ben blonbcn $opf barauf nieberfttifen Iaffen. ©ie weinte
nicht, wenigftenS nicht hörbar; aber oon $eit ju $eit ging
eS wie ein ©rfebauern über ihre ©eftalt.
$rau SRutbarbt, bie ftcb fo lange ganjj ftiH oerbatten
batte, ging auf ben ffufjfpitjen ju ihrem Sanne unb jupfie
ibn am Stermet.
„Um beS §immel§ willen, £>u madjft eS ibr ja auf
foldje 2lrt nur noch fernerer," flüfterte fte einbringtich.
„©iebft ®u benn nicht, wie eS um ba§ arme ßinb fte^t?
Sein ©ott, unb baoon batten wir feine Stbnung?"
Unb bann, inbem fte fich über bie Skrjweifefte nieber-
beugte, fagte fte mit aß* ber 3nnigfeit, bie nur eine be=
forgte Sutter in ben Älang ihrer ©timme ju fegen oer<
mag; ,,©ei mutbig, mein geliebtes Hinb! -Koch ift nicht
jebe Hoffnung oerloren. 2>er Sßater fagt, baft fich fdjon
oiel größere Sunber ereignet haben — warum foßte gerabe
hier unmöglich fein, wa§ boeb in anberen fräßen möglich
gewefeit ift!"
1896. IV. 1
Digitized by Google
18
3<nte; btm Äc$n)trtt 6er
©8 rear eine fefer fdferoacfee Hoffnung, geroife nic^t bar«
nadj angetfean, njo^It^ätigen £rofte8ba!fam in MargaretfeenS
blutenbe8 §erj gu giefeen; aber roa8 ber ^n^alt iferer Morte
reofel !aum fertig gebraut feätte, baS gelang bem feelen»
ooQen $on ber Mutterliebe, ber in ifenen gitterte. Mar»
garetfee richtete ficfe auf, umfcfelang bie Mutter mit beiben
3lrmen unb brad) in einen ©trorn erlöfenber £feränen au8.
„Mie fdjledjt bin idj gegen i^n geroefen, Mutter! 2 Id),
ifer reifet e8 ja gar nicfet, roie fcfeledfet id) gegen ifen ge«
roefen bin!"
©anft unb leife fpracfe grau Sutfearbt auf bie Meinenbe
ein. 2118 reäte ifer ba8 4)erjen8gcfeeimnife, baß ficfe feier
fo überrafcfeenb offenbart featte, etrea8 längft S3efannte8
geroefen, tfeat fie feine grage unb äufeerte fein Sefrern«
ben, fonbern oerfudjte nur, bie feerbcn ©elbftanflagen
gu befcferoicfetigen, mit benen ficfe Margaretfee unauffeörtidfe
marterte.
„Unb $)u feörft ja, bafe er ®ir gar nidjt gürnt," fagte
fte gulefet. „Mürbe er benn ^Deinem Sßater einen ©rufe
für ®icfe aufgetragen feaben, reenn er SDir nidfet 2llle8 oer»
giefeen feätte, raomit ®u ifen gefränft gu feaben glaubft?"
,,©r feat mir biefen ©rufe gefanbt, roeil er gu grofe»
miitfeig raar, micfe mit ber fcferedlidjen Saft auf bem ©e»
reiffen gurücfgulaffen. 2lber er roirb barum bocfe mit bem
©ebanfen fterben, bafe icfe ein oberfläcfelidfeeS, feerglofeS
©efcfeöpf bin. @8 fann ja gar nicfet anber8 fein — er
mufe micfe oeracfeten."
©8 roar unmöglidj, biefe Uebergeugung in ifer gu er«
fcfeüttern. ©ie feörte ben gutgemeinten UeberrebungSoer»
fucfeen iferer Mutter reofef nocfe eine Meile ftill gu, bann
aber roanbte fie fid; plöfelicfe mit einem 2lusbrucf oon ©nt»
fcfeloffenfeeit, ber faft befremblicfe erfdjien im 23ergleidj mit
iferem bi8feerigen S3enefemen, bem SDoftor gu.
,,©age mir, 23atev, reie lange er nacfe ^Deiner Meinung
Digitized by Google
Jtom.ui t>on Xcinljor& ©rtmann.
19
ttodj gu leben fjat. §ältft ©u eä für möglid), baff er —
bafj er nodfj fjeute fterben fönnte?"
©er Slrgt gauberte ein wenig, bann aber erwieberte er
in einem ©on, ber feine gange §offnung§Iofigfeit erfennen
lief}: „3$ mödfjte nicf)t3 propfjegeien , aber id£) fjalte e§
atterbingä für waljrfdjeinlidj, baf} er ben 2lbenb nid)t mefjr
erleben wirb. ©cf>on gegen -Biorgen waren bie 2lngeidjen
non $ergfd()mädE)e ein paarmal fo bebrofyticf), baf} idj feine
(Sltern auf baS 2leuf$erfte gefaxt madEjen muffte."
„Unb wann wirft ©u wieber gu iljm geljen?"
„©obalb icf) meine ©precf)ftunbe abgeljalten unb bie
aHernotf)wenbigften 23efud;e gemalt l)abe. ftnb leiber
augenblidficf) red^t 23iete, bie mit ©eljnfudfjt auf mid; war»
ten, unb icf) fann fie wegen beö armen jungen Kollegen
nid&t im ©tief) baffen , wie gerne idj audj biö gum lebten
2lugenblid bei if)tn bleiben möcfjte. Bfatürlidf) wirb man
nad) mir fdjiden, wenn man ben ©inbrud gewinnt, baf}
. baä @nbe unmittelbar beuorfteljen fönnte."
•Bfargaretf)e fjatte feine weitere $ ra 8 e - Scheinbar gefaxt
nafjm fie ifjre Ijäuälidfjen Obliegenheiten wieber auf, inbem
fie baä Sfaffeegefdjirr gufammenftellte unb eä fjinauS trug.
3Jlit einem fummernoUen 23lid faf) iljr bie SJlutter nad^.
,,©a3 arme, arme Äinb!" flagte fie. ~„$jd) glaube, fie
felber ift erft jefct inne geworben, baf} fie iljn lieb Ijat.
Unb nun gu benfen, baf} fte iljn wofjt nie mefjr lebenb
wieberfefjen wirb — e§ ift waljrljaftig fein 2Bunber, baf}
ifjr baä §erg barüber brechen möchte."
©ie fcf)idte fich an, bem jungen 3Jläbcfjen gu folgen;
aber ber ©oftor f)ielt fie nod£) gurüd.
„2öenn eä fo ift, follteft ©u fie um fo weniger mit
ben 2leufjerungen ©einer ©fjeilnaljme quälen, ©aä ntuf$
auäbluten, unb fte wirb am elften bamit fertig werben,
wenn wir fie gang fidj felbft überlaffen, ©enn fie ift im
©ruitbe eine ftarfe unb tapfere 9?atur."
Digitized by Google
20
JCntfr *t$ir«r(e ?><t QTQtmi».
2üohl mar Margarethe fogleich in i(jr Bimmer fjtnauf*
gegangen, nad)bem fte ba3 Äaffeegefdjirr in bteHüdje getragen
hatte, aber bie Serntuthung ber Mutter, bafj fie fich bort ein*
gcfddoffen hätte, um ungeftört ihren Kummer auSjuroeinen,
mar eine irrige. ®a§ junge Mäbdjen oertaufdjte oielmehr
ben leisten Morgenrod fofort mit einem einfachen bunflen
©trafjenf leibe, roufdj ftdj bie Augen mit faltem ÜSBaffer,
um bie »errätljerifdjen St^ränenfpuren ju tilgen, unb ging
bann Ieife bie kreppe roieber hinab.
Broar mar ber ßntfdjlufc, ben fie fdEjon trorhin roä^renb
ihres ©efprädjeS mit ben Gütern gefaxt hatte, ein ooIU
fommen unerfchütterlicher, unb fte hätte fid) geroifj rceber
burdj eine Sitte noch burdj einen Sefetjt oon feiner Aus»
füfjrung juriicf^alten laffen; aber eS mar bocf) beffer, menn
fie nicht erft genötigt mürbe, mit einem ihrer Angehörigen
barüber ju fpredjen, unb beä^alb öffnete fie auch bie $auS*
thür fo behutfam, bafj bie ©lode faum »ernehmbar an*
fdjlug. Stafdj eilte fte bie ©trafje h* n a&, unb mit un*
geftüm flopfenbem §erjen trat fie menige Minuten fpäter
in baS §auS beS ©tabtratfjS ©artoriuö ein.
©n ®ienftmäbdjen mit bicf oermeinten Augen fam ihr
entgegen. @3 mar eine alte ^ä^tidhe Serfon, beren ftch
Margarethe fdjon auS ihrer früheften ßinbheit erinnerte,
unb bie SBalther fidherlidj nodj als fleinen Knaben auf
ihren berbfnodjigen Armen getragen hatte.
„Ach ©ott, liebeä ffcäulein, ©ie fommen geroifj megen
unfereS jungen $errn," meinte fie, unb ihre ©timme mar
noch *auher als fonft t>om oieleit ©djluchäen. „@3 ftefjt
fdjledjt — fehr fdjledjt! Menn bodj nur ^h r Sater erft
mieber ba märe! Man fängt immer roieber an gu hoffe«,
menn man ben fjerrn SDoftor bloS h^einfommen fieht."
©ie fuhr mit ber ©c^iirje über bie Augen ; Margarethe
JRoman ron J?ein§orf> CPrfm.inn, 21
aber italjm tfjre gange ftraft gufammen, um ciufserlidf) ru&ig
uttb gefaxt ju bleiben.
„3ft es möglidj, ben ßranfen gu feljen," fragte fte,
„roenn audj nur auf rcenige 2Iugenblide?"
2)ie -äDfagb rijj in großer SSerrounberuttg bie Slugen
auf. „216er gräulein, rate fömten Sie nur baran benfen!
2lufjer ber §errfdf)aft barf 9?iemanb gu iljm Ijinein. @S
foH ja eine fo anftecfenbe Sfranfljeit fein. 9ftd)t einmal
mid; läfet bie %xau ©tabträtfjin über bie Sdjroelle."
„2Bemt fid; bie ©tabtrcitljin nidjt nor ber 2tnftedung
fürchtet, roarum follte idj eS tljun? können ©ie mir nidfjt
roenigftenS eine ©elegenfjeit oerfd^affen, mit §errn ©ars
toriuS gu fpredjen?"
„3>a, bagu fann rooljl 9tatl) roerben. 2lber erfdjrecfett
©ie nur ni<$t, wenn ©ie if»n feljen. (Sr Ijat fiel) in ben
groei £agen fo oeränbert, bajj man iljn faum nodj erlennen
fann. D, mein ©ott, bajj idj baS nodj erleben mujjte!
Unfer lieber, junger $err, ber allen SRenfcljen nur ©uteS
getljan Ijat — "
„3ft ber §err ©tabtratb jefjt bei feinem ©oljne?"
„3$ f)öre bie Sljur geljen, oietteic^t fommt er eben
IjerauS. SBarten ©ie, idf) raerbe gleid» nadjfeljen."
©ie ftfjlidj fid) bis an bie Xljür beS ÜRebengimmerS
uttb mad)te 9Rargaretlje bann ein 3 e ^ en > eingu treten.
„©eljen ©ie nur ofjne SöeitcreS Ijinein!" fliifterte fie.
,,3d) mag iljn gar nid)t erft feljen, eS rnacfjt mir baS §etg
gu ferner."
2)oftor SRuiliarbt’S $od)ter leiftete ber 2lufforberung
$olge. ©artoriuS ftanb mitten im 3”mm mit tief ljerab=
gefunfenem $opfe unb fdjlaff nieber^ängenben 2lrmen.
©ein ©eftdfjt roar fo fpifj unb Ijager, als litte er felber
an einer auSgelirenben ßranfljeit; in feinen 2lugen aber
roar etroaS 2lpatfjifcf)e8 , roie in bem 23lidf eines 33löb*
fmnigen. (Sr falj SJJargaretlje rooljl an, aber er erroieberte
Digitized by Google
22
5<nf«r iem btr
itjren ©rufi nicf)t, unb e§ bauerte eine geraume 3eit, bis
er fie überhaupt gu erfennen unb ben 3 n ’ ec ^ tljreS Äom«
menS gu begreifen fd)ien.
$ann ftridfj er fufj mit bern dürfen ber §anb über
bie 2fugen unb fc^üttelte ben $opf.
„3u meinem ©of)n — nein, e§ barf üftiemanb gu
meinem ©oljn. @S ift »erboten. fRiemanb fott bei itjm
fein, als feine fKutter unb idf)."
„3$ möchte ja nur auf gang furge 3^* hinein," bat
fie bringenb, „nur auf eine einzige Minute!" Unb gag=
Ijaft fügte fie tjingu: „©tauben ©ie beim, $err ©tabt»
ratff, baff mid> SBaltljer erfennen mürbe?"
„SBarum füllte er ©ie nid)t erfennen? @r ift bei
ftarer Seftnnung, fo ftar rcie nur je in feinen gefunben
Stagen. 9fur ba§ ©preßen mirb ifjrn immer fdfjrcerer —
immer fernerer. fonnte i^n Dorthin gar nictjt tnefyr
oerftetjen, unb icf; b a & e mir bo<$ gemifj ^SJiüfje gegeben,
©ie fönnen ftdti’8 roofjl benfen, bafj idj mir 9Rüt)e gegeben
Ijabe, it)n gu »erfteljen."
®abei prefjte ber ungtüdEticffe Sater bie Raufte an bie
©dt)Iäfcn unb ftarrte unocrrcanbt oor ficf) f)in. ÜRoct) inniger
als guoor rciebertjotte -JRargaretlje it)re Sitte, nur für
menige flüchtige 2lugcnblicfe bei bem Patienten eintreten
gu bürfen; aber baS StuSbteiben jeglicher 2lntrcort geigte
ifjr, ba| ber ©tabtratlj fie überhaupt nid^t metjr tjöre.
2)aS Uebermajj oon ©orge unb SSergrceiftung fdjicn if>n
bergeftatt erfcfjöpft gu tjaben, baff e§ in furgen 3wifc^en=
räumen rcie bumpfe Setäubung über ifjn fam — ein
3uftanb, ber if)n unfähig machte gu begreifen, roaS um
itjn tjcr gcfdjalj.
SRattftoS ftanb fDiargaretlje neben bem beftagenärcertf>en
aJianne. 3)a mürbe uorfid)tig bie S3SF>ür beS 9?ebengemacf)e§
geöffnet, unb bie ©eftalt einer f>octj gercadjfenen, mageren
grau mit fdjlicijt gef^eitettem, fcfion ergrautem §aar unb
Digitized by Göogle
Romitn pcn Reinfjorf* $rtnuintt.
23
fünften ©efidf)t§sügen, erfc^xen auf ber ©djroeße. @g roar
bie Mutter be§ jungen SlrjteS. ©id)erlid) litt fte an bem
Sranfenbette beg emsigen ßinbeg nidjt roeniger als ifjr
Mann; aber fte befafe jene 5lraft ber ©elbftüberroinbung,
bie nur eine Mutter in fotdjer Sage ftnbet. Sßeil ber
Seibenbe ifere SSerjroeiflurtg rtid^t feljen burfte, war ifjr
SIntlife ruf)ig unb gefafet; in aß’ iljrem gammer hielt fte
ftc^ aufrecht unb gerabe, immer bereit, mit einem tapferen
Sädjeln jeben auggefprocfeenen ober angebeuteten 2Bunfcfj
beg Sranfen behenb su erfüllen.
,,©ie ftnb eg atfo wirtlich, gräulein Margarethe!"
fagte fte leife. „Mein ©oljn ^at 3hre ©timme erfannt
unb mich beauftragt, Qfjwtt red;t beglich für $Ijre ^^eii=
nähme su banfen. glaube, ©ie haben iljm bamit eine
grofee greube bereitet."
„D, roenn eg fo ift, grau ©tabtrcitljin," bat Mar-
garethe, „fo raffen ©ie mich su ih m hinein! geh miß
mich gans ftiß oerfjalten unb mich fogleidb roieber ent=
fernen, roenn ©ie eg mir beferen."
„Slber, mein liebeg $inb, roa§ ©ie ba roünfdjen, ift
unmöglich ! SBiffeit ©ie benn nid^t, roie leidet übertragbar
Söaltfjer’g ßranffeeit ift, unb bafe ©ie oießeidf>t fcfeon eine
Unoorfidjtigfeit begehen, ^ier mit ung s u fpredjen?"
„Mein S3ater fagt immer, man roerbe nur feiten an=
geftedt, roenn man fidE) nidjt fürchtet. Unb meine Mutter
geht ja oudj beinahe £ag für £ag su aßen möglichen
ßranfen, ohne bafe eg iljr jemalg gefcfeabet hätte. gdf>
roerbe gans seroife nicht fron! roerben, unb ich roage bodj
auch in feinem gaß mehr al§ ©ie felbft."
„®ag ift rooljl etroag 2lnbereg, Margarethe , ich bin
feine Mutter."
®a liefe bie oersroeifelte Stngft, bafe man fte roirflid)
an ber ©chroeße suri'tdroeifen fönnte, bafe fte ifen nie mefer
tebenb feljen foßte, ba§ junge Mähren aße oott guter
Digitized by Google
24 Änitr J><m $c$n>«rie S«r 8§cmit.
©itte unb jungfräulicher ©pröbigfeit gebotenen ÜJtücfftdjten
oergeffen.
„3a, <Sie finb feine Mutter," fagte fie, „aber ©ie
fönnen ihn unmöglich lieber haben, als idf"
Söeiber ©liefe begegneten fiefj, unb bie ©tabträthin trat
oon ber ©djroeße gurücf.
,,©o fommen ©ie, 5tinb."
@in bleiches 2lntli$ fdjaute auS roeifjen Riffen mit oer*
flärtem Sädjeln ber ©intretenben entgegen, burdjgeiftigter
unb ebler als in gefunben £agen — nicht aber baS ent-
ftettte unb oerfaßene ©eftd)t eines ©terbenben, roie Mar=
garetlje es rooljl hatte erroarten miiffen. 2llS fte ftd) if)ro
näherte, erhob Malier ein roenig roie gur Slbroehr bie
§anb.
„©leib’ bort, Margarethe!" flüfterte er tonlos, benn
ba§ ©preßen foftete ihn offenbar grofje Slnftrengung.
„SQ3ie glüeflieh bin ich, baf} i<h ®'<h noc § einmal gefehen
habe, roie banfe ich $ir bafiir, bah gefomntett bift!"
■Jiach einem furgen Räubern hatte ftd) bie ©tabträtfjin
fachte au§ bem ^immer gurüefgegogen. Mutterljerg
fühlte, bah bieS fne bie beiben armen jungen Menf<hen=
finber einer non jenen 2tugenblicfen fei, beren §eiligfeit
fein ^Dritter burch feine 2lnroefenheit entroeihen foß. Mar*
garethe aber rourbe faum geroahr, bah f te ntit bem 3ugenb=
gefpielen aßein fei, als fie, ohne ftch um SBalther’ö
Mahnung gu fümmem, auf ihn guging unb neben feinem
Säger auf bie ßniee fanf.
„$u foßft mir nicht banfen," fagte fte, noch immer
ftanbhaft gegen bie heifi emporqueßenben Sthränen fämpfenb,
„ich bin ja fo fdjlecht gegen ®ich geroefen, unb ich fann
eS niemals gut machen, roaS idj an ®ir oerbrodjen habe.
9?ur »ergeben foßft ®u mir, 2öaltf)er — foßft mir nur
fagen, bah 3)u mich nicht oeradjteft."
„3dj SDich oerachten? D, Margarethe, roeldh’ ein ®e*
Digitized b
Jtamaii i<on Stiu^olfc Srlmattn. 25
banfe! ^abe ja noch nicht einen 2tugenblicf aufgehört,
2>ich mit ber gangen ßraft meines £ergenS ju lieben."
2Bie Zeitig fte fidj auch gelobt haben mochte, tapfer
gu bleiben, nun brach ihre 2BiberftanbSfraft bennoch ju=
fammen. ©ie brücfte thr ©eft<ht in bie $ecfen feines
Sägers unb meinte fo fyerjbredjenb unb bitterlich, als ob
iljr Seben mit biefen Stätten batjinflieffen muffe, ©anft
legte ftdj bie mübe §anb beS Äranfen auf ihren blonben
©Reitel, unb eine lange 3 e ^ oerftrich, benor er !aum
oernefimlidj fragte:
„Margarethe — Hebe Margarethe — 3)u marft mir
alfo bennoch ein roenig gut?"
©ie antraortete il)m nid)t, aber fte richtete fich auf,
unb roäljrenb ihre ^ei^en Spänen auf fein blaffeS ©eftdjt
nieberfielen, friste fie ifjn auf ben Munb.
SH8 ber ®oftor ^ermann Slut^arbt halb nachher in
baS ßranfenjimmer trat, faf) er feine 5Coc^ter auf bem
SRanb beS SetteS ftjjen, beibe §anbe beS jungen SlrjteS
in ben irrigen haltenb. @r mar nicht überrafdjt, benn er
hatte ja fchon braunen tmn ber ©tabträt^in erfahren,
melden 33efuch fte troij feines auSbrüdflichen Verbotes ju
ihrem ©ohne eingelaffen Ijabe. § rau ©artoriuS mochte
mof)t gefürchtet haben, baf$ er i^r als Slrjt rcie als 3Sater
heftige SSormürfc madjen roerbe; aber SDoftor Stutljarbt
hatte nichts berartigeS gethan. ©chmeigenb mar er hineim
gegangen, unb als ftd) Margarethe nun fdhlud)jenb an
feine Sruft marf, mehrte er fte nicht jornig non fidj ab.
,,©ei mir nicht böfe, lieber SSater !" flehte fte leife. ,,^dh
habe ja nicht anberS gefonnt."
„2öenn $u nidht anberS fonnteft, roirb eS rooht audh
fein Unrecht geroefen fein," erraieberte er ruhig. „9hm
aber geh’ einftroeilen hinaus, mein $inb! Mir rooHen
fehen, mie es um unferen jungen greunb ba fteht."
Digitized by Google
26
Unter 5em Scfiu’erft 6er
Jld?t3el?tttes ^rtpitcf.
Unter ben neuen (Saften, bie an biefem Wittag §ur
Xable b’ljöte im „König oon ©panien" erfdienen, war
aud ein auffaßenb ftattiidjer £>err mit ftarfem, fdroarpm
Knebelbart unb Ueinen, beroeglideu. etroaS ftedenben Slugen.
Er roar nid* in bem §otel beS §errn ©droanflügel ab«
geftiegen, aber es unterlag trofebem feinem 3roeifel, bafe
er ein ffrrember roar; benn er beantroortete eine gelegene
lic^e Semerfung feines Sifdnadbam mit einer fjöfliden
Entfdulbigung wegen feiner Unbcljolfenljeit in fefer fcfyledj;
tem, gebrodenem ®eutfd, unb oerftänbigte fid bei ber
SBeinbefteHung mit bem DberfeHner in franpftfder ©pradje.
$n geringer Entfernung oon iljm, aber auf ber anberen
©eite ber Xafel, fafeen fRubolplj ©anbort) unb grang
Efdenbad, ber feit ber plöfelid)en Slbreife ber beiben
©djaufpielerinnen ben frei geworbenen $lafe ber fjrau
^BoHnife eingenommen Ijatte. 3u einem feften Entfdlufe
bejüglidj ber 23iUa, bie er ftd in Söatbenberg laufen wollte,
fdjien ber fdüdterne Hamburger 5ßrioatgelefirte nod immer
nic^t gefommen p fein, roofjl aber Ijatte er fid nad bem
benfroürbigen Koftümfeft nod) enger als poor an ©anborp
aitgefdloffen, ber fid bie ^reunbfdaft beS rounberliden,
naio neugierigen Wenfden Ijalb gelangroeilt unb Ijalb
beluftigt gefallen liefe.
®er neue 2lnfömmling mit bem Knebelbarte, beffen
impofante Erfd)einung freilid nid* l«id* S u überfein roar,
Ijatte gleid bei feinem Eintritt bie 2lufmerffamfeit ©an«
bor^’S auf fid gepgen.
„Kennen ©ie ben Wann ba briiben?" fragte er feinen
ladbar. „Er mufe erft fjeute angefommen fein; benn id
Ijabe ifjn nod nid 4 8 e f e § en -"
§err $ranj Efdenbad folgte mit ben Stugen ber 5Rid :
tung, bie eine Kopfberoegung ©anbortfs angebeutet featte.
Digitized by Google
Kiiman pan Kein^ofi ©rlmann.
27
„■Keinen ©ie bcn Oc^roargbärticjen ?" erroieberte er
gleidhgiltig. „Kein, ich fenne ifjn nic^t. 216er öietteidht
ift eS ber frangöfifdhe Söeinreifenbe , t>on bem idf £errn
©chmanflüget im Vorbeigehen mit bem DberfeHner fprecfjen
hörte."
,,©o? © fxe^t eigentlich nicht auS mie ein ^ranjofe."
SDe r unbeholfene Hamburger lächelte. „3h rcn ©d) a *f :
blic! in @h ren » § crr ©anborp, aber baf$ man ben Seuten
ihre Kationalität immer tmm ©eficht ablefen !ann, glaube
ich benn bodj nicht."
„Kun, roaS gilt bie SEBetie, bah ber ba brllben, tro£
feiner fchmarjen 2lugen unb feines 3roicfelbarte8 , fein
Komane, fonbern ein ©laoe ift? $db h a l* e 3 e h n gegen
©nS, bah o* einen ftocfruffifchen Kamen führt."
bin fonft fein greunb oon SEBetten, aber beS
©paffes ha^cr fönnen mir’S ja 'mal oerfuchen. ©ne
glafche Kotf)mein, rcenn es $b nen recht ift."
„$a, ooraulgefeht natürlich, bah ber ©eminner bic
Kiarfe beftimmen fann. $rih, fommen ©ie bodj ein=
mal h«!"
Slber ber Kellner oermodjte bie gemünfcf)te SluSfunft
nidht ju geben. $>er neue ©aft mar ihm ebenfalls t>olI=
ftänbig unbefannt.
,,©r moljnt nicht bei uns. Jperr ©dhroanflügel ^äft
ihn für einen $tatiener; aber ber Dberfellner behauptet,
eS märe unjroeifelhaft ein ^ran^ofe."
,,©o müffen mir ben 2luStrag uitferer 2Bette roohl oer=
fdhieben," meinte ©anborp, „bis uns ^ernanb juoerläffigc
2luSfunft geben fann, ober bis ich ©elegenfjeit gehabt habe,
mich mit bem Spönne befannt ju machen, ©ne glafche
SKouton Kotfjfchilb aber biirfte ©ie ber ©pah mohl foften,
mein lieber §err ©fdbenbach"
$ann fpradtjen fie t>on anberen Gingen, unb ber naioe
^rioatgelehrte bemerfte eS in feiner Unbefangenheit geroif?
Digitized by Google
28
34nltr 6cm $<$n>frfe ber
nid^t, bafs bie sölidfe feines Xifdfmacljbarn wäljrenb beS
©efpräd^eS immer wieber forfdjenb ju bem breitfdjulterigen
Unbefannten hinüber flogen, ber bodf) feinerfeits non ben
beiben Herren an ber anberen Seite be§ ^ifd^eS nic^t im
Sinbeften 9Jotij ju nehmen fcf)ien.
2ll§ man fidj naclj becnbeter Salfljeit jum 2tufbrucl)
anfdf)idte, roanbte ftd) ©fdfenbatfj in feiner befdjeibenen,
faft jagljaftcn 3Beife an Sanborp: „Senn Sie über ben
heutigen 2Ibenb nocf) nicfjt oerfügt fjaben, möchte id) Sie
wol)l bitten, mir baS Vergnügen Sljrer ©efcßfdfaft ju
fdffenfen. $d) Ijabe in ber ^önigftrafje eine aHerliebfte
Heine Seinftube entbecft, mo fidj’S feljr beljaglicl) plaubern
Iaffen mu&. Unb eS ift fo langweilig für rnidjj, bie 2lbenbe
immer ganj mutterfeelenallein fjinjubringen."
Sanborp bebaute fidE) einen 2lugenblidf, bann fagte er
ju. „2lber Sie müffcn mir bie Kneipe etwas näljer be=
jeidfjnen, bamit id^ am 2tbenb nid^t erft genötigt bin,
lange barnadj ju fucfjen."
„$5en tarnen beS 3> ll l) a & erg lj<*be ^ leiber oergeffen.
Slber Sie fönnen gar nid)t feljlgeljen, benn bie Seinftube
liegt unmittelbar neben bem öebäube beS ^olijeiamteS.
3>d) barf alfo fidler auf i^lfr (Srfd^einen regnen?"
„©ewifj! ljal te immer, waS idf oerfpredfje. $ünft=
lief) um neun Uljr werbe idj jur Stelle fein. 2luf Sieber--
feljen alfo!"
„2luf Sieberfeljen! Stber ba ift ein Säbdjfen mit
einem 33rief, baS Ifier ^emanb ju fudE>en fdfjeint. SSietteidjt
ift eS eine SiebeSbotfdjaft für Sie."
3n ber $f)at beutete ber Dberfettner, an ben fid) bie
Sotin gewenbet fjatte, gerabe in biefein 2lugenblicf auf
fRubolpt) Sanborp. fRafd), wie oon lebhafter (Erwartung
angetrieben, ging biefer auf baS Säbdjen ju.
„Sein 9fame ift Sanborp. 33in icf> eS, ben Sie
fudjen?"
*5
Digitized by Google
- - <*. *
JSom.-m pon Xeintoß ®rlmann. 29
„Samofjl! $aä $räulein fd^tcft midf) mit biefem äBrief
— aber ©ie finb eä boct) audfj roirflidj)?"
„ffiünfctjen ©ie, bafj id) midj burcf) ein ©eburtäatteft
ober bergteidjen auäroeife?" lächelte er. „Unb ift eä un*
befdfjeiben, nadf) bem -Kamen beä $rauteinä ju fragen?"
„(Sr mirb rooljt in bem Briefe fteljen. $$ faßte iffa
an ©ie perfönlidfj abgeben, aber icfj foHte midt) unter feinen
Umftänben auf eine Untergattung einlaffen."
„(Sä märe unoerantroorlidt) , menn ictf ©ie »erführen
moltte, einem fo beftimmten Verbot jumiber ju Ijanbeln.
9fef)men ©ie bieä für $t)re fWütje unb rieten ©ie SDer*
fenigen, bie ©ie gefctjidft tfat, meine aöerfdjönften (Smpfefa
tungen auä."
Stber baä 5Käbdjen, raieä baä ©elbftüdf, baä er iljm
fjatte in bie .§anb brüdten motten, mit beteibigter 9Jliene
gurücf unb entfernte fid) rafd^. -Koctf im SSeftibiil beä
§otetä erbradf) ©anborp baä 33iIIet. (Sr brauste nicfft
oiel eä ju tefen; benn ber 33rief mar nur roenige
3eüen lang unb lautete:
„$a id) nid^t roeijj, roo ictj ©ie fonft unter oier 2lugen
fprectjen fann, bitte idj ©ie bringenb, midf) morgen 23or*
mittag um $mölf Ufa: an bem Orte unferer lebten 3« 5
fammenfunft ju ermarten. ®ie SBidfaigfeit beffen, rcaä
icf) $>fa*en ü u faßen tjabe, mirb biefen ©dfjritt in Qtjren
Stugen entfdjulbigen , benn idf) tjabe ©ie über einen ^rr--
tfjum aufauflären, ben idf) nur auf Soften meiner ©eelen*
rulje unb meiner ©elbftadfaung fortbefte^en taffen fönnte.
SRargaretfje Stutfjarbt."
Seife pfeifenb faltete ©anborp ben 33rief jufammen
unb ftieg bie kreppe ju feinem 3i mm er empor. (Sr fonnte
mofjl faum im Ungerciffen barüber fein, morin nacf) fttlar*
garetfjenä Meinung fein $rrtt)um beftanb; aber roenn bie
fpött fcfie ©leidjgittigfeit auf feinem ©efidjt nic^t audf) in
biefem Moment nur eine “Kiasfe mar, tjatte bie menig
Digitized by Google
30
JCntc« 6cm iutroulc 6er
oerfeeifeungSoolfe Sfnbeutung feine bisherige ^uoerficfet in
baS ©elingen feiner $läne !autn ju erfcfeüitern »ermocfet.
Er befafe ja ein Mittel, fie ju jroingen, unb bieS
SJtittel Ijatte ftcfe bei ber erften 2lnroenbung ju augenfällig
als ein feöcfeft roirffameS erroiefen, um ifen beim jmeiten
3JlaIe nöHig im ©tiefe laffen ju föitnen.
$aft in bem nämlicfeen Slugenblicf, ba baS ©eräufcfe
ber jufatfenben $feür unjroeifelfeaft erfennen liefe, bafe
Slubolpfe ©anborp fein gimmer betreten featte, taufte
au§ bem §albbunfel ber f feinen Sßförtnerloge ein SKann
auf, ben bisfeer nocfe -Jiiemanb unter ben 33efucfeern beS
„Königs non «Spanien" gefefeen featte. Er fdfeien fefer
fränflicfe ju fein, benn er trug eine bunfelblaue dritte mit
grofeen, ruttben, gemölbten ©läfern, unb featte einen bicfett
moUenen ©fearol berart um ben §atS gerounben, bafe nocfe
beinafee bie ganje untere «Raffte feines glattrafirten ©e*
ficfets barin oerfcferoanb.
Dfene mit ^ernanb ju fprecfeen, trat ber üDfcnn auf
bie ©trafee feinauS unb fcfelug bie SRicfetung nacfe ber ßönig:
ftrafee ein. ES traf ftcfe jufällig, bafe ber ftattlicfee $err
mit bem fcfemarsen $nebelbart faft unmittelbar nacfe ifem
ben „$önig non ©panien" »erliefe unb ftcfe ebenfalls nacfe
jener Stiftung roanbte. $n einer Entfernung non roenig
©cferitten ging er feinter bem 2lnberen feer, bocfe befcfeleu«
nigte er feinen ©ang nicfet, um ifen einjufeolen, unb deiner
uon ben SSorübergefeenben featte auf bie 2?ermutfeung
fommen fönnen, bafe irgenb roelcfeer gufantmenfeang groi:
fdfeen ben Seiben beftefee. Erft als fie rafcfe nacfeeinanber
in bem etmaS »erftecft liegenben Eingang einer unfcfeeim
baren fleinen Söeinftube oerfcfercanbett , mürbe einem fefer
aufmerffamen SBeobacfeter »iellcidfet foldjer Skrbacfet auf*
geftiegen fein, unb einen aufmerffamen Söeobacfeter featte
bann aitcfe mofel nocfe mancfeeS 2Inbere, baS er jefet mafer=
nefemen fonnte, einigermafeen befrembet.
Digitized by Google
Xowiin von Ktin^otS CDrtmann.
31
•Jiocf) auf bet kreppe nämlich befreite fidj ber (ütatt*
rafirte fomoljt non ber ^äfslid^en blauen S3rtUe, mie ton
bern bieten ©Ijarol, unter bem er atterbiitgS fcf)on bem
(SrftidungStobe nalje gemefen fein mufjte. 3Jiit einem er»
leid&terten 2lufathmen trocfnete er ftch ben ©chmeifj ton
ber ©tim, unb blieb bann martenb fielen , bis auch ber
Slnbere, ber §err mit bem Änebelbart, über beffen 9?atio*
nalität ©anborp unb ©fdjenbach ftdf» nicht Ratten einigen
tonnen, bie ©tufen hetabfam. 3n einer feh r tonfonanten--
reidjen ©pracfje, bie raeber beutfdf) nodj franjöfifch, gemifj
aber am allertnenigften italienifdj mar, flüfterten fie Einiges
miteinanber. 35er ©rofje fd^üttette raie in lebhaftem SKifc
tergnügen ben ßopf, unb in leifem, eifrigem ©efpräcij
burd)fchritten fte ba§ eigentliche ©aftjimmer, um in ein
bahinter HegenbeS, fleinereS ©tübc^en ju gelangen, ba§
nur einen einigen runben £ifdfj mit einem 35u$enb fteif*
leljniger ©tühle aufjuroeifen hatte.
35er Redner brachte ihnen eine fflafdje 2Bein unb fctjlofs
bie 3^ür. Slber fte hatten noch nidht einmal ihre ©läfer
gefüllt, als (ich biefe £ljnr fdjon mieber öffnete, um bie
hagere ©eftalt be§ $errtt ffranj Gfchenbadj auf ber ©chraelle
erfcheiiten ju taffen. mar fjöchft fottberbar, rcie toll:
ftänbig mit einem 2Jtale alle ©df)üd;ternheit unb Unficher=
heit aus ber Haltung unb bem ^Benehmen be§ angeblichen
$rit>atgelef)rten terfdjmunben mar. SJlit roeltmännifcher
§öflichfeit begrüßte er junädjft ben 35unfelbärtigen , ber
fidj bei feinem Eintritt artig erhoben hatte, mit einem
.fjänbebrucf, unb ermieberte bann bie Verbeugung be§ 2ln--
bereit auf bie gleiche SBeife.
„9tun?" roanbte er fleh mit einem 3tuSbrucf gefpannter
©rmartung in ftanjöfifchcr ©prache an biefen Sefjteren.
,,©ie haben ihn alfo je^t gefeljen?"
„3>a! 2><h tonnte ihn gut beobachten, beim er mar nur
um ein ©cringeS oott mir entfernt uitb lehrte mir feilt
Digitized by Google
32
Unter fttm ät^trnt« !>«r
©ejicht gu, roährenb er einen 33rief las. 2lber — ich bitte
um 33ergeihung, mein $err, menn es Sie fränfen füllte!
— ich fürste, mir haben unfere Steife umfonft gemalt."
„Sie lönnen alfo ben angeblichen 93aron §ainau in
biefem Sanborp nicht roieber erfennen?"
,,3|d) möchte noch nicht mit SBeftimmtheit fagen, baf$
er es nid^t ift, geroijj aber nodh oiel meniger, bah er es
ift. @s ift mohl ungefähr feine ©eftalt, menn ich audj
meine, baff ber 33aron etroaS meniger ftar! unb breit*
fchultrig gemefen fei. 2ludj in bem ©efid;t rooHte mid;
SJtancheS an ben ÜJtörber beS dürften erinnern. Slber
bann fd)ien mir biefer SJtann bodj roieber oötlig fremb.
$er 33aron hatte fid)erli<h eine niebrigere Stirn; er trug
einen gang anberen $8art, unb fein #aar mar blonb. 2lHeS
in 2lllem bin idf geneigt gu glauben, baff eS nicht 2)er=
jenige ift, ben mir fuchen."
®er angebliche (Sfdjenbadj tranl langfam, in fleinen
$ügen, ein halbes ©laä Söein. (Sr fah mohl nachbenflich,
aber feineSroegS gefränft aus, mie jener Stnbere es ge«
fürchtet gu haben fcfjien.
„SDa Sie felbft gugeben, 3h rer ©ache noch nidjt gang
fidjer gu fein, muffen mir 3h nen alfo gunä<hft ©elegenheit
oerfdjaffen, $h re Beobachtung eine längere £eit hinburdj
fortgufe|en, ohne bah biefer Sanborp ober Hainau etmaS
baoon ahnt. — $aben Sie übrigens trorhin auch feine
Stimme gehört?"
„Stein! $ie ^Ijn* ber ^förtnerloge muhte ja gefchtoffen
bleiben, bamit er meiner nicht anfidjtig mürbe."
„Slber Sie mürben bod; mohl ein ftchereS Urteil über-
feine ^bentität geminnen müffen, menn Sie bie ■’Dtöglidjs
feit hätten, ihn fprechen gu hören. Sie maren bod) als
ber §auShofmeifter beS dürften üermuthlidj guroeüen bei
ben Unterhaltungen ber SBeiben gugegen?"
„©eroih, mein $err, ich hörte fie, fo lange ber Baron
Digitized by Google
Roman non Kein&oß ffirlman«. 38
.fiainau auf bem ©chloffe roar, beinahe täglich mitein«
anber plaubern."
„2)ann müfjte eS fonberbar augeljen, roenn ©e«
bädjtnijj ©ie auch bann nod(j im ©tid> liejje, nadjbem ©ie
geuge eines non biefem ©anborg geführten längeren
©efprädjeS geroorben finb. 2Benn meine (Srroartungen ftc^
erfüllen, foQ baS noch an bem heutigen Slbenb gefdjefyen,
unb i<f> hoffe juperfichtticb, ber nädjfte 9Jlorgen finbet
ben fauberen Vogel enblid; im fixeren $äftg."
STJun mifc^te fic^ auch ber ©chraarjbärtige, ber feljr
aufmerffam jugeljört ^atte, in bie Unterhaltung.
„©ie halten alfo nod) immer an ber Annahme feft, bafj
er ber 9)lörber beS dürften ©umorin ift?"
„3>d> mürbe ihn fdjon oor einer 9teihe oon $agen auf
meine eigene Vcrantrcortung hin unter biefem Verbaut
oerhaftet haben, menn idh nicht burdfj beftimmte SBeifungen
meines (ShefS, ber unter aßen Umftänben einen etmaigen
SfUjjgriff »ermieben fehen mödjte, baran oerhinbert morben
märe, ßautn jemals in meiner langjährigen £ljätig!eit
als ißolijeibeamter bin ich meiner ©adhe fo gemijj geroefen,
mie in biefem $all, unb ©ie roerben begreifen, mie leb«
haft eS mich unter folchen Umftänben oerbrofs, bajj ber
Verbrecher fo lange gang ungehinbert grofje ©ummen non
bem geflogenen ©elbe geroiffermafjen jum genfter hinaus«
roerfen fonnte."
„5,dh mürbe bie beutfdje ^loli^ei für bie befte ber 2Belt
erllären, menn 3f> re Vermutfjung fidh als jutreffenb er«
raiefe. 2Bie in aller 2Belt ift man benn eigentlich bei
Shnen auf eine ©pur gefomtnen, bie mir Iängft für gänj«
lieh uerloren hielten?"
„25aS Verbienft baran gebührt nicht mir, fonbern einjig
einem jiemlidh untergeorbneten Polijeibeamten in einer
rheinifdhen ©tabt. 2llS mir oon ©anft Petersburg aus
über baS an bem dürften ©umorin begangene Verbrechen
1895. IV. S
Digitized by Google
34 Äuler frcm Sdjrotrt« btt ttptmi*.
unb über bie ^erfon beS muthmafftichen S^äterä unter*
richtet mürben, gelangte eine entfprechenbe ^Rittljeilung
felbftoerftänblich an alle beutfcljen Beljörben, unb eS mürbe
ihnen bet ber ffiidjtigfeit beS §atfeS jur gemalt,
mit größtem (Sifer auf jeben 93erbädjtigen ju fahnben, bet
etroa mit bem angeblichen Baron §aittau ibentifch fein
fönnte. 2öie immer bei folgen 2lnläffen, mürben barauf*
hin ziemlich oiele 3 rrt hti m er begangen. @S fam zu 35er*
Haftungen non ißerfonen, bie fidj bei ihren erften 33er*
neljmungen nicht genügenb Ratten auäroeifen fönnen, unb
bie bann nach furjer $eit als ganz unnerbäd^tig roieber
in Freiheit gefept merben mufften. Slufjerbem liefen an
ber Gentralftelle ja^lreid^e Söerid^te unb ^Reibungen ein,
bie tfieilmeife non oornljerein als ganz l;alt!ofc 33er*
mut^ungen erfannt, theilmeife aber auch jum ©egenftanb
frud^tlofer -Rachforfchungen gemalt mürben. 33erf)ältnif}*
mäfftg fpät erft mürbe mir bie Bearbeitung beS Falles
übertragen. unterzog baS angefammelte Material
einer nochmaligen SDurdfjficht unb ftiefj ba auf einen Be*
rieht, ben mein Ghef als mertljloS bei Seite gelegt hatte,
mäljrenb er mir aus beftimmten ©rünben ber Beachtung
in h°h em ©rabe roürbig fdhien. $)er norl;in ermähnte
^3ofiseibeamte einer rljeinifchen Stabt melbete barin, bajj
ftch nor einigen $agen in einem bortigen $otel ein gemiffer
Rubolph Sanborp aus Dbeffa einlogirt hübe, ber nach
ber ^3crfonaIbcfd^rei6ung redfjt roohl ber flüchtige SRörber
beS dürften Suroorin fein fönne. $>ie SegitimationSpapiere
beS Berbädjtigen feien jmar anfcheinenb in befter Drbnung;
aber geroiffe Gigentljümtichfeiten feines SluftretenS Ratten
ben Beric^terftatter mehr unb mehr in feinem gleich an*
fänglic^ gehegten 3lrgmo§n beftärft, um fo mehr, als ber
angebliche Sanborp, ber in ber Stabt (einerlei perfönlicfje
Bereifungen hübe unb in einem ©aftfjofe zweiten Ranges
abgeftiegen fei, unzweifelhaft über fehr beträchtliche ©elb*
Digitized by
Roman oon Rfinljoß ®rfmautt.
35
mittel oerfüge. (ES tourbe jurn ©dhlufj um bic auäbrücf;
licfie (Ermächtigung ju feiner oorlöufigen ^eftnaljme gebeten.
$iefe (Ermächtigung aber mar oon meinem 6|ef nicht
erteilt roorben, unb als mir ber Bericht in bie §änbe
fiel, waren bereits mehr als oierje^n £age feit feiner
Stbfaffung oergangen. Stuf eine ielegrapfjifdfje Slnfrage !am
bie Slntwort jurücf, ber angebliche ©anborp h a & c
©tabt tängft unbehelligt oerluffen, unb fein gegenwärtiger
Stufenthalt fei bort nicht befannt. 9hm traf es ft<h, baff
ich eben int S3cgrtff war, einen mir bewilligten (ErholungS--
Urlaub anjutreten unb bafj meine SReifepläne micf) in bie
9tähe jenes DrteS führten. befc^fofe alfo, auf meine
eigene $anb einen fleinen Slbftedher ju machen, um, wenn
möglich, bie oerloren gegangene ©pur beS oerbächtigen
gremben wieber ju ftnben. (Es war anfänglich burcfjauS
nicht meine Slbfidjt, fehr oiet 3^1 unb 2Rühe barauf ju
oerwenben, benn am (Enbe fdjwebte hoch ber Strgwohn
meines rheinifdjen Kollegen noch 9 anj unb 8«* in ber
2uft, unb es war fehr wohl möglich, bafj ftch biefer ©anborp
fdjliejjlich als ein oöHig harmlofer SöergnügungSreifenber
auSwieS. 2Jleine 9iachforfdjungen waren bemnach suerft
oon jiemlic^ oberfläd^lic^er Strt, unb fie fingen erft an,
mich wirtlich ju intereffiren, als fich ihnen ganj ungeahnte
©dhwierigfeiten entgegenftellten. ©ehr halb nätnlidj würbe
ich inne, bajj ber oon mir ©efudhte mit ooHer Slbfichtlich*
feit unb mit großem ©efdjicf barauf bebaut gewefen fein
müffe, feine Röhrte hinter fich ju oerwifdhen. 9tur ein
SJlenfch, bem es barum ju thun war, etwaige Verfolger
irre ju führen, tonnte ein Sntereffe baran ho^en, fo ju
oerfahren, unb ein folget 3)lenfch burfte ber polizeilichen
^Beobachtung nicht ganz entfdhlüpfen , gleidhoiet ob er an
ber (Ermorbung beS dürften ©uworin betheiligt war ober
nicht, ©o opferte ich benn oon meinem (Erholungsurlaub
eine SBoche nach ber anberen, um baS fdjlaue Söilb enb*
Digitized by Google
36
*-*
titlet 6cm $c$ip<rte 6er ®ßemi*.
lid) ju (teilen, ©eine anfcfyeinenb jroecflofen ßreujs unb
Duerfahrten, auf benen ich ihm nur mit großer Vtüfje ju
folgen oermochte, Befeftigten mich baBei immer mehr in
meiner erften SBermutljung. Oft genug mar ich nahe baran,
bie ^agb aufjugeben, meil fcheinbar untrügliche 2lnjeic^en
bafür fpradjen, bafj ©anborg irgenbmo bie beutfdje ©renje
überfdhritten unb ftcf> mieber in’S AuSlanb Begeben hatte,
©eine ©pur mar bann auSgeföfcht, als ob bie ßrbe ihn
oerfchlungen hätte, unb nur baS rounberliche ^agbfieBer,
baS nadh unb nach über mich gefommen mar, gab mir
gähigleit unb Ausbauer genug, meine -ftachforf jungen
felbft bann noch tagelang in’S Vlaue hinein fortyufehen,
menn ich mir Bei ruhiger Ueberlegung (agen mu^te, bafc
ihnen eigentlich fd^on längft jebe fixere ©runblage ent*
^ogen fei."
„Unb roie fanben ©ie enblich bie ©pur mieber?" fragte
ber ©d^marjBärtige.
„3)er $ufall, ber am ©nbe hoch unfer mädhtigfier
VunbeSgenoffe Bleibt, !am mir juguterfetjt ju £ilfe. 9Jfein
©anborg, ben ich nach gemiffen 2Injcirf;en mitten auf
bem Sßeltmeer glauben mufjte, fcf)ien enbgiltig meinen
üftachforfchungen entrütft. 9Jfein Urlaub mar abgelaufen.
3<h lehrte nadh Verlin jurücf. 5JJein 6l; e f fchüttelte oer*
munbert ben $opf, als ich ih m öon meinen Irrfahrten
erzählte, @r hielt bie hartnäcfige Verfolgung eines 2Ren;
fdhen, gegen ben hoch im ©runbe fo roenig greifbare
VerbadjtSmomente oorlagen, bajj man nic^t einmal ben
Xelegraphen für bie Grmittelung feines Aufenthalts in
Anfprud) nehmen burfte, ficljerlich für eine red^t thöricf)te
©rille. 9?ur mit großer SJiülje erlangte idh feine @in»
milligung jur ©ntfenbung eines ©eheimpolijiften, ber meine
abgebrochenen Vachforfdljungen mieber aufnehmen fottte.
3«h hatte ben tüchtigften ber mir unterfteHten Veamten
für biefe Aufgabe auSerfehen, aber feine Berichte lauteten
Digitized by Google
Hcman von XeinIJorti ®ttmatin.
37
fortbaucrnb fo wenig ^offnungäooH, bafi feine 3urücf=
Berufung fcf)on feft befchfoffene Sacfie war, als eines SageS
bie SMbung oon ihm eintraf, fRubolph ©anborp Befinbe
fich feit SSodjen in SSalbenberg, oerfeljre Ijier in ber Beften
©efeüfd^aft unb fei nicht im SJiinbeften barauf Bebaut,
feine $erfon ber allgemeinen 2lufmerffamfeit ju entjiefjen.
@r fei oon feinem £otelwirth orbnungSmäfjig gemetbet;
bie $olijeiBet)örbe habe feine 2luSweiSpapiere ber forg=
fältigften Prüfung unterjogen, unb ein 33erbadfjt gegen ihn
erfc^eine um fo weniger Berechtigt, als einer ber geachtetften
'-Bürger, ber 33anfier gran^ SRorrenBerg, ihn als feinen
alten $reunb in bie guten gamilien ber ©tabt eingeführt
habe. -üBttt einem ironifdhen Säbeln jeigte mir mein ©h e f
biefen Bericht.
.üRun werben ©ie bem armen Teufel bo<h wohl enb*
lieh SRuhe gönnen, 1 meinte er. ,@S ift fammerfdhabe um
bie GsrholungSreife, bie ©ie feinetwegen geopfert haben. 1
@r war nicht wenig erftaunt, als ich, ftatt meinen
•äftijjgriff einjugefteljen, um bie CSrlauBnijj Bat, mich felBft
nach 2BaIben6erg begeben, unb unter ber -äJtaSfe eines
ifkioatmanneS meine SRachforfdljungen fortfefsen ju bürfen.
•3Rit fichtlichem SBiberftreBen nur gab er feine ©inwiüigung,
unb ich müfjte mich wohl au f meine balbige Ißenfionirung
gefaxt machen, wenn fich nun juguterlept IjerauSftellen
follte, bafj ich mich in ber %hat au f bem ^otsroege befum
ben h aBe."
2)aS Heine überlegene Sädjeln, mit bem ber angebliche
(Sfdfienbach biefe lefjte Semerfung begleitet hatte, bewies
am beften, wie wenig er im @rnft an eine fo fatale
3Köglichfeit badete.
25er fchwarjbärtige Dfuffe, ben bie lange Gsrjählung
unoerfennbar auf bas §öchfte interefftrt hatte, fagte fehr
»erbinblich: „^cf) mache Offnen mein Kompliment, §err
'fJolijeirath ! @ine foldje Slufopferung im ^ntereffc bcS
)ogle
38
Uulcr &em *cjirtrl« Sei $0»ini*.
©ienfteS ift oiettetd^t bod^ nur in ©eutfcßlanb möglich. 3h*
amtlicher Gfjarafter ift ^ter alfo noch immer gang un*
befannt?"
„3dj ^aBe mich Bei ber SBalbenberger ißoligei als ber
'fSrioatgele^rte grang (Sfdhenbadh aus Hamburg gemelbet,
unb »ermuthe, ber $err 33ürgermeifter rnirb fe^r erftaunt
fein, rnenn ich ihm nachher meinen erften amtlichen 23efuch
mache, um für ben $att, baß eine Verhaftung nötßig rcerben
füllte, bie Unterftüßung ber ^olijet gu erbitten. <$in fold^es
ftreng feftgehalteneS 3>”^8 n * t0 'ft n(l ^ meiner (Erfahrung
in fd^roierigen hätten feßr oft non großem Vortheil, benit
bie Herren Kollegen, bie es natürlich auch iljrerfeits an
ber Vefunbung beS gehörigen ©iferS nicht festen laffen
motten, fönnen in ber atterbeften 3lbftd)t fefjr leitet burdj
einen einzigen gehlgriff jerftören , rcaS man in langer
SlrBeit muffelig aufgeBaut l)at. ©aber fonnte ich einen
VunbeSgenoffen nicht früher Braunen, als an bem ©age,
roo es barauf anfommen mürbe, ben entfdfjeibenben ©d)lag
gu führen."
„Unb biefen ©ag — ©ie galten ihn für gefommen?"
„ga. ©enn menn mir ihn nid^t heute mit §ilfe beS
$errn ÜJlichailoro überführen fönnen, fo rnirb baS eben
niemals möglich fein, fölein @hef h at uuf meinen 2ln*
trag bie ruffifd;e Kriminalpolizei erfudht, außer einem
ihrer Beamten audh eine ^erföntidhfeit aus ber ehemaligen
Umgebung be§ ermorbeten gürften ^ier^er gu fenben, ba*
mit eine fixere Vefognition beS Verbädjtigen ermöglicht
merbe. ©er frühere $auShofmeifter beS gürften ©uroorin
hat bie ©üte gehabt, fidj für biefen groeef gur Verfügung
gu ftettert, unb menn er audh nach längerer, unbeeinflußter
^Beobachtung nidht im ©taube fein fottte, in meinem ©an*
borg ben fogenannten Varon #ainau mieber gu erfennen,
fo müffen mir mohl nothgebrungen annehmen, baß idh in
einem grrthum gemefen fei. ©in längeres 3«« ,art en mürbe
JJomnn rem Xeitt(c>R> CPrtmaiiu.
39
feinen #wecf ^aben, benn ich barf leiber nid^t barauf red^
nen, burdj eine weitere Beobachtung triftigere SSerbadf>t3*
momente aufjufpüren, als ich fte bis je^t gefunben habe."
„2Bie aber ^aben ©ie eS überhaupt angefangen, einen
■äflenfcljen auSjuforfchen, ber nach Sferer eigenen Slngabe
fo liftig unb mifetrauifdb ift?"
„$ch fiabe ifen baljin gebraut, mich für einen aus*
gemalten 3)utnmfopf unb beSbalb für ganj ungefährlich
ju b fl ften. ©o fonnte ich es julefct wagen, ofene aUc
Umfcbweife fragen an ifen gu rieten, bie er mir lacfeenb
beantwortete, wäferenb fie ifen aus jebem anberen SJfunbc
ftcfeerlicfe fofort ftufcig gemalt Ratten. Etwas, baS audfe
nur entfernt einem ©eftänbnife äfenlicfe fäfee, feabe iefe oon
ibm natürlich nid^t in Erfahrung gebraut. 2lber er feat
mir bodb ahnungslos BieleS jugegeben, was übergeugenb
für feine ^bentität mit bem -mürber ©uworin’S fpriefet,
fobalb man es nur in bie rechte Beleuchtung ju rücfen
weife, ©o b«t er mir oon Petersburger Borfommniffen
erzählt, benen er als Slugenjeuge beigewofent feabe, unb
bie ftefe fämmtlidb gu ber 3eit ereignet feaben, wo auch
ber angebliche Baron §ainau in ber rufftfefeen §auptftabt
gewefen fein mufe. Er bat auf meine Bitte öffentlich baS*
felbe rufftfefee BolfSlieb gefungen, oon bem $err -micfeailow
bei feiner protofoöarifcfeen Bernebmung auSgefagt ^atte,
bafe er eS mit befonberer ‘meifterfdfeaft oorgutragen oerftanb.
Unb eS featte faft ben 3lnfchein, als ob ibm gerabe bei
bem ©efang biefeS Siebes lebhafter als fonft gewiffe fatale
Erinnerungen gefommen feien, benn er geriet^ babei in
eine Erregung, bie ifen gum Erftaunen aller gufeörer
nötbigte, baS Sieb fefeon naefe ber erften ©tropfee abgu«
breefeen."
„Unb fein oeränberteS äluSfefeen? Es müfete, wenn
3b« Bermutfeung gutrifft, burdb fünftlicfee Mittel feeroor*
gebradbt worben fein."
Digitized by Google
40
JCttftr btm adfrcerl« 6er Sgtnti*.
„AllerbingS. llnb ich fjabe mid) bertu auch nicht ganj
offne 9lupen unmittelbar neben ihm einquartiert. $urdj
ein minjigeS Sodj, baS i<h in bie bünne 2ßanb jtoifchen
unferen 3immern bohrte, beobachtete ich ih n täglich bei
feiner Xoüette, unb feine Manipulationen liefen midh nicht
barüber im 3>®eifel, baff er fich an jebem Morgen 33art
unb §aare färbt."
„®aS ift freilich ein Umftanb oon großer 2Bid£)tigfeit.
Aber es bleibt ba noch fo Manches, ©eine 2egitimationS=
papiere jum 33eifpiel — "
„@r hat fie entroeber oon bem toirflic^en ©anborp
gefauft ober er hat fie ihm geftohlen. -Rach ben ^Berichten,
bie un§ auS Dbeffa jugefommen ftnb, befinbet fv<h biefer
©anborp, ber oon ©eburt ein SDeutfdffer, aber naturalifirter
fRuffe ift, feit fahren im AuSlanbe, ohne bafs man -RähereS
über feinen Aufenthalt, roie über fein Vorleben unb feine
33erf)ältniffe anjugeben oermochte. SBahrfcheinlicf) h at ih n
ber Mürber ©uroorin’S längft über ben Dcean fpebiri."
„$>aS märe mol)l bentbar. $och fagten ©ie nicht
oorhin, ein angefeljener Bürger biefer ©tabt habe ©anborp
als feinen alten $reunb be^eic^net unb ihn in bie ©efeü*
fcffaft eingeführt? 2öie roollen ©ie baS mit 3h rem SBer»
bacht in Uebereinftimmung bringen?"
„$ch gebe ju, bafs mir bie räthfelfjafte SC^atfad^e biefer
unjmeifelhaft oorhanbenen f^reunbfchaft oiel Kopfzerbrechen
gemacht h«t- 3^ habe unter einem 33orroanbe bie 33e*
fanntfchaft beS betreffenben §errn, eines rcohlhabenben unb
hier allgemein geachteten 33anfierS, gefudht unb bin nach
Kräften bemüht geroefen, ihn namentlich in feinem 33er--
leljr mit ©anborp ju beobachten. 33ei einem großen $efte,
baS oor Kurjem hier oeranftaltet mürbe, bot fich mir baju
recht günftige ©elegenljeit, unb baS Benehmen beS 33anfierS
hat mich Qu f bie 33ermuthung gebracht, bafs er oielleid^t
burch baS 33anb einer alten ©d;ulb an biefen Menfcfjen
i
Digitized by Google
K:man von ®rfmann.
41
gefeffelt fei. Seiber ift auf eine Sfufflärung »on biefer
©eite faum noch ju hoffen, ber SRann liegt feit geftem
nach einem ©cfßaganfaß ohne 33erouj$tfein unb hoffnungslos
franf barnieber. ©erabe bie engen Sejieljungen groifcfien
iljm unb bem angeblichen ©anborp aber merfen für mich
ein fcharfeä Sicht auf bie anfänglich recht bunfle $rage,
roie biefer auf ben ©ebanfen gefommen fein foßte, fidh
gerabe hier nieberjulaffen. 3» ber ü£h fl * fonnte er fidh
im 33efi$ feiner unanfechtbaren SegitimationSpapiere faum
irgenbroo fixerer fühlen, als in einer ©tabt, beren atu
gefefjene ganiilien ihn auf bie moralifche Sürgfchaft eines
geachteten fßlanneS hin unbebenflich in ihre Greife auf*
nahmen. @S beteibigt mich gercifj nicht, menn ©ie in
meiner ©rflärung noch mandheS Sebenflidhe unb Unroahr*
fcheinlid>e finben foßten. 2lber aße SBermutljungen unb
©rübeleien nadh biefer Stiftung hin h a &en ja auch im
gegenroärtigen Sfugenblicf, mo bie (Sntfcheibung aßein non
ber 2luSfage beS §errn ^ßidjailoro abhängt, nur noch einen
ganj untergeorbneten SBerth."
25er ehemalige $aushofmeifter, ber fidh int öeroufetfein
ber großen Serantroortung, roeldje ba auf feine ©chultern
gemäljt mürbe, etroaS unbehaglich fühlen mochte, fragte
beflommen: „2Bie aber raoßen ©ie mir bie 9Jlögli<hfeit
gercähren, mein §evr, einer Unterhaltung biefeS Cannes
mit anberen Ißerfonen beijuroohnen, ohne bafj er felbft
meiner babei anfichtig mürbe?"
„2luf eine peinlich einfache 2frt, benn ich jmeifle nicht,
baf$ ©anborp in bie $aße gehen roirb, bie ich ihm gefteßt
habe, inbem ich ihn einlub, heute Slbenb hier in biefer
SBeinftube ein ©tünbdhen mit mir ju oerplaubern. Qd)
taffe mir t>on bem SSirth baS Zimmer referoiren, in bem
mir unS augenb lief lieh befinben. @S fyat, roie ©ie fehen,
jroei Ahnten. SDie eine führt in baS grofje ©aftjimmer,
bie anbere aber auf einen fleinen s l$orflur, oon bem aus
Digitized by Google
42
ttnler >tm 6« tEIJcwt*.
man bireft nach bem §ofe gelangt. 3« biefem Staum,
ber eben groß genug ift, um oier ober fünf ^ßerfonen auf*
juneljmen, roerben ©ie fich oon neun Uhr ab mit §errn
Äomaroro unb einigen Beamten, bie mir bie SBalbenberger
Volijei jur Verfügung ftellen mirb, aufhalten müffen.
2>ie ^ür brauet nur angelernt ju roerben, unb bei
einiger Slufmerff amfeit roerben ©ie aisbann nicht nur jebes
2Bort, bas fjier brinnen gefprocljen roirb, beutlich oernehmen
fönnen, fonbern es roirb 3h nen oieHeidht auch möglich fein,
meinen Bedjgenoffen burch ben ©palt ju beobachten. 2)a
es auf bem Vorplafc bann natürlich 9 «nj bunfel fein roirb,
oon braunen herein alfo fein Sichtfchein burch ben ©palt
fallen fann, fteht nicht ju befürchten, baß ©anborp SSerbac^t
fcljöpfen roirb. ©obalb ©ie 3$*^ ©ad^e nadh ber einen
ober ber anberen Dichtung h» n geroiß finb, müffen ©ie
mir aUerbingS ein Beiden geben, ©inb ©ie oielleicht im
©tanbe, bie ©timme irgenb eines $auStf>iereS nad^u*
ahnten?"
2)er ^auSljofmeifter oemeinte oerlegen ; Äomaroro aber
v ließ ein gebämpfteS, langgejogeneS „ÜJliau" oernehmen,
baS jeber SDraußenfteßenbe fidherlich für ben ^erjenSerguß
eines oerliebten $äßd)enS gehalten haben würbe.
„Vortrefflich 1" lädhelte ber ^Solijeirath- „®iefer melo*
bifche $on mag mir alfo als Reichen bienen, baß ©ie in
meinem ©efelffchafter mit ooller Veftimmtheit ben Varon
#ainau erfannt haben, ©ie roerben aisbann bie ©üte
haben, ben Söalbenberger ^Jolijeibeamten ben Vlaß ju*
nädhft ber £h ür einjuräumen; benn biefe Seute foQen oon
mir baijin inftruirt roerben, auf ein beftimmteS ©ignal
hier einjubringen unb ftch beS Verbrechers ju bemächtigen.
Vei ber ©igenart biefeS 2Jlenfcf)en finb bie äußerften Vor*
fichtsmaßregeln geboten, roenn er uns nicht noch im leßten
Stugenblidf auf biefe ober jene 2lrt einen bidfen ©tridh
burch bie Sledjnung machen foß. Slber bie Vorfehrungen
Digitized by GoS^Ie
Spinait ran fvcui^ofS tPrtmann.
43
für feine Verhaftung braunen Ffjnen j« feine Sorge ju
matten. Sie btirften noch Stufregung genug Ijaben oon
bem Slugenblid, roo man Shnen ben Slrreftanten aus«
liefern roirb."
§err Äomaroro nidfte jum 3 e i^ en , bafj er 2WeS be*
griffen habe. ®o<f) fülidhailoro , ber nod) nicht red^t an
bie ?Dtöglid)fett eines fo bramatifdjen StuSgangS ju glauben
fdElien, fragte: „Unb roenn idf) auch feine Stimme nidjt
jit erfennen oermag, roaS follen mir bann tfjun?"
„SDann fragen Sie einfach mit ben Fingernägeln jroei--
mal an ber Xljür unb gehen ruhig nach #aufe."
@8 gab ein fleines Sdhroeigen, roährenb beffen ftdj ber
rnffifd^e Volijeibeamte mit nad)benfüd)er -JJliene ben SReft
auö ber F* a fd) e einfdjenfte. Sulefjt meinte er etroaS jögernb:
„^dj bitte um Verjeüjung, §err ^ßotijeirat^ , eS ift
felbftoerftänblid) , bajj mir unS jeber 3§ rer Slnorbnungen
fügen roerben. Slber bürfte nidht bodj »iettetc^t eine offene
©egenüberftettung nod) einfacher unb fidlerer jum $iele
führen?"
,,2ludE) idf) mürbe folgern Verfahren bei SBeitem ben
Vorzug gegeben haben, roenn eS einen Gjrfolg oerfpräche.
Stber Sie fennen bie Äaltblütigfeit, ©eifteSgegemoart unb
©eroanbtheit biefeS fDlenfdien rooljl noch nidjt roie ich fie
fenne. @r mürbe §errn -äJtichailoro in jeber Vermummung
auf ben erften Vlid erfennen unb bann auch gereift fofort
baS geeignete SJlittel gefunben Ijaben, iljn ju oerroirren
unb eine Siefognition unmöglich ju rnadjen. $dh habe feftr
lange über alle Ijier in Vetradfjt fommenben 9Köglid)feiten
nadhgebadf)t unb bin enblidf) ju bem Sdjluft gelangt, baft
F^nen bie fleinen llnbequemlid^feiten beS eben oorgefdjla«
genen Verfahrens rooljl leiber nicht erfpart roerben fönnen."
Natürlich beeilten fich bie beiben Stuffen, mit grobem
Vadfjbrud ju oerftdhern, baft eS nicht bie Unbequemlidfjfeitcn
feien, oor benen fie jurücffchredten, unb nadh einem Vlid
Digitized by Google
44
Xnicr btm fccr ®6uni*.
auf feine STafdjenu^r oerabfchiebete ftdj ber Beamte, ber
bis ju biefer ©tunbe feine Stoße als fchücf)terner ißrioat*
gelehrter fo meifterhaft gefpielt hatte, um nun enblicf) auch
t>or ber SBe^örbe non Söalbenberg fein fo lange bewahrtes
^nfognito ju lüften.
■^Icunjc^ntes ^tapitel.
Stoch ging in §ranj Storrenberg’S Comptoir trofc ber
hoffnungSlofen ©rfranfung beS G^efS 2lßeS ben altgeroohn:
ten, einförmigen ©ang. SDie Suchhalter fajjen roie immer
auf ihren $lci$en ; an ben Äaffen raffelten bie Sanfnoten
unb flirrten bie ©olbftücfe; pünftlidj unb geroiffenljaft roie
feit nielen fahren rourben bie Äunben beS gearteten Sanfs
gefc^äftS bebient unb bie einlaufenben Aufträge erlebigt.
Slber eS ^errfd^te bei aßebem bod^ eine bumpfe, ge-,
brüdfte ©tiße in ben niebrigen Stemmen. ST?ic^t fo fefjr
bie fE^eilna^me für $ranj Storrenberg’S ©chicffal, als bie
©orge um bie eigene $ufunft machte bie fieute ernfter
unb fdhroeigfamer, als fte eS fonft felbft unter ben Stugen
beS ^3ringipalS geroefen roaren. ©igiSntunb Stutharbt'S
Stiebergefchlagenheit unb feine apatfyifcfye 2lrt ju arbeiten,
fiel in biefer aßgemeinen SJtijjftimmung nicht mehr fonber.
Ud(j auf. deiner madjte ben Serfucf), ihn ju ^ärtfeln, roie
eS rool)l an ben früheren Etagen gelegentlich einmal ge»
fd^e^en roar, benn h eu te hatte »aßauf mit feinen
eigenen trübfeligen ©ebanfen ju fd^affen.
$urj oor bem abenblidfjen ©chluft ber Äomptoirftunben
fam roieber eine roenig ermutl;igenbe 33otfdE>aft aus ber
23ißa, roo fi<h ber Äranfe unter ber pflege feiner Tochter
befattb. ©r hatte bie Sefinnung noch nicht roieber erlangt,
unb eS roaren am fpäten Stacljmitiag fo bebenflidhe ©r=
fdjeinungen ju £age getreten, bafj gräulein 2)ora in großer
©orge nach bem 3)oftor Stutharbt gefchicft hatte. ®ic
Digitize
Kom.in l'on Keinljorfc (Drimann.
45
Meinung beS ißrofuriften, ber bem übrigen ifterfonal biefe
troftlofen Sieuigfeiten überbrachte, ging baljin, baf} fftorren*
Berg bie fommenbe fRacfjt woljt nicht überftehen werbe.
Stuf bie $rage eines älteren S3ud)^atter§ nach ber gufunft
ber girmo wufjte er jebocfj nur mit einem Sldjfeljucfen
unb mit ber jiemlid^ nidtjtSfagenben ©emerfung ju ant*
morten, baf} in biefer §inftcht wohl StßeS non ben ©e^
ftimmungen beS XeftamentS abhängen würbe, bie iljm
natürlich gan?j unbefannt feien.
Slts ber £omptoirbiener bie Xljüren gefd^Ioffen ^atte,
ging man mit furjem ©ruf} auSein anber. ©igiSmunb
Stutljarbt war ber fiepte, ber baS ^auS oertiefs, oießeidljt,
weil er nur f o ganj ftdfjer war, baf} deiner feiner $oßegen
fidlj itjm anfdljliefsen würbe. Xenn er Ijatte feit ßßi’S
©erfdfjwinben eine wirftictje ©djeu oor aßer mcnfchlichen
©efeßfdjaft. ®ie glüdftidje Stbwenbung ber anfdf>einenb
fdjon unoermeibtichen (SntbedungSgefahr war nidjt im
©tanbe gewefen, ihm bie oerloreite fßu^e beS ©etnütljes
jurüdfjugeben. ©ielmeljr füllte er fiel) oon bem ©ewufjt*
fein feiner ©dfiulb immer tiefer gebemütljigt unb nieber*
gebrüeft. (Sine BJluthlofigfeit, gegen bie er oergebenS ans
fämpfte, nafjm mit jebem Xage mehr oon iljm ©efi$, unb
jene läljmenbe SJiebergefclilagen^eit, welche bie erfte fernere
(Snttäufdfiung eines jungen, oertrauenben SKenfcljenljerjenS
ftetS in ihrem ©efofge Ijat, brol)te bei iljm gerabeju in
©dfjwermutlj auSjuarten.
2Bar e§ bodfj ba^in gefommett, baf} er felbft an bie
unoermeibtichen ^Begegnungen mit ben ©einen, an bie
gelegentlich hingeworfenen ©emerfungen feines ©aterS, an
bie forgenooß fragenben ©liefe feiner SJlutter nur mit
einem gewiffen ©rauen benfen fonnte, unb baf} er unter
bem ©ann einer unbedingten furcht feine ©dritte
immer mehr oerlangfamte, je näher er bem elterlichen
§aufe fam.
Digitized by Google
46
Änter 6em Schmerle 6tr X§emi*.
25a war eä i(jm, alö hätte er plöfclid) feinen tarnen
t>on einer ©timme gehört, beren $lang wohl affe frifdjen
Sßunben feiner ©eele non feuern bluten machen mufjte.
Unroifffürlidf) war er ftcfjen geblieben; aber eine fonber*
bare, unerflärliche 2lngft hielt iffn ab, fidf) umjufe^en. @§
war ja unmöglich, bafc bieS wirflief) ©ffi’S ©timme gewefen
fei, unb ber ©ebanfe, tieffeicht fdffon bie Veute eineä mit
§affujinationen beginnenben SBafjnfinnS s u fein, wälzte
fidf) läljmenb über ihn her.
„©Uten 2lbenb, §err Stutharbt!" flang e8 ba ^um
^weiten fötale non einer weiten, weiblichen ©timnte, unb
jefjt fo bidf)t an feiner ©eite, baf$ er faum noch ben $opf
ju wenben brauchte, um bie zierliche bunfle ©eftalt waf)r=
june^men, bie iljm mit rafdjett ©dritten gefolgt war. ©ie
war ganj fdjwarj geffeibet unb aud) ihr ©efidjt war ooff=
ftänbig burch ben herabgejogenen ©dreier »erfüllt. 2lber
er würbe ba§ angebetete 2Befen, um baS fidf) ja nodf) immer
£ag unb 9tadfjt affe feine ©ebanfen bewegten, aud) in
einer oiel bitteren Vermummung auf ben erften Vlid
erfannt haben. 9Benn bieS nodf) immer eine ©inne§-.
täufchung fein fonnte, fo burfte er fidf) in ber £f)at gerabeS*
weg§ in ba§ 2frrenfjau§ begeben.
,,©ffi!" ftammelte er. „^räulein Voffnif)! 3lber e§
ift ja gar nidf)t möglich, baff ©ie e§ wirflief) ftnb."
„2)od(j — ich bin e§!" gab fie ruhig jurüdf. „Unb
ich benfe, §err SRutfjarbt, ©ie füllten meine fötutter ober
midi) eigentlich mit ooffer Veftimmtfjeit erwartet hoben."
©igiSmunb war nod) immer unfähig, feine grenjcnlofe
Verwirrung ju bemeiftem. ©in ©lüdSgefüljt, ba3 ju
gewaltig war, um nicht oon einer herjbeflemmenben Vangig»
feit begleitet ^u fein, braute iljn oöffig aufjer Raffung.
„3«, afferbingä — ba§ heifct — ober ich gloubte ©ie
bodf) auf bem 2Bege nach Slmerifa ju 2>hretn Vater."
„3« meinem Vater!" wieberfjolte fie mit einer Vitter»
Digitized by Google
Kouuin von Xtin^oß «Drtmann.
47
feit, bie ihn baS unbebaute Sort foßleic^ auf bas Reffte
Bereuen liefe. ,,©S würbe !^|nen alfo gar nicht fc^roer,
un§ für Diebinnen unb Betrügerinnen ju fealten?"
„0, $räulein ©Ui, tdh Ijabe nic^t einen Slugenbüdf ge=
badjt, bafe ©ie — "
„Unb nun, ba ©ie b^en, bafe ich bennoch um bie
©acbe weife — waS glauben ©ie je|t oon mir?"
„$;dh glaube, bafe ©ie nie etwas Unrechtes getljan
haben unb nie etwas Unrechtes tljun werben. 3;dh merbe
©ie immer als baS befte unb reinfte ©efdhöpf oerehren.
Sßarutn alfo quälen ©ie mich mit foldjen fragen?"
„2öeit ich nicht will, bafe ©ie eine beffere Meinung
oon mir haben, als ich ’S oerbiene. 3$ h a & e wohl ein
Unrecht gegen ©ie begangen, ein ferneres Unrecht fogar.
SDenn ©ie waren fo gut gegen mid; gewefen unb idb hätte
Shnen tro$ aller Bcbenfen gleich an bem £age f^reiben
müffen, ba ich inne würbe, welcher abfdjeulicben i£äufd)ung
idh ahnungslos jum Dpfcr gefallen war."
„9Jlan hat ©ie alfo getäufcbt? ©eben ©ie, baS war
eS ja, was idh oon oomherein mit ooÜer Beftimmtheit
wufete. ©S fonnte gar nicht anberS fein, als bafe ©ie
felber fdhmählidh getäufdht worben waren."
„liüieine 3Jlutter hatte mir erft nach meiner Slücffehr
oon bem ßoftümfeft gefagt, wir würben am nädhften 9Jlorgen
&u einem ©aftfpicl nach Brünn gehen, woju uns ber
SBalbenberger ®ireftor bereitwillig einen Urlaub erteilt
habe. 9Boht war idh erftaunt, bafe wir baju alle unfere
©adhen einpacfen unb mitnehmen mufeten, aber eS fapt
mir tro^bem feine Slljnung oon ben wirflicfeen 2lbftdEjten
meiner SJlutter. ©rft am jweiten $age nad) ber 2lnfunft
in Brünn würbe mir burdh einen 3 u falf offenbar, bafe
unfere 2lbreife in Sßahrheit nichts SlnbereS gewefen war,
als eine gludjt, unb bafe wir nie mehr nach 2Balbenberg
nurücffeferen würben."
Digitized by Google
48
Stiller 6cm idhrcttc 6cc $$cmi*.
©ie fpracl) rooffl gang ruf)ig, aber ifjre Stimme Ijatte
bodj einen gang eigenen Sflang roie non erftidten greinen,
al§ fie fortfuffr: „Unb geftern fiabe idj aud> ba§ 2e$te,
ba3 ©d&redlidifte erfahren, ©eit geftern erft roeifj iclj
2tße§ — 2lßeS!"
(Sine grofee Seftürgung ^atte fidEf plöfclidj feiner be*
mädfitigt. „2lße§?" fragte er unfidjer. „$a§ Ijeijjt, $ijre
SJtutter fjat Offnen gefagt — "
„9iein, meine Butter Ijat mir nidjtä gefagt. 2tber fte
mar fo unoorftdjtig , einen ©rief in meine £änbe faßen
,^u laffen, ben biefer ©anborp, biefer ©dfjurfe, an fie ge*
fdjrieben."
„kennen ©ie i^n nidjt fo, ffräulein (Sßi!" manbte
©igiSmunb bittenb ein. „(Sr Ijat mir erft fürglitJj einen
übergeugenben Seroeis feiner ljodf)Ijergigen unb uneigen«
nü^igen ©efinnung gegeben."
,,©o fennen ©ie ifjn eben nidjt; benn er ift nicf>t f>od^=
fjergig unb uneigennützig. 2Bie märe er fonft baju ge*
fommen, meiner 9Jhitter nadj Srünn su fdjreiben, bafj — "
„2lfj, er fannte alfo 8f) r en 2lufentf)alt? (Sr nmjjte,
bafj ©ie nicf)t nad; 2fmerifa gegangen feien?"
„(Sr roufjte e§ feljr genau, benn er roar ber (Singige,
ben meine Butter oorfjer in ifjr Vertrauen gegogen fjatte."
©igiSmunb griff fidj üerftänbnifjloS an bie ©tim.
„2Bie ift ba§ nur möglidj! 2ße(djen ©runb fönnte er
gehabt Ijaben, eine unmürbige $omöbie mit mir auf*
gufüfjren. Unb roaS fiat er alfo Sfjrer Butter gefd)rie*
ben?"
„(Sr fürdfjtete, baf$ id^ ben 2ßunfd£) Ijaben fönnte, tränen
ein 2ebenSgeidf)en gu geben, unb er ermaljnte fie beSfjafb
auf baä (Sinbringtidjfte, mief» baran gu oerljinbern. Söegen
ber Siütfgabe beä 2>arleijenö, ba§ fie oon ^fjnen empfangen,
foße fie ficf) nicf>t bie geringfte ©orge machen, benn er
Ijabc S^nen ben Setrag oorläufig aus feiner eigenen Safdje
Digitized by Google
Roman non Reii<§oft< ®rtmann. 49
erfiaitet, unb eä fei iljm boran gelegen, ©ie bis auf äöei«
tereS ganj in ber §anb ju begatten."
„TOch in ber #anb ju bemalten?" roieberholte er um
gläubig. „Unb ©ie finb ganj fidjer, bafc ba nicht irgenb
ein 9Kif?oerftänbnif$ obroalten fann?"
fjabe ben ungtiidfeligen Srief raohl jeljnmal ge*
lefen, unb meine Butter fjat mir auf meine bringenben
Sitten fdjliefdich SCIIeä beftätigt."
„2BaS fonnte fie lohnen beftätigen, ^räulein Soffni^?"
„SJaft fie ficf) nur auf ©anborp’S Seranlaffung gerabe
an ©ie mit ber Sitte um baS ^Darlehen geroenbet hatte."
„2lber roenn ich für bieS 2lUeS nur eine (Srflärung
finben fönnte! Söoburdj foQte biefer SJlann beftimmt
roorben fein, ein falfcfjeS ©piet mit mir ju treiben! 3$
habe iljn niemals gefränft ober beleibigt, unb er mar eS,
ber mir feine greunbfd)aft aufgebrängt hat, nicht idE», ber
fie fucfjte."
,,©ie roerben iljn felbft barum befragen müffen, $err
Shitfjarbt, benn ich glaube roofjl, bafe feine eigentlichen
Seroeggrünbe aud> meiner SJiutter unbefannt geblieben finb.
Sor 2lllem aber bitte idj ©ie, bieS ©elb jurücf ju nehmen,
baS mir feit heute früh mie ^euer in ben $änben brennt.
Nehmen ©ie an, bafj meine 9Jlutter eS 3h ne n burd) mich
überfdjide."
©ie reichte ihm einen gefdjloffenen Sriefumfchlag, aber
©igiSmunb jauberte, bamach ju greifen.
,,©ie roiffen, bajj idh um biefen Setrag nidht mehr in
bringenber Serlegenheit bin, feitbem §err ©anborp fidh
aus freien ©tüden erbot, ihn mir einftmeilen lei^roeife jur
Serfi'tgung ju fteßen."
„Slber ©ie maren bodj in bringenber Serlegenheit burdE)
unfere ©chulb — nidht wahr? Unb ©ie höben unS für
oerächtlidfje ©efdhßpfe gehalten?"
„•Kein, gräulein _ ro ie foH ich ©ie nur baoon
18 »6. IV. 4
Digitized by Google
50
3(nl<r bem $<$trtrle ber ®6cmi*.
überzeugen, baj$ id) in 33 ejug auf ©ie nie einen ^ä^Iic^en
©ebanfen gehegt."
©ie fdjob mit einem 3)iale ben ©djleier empor unb
fcfjlug bie fdjönen, glänjenben 2lugen troll ju ifjm auf.
„3$ banfe Qljnen, £err SRutljarbt," fagte fie. „©tauben
©ie mir, bajj ich niemals aufhören raerbe, $hnen bafür
ju banfen. Slber nun befreien ©ie mich auch non biefer
fdfjredlidjen 33ürbe. ©ie fönnen rtid^t ahnen, roie id£j mich
feit oierunbjioanjig ©tunben nad) bem Stugenblid gefeint
fjabe, rco ba§ unglüdfelige ©elb enblicij roieber in 3>hren
§änben fein mürbe."
„2Rujj ich benn aber nicht fürsten, bah eS ©ie fernere
Opfer foftet, eS gerabe jefjt surücfjuja^len? Unb eS fjcitte
bodj nun roirflidf) gar feine (Sile."
,,25odf), eS ^at ©ile — grofje @ile!" beljarrte fte mit
9fadf)brucf. „©ie müffen fiel) uon biefem fd)ledf)ten 9ftenfd)en
freimadjen, ber eS geroih nid^t freunblicfj mit ^fjnen meint
— ©ie müffen eS auf ber ©teile tljun. %ä) habe 2lngft
genug auSgeftanben, bah eS oietteid)t bennodj fdjon ju fpät
fein fönnte. Unb id) oerfte^e iiberbieS gar nicht, roie ©ie
fiel) fträuben fönnen, 3h r ©igentfjum jurüdzunehmen. @S
ift hoch ficherlich nicht 3(j*e Slbfidjjt, mief) ju fränfen —
nicht roahr?"
„ÜReitt — roabrljaftig nicht!" oerfic^erte er, inbem er
nun beinahe fjaftig feine £anb nadh bem Gounert auS=
ftredte. „Unb bah ©ie felber gefommen finb, eS mir ju
überbringen — o, ich fann £sh n en nicht fagen, mie namens
IoS glüdlich ©ie mid) bamit gemacht h«&en."
GHi fah ju, mie er ben 33rief in feine 33rufttafdje gleiten
lieh; bann fagte fie nach einem tiefen 2Uf)emjuge ganj leife:
„Unb nun, ba id) meine Aufgabe erfüllt habe, möchte id)
©ie noch einmal im SZarnen meiner 2Hutter roie für meine
eigene ißerfon tron ganjem ^erjen um 33ergeihung bitten
unb Shnen alles ©ute für 3,h r fünftigeS Seben roünfdjen."
Digitized b\ i Google
Konmn ron KemBoCJ (Drtmaiin.
51
©igiSmunb f ) teil iljre Heine §anb in ber feinen. ©troaS,
für baS er uergebenS nadj bem redjten AuSbrucf fudjte,
roaHte Ijeifj in feiner ©eele auf.
„fDiüffen mir unS benn tüirflid^ fdjon roieber trennen,
$räulein ©Hi?" fragte er enblidj beflommen. „Sßerben
©ie nodj an biefem Slbenb nadj Svünn fturüdfefjren?"
Dijne ifjrn iljre §anb ju ent jieljen , fdjüttelte fie oer=
iteinenb ben Äopf. „2öeber an biefem noc^ an irgenb
einem fpäteren. tjabt mein Engagement gelöst unb
midj non meiner Mutter getrennt, ba fie baS if)re nidjt
auf geben moHte."
©ine neue Sangigfeit gitterte burd) ©igiSmunb’S §erj.
„Unb nun? 2BaS bleibt 5;^nen unter foldjen Umftätiben
AnbereS übrig, als nadj Amerila gu $$ rem 33ater gu
gefjen?"
„2BaS foHte idj bei meinem SSater ? 3>dj lenne iljn
faunt, unb er ^at ftdj niemals um tnidj gelümmert. ©eit
3a!jren ^aben mir nid^t einmal meljr ein SebenSjeidjeit
non iljm erhalten, fllein, idj rcill enblidj ^erauS aus biefem
Skgabunbenleben. $dj roill oom ^eater ^infort nidjts
meljr feljen unb Ijören."
„2öie? ©ie ^egen alfo im ©rnft bie Abfidü, 3h rer
ft'unft ju entfagen?"
,,Sd) merbe eljer Jüngers fterben, als bafj id) meinen
gup nod) einmal auf eine Süljne fe|e."
„Aber, ^räulein ©Hi, roaS merben ©ie benn nun be*
ginnen?"
„2$on einem früheren Aufenthalte in Berlin f)**be id)
bort eine befreunbete Familie. 5Ä an mirb mir bort oor--
läufig Unterlommen unb 33efd)ciftigung gemäljren, unb ba
idj ben reblic^en 2BiKen fyabe, ju arbeiten, mirb eS mir
fjoffentlidj bodl> rool)l gelingen, midj burcf)jufd)tagen."
©ie marert langfam meiter gegangen unb fdjritten nun
ftumm nebeneinanber h er - olS ob fie fid) nid)tS meljr ju
Digitized by Google
52
Unter Jom $<$>r»rtf J>tr
fagen Ratten. da fdfjlug mit ooßen, meitfiin jc^aUenben
dönen eine nal>e $irdf)enuljr-
,,©ie fpät cS geroorben ift!" fuljr (Sßi erfcfyrocfen auf.
„Sei) barf midf nid>t länger aufljalten, menn id) ben 33aljm
Ijof ttod; rec^tjeitig für ben Slbenbjug nad) Berlin er=
reifen miß."
„©erben ©ie mir nidf)t geftatten, ©ie bis baf)in ju
begleiten?"
„©efjr gern, wenn ©ie mir nid)t etwa ein Opfer bas
mit bringen muffen."
„(Sin Opfer? 2tdj, Fräulein ©Hi, mie gerne ginge ic^
mit 3f)nen bis an baS (Snbe ber ©eit! ©eien ©ie mir
nidjt böfe, bafj idf> etroaS derartiges auSfpredje. Qclj meifj
moljl, bafj eS unmöglid) ift; aber mir bürfen einanber
Ijeute audfi nid^t für immer Seberooljl fagen. das fönnte
ic§ nidjjt ertragen, ©ie merben mir fagen, roo id) ©ie
finben lann, wenn \ti) mir eines dageS baS 9led>t erar»
beitet Ijabe, ©ie gu fudfien. ©oßen ©ie mir baS oer*
fpred^en?"
,,©ie merben miclj halb oergeffen Ijaben," erroieberte
(Sßi leife. ,,©aS ©ie an mir intereffirte , mar am (Snbe
bodj nur meine ©igenfdjaft als ßünftlerin, auef) menn
©ie felber fülj beffen meßeidfit faum bemufjt gemorben
finb. ©ie merben bei bem dfjeater, bem bodfj alle $ljrc
Neigungen gelten, feljr rafdü einen anberen ©egenftanb
für SSfae dljeilnaljme finben."
,,©ie falfd) ©ie mid) bod^ beurteilen!" rief er. ,,©aS
©ie, bie begabte Äünftlerin, über’S §erj bringen fonnten,
baju faßte ic^ , ber artnfelige, talentlofe dilettant, nidf)t
einmal ©elbftübcrrainbung genug befi^en? 9lein, ^räulein
(Sßi, mit meiner ©cfjmärmerei für baS dfjeater ift es
uorbei. ©ein (Sntfdfjlufi für bie _3ufunft ift gefaxt, nnb
idf) roerbe nun enblicf» ben SemeiS liefern, bafj id) ©annS
genug bin, mir mein Seben felber auf^ubauen. 3 um
Digitized by Gooj3^t*
Kirnt an ron Kein&jß $rtniann.
58
Kaufmann tauge idh freilich ebenfo wenig, als idj jum 2lrjte
getaugt hätte. Silber man ^at mir früher manchmal gejagt,
ba& ich einen auSgejeidEjiteten Server abgegeben 5>aben
mürbe, ©o roerbe ich bcnn meine unterbrochenen ©tubien
noch einmal aufnehmen, um mich biefem Berufe ju mibmen.
dv roirb mich niemals ju glänjenben §öf)en emporführen
unb mirb mir feine ©elegenheit geben, ©djähe ju fam=
mein. SJieine ©tellung im Seben roirb immer nur eine
üerhältnifjmäjjig befdjeibene bleiben. Slber roenn idh mir
biefe befcheibene ©tellung errungen habe — roerbe idh ®ie
bann fudhen bürfen, @ßi, unb roerben ©ie eS nicht oer-.
fchmähen, mein einfadheä £ooS mit mir ju tiEjeilen?"
Söoljer ihm ber SDluth gefommen roar, fo ju ihr ju
fpredhen, er felber fonnte eS nicht begreifen. @r muhte
ihn roohl auS ber Begeiferung gefdhöpft ^aben, mit ber
feine neuen SufunftSpläne i(j n erfüllten, biefe Sßläne, bie
ihm mit einem 3Jial aß’ feinen oerlorenen Sugenbmuth
roieberjugebett fdjienen. SBieber hatte er ftdh bei ben lebten
SBorten ber fleinen $anb feiner Begleiterin bemächtigt,
unb inbem er nun feine Sippen ihrer rofigen Dhrmufchel
ganj nahe braute, roieberholte er in flüfternbem glefjen
feine $rage: „SDieine liebe, geliebte @ßi, roirft ®u mich
bann reicht oetfdjmähen?"
„Bein!" fagte fie ganj üernefjmlich, unb bann fügte fie,
inbem fie iljr non bunfler ©luth überhauchtes ©efidht ju
ihm erhob, auS freien ©tücfen bin$u: „Unb ich tmß auf
SDein kommen roarten, roie lange eS auch mähten mag.
Sch fönnte ja bodfj nie einen 2lnberen lieb haben, als SDidj."
©ie umarmten ftdh nicht; benn fie waren ja auf offener
©trafje, unb trofj ber SJunfelljeit roürben geroif; Biele
geroefen fein, bie eS gefeljen hätten. Silber fte gingen §anb
in §anb weiter jum Bahnhofe, unb obwohl eS ja ein
2lbfd)ieb auf lange, ungeroiffe Seit roar, bem fie ba ent?
gegen gingen, jauchte unb jubelte cS hoch in ihren jungen
Digitized by Google
f,4 Siifer Sem Ser SSemi*.
fjergen. $Rur roenig fpracfjen fie nodj mitcinanbcr , beim
ber ©eg mar leiber fefjr !urg, unb al§ fte auf ben S3af>n»
[teig traten, ftanb ber 3ug fdjon gut Slbfafjrt bereit. 2t6er
maä fie fid) nocf) Ratten fagen fönnen, märe ja aud^ immer
nur eine neue ©ieberfjolung bei befeligenben ©eftänbniffeei
gemefen, bajj fie fid) liebten unb bafj fie in £reue auf*
einanber märten rooltten.
„Stuf ©ieberfeljen ! — Stuf fröl)lid)eö ©ieberfefyen !" Hang
eö hinüber unb herüber, alö fid) bie ©ifetträber freifdjenb
gu breljen begannen, unb bi§ ber 3 U S feinen Slugen ent=
fdjroattb, lief) SigiSmuitb nod) grüfjenb fein Tafcfjentud)
meljen.
5n>art3tgft<?s ^apitef.
©erabe3roeg§ nom 23afjnljofe begab fid) Sigiätnünb in
ben „ßönig ton Spanien", benn audfj iljm brannte baß
©etb, ba§ er bei fidj trug, auf ber Seele, unb e3 »er*
langte ifjn aujjcrbem barnadl), eine ©rflärung non Sanbort)
gu forbern. ^Darüber, roofjer bie beiben grauen ba§ ©elb
gur SRücferftattung be§ SDarleljenS genommen Ijabcit mod)ten,
gerbrad) er ftd) in feinem gegenroärtigen ©emütljäguftanbe
gar nid)t roeiter ben $opf. @3 mar iljm nic^t in ben
Sinn gefommen, ©Hi barnacf) gu fragen, unb jetjt, mo
fie fort mar, Ijätte iljm mol)l aud) aUeö ©rübeln nidfjtS
uteljr geholfen. ®cnn er mürbe bie ©aljrljeit bocf) nim=
mermefjr erraten fjabeit — biefe traurige ©al)rl)eit, bajt
bie junge Sdjaufpielerin, nad)bem fte Sanborp’ä 33rief
gefunben, ftunbenlaitg in ber if;r faft nod) frembcn Stabt
umljcrgelaufcn mar, um iljrcit Sd)nturf, if)re ü£fjeater=
garberobe, futg Silles ma§ fie bcfajj, gu ©clbc gu machen.
@r af)nte in feiner glüdlidjjen Unerfafjrenljeit ebenforocnig
etroaä oon ben Dualen, bie fte auf biefem bornenoolfen
SeibenSroege erbulbet, al§ oon ber furd)tbaren Scene, bie
fidj barauf gmifd)en iljr unb if)rer SRutter abgefpielt Ijatte.
Digitized by Google
55
34onitin von Xentbcß 3>rtmaiut.
^te ganje Vergangenheit mit aß’ ihren Kämpfen unb
©orgen lag hi nter *h m ro * e ein hä&lidjer £raum; affe
feine ©ebanfen raaren einzig ber hoffnungSooffen, fonnigen
3«funft jugeroenbet.
2)er Pförtner beS Rotels fagte ihm, baff §err ©an--
borg oor einer ©tunbe ausgegangen unb noch nicht nad)
.fjaufe jurücfgefehrt fei. ©igiSmunb fühlte fich etmaS
niebergefchlagen burch biefe 2luSfunft, benn eS fdjien ihm
ganj unbenfbar, baff er baS ©etb noch bis morgen mit
fich h erutn tragen fofftc. 3)a mürbe er beS §errn ^afob
©chmanflügel anfichtig, ber in feiner blüthenroeiffen 2Befte
auf ber ©djmeöe beS ©peifefaaleS ftanb, unb er entfcffloff
fich offne SBeitereS, ihm baS inffaltreicffe (Souoert ju über«
geben.
,,©ie roerben bie ©üte haben, es §errn ©anborp ein«
juffänbigen, fobalb er nach §auS fommt," bat er. „@§
befinbet fich eine groffe ©utnme barin. ^rgenb einer
meiteren Vefteffung bebarf eS nicht, benn $err ©anborp
meiff fcffon, um roaS eS fich babei hanbelt."
35ann trat er leisten $erjenS ben £eimroeg nach bent
©Iternffaufe an, unabläffig feinen groffen 3ufunftSpIan im
ßopfe roäljenb. fDtargaretffe mar es, bie ihm auf fein
klingeln öffnete, ©ie fah feffr cerroeint aus, unb als
©igiSmunb faum ben erften ©cffritt über bie ©djmeffe
gethan hatte, fiel fte ihm ju feiner grenjenlofen lieber«
rafchung laut fchluchjeitb um ben $als.
„2BaS ift gesehen?" fragte er beftürjt. ,,©S ift hoch
nicht etroa betn Vater ober ber Viutter ein Unglücf miber«
fahren?"
„9lein, nein! Slber cS hat fich troffbem etmaS ©d^reef«
IicheS ereignet — fcffredlicff für $icff unb für unS 2tffe,
mein armer ©igiSmunb! D, $>u mirft mir gemiff nie«
malS »erjeiffen, wenn ich es 35ir erjctfflc."
©ie hatte ihn in baS äßohnjffmmer ffineingejogen, unb
Digitized by Google
5g 2(nter Jim iJdwtrte Sir
als er junäd^ft feine grage nach ben @ftem wieberljolte,
erfuhr er, bafc ber Softor in ber S3iUa 9iorrenberg, bie
fDiutter aber im §aufe beS ©tabtratfjS ©artoriuS fei.
SJiit einem 2tuSruf haften (SrftaunenS nahm er biefe
le^te fDlittljeilung auf, benn er rnujjte ja überhaupt noch
nichts non SBaltljer’S ©rfranfung, unb bie aufregenben Qt-
eigniffe ber lebten nierunb^manjig ©tunben maren if)tn
nölfig unbefanni geblieben. 2 Ril Saftigen fragen beftürmte
er feine ©diwefter um auSfüfjrlidjc (Srflärungen, unb fte
erjcifjlte iljm 2 llle 8 , was ficf) feit bem geftrigen 2 lbenb ju--
getragen, tno ber ©tabtratfj ©artoriuS feinen $einb ju
bem fterbenSlranfen ©ohne gerufen.
„Unb nun?" brängte ©igiSmunb, ganj non ber innigften
Sheilnahme erfüllt, „©ein $uftanb ift noch immer ein
hoffnungSlofer?"
■JJlargarethe brücfte bie gefalteten §änbe gegen bie
23ruft, unb aus ihren nodj in Sinnen fdhwimmenben
Slugen brach ein wunberfameS Seud^ten.
„9lein — baS SBunber, an ba§ ber 23ater nicht nteljr
glauben tnoHte, eS ift wirflidh gesehen! SBalt^er mirb
nicht fterben, fonbern tnieber gefunb rnerben. ©eine fräftige
9iatur ^at bie furchtbare Äranlheit glüdlidfj überrnunben.
2118 ber S3ater am Vormittag roieber ju iljm fam, fanb
er bereits eine bebeutenbc 23efferung in feinem Seftnben
unb nor einer ©tunbe erflärte er iljn für gerettet."
„SRun, bem $immel fei Sanf! Unb ba§ ©chredlidhe,
non bem Su gefprodEjen, worin fann e 8 am @nbe noch he*
fielen, wenn e 8 deinen non bencn betrifft, bie wir lieben?"
Söieber legte fte ihren 2 lrm liebenoll um feinen Kadett
unb 30 g ihn neben ftch auf baä ©opha nieber.
„Sdh mufj Sir ein ©eftänbnifj madjen, armer ©igiö=
munb, unb ich Sitte Sich, 3 ürne mir nicht, wenn Su mich
nachher für bie Urheberin Seines UnglüdS anfeljen mufjt."
Unb nun erjä^tte fte ihm 2lHeS, was fie bisher in ben
Digitized by Google
Xomatt »oit K«tnljof5 ftrtman«.
57
geljcimften liefen ihres $erjen§ oerfdhloffen gehalten, ©ie
fprac^ ihm oon ifjrer 3 u f ammen ^ ur| ft mit ©anborp, oon
bern ©djulbfcfjetn beS SruberS, ben er i|r gejeigt fjatte,
unb oon ber Sebingung, bie er an baS Serfpredhen fei*.
neS ©tißfdhroeigenS gefnüpft ^atte. 3Jlit ben fchonenbften
SBorten ging fie über ©igiStnunb’S ^e^itritt hinweg, unb
nur gegen ftef) felbft richtete fie immer raieber bie fcf>merj=
lidjften Slnflagen.
„3><h muffte nicht mehr, roaS idE» thun foCCte/' fdfjludjjte
fte, „mir mar fo roirr im $opfe unb ich füllte mich fo
über äße ■‘Diaffen unglüdlidf. -Kein einziger ©ebanfe mar,
baff SDu gerettet roerben müffteft, unb baff ber Sßater nichts
erfahren bürfe. 2>arum gab ich ihm fjalb miber meinen
SBißen baS Serfpredjen, baS er non mir »erlangte, unb
bulbete eS, baff er mich feine Sraut nannte, obrooht mir
babei ju SJlutfj mar, als ob ich auf ber ©teile fterben
müßte. 2lber bamals fannte ich mi<h felber noch nicht,
©igiSmunb, bamals muffte ich noch nicht, baß id) ißn nie:
malS mürbe l)eiratlfen fönnen. $DaS ift mir erft Ijeutc
SDIorgen !lar gemorben, als idj oon bem SSater Ijörte, baß
2Baltljer ©artoriuS bem ©terben nahe fei unb baß er noch
auf feinem SeibenSlagcr feinen anberen ©ebanfen gehabt
habe, als ben ©ebanfen an uns. ©ieffft 2)u, idf miß ja
mit greuben 2lßeS für SDich tffun — 2fßeS! 9?ur bas
fann ich nid^t — nur baS ©ine nicht! 3$ h a & e «n
©anborp einen Srief getrieben, um eine nochmalige 3u=
fammenfunft oon ihm ju erbitten. &ann muff ich ih m
offen fagen, baff ich ihn getäufdjt höbe, unb bann roirb
er oießeicht hingehen, um bem Sater SlßeS ju offenbaren.
$enn je beutUdjer mir bie (Erinnerung an feine SBorte
jurüdfehrt, befto roeniger Hoffnung h a & e ihn burdh
meine bloßen Sitten jum ©dhmeigen ju bemegen. Unb
roenn er es thut — mag foß bann aus uns roerben, ©igiS*
munb — maS foß bann aus uns roerben?!"
Digitized by Google
r.«
JCrilft freut itr Äbmii*.
Sie rang in rathlofer Serjroeiflung bic $änbe; ber
33ruber aber jog fie »oH tiefer Seroegung an feine SBruft.
„Sei ruhig, mein gro üherjigeS, helbenmüthigeS ©d)roefter=
djen! ©iefer (Slenbe roirb nicht mehr bie 9Kacht haben,
mich ju »erberben. 3$ aber roerbe nie »ergeffen, roaS
©u für mid) tf»un roottteft."
Unb ba fte in ^roeifelnbem (Srftaunen ju ifjm aufblidte,
uitgeroifj , roeldje ©eutung fie feinen suoerfichtlid) Hingen:
ben Borten geben bürfe, begann er nun auch feinerfeits,
ihr rücHfaltloS fein ganjeS §erj au§jufd)ütten.
„9?od) heute roerbe idj auS freien ©tücfen betn SSater
3tCfeä befennen," fchlofs er im ©one eines mannhaften,
unroiberruflicfien ©ntfchluffeS. „@r roirb mich mit harten
'Borten ftrafen, aber ich h°ff e , er roirb mir »ergeben.
Unb roenn es mir nidjt getingen foHte , auf ber ©teile
feine Vergebung j\u erhalten, fo roerbe ich midf ihrer burd;
ein redjtfchaffeneS, arbeitfameS Seben roürbig ju machen
fudfen. Bie ftreng er auch ift, gegen bie 23eroeife einer
aufrichtigen 9teue fann er fein §erj boc^ nidjt »erfddiefjen,
unb er roirb mir früher ober fpäter roieber feine SJater^
arme öffnen."
35a fchlug braunen bie ^austljürglocfe an, unb Bar«
garetlje fprang auf. ,,©a§ ift er," fagte fie beflommen.
„3$ fürchte mich »or bem, roaS bie nächfte ©tunbe bringen
roirb; aber id) fann ©ir trotjbem nicht rathen, ©einen
Sntfchlujj ju äitbern. ©aufenbmal beffer, er erfährt eS
aus ©einem Bunbe, als aus bem Bunbe biefes gremben.
Unb üietteidjt roürbeft ©u ihn auch niemals roieber in
einer fo glücflidjen Stimmung treffen roie heute, roo iljn
Balthcr’S unerroartete Rettung mit einer tiefen $reube
erfüllt hat. 3$ höre feine Stimme. Komm, ©igiSmunb,
laft uns sufammeit ju ihm gehen!"
©er ©oftor roar eben im begriff, in baS SIrbeitS:
jimmer &u gehen, als er feine Äinber §anb in §anb aus
Digitized by
Gq
—
J? oman t>oii JveinBot6 JDrtmann.
r><*
ber SBohnftube treten fah- 6r mochte ruo^I erfennen, baf$
fie irgenb etwas auf bent £erjen Ratten, aber er gab ihrem
»ermeinttichen SBunfdf) eine falfd^e Deutung.
„33ermuthlich woßt ihr wiffen, rate es ba braufjen
ftef)t," fagte er mit milbetn (Srnft. „9?orrenberg h at auS;
gelitten — idE) !am nur noch eben recht, um ihn fterben
ju fefjen. Unb eS raar gut fo, benn fetbft im günftigften
$aße hätte if)tt nichts StnbereS mefjr erraartet, als ein
qualooßeS ©iedjthum ohne äße Hoffnung unb 2ebenS=
freube."
„Unb 2)ora?" fragte Margarethe leife.
„D, biefe junge ®ame ift »on bewunberungSwürbiger
ßharafterftärfc. $ifjr Sßater raar noch nicht fünf Minuten
tobt, als fie mir »oßfommen ruhig erftärte, bafc eS ihr
unumftöfilicher ©ntfchlujj fei, gleich nach ber SBeerbigung
Malbenberg ju ocrlaffen unb fidf) jur ©tärfung ihrer
angegriffenen ©efunbljeit nach bem ©üben ju begeben.
2)ie $irma foße in Siquibation treten, baS §auS in ber
©tabt unb bie 93ißa aber roerbe fie »erlaufen, ffienn
man feijon an einem Sterbebette fo gelaffene unb roof)!*
bebachte gufunftSpläne entwerfen fann, ift man beS XrofteS
wohl nicht aß’ ju fehr bebürftig."
6r rooßte bie ©djweße feines ^irnmerS überfchreiten ;
ba fagte ©igiSmunb mit befiheibener , hoch freimüthiger
$eftigfeit: „3<h bitte fSMdjj, SBater, mir eine SBiertelftunbe
ju fdfjenfcn; benn ich habe ®ir ein ©eftänbnijj ju madhen,
baS nicht länger IjinauSgefchoben werben barf."
SDoftor fßutharbt faf) ihn aufmerffam an, bann rainftc
er ihm mit ber |janb.
,,©o fomm herein! 3$ hin bereit EDidt) ju hören."
„Saft mich mitgehen, SSater!" bat Margarethe innig.
„3<h fann SDir boef) »ießeicht Manches erftären, was ®u
fonft nidht ohne SöeitereS »erftehen würbeft."
„SDaS Hingt fehr geheimnijwoß ! 2lber wenn ©igiS:
i by Google
60
Knttr St^irerlj ier SJtmi*.
munb bamit einoerftanben ift, fein ©eftänbnifi in deiner
©egenmart abjulegen, fo Ijabe idj nichts bagegen."
9Jlit fefiem, ermutljigenbem 2)rucf umfafjte 9Jlargaretlje
iljreä 33ruber8 3lrm. $>ann fd>lojj fid) hinter beit dreien
bie ‘Jljür.
gtnunÖ3rt>a»tjtgflcs ^apiteC.
©3 roar furj oor neun Uf)r, als 9tubolplj ©anborp
nod) einmal im §otel tmrfprad), um fid) ju erfunbigen,
ob etwa nad> Üjm gefragt roorben fei. 35ienfteifrig über;
reichte il>m Herr 3 ft fob ©dpoanflügel ©igiämunb 3tut=
fjarbt’S 33rief. ©anborp rift ben Umfdjlag fierab unb
burd^btätterte baS ^ßärfdjen »on ßaffenfdjeinen, ba§ feinen
einzigen ^nfialt auSmadjte.
,,©o alfo mar eS gemeint!" murmelte er, roäljrenb er
fie achtlos in feine Srufttafdje fdjob. „üttun, mir merben
ja feljen, ob baS ©piet mirflid) fd^on oerloren ift — mir
roerben ja fefjen."
2)ann fdjtenberte er langfam unb gemädjlid), bie 6iga=
rette jroifdjen ben Sippen, burcfi bie ©tragen, um fid) nad;
ber fleinen Söeinftube neben bent ©ebäube beS ^olijei;
amteS ju begeben. 3118 er bort eintrat, fam iljm fein
3immemacf)bar bereits mit bem gemoljnten, fdjücfytern oer*
binblid;en Sädjeln entgegen.
„2Bie liebenSraürbig , ba| ©ie midi; nid)t üergeblicf»
märten laffett, mein mertljer §err ©anborp! SBenn es
3ßnen genehm ift, motten mir nid;t Ijier in bem allgemeinen
©aftjimmer bleiben, fonbern uns bort in baS Honoratioren;
ftübcfien fefcen, ba plaubcrt fid)’S beffer unb ungenirter,
jumal mir ber 2Birtl) oerfidjert fjat, bafj Ijeute einer fyeft;
lidjfeit megen ber ©tammtifd) unbefefct bleiben mirb."
©anborp fiattc nadj feiner ©erooljnfjeit einen aufmerf;
fam forfc^enben 33licf auf feine Umgebung geroorfen. 3lber
er mujjte mo^l nichts 33erbäd)tigeS mafjrgenommen Ijaben,
Ticnian pon Keinen ®rtmann.
61
benn außer einer fleinen luftigen ©efelffdjaft in ber einen
©die ber ©aftftube, befanben fidf) in bem Siaume nur nocß
jtoei ernftßaft unb fpießbürgerticß breinfcßauenbe Männer,
bie fcßioeigfam oor einem ©Joppen 5D!ofelioein faßen. ©r
folgte alfo ber Slufforbentng beS 2lnberen unb ftrecfte
ftc^ gemädjlicß in einen ber fteifleßnigen «Stühle, oor bem
er ein ©laS unb eine entlorfte SRothJoeinflafcße fdßon be-
reit gefunben hatte.
„Klaubern mir alfo," meinte er, „aber roenn ich bitten
barf, fo nehmen ©ie mir gefäßigft ben größeren Xßeil
biefer angenehmen Aufgabe ab, benn i<ß habe einen an-
ftrengenben £ag hinter mir unb fühle mich etioaS ab--
gefpannt."
@r füllte fein ©laS, hielt es gegen baS fiid^t unb trän!
eS bann langfam bis auf ben lebten tropfen teer.
„2lß, ein recht mittelmäßiger tropfen troß ber ßocß:
tönenben 5J!arfe. 3cß habe au f rufftfdßen Sanbftßen einen
SeooiHe getrunfen, im SBergleicß ju bem biefer hi« nicht
oiel bejfer als ©pülroaffer ift."
$err ©fcßenbadj fpradj fein lebhaftes Bebauern barüber
au§, baß er eS nicht beffer getroffen habe, unb fing bann,
an bie ßingeioorfene SBemerfung ©anborp’S anfnüpfenb,
an, oon ber meltberühmten ©aftlidhfeit beS rufftfcßen 2lbelS
ju fpredhen.
„3>a, bort muß ftcß’S noch leben laffen," meinte er.
„3<h habe glänjenbe ©cßilberungen oon bem Seben auf
folcßeti ©dhlöffern gelefen. 2lber fagen ©ie mir bo<h, mein
oereßrier §err ©anborp: eine Särenjagb, baä heißt, eine
3agb auf roirflicße, roilb ßerumlaufenbe 93ären, haben
©ie roohl niemals mitgemadjt?"
®er ©efragte lächelte in feiner leicht farfaftifcßen
3Beife.
„■Eßeßr als eine. Slber baS ift nußt fo gefäßrlicß, toic
eS in ben ßinberbüdjern gefcßitbert roirb. ©in gutes Sluge
Digitized by Coogl
62
3(nl»r J'tm $($n’trtf btr STfcfti;!«.
unb eine fixere §anb machen bie ©adfje ^armlos wie einen
ißürfchgang auf -Jiehböde."
„3ft eS möglid)? 2ld), erjagen ©ie mir bod) etwas
non einer folgen $agb! @3 ma Ö Shnen lächerlich not*
fommen; aber metleicht gerabe weil id) noch nie eine ftlinte
in ber §anb gehabt habe, ^öre ich nichts lieber, als ber=
artige ©efchid)ten."
©anborp leerte ein gweiteS ©laS unb begann bann in
ber ü£l>at in etwas gelangweiftem unb läffigem £on »on
einer $agbparthie gu erjagen, bie aUerbingS nicht gang
fo harmlos »erlaufen war, ba baS 2Bilb, eine riefige Bärin,
bie für fidh unb ihr junges fämpfte, nid)t nur mehrere
#unbe, fonbern auch einen ber Treiber jämmerlich ger=
fleifd)t hatte. ©ben war er in feiner fpannenben ©djil=
berung bis gu bem bebeutfamen 2Jloment gelangt, wo bie
'Bärin, nadfjbem er aus feinem ®oppelläufer einen
fchujs get^an, t)oi) aufgerichtet unb fürchterlich brummenb
auf i^n gugefommen war — §errn Errang ©fchenbadl) fehlen
»or angftooUer ©rwartung ber 2ltljem gu ftoefen — als
irgenbwo in ber -Jiäbe ein fläglidjeS, lang gegogeneS Büau
oernehmlidh würbe, ©anborp unterbrach ftdh in feiner ©r=
gählung, um laut aufgutaefjen, unb auch ber Slnbere ftimmte
in feine §eiterfeit ein.
„Sie fehen , meine ©efdfjichte ift fo graufig, bafj fie
felbft einer Äatje gu bergen geht. fDJachen wir fie alfo
furg. SJieine gweite Äuget traf bie Beftie glüdtich in bao
linfe Sfuge, unb mit einem ©ebrüH, baS ich nwht mein
Seben lang nicht oergeffen werbe, wälgte fie fidh in ben
lebten guef ungen auf bem ©chnee."
©r fdjien feine £uft gu weiteren ©rgählungen gu haben,
unb perr ©fdjenbadfj bemühte fich barum, bie Unterhaltung
auf ein anbereS Schema gu bringen.
„%(. h glaube wohl, bafj ich mich nun halb enbgiltig
für eine ber Billen entfd>eiben werbe, bie mir hiev gum
Digitized by Google
Roman oou RmifoH) Qttmaun.
63
$auf angeboten roorben ftnb," meinte er. „2tber id) merbe
leiber ju einem f leinen Umbau genötigt fein, ba id) cor
2lHem einen geeigneten SRaum für meine Sammlungen
brauche. habe ben ©runbrifi ^ier in ber Üafcbe.
©eben ©ie — aber ich langmeüe ©ie bamü bodi> nic^t
ctroa, $err ©anbort)?"
„ÄeineSroegS! ©eben ©ie baS 2)ing nur b e *! 33iel ;
leidet fann id) 3b nen tatben. Um maS ^anbeft ficb’S benn
alfo, ©ie unbeholfenes aller IStenfcbenfinber?"
@fd)enbacb reichte ibm baS jufammengerolfte Rapier,
unb joäbrenb ©anbort) eS oor fid) entfaltete, trat er an
feine linfe ©eite, fief) halb über bie linfe ©djulter beS
©i^enben neigenb, mie rcenn er ibm bie nötbigen 6r--
läuterungen geben moUte.
„©eben ©ie — baS ift baS (Srbgefcbofc! 35arin befim
ben fidb brei gimmer unb bie $ücbe. 5Der fleine fRaum
hier jur 9ted)ten" — er legte babei feinen 2lrm um
©anborp’S Qberförper, ben 3eiö e fi n S er auf eine beftimmte
©teile ber Zeichnung fe§enb — „es ift eigentlich nur ein
SJlaufelocb, ein richtiges SRaufelod;. — — tarnen
beS ÄönigS, ©ie finb mein ©efangener!"
Zugleich mürben bie an ben Körper gepreßten 2lrme
©anborp’S feftgebalten. ®iefer hagere, febeinbar fo gebredb-
licbe 2Rann oerfügte plöblicb über eine erftaunlicbe Äraft.
9Rit einem b e *feren Sluffcbrei ber 2öutb fuebte fidb ber
Ueberliftete ber läbmenben Umarmung ju entroinben,
aber noch in berfelben 9Jtinute batten oier anbere Raufte
uon hinten her feine $anbgelen!e gepadt — bie Übür jum
©aftjimmer mürbe aufgeftojjen, unb bie beiben fpie|bürger=
lid) breinfdjauenben 3Ränner, bie fo lange ftumm bei ihrem
©Joppen SRofelroein gefeffen batten, jeigten ficb ebenfalls
auf ber ©djroelle.
,,©ie feigen, baf$ bi er jeher SBerfuc^ eines 2SiberftanbeS
t>ergebli<b fein unb 3b*e Sage nur »erfcblecbtern mürbe,"
64
Sinter Sem ä<$»erle &«r ®$emi*.
fagte ber angebliche ©fdjenbadj in gan* oeränbertem, amte
lidj ftrengem SEone. „3d> bin ber ^oli^eirath SEaufcher
aus SBerlin unb oerhafte ©ie unter bem bringenben SBer*
bac^t be§ 5Jiorbe8, begangen an bem dürften Sfrfabi
2Baffüjeroitfdj ©urnorin! $err 9Jli<hailoro, ©ie erfennen
alfo in biefem fDlenf<f)en mit ootter 33eftimmthcit ben oor»
geblichen S3aron §ainau, ben ©ie roodhenlang in ber
©efeßfdjaft be8 dürften gefeljen?"
®ie lebten ©orte roaren in franjöfifdjer ©pradhe an
ben ehemaligen $au8hofmeifter gerichtet, beffen ©anborp
erft in biefem Slugenblicf anfidjtig mürbe. Unb in ber=
felben Sprache gab ber ©efragte mit erhobener ©iimme
jurücf: „^a, ich erfenne ihn. -Kit ben ^eitigften ©iben
fann ich bekräftigen, bafj er e8 ift."
©tumm h«Ue ©anborp feine Slugen oon bem ©inen
ju bem Slnberen fdhrceifen faffen. ©ein ©eftdht mar leichen--
blafj geroorben, unb um feine Kafenflüget jucfte e8 ein
roenig. ©onft aber oerrieth ftdh nichts mehr oon un*
geraöhnlicher ©rregung in feinem Benehmen. 2ltS man
fich auf einen SBinf beS ^JolijeirathS anf<^>idfte, ihm §anb*
fdjelten an^ulegen, öffnete er jum erften -Kate raieber bie
fo lange feft jufammengeprefiten Sippen unb fagte — jmar
mit etroaS heiferer ©timme, bod^ in feinem alten, far=
faftifch überlegenen Xon: „©8 ift eine fehr überflüffige
3Jlühe, roeldhe ©ie ba biefen guten Seuten machen. Slber
ba ich in 3h rer ©eroalt bin, mögen ©ie meinetmegen thun,
roa8 ©ie oerantroorten fönnen."
,,©ie merben ben ©efangencn jur 33ermeibung un»
nöthigen 2tuffeljenS nicht burd; ba8 ©aftgimmer unb über
bie ©trafte, fonbern hier über ben §of nach bem ^olijei«
gefängnif} führen," befahl ber ^olijeirath- „©8 gibt ba
eine Heine $Berbinbung8thür in ber -Kauer."
Kubolph ©anborp lächelte fpöttifch-
„2)arum alfo mahlten ©ie für unfere heutige Slbenb»
Digitized by Google
Koma« uou Kciußoft u?rtm<nm.
G5
Unterhaltung biefe überaus gemütliche SBeinftube, bie fo
^iibfdE» nahe beim iJJolijeiamt gelegen ift! (SS roirb gßnen
am (Snbe nid^t mehr oiel an meiner Stnerfennung gelegen
fein, aber menn ©iner non uns berechtigten 2 tnfprud(j auf
ben $itel eines §alunfen erheben barf, fo ftnb ©ie eS,
mein ho^oerehrter §err ^oli^eirath £auf<her!"
®ann ließ er fich rufjig abführen, aufrecht unb elaftifch
bahinfchreitenb roie an bem Sage, ba er in feinem braunen
Sßettermantel oor §errn gafob ©djroanflügel’S „ßönig
oon Spanien" auS bem §otelomnibuS geftiegen toar.
2 )aß eS in ber guten ©tabt SSalbenberg oiele SBocßen
lang faum ein anbereS ©efprächSthema gab, als bie ©e^
fdhichte oon ber ©ntbecfung unb Verhaftung beS Vaub=
mörberS, ben man fo lange als baS Vtufter eines @entle=
manS bemunbert ^atte, mar bei ben außergewöhnlichen
9?ebenumftänben beS galleS geroiß begreiflich- Stucß roenn
eS nicht oon oornherein in ihrer 2lbfid)t gelegen hätte,
roürbe ®ora SZorrenberg fich je£t genötigt gefefjen haben,
einen Ort ju oerlaffen, an bem fie burdß ißre offenfunbigen
Beziehungen ju bem Verbrecher ein ©egenftanb allgemeiner
Veugier unb unerträglicher Vemitleibung geroorben roar.
Viemanb außer bem alten SJkofuriften ißreS oerftorbenen
Vaters roußte, rooßin fie fich begeben hatte, unb allgemach
rourbe bann auch ih r Vame roie ißre Verfon oergeffen.
SDem 3)oftor Vutßarbt aber blieb bie ©cbmach, feinen
©oßn oor ber Deffentlicßfeit bfoßgefteHt 511 fcßen, glüdflicß
erfpart. 2lm ^age nach ber geftnaßme ©anborp’S empftng
©igiSmunb auS ber $anb beS VolijeiratßS feinen ©cßulbs
fchein jurücf, nachbem er biefem bie nötßige Slufftärung
barüber gegeben unb ©anbort) feine Angaben beftätigt
hatte.
Ob ©igiSmunb auch otm feinem Vater bereits ooHe
Verleihung für ben begangenen gehltritt erlangt hatte,
1835 IV 5
Digitized by Google
Unler !>cm #c®!i'»rte btr äftrni«.
Gf>
btteb felbft feiner Butter unb feiner ©djmefter nod) un*
geroifj; benn als er roenige i£age fpäter abreiste, um mieber
in ber §auptftabt bie Uninerfität ju bejieljen, fagte ber
$oftor beim 2lbfdfiieb nur: „2ldeS künftige Hegt bei $ir.
^tninge micf), SDidj §u achten, unb id(j roerbe bann baS
©efcfjefiene gern nergeffen."
9?ur einmal nodij fpradj man oierunbjtnanjig ©tunben
lang non nichts Sfnberem, als non ÜRubolplj ©anborp, bas
mar, als in allen Sangen 8 U lefen ftanb, bafj eS bem
füljnen unb nerfdfjlagenen Berbredfjer gelungen fei, auf ber
©ifenbaljnfaljrt nacl) fRufslanb burclj ein liftigeS SKanöner
feinen polizeilichen Begleitern ju entroifc^en. ©r ^atte
©elegenlfeit gefunben, roaljrenb ber ^aljrt bie 2ßagen«
tljür ju öffnen unb IjinauSjufpringen.
2lber er mar aflerbingS nid)t raeit gefommen.
Slts auf baS non ben Beamten gegebene 9lotl»fignaI
ber 3ug jurn ©teljen gebraut roorben mar, unb man '
barauf bie ©trecfe abfudjte, fanb man ben 2Körber beS
dürften ©umorin als eine fdjredlidh zermalmte, faft un«
fenntlidje Seidje. ©einem irbifd^en 9tid)ter menigftenS mar
er glüdlidj entronnen.
®er Bolijeiratlj EEaufdljer fagte, als er non bem Bor«
fad erfufjr: ,,©S mar fdjabe um biefen Berirrten, benn
im ©runbe mar er boclj auS bem nämlichen §olje ge«
fdljnipt, auS bem unter glüdlid^eren Umftänben bie grofjen
■äJlänner merben."
® n b t.
uon 38eiöen?
Vornan
PO«
Sattwtn IRöUfyiuJen.
{nad)bru(f orrbotrn.)
(Srßes ^apitef.
er §erbft mar toeit oorgefdiritten. Stur nodj fpärlid;
fd>mücften grüne fiaubflädjen bie bereits gelisteten
Sipfel ber Salbungen beS norbamerifanifSen ^reiftaateS
Äentudp. SaS an SSlätiern nod) oorljanben toar, flimmerte
gelb, rotfj unb braun, an bem heutigen £age greller ge--
färbt burS bie Sirfung beS nädjtlidjen StebefS. 3>e$t n>ar
er, Stegen oerfjeifjenb, geftiegen unb bebedte afS eintönige
Solfenfdjid)* ben §immel.
3jn ber trüben 33eleud)tung bot bie Sanbfcfjaft mit ben
fallen Siefen unb ben abgeemteten gelbem ein überaus
melandjotifSeS 93ilb. ©ine fJJfantage, bie, in ifjrer ganjen
Sfnlage geroiffermajjen ben 9teid)tljum beS 33efi$erS ueratt:
fdjaufidjenb, in eine ©inbudjtung beS ßumberfanb*©ebirgeS
Ijineinragte, änberte baran nidjtS. Sie SebenSüberbruft
umfdjroebte eS grofje unb ffeine 33aulidjfeiten, ©arten, £öfe
unb ©täöe. ©ogar in ben fyier unb ba ficf>tbaren ©flauen
fd)ien ber ifjnen angeborene $rofjftnn geftorben ju fein.
So jroei ober mehrere jufammentraten, gefdjaf) mit einer
geroiffen ©d)eu. Säf>renb fte gebämpft ju einanber fpradjen,
Digitized by Google
" "1
ßg i'ou 35fl5tii?
fd^nieiften i^re ©liefe mit ausgeprägtem Mißtrauen nach
bem herrfcßaftlidßen ©oßnßaufe hinüber.
3n bem §aufe felbft ßcrrfcßte unheimliche ©tiffe. flein
hörbarer ©cßritt, feine laut toerbenbe ©timme unterbrach
fte. Unb hoch roaren alle SRäume fo üppig unb heiter auS*
geftattet, als ob fte nur glücf ließen 9)fenf<ßen gurn 2tuf=
enthalt hätten bienen fönnen.
3n bem großen EmpfangSgimmer, beffen brei ©laS;
thüren ftch nach ber breiten ©eranba hinaus öffneten, faß
im ^intergrunbe neben einem mit Schreibmaterialien be--
becften £ifdj eine junge § rau - 3 m 2leußeren oon ber
SRatur nicht fonberlich beoorgugt, entbehrte fte hoch nicht
ber 2lnmutß in Haltung unb ©eroegungen. ©cßarf fon=
traftirte gu bem fdßlicßt gefcßeitelten fcßroargen raeßigen
§aar unb ben ftarfen ©rauen bie 9)farmorfarbe ber ab-.
gefpannten unregelmäßigen $üge. §erbe Entfcßloffenßeit
prägte ftch um bie feftgefdjloffenen Sippen aus. $n feen
großen bunflen 2tugen mohnten hart neben einattber un*
oerföhnfiche Erbitterung unb tiefes ©eelenleib. ©or ihr
auf bem bureß baS gange ©ernach reießenben £eppid) roam
beite unßörbar ein ßod) unb fdjlanf gercaeßfener, mit pein*
lidhfter Sorgfalt gefleibeter 5Jfann auf unb ab. Er fdjien
faum breißig ^aßre alt unb mar tooßl urfprünglidh eine
befteeßenbe, oorneßme Erfcßeinung geroefett, bodß mürben
biefe ©orgüge oermifdjt burd; bie fpreeßenben 9Jlerfmalc
geiftiger unb förperlicßer Erfdjlaffung. Es ergäßlten bic
matt bliefenben 2lugett mit ben gerötßeten Sibcrn oon
fcßmelgerifcß burdhrcaeßten ©ächten unb gügellofen, ent=
neroenben ©enüffen.
®aS greifen ©eiben geführte ©efpräcß befeßränfte fidß
auf meift furge, auSbrudfSlofe ©enterf ungen. 3roang offen =
barte fteß in ber 2lrt, in ber ißre ©liefe fidß begegneten
unb mieben. Unb bod; gab eS eine 3eit, in ber biefelben
Stugen ßeß aufleudßteten, fo oft fie fieß gegenfeitig fudjten ;
Digitized by Google
Jtomait von Eafruin Ifiötnjaufen.
R9
einen £ag, an bem fie bie §änbe jur Bereinigung für'»
ganje Seben ineinanber legten; eine ©tunbe, in ber ein
junges £eben jmifcf)en ihnen auftaud)te unb als ein ihr
©lüd oeroolIftänbigenbeS ©efdhenf beS Rimmels roiHfommen
geheimen mürbe.
Sßenige ^aljre maren feitbem nerftridjen, unb jefct ftam
ben fte im Begriff, auf emig auSeinanber ju gehen.
Bor einer ©tunbe mar §arrp ©riffitfj in einem ein--
fpännigen Cabriolet eingetroffen. $)er baS ipferb lenfenbe
Begleiter, eine breitfd)ulterige ©eftalt, bie ftd) in bem feinen
mobilen Slnjuge unb unter bem glän^enb gebürfteten hohen
#ut nicht redjt Ijeimifch ju füllen fd^ien, hatte einem fjerbei--
eilenben Beger baS $ufjrroerf übergeben unb mar, roie um
bie $eit il u tobten, in ben fjinter bem £aufe an ben 2Balb
angrenjenben ©arten gegangen. SDort fanbte er feine Slide
prüfenb in alle Bietungen. Zugleich erhielt fein bartlofeS,
beinahe ftumpfeS ©efidjt ben Slusbrud eines ben $ül)ner=
Ijof befdjleichenben $uchfeS. $jn jeben SBinfel fpnfjte er,
jeben $aun befidjtigte er einge^enb. ©ogar bie fefte @in=
friebigung, bie ben ©arten oon bem Söalbe fd)ieb, untere
rcarf er flüchtig einer ißrobe auf ihre ^altbarfeit.
©riffitl) l)atte unterbeffen in feinem Zimmer mit $ilfe
beS fdjraarjen §auSbienerS jmei §anbfoffer gepadt. 3llö
er fie auf bie Beranba bmauSfdjaffen lief?, traf er bafelbft
mit ßbroarb ©oanbale, einem jungen Berraanbten feiner
$rau, jufammen. Dbrao^l erft fünfjefjn $ahre jählenb,
mar ©brcarb geiftig unb förperlich rceit über fein Sllter
hinaus cntmidelt. $od> aufgefdjoffen mar feine ©eftalt,
unb fein IjübfdjeS ©efidjt mit ben blauen Stugen unb bem
lodigen braunen $aa r oerrietlj baS ooHe tro^ige ©elbft-
bemufjtfein eines jungen BepublifanerS, bem bie ^räfibenten-
mürbe als nidjtS Unerreichbares erfc^eint.
Sei feinem Stnblid blieb ©riffith fteljen. 5Da ber junge
Biann roeber griifjte, nod) ein ©rfennungSjeidjen oon fid)
Digitized by Google
70
pph TStiiitt?
gab, betrachtete er ihn geringfügig uom Sopf bis ju ben
Füfjen hinunter, ©broarb regte fid) nicht, ©riffith fdjien
für ihn nid^t auf ber 2BeIt ju fein.
„SlnftanbSgefüljl h fl i man ®ir au f ber ©djule nod)
nidht beigebracht," bemerfte biefer mit beifsenbem ©pott.
©broarb jucfte bie 2ld)feln unb erroieberte gletdhmüthig:
„Heber mein 2lnftanbSgefühl bin idj nur 33ianfa unb fonft
feinem 3Jlenfd;en ber 2Belt SRechenfdjaft fdjulbig."
SOßeitere 2öorte mürben nicht geroechfelt; aber inbem
bie beiben ©egner fid) gegenfeitig in bie Slugen fahen,
mar eä, als ob eine 2lf)nung burchjittert h abe, bafi
fte noch einmal als f£obfeinbe einanber gegenüber treten
mürben.
©leid) barauf ging ©riffith ju feiner grau hinein,
©einen falten @ruf$ beantroortete fie mit ber ©rflärung:
„Fd) glaubte, roa§ jroif^en uns ju erörtern gemefen, fei
längft erlebigt. fjätteft ®u $idj ben anberen Herren
angefd)loffen, mären mir neue fjäfdiche ©inbrücfe erfpart
geblieben."
©riffith ftrich über bie glattgefchorene Oberlippe unb
ben langen fdjroarjen Sinnbart. 33öfer .§ohn fprü^te aus
feinen bunflen 2lugen. ©inige ©efunben fann er nach,
beoor er erroieberte: „Siodj bin id) §err im §aufe. ©8
liegt alfo nur an mir, roenn ich »on meinen Rechten nicht
im meiteften Umfang ©ebrauch madhe."
„2öaS foU id)’S roieberholen?" oerfefcte 33ianfa er*
bittert, „aber immerhin: biefe IWed^te mürben fdjon allein
baburch »erroirft, bafj 35u roäf)renb ber lebten anbertljalb
Fahre faum oier -Dtonate unter meinem 35ad)e roeilteft,
unb baf$ 3)u in Sreifen ®idj beroegteft, aus benen ©djimpf
unb ©<hanbe über ben tarnen gefommen finb, ben ju
führen ich leiber gejroungen bin."
©riffith betradjtete nachläfftg feine rool)lgepflegten langen
Fingernägel unb begann auf unb ab ftu manbeln.
Digitized by C
Kornau pon 23admti ütdft^oufcn.
71
„33erftanbefi 3)u es nidfjt, midfj an’8 £au8 ju feffeln,"
bemerfte er über bie ©cfjulter, „fo bift 2)u felbft oerants
roortlid) bafür. $|m Uebrigen hätte eä mit ber ©(Reibung
nicht geeilt. 3)ie beften ©ebanfen unb <SntfdE>Iüffe Jommen
oft nad>."
„$>u trauft mir fo roenig ©elbftadjtung ju, bafj ich
nach bem SBorgefatfenen auch nur noch einmal mit 3)ir
an bemfelben ftifcf) hätte ftfcen mögen? ©ott fei EDanf,
ber Sßßürfel ift gefallen. 2Ba§ idE) einft in ^eillofer Sßer^
blenbung auf mich Iub, muff unb merbe id£j tragen."
@ine nadf) bem Innern be§ $nufe§ füfjrenbe ^ür
ging auf, unb in berfelben erf^ien eine fauber geJIeibete
Mulattin, auf bem 2lrm ein ljöd)ften§ anberthalbjährigeS,
fdf)roarsgeIocfte§ 3Jläbd;en mit fjolbem ©ngelSantlifc. ©treng
abroehrenb roinfte SBianfa mit ber §anb. 2)ie braune
Sßärterin jog fich mit bem Äinbe jurüdf. 93eoor fie oer=
fd)ioanb, rief ©riffith iljr gebieterifcfj nadf: „©ufann,
bringe mir bie kleine!"
21IS märe ber rauhe 93efef)l für fte ungefjört oerljaUt,
Sog ©ufann bie £f)ür hinter fidf in’S ©<hlofj.
©riffith entfärbte fich oor ber iljn oerjeljrenben SOButf).
„$u mifjgönnft mir ben lebten 2Xbfd;ieb oon meiner
E£odf)ter?" fragte er bro^enb.
„2Ba§ icf) mit fdjtoeren Opfern erfaufte, roeifi ich auch
ju behaupten," oerfefcte Sianfa gereijt, „an mein Äinb
barfft 2)u feine Sfnfprücfje mehr erheben."
„9?od; ift ber Äontraft nidjt ooHjogen," ftief} ©riffith
jroifdjen ben fnirfd;enben gähnen h e n>or, »i<h beanfprucfje
baher ba§ Dfedjt beS lebten 2lf<hiebeS »on meiner Tochter,
unb müfjte id) ihn geroaltfam erjtoingen."
„ 3 Sch bagegen rufe 2 >ir in’§ ©ebädhtnifi, bafj ich oon
jeher unumfchränfte Herrin meines Sefifcthumö gercefen
unb eS heute noch bin. $ier 0 »lt uur mein 2 öiHe."
©riffith «Jur nueber ftefjen geblieben. ®ie Sfrme auf
Digitized by Google
72
33Jcfcfi{ non SciSen?
ber 33ruft oerfcfjränfenb, ftarrte er, roie feinen Dfjren nicht
trauenb, auf bie junge grau, ^eber 3«9 ihres Slntlifces
oerrieth beleibigte 22ürbe unb ©ntfcbloffenheit. ©nblidf)
brachte er, rote im Kampfe mit fidE> felbft, jögernb heroor :
„®u gebenfft nid;t ber Sßiöglichfeit, ebenfalls non deinem
ßinbe getrennt ju roerben?"
„Unter baS, roaS bie SSorfeljung über mich oerljängt,
mti| ich mich beugen," erflärte 33ianfa rufjig, „biefe grau*
fame 9Raljnung fann mich inbeffen nicht beroegen, ju bulben,
baff ©u, ber unfer eheliches Seben oerbrecherifch entroeihte,
mit ©einen fünbfjaftcn Sippen mein $inb berüijrft. ©r*
ftaunft ®u, bafj aus bem fdjüchternen SRäbchen unb ber
fich hingcbenb unterroerfenben grau eine if)r gungeS oer*
tfyeibigenbe ©igerin rourbe, bie burdh nichts mehr be<
fänftigt roerben fann, fo liegt bie ^Rechtfertigung bafür im
Verlauf ber ©inge."
©riffitf) trat ihr einen ©djritt näher. ©r rang ftcht*
bar nach SBorten. ©rft nach einer längeren ißaufe begann
er in eigentümlich gebämpftem ©one: „2BaS fott aus
$arriett roerben, bie meinem §erjen genau fo nahe fteht,
roie bem ©einigen, roenn ©u oiedeidjt oerfrüht fterben
foßteft? ®aS oergegenroärtige ©ir unb erroäge bie ©e*
fahren, benen eine junge SSaife in ber Sage unferer
©od;ter auSgefe$t ift, fofern ber treue SRath roenigftenS
eines ber ©Item fehlt."
Sianfa fah ihn feft an, fo feft, bafj er ihren SSlicfen
auäroid). ©ie ahnte, bafj ißläne ihn befchäftigten, bie
ihren ©ob ihm als roünfchenSroerth erfcheinen liefjen, unb
fo erflärte fte nach f urgent ©innen herbe: „®em Stecht,
©ich fernerhin um meine ©ocf)ter ju fümntern, h a ft
enbgiltig entfagt. ©oßte fie in ber ©hat oerroaifen, beoor
fte einen ftärferen unb nicht minber juoerläffigeren $ort
fanb, fo bleibt ihr unter bem SSeirath erprobter greunbe
bie ooflfte Unabhängigfeit gefiebert, ©amit ©u eS roeifjt :
Digitized by
Co
JJontan ron Matiutn WetT^aufcn.
73
idj folge bem Seifpiel meines SaterS, ber mich in einer
SBeife ju feiner @rbin einfe^te, bafj ohne meinen auS^
brüc!Ud)en SBißen fein groeigtein im SBalbe non (Soanbale
gefnieft, fein ©anbforn in meinem §aufe umgefe^rt roerben
barf, fo roie mein 2Jtäb<henname ber Sßlantage erhalten
bleibt," unb Ijart, bafj es flang roie angefdßagener
©taf)l, fügte fte f)inju: „§eut fegne icf) taufenbfad) bie
mit roeitfidjtiger Seredjnung getroffene Verfügung, bie,
hätteft $)u fie gefannt, fchroerlicf) ohne ©influfc auf bie
Seroerbung um bie £>anb beS unfdjönen, aber reid) be:
güterten Stäbchens geblieben roäre."
©o lange Sianfa fprach, übermalte ©riffith fte mit
beinah ängftlidjer ©pannung. §in unb roieber glühte eS
roie ein fid) oorbereitenber, oernid)tenber SU$ in feinen
Slugen, um alsbalb roieber au oerlöfchen. ßrft als Sianfa
fdjroieg, überflog fein ©eftd)t ein 2luSbrucf unt)erhof)lener
^einbfeligfeit. 2Bie teuflifdjer §ohn aber flang eS, als
er gleidjfam gefchäftSmäjjig bemerfte: „Sei ber Seroerbung
fdßid) fid) aßerbingS ein 9techenfef>ler ein, unb ber rächte
ftd) an uns Seiben — "
3)aS Stoßen eines oon jroei Sferben gezogenen SBagenS
tönte herein, ©leid) barauf hielt er tror ber Seranba.
Sianfa hatte ftch erhoben. @in ©eufeer ber (Erleichterung
entrang ftch ih re r Sruft. 2ln ©riffith oorbei ging fie nach
ber ßorribortfjür hinüber. Seoor fie biefe erreid)te, rourbe
fte oon bem fchroarjen Wiener aufgeriffen, unb herein fchritt,
bie fDtappe unter bem 3lrme, ein fleiner gebrungener §err
mit fahlem ©djeitel unb roohlrooßenbem ernftem ©eftcht.
Sianfa begrüßte ihn als ben Stotar (EßiS. 3h m auf bem
$uf$e folgte ein älterer, biifter fdhauenber §err, ein greunb
ihres oerftorbenen SaterS, unb (Sbroarb (Eoanbalc. Seim
Slnblid beS Sefsteren fnirfd^te ©riffith mit ben 3äljnen.
„(Ebroarb! 2öaS foß er hier?" fragte er ingrimmig;
„rcer rief ben auffäffigen Surften mir jum §ol)n?"
Digitized by Google
74
UKf(§t ihm B*tJ«nT
„3ch Bat ihn, gemeinfchaftlidj mit §errn Songftreet
bem Verfahren als 3 eu 9 e beijurooljnen," antroortete S3ianfa
auSbrudSloS, unb in brohenb flingenbem SSortourf fügte
Songftreet hinju :
„$ie Tochter meines oerblidjenen greunbeS ift burdh*
aus befugt, ihre 3 eu S en nac ^ eigenem ©rmeffen ju
mähten."
©riffith fdfjleuberte if)m einen giftigen SBUdf ju, folgte
aber in oorneljm nacfyläfftger Haltung, als man ftd^ um
ben Xifdj reifte. Jturje 3dt hörte man nur baS knittern
ber Rapiere, bie ©HiS ber SJJappe entnahm unb oor fidj
orbnete. gragenb fah er fid; im Greife um. 35a oon
feiner ©eite ©infprud) erhoben mürbe, begann er, baS
.$auptfd)riftftücf oorjulefen. ©ine in ber üblichen $orm
»erfaßte ©cheibungSurfunbe mar eS. Sin biefe fchlofj fich
bie genau oerflaufulirte ©rflärung, bajj ©riffith allen fer*
neren 2lnrecf)ten an feine Tochter ju ©unften ihrer ©lütter
feierlich entfage, gugleid^ fid^ oerpflichte, roeber in i^re
©rjiehung einjugreifen, noch um ihre 3 u ^ un ft fidh ju
fümmern, überhaupt ju feiner 3 c ü unb unter feinerlei
SBebingung in perfönlidjen ober brieflichen 33erfef)r mit iljr
ju treten. SllS ©egenleiftung erbot fich grau SBianfa
©riffith, ben geriebenen ©atten ein* für allemal mit ber
©umme oon fedjjigtaufenb 35oßar8 abjufinben, aufcerbem
einen ©chulbenreft oon jroeiunbjtoanjigtaufenb Dollars für
ihn ju tilgen.
©obalb ber -Jlotar enbigte, mar eS, als ob ber $ulS=
fchlag jebeS ber einjelnen Slntoefenben auSgefefjt hätte, fo
ftiö mar eS geroorben. ©tarr, mie eine SJilbfäule, faf$
Sianfa. 3 U lange unb ju fchmer hatte f»e gerungen, um
jef)t noch ©rregung roahrnehmbar ju oerrathen. ©riffith,
in bem Seroujjtfein , oon Sillen oerurtheilt ju merben,
magte in oerjehrenber SSutfj unb S3efchämung nur oer^
ftohten halb liefern, halb genem einen forfchenben 93lid
Digitized by Google
Jvontan fon J3of>uin ItifllUJaiiftn.
75
jujujenbcn. ©o oerrann eine SBeile, beoor ber 9iotar
roieber anljob:
„3n meiner amtlichen Stellung bin idj oerpflichtet, oor
Ülbfdjluj} beS Verfahrens einen Verfud) ber 2tuSföhnung — "
„Es märe vergebliche -Blühe," fiel Vianfa fdjaubernb ein,
„erfparen ©ie mir bafjer fernere peinliche Erörterungen."
©riffith bekräftigte ben 2tuSfpruch burch eine reeg»
merfenb juftimmenbe ©eberbe.
iffiährenb ber -Jlotar bie Urfunbe jur Unterzeichnung
herrichtete, fchob Vianfa ein bereit gehaltenes ißacfetdhen
oor il;n hin. ECiS öffnete ben Umfdjlag unb oor ihm lag
ein Rädchen daufenb*dollamoten. Ungefäumt ging er an’S
Sßerf, zugleich laut äähtenb, fte in Abteilungen z u i e
Zehn ©tücf oon einanber zu trennen. Aufmerffam oerfolgten
Alle feine Verlegungen. 9lur Viaitla beobachtete ©riffith-
©ie fah, roie unerfättüche ©ier ben AuSbrud feines ©e*
fidjteS beftimmte, glaubte, ben ihn erfültenben Verbruh zu
entbeden, bie bereinigte Summe nicht höher hinauf ge*
fchraubt, fte nicht oerboppett zu haften. ©ie bezreeifelte nicht,
bah er, jeber natürlichen roärmeren Siegung unzugänglich,
faum gefchreanft hätte, fein eigenes Äinb unter entfprechenben
Vebingungen an jeben Anberen abzutreten, unb unfäglidje
Verachtung fpiegelte fich in ihrem marmorähnlichen Antlifj.
,,©ed)Smal zehn ergibt fedhzigtaufenb doßarS," fdjloh
ElliS. 2Bie aus einem roüften draum aufgefdjeudjt, er»
fdjraf Vianfa. 3h r Athem oerfürzte fich- ©rauen be»
mädjtigte fich ihrer AngefidjtS beS zu errcartenben lebten
VerceifeS gänzlicher ©efühllofigfeit desjenigen, ben fte einft
jauchzenben §erzenS zum Altar begleitete.
3Dlit geübtem ©riff unb mühfam Kaltblütigkeit er»
heudjelnb, nahm ©riffith baS ©elb an fich, roorauf Eüiö
ihm ben Empfangfehein über bie an feine ©laubiger zu
entrichtenben zroeiunbzreanzigtaufenb dollarS zur Unter»
Idjrift oorlegte.
Digitized by Google
76
UJtü#« ron 'StUtnl
©riffith Iciftete ber 2lufforberung ffolge unb fd)nellte
bie Quittung geringfdjäfjig oor bcn 9iotar hin. £)ie SoH=
Ziehung ber ©cheibungsurfunbe naf)tn nur wenige Minuten
in 2lnfprucfj. 2Jtit non fjeiliger Ueberjeugung geführter
fefter $anb Unterzeichnete Sianfa. Unter ihren 9iamen
!am ber ©riffitlj’S ju fteljen. ®ie 5 e ^ er fnirfchte unb
fprijjte oon ber ©ewalt, mit ber er ben gercohnten ©chnörfel
beifügte. $amit mar ber lejjte, ihn mit ebler ©efittung
einenbe f<hroacf)e $aben jerriffeit. 9?achbem Songftreet,
©bwarb unb ©Qis ebenfalls unterfchrieben hatten, Ijänbigtc
Sefcterer ber jungen ffrau baS Dolument ein.
©riffith erhob fid) geräufchooll. 3Jiit bem ©elbe in
feiner 2;afdje fühlte er fich ftarf genug, ben $ampf mit
§immel unb §ölle aufzunehmen.
„^ch fomme ^h ren SSünfchen juoor," fpradj er, wälj=
renb etn boshaftes Sädjeln feine 3üge »erjerrte, „roohin
ich mich rcenbe, fann 3hnen gleichgiltig fein. Sie werben
mich raeber roicberfehen, nod) je oon mir hören."
Sei ben lebten 2Borten fanbte er bie Slicfe im Greife,
bis fte enblicf) auf Sianfa haften blieben. 2ßieberum fchwebte
jenes bämonifdje Säbeln auf feinem @efid)t. 2)ie bunflen
Slugen fprühten unheimliches §euer. ffiie in oerhaltenev
©chabenfreube ruhten feine 3äl)ne f e ft aufeinanber. ©a
fWiemanb antwortete, oerneigte er ftch leicht oor bem ffto-.
tar, unb bie Uebrigen feines ©rufjeS würbigenb, entfernte
er fid).
2US er auf bie Seranba hinaus trat, ftanb ©bwarb
bereits wieber ba. 2Ran hätte glauben fönnen, baß er fid)
währenb ber ganzen 3eit nidjt oon ber ©teile rührte.
SlbermalS begegneten fid) ihre Slicfe. ©riffith fd)ien in-,
beffen bie beS haßerfüllten innigen Surften nicht lange
ertragen zu fönnen. 2luf feinen Stuf eilten zwei Schwarze
herbei unb befd)leunigten baS 2lnfpannen beS ißferbeS unb
baS Serlaben ber Koffer. ©ein Begleiter, ber ihn fdjon
I
—
i’i>n 33af6uiii Wöff^tiufen. 77
erwartete, ftieg juerft auf; bann ging es in fcf)arfem £rabc
non bem Sorplafj hinunter.
erft atljmete Sianfa auf. ®ie ernften ©lücf«
wünfdje ber beiben greunbe beantwortete fie mit einem
aug oottem §erjen emporgefenbeten : „@ott fei 25anf, eg
ift überftanben. 9Jiöge id) in ber $ljat nie wieber non
ifjm fyören, nie fein ©nbe erfahren, bag nur ein traurigeg
fein fann." ©ie wenbete fid) an Songftreet: „Um nid)t
ganglid) allein bajufteljen, fott ©bwarb meine ©infamfeit
mit mir tfjeilen. @r wirb mir nid)t nur ein lieber ©e*
feßfcfiafter fein, fonbern audj eine ©tü$e. 2öie eine föiutter
will id) für iljn forgen."
f£röftlicf) pflichteten bie beiben Herren \i)x bei, unb
noraugfe^enb, bajj fie ficfj feljne, mit il>rem Uwdjterdjen
allein ju fein, begaben fie ftdj auf ben Heimweg. Sou
ber Seranba aug falj fie ifynen träumerifd) nacl). 5Bol)l
muffte fie fidj je$t frei, unb bennodfj laftete eg auf iljrem
©emütlj wie bie 93oraf)nung eineg böfen Scrfyängniffeg.
2Bie mit $euerfd(jrift gejeicfmet , brannte ©riffitfj’g fester
Slid in ihrer ©eele. ©rft alg ©ufann neben fie hintrat
unb iT;r bie kleine barreicfjte, widjen bie in ihrer über«
reijten ißfjantafte ft<h jagenben formlofen ©efpenfter. 3 n
Ijeiffe Stljränen augbrccljenb, fjerjte unb füffte fie bag lieb*
li<h e $inb, ifjr ©ing unb SlUeg, bem fie hinfort allein
ebenfaßg 2Weg fein fottte.
®ie Suft war nodf) immer trübe unb feucht, ©in«
tönig breitete ber fdfimer bemölfte §immel fidE) über ber
füllen Sanbfchaft aug. -Dielandiolifcf) tropfte eg oon ben
ben Sorplafs gierenben Säumen; mefand;olifcl> neigten bie
oom fftebel befdjmerten braunen unb gelben Slätter fich
an iljren ber Sebengfraft beraubten ©tengein. §ier
wirbelte eineg nieber, bort eineg, um fidf) mit ben oorauf*
gegangenen fJJfitgliebern beffelben ©tammeg auf feudjter
©rbe im 'Jwbe gu einen.
Digitized by Google
78
IBtldjt ivu JSnJitn?
5 »weites ^taptteC.
©riffith war bereits über bie ©renje ber umfangreichen
Vefitjung feiner grau hinausgelangt, unb nod; hatte er
fein 2Bort gebrochen. (Sr befanb fi<h offenbar unter bem
Einftuff beS fRücffchlageS, ber nach bem jüngft Erlebten
fxch fogar in bem oerftocfteften ©emüth geltenb machen
muffte. 2Iuch fein Begleiter 2Boobfirf, ber bie 3ügel führte,
oerhielt fith fdpoeigenb. Erft als bie testen oertrauten
gelber unb Triften oerfchroanben, biefe ernften -üiahmmgen
an ein ©lüd, baS er oermeffen oon fttf; geflogen hatte, be=
merfte $arrp, mie im ©elbftgefprädj : „Seicht ift es mir
wahrhaftig nicht geworben."
Söoobfirf bUnjelte mit bem halb gesoffenen linfen
Stuge, warf ihm mit bem anbcren einen argliftig forfchen»
ben Vlid ju unb erwicberte berechnet leichtfertig: „3ft
längeres 3ufammenleben unmöglich geworben, mufi £ren«
nung folgen; je früher, um fo beffer."
„3dj gewann ben Einbrud, baff fte es nicht lange über-
lebt. ©ie fah aus, wie aus weiffem 2ßachS geformt,"
fuhr ©riffith nadjbenllich fort.
Söoobfirf wiegte fein $aupt, wie in Verlegenheit um
eine Antwort, unb oerfefcte auf feine 2lrt tröftlidj: „fDcr
einfadjfte SluSweg wäre eS. £>ie Vormunbfchaft über 3h r
eigenes $inb fammt ber Verwaltung beS grofjen Ver*
mögenS würbe 3h nen fdjwerlid) oorenthalten werben."
©riffith fuljr heftig herum unb fah argwöljnifch auf
ben ©efährten. ©eine eigenen ©ebanfen in unjweibeu»
tigen SBorten offenbart ju hären, hatte ihn erfdjredt. Erft
nad; einer ißaufe ermannte er ftch ju ber Entgegnung:
„6ie oergeffen, baff fie fo lange meine grau gewefen."
SBoobfirf fnallte mit ber ißeitfehe unb fah in eine
anbere Stiftung. Stuf feinem breiten rothen ©eficht prägte
ftch fpöttifdjeS Verftänbnifs aus.
Digitized by Google
Kommt »on 33aC6uiii UtoU'pmifen. 70
©cfjmeigenb fuhren ftc ifjre§ 2öegeS. ©rft nadf» einer
längeren 2Bei!e »erriet!) ©riffith abermals unroiflfürlich
feinen ^beengang:
„§ätte id(j hoppelt fo oiel geforbert, märe es mir fidler
bemiUigt morben."
„S)aS mar meine Meinung »on Anbeginn," erflärte
üffioobfirf; „meShalb folgten ©te nicht meinem Statfj?
Stber noch ift nichts »erloren. 3Jian muß nur bie richtige
©elegenheit roahrnehmen."
„93on bem eigenen Kinbe oljne lebten ©rufj ju fd^ei*
ben, ift immerhin eine unerhörte .gumuthung. 3Jlir »er--
roanbelte fte baS SBlut in ©ift."
„(Sie roerben es rcieberfehen."
„ Silber mann?"
Söoobfirf lachte »erfchmißt unb meinte befd^mi^tigenb:
„Kommt 3eit, lommt SRath."
©ieberum ftoefte bie Unterhaltung, ©rifftih, in btiftere
Betrachtungen »erfunfen, achtete nicht auf bie Umgebung.
BotjugSmeife befchäftigte er fief) mit feiner Tochter. ©efjnte
er ftdh nadh ihrem Befiß, fo lag am menigften »äterlidEje
3ärtlicf)feit ju ©runbe; unb maS foffte er überhaupt mit
einer berartigen foftfpieligen Saft? Stber ihrer 9J£utter,
bie geroiffermajjen einen ©ieg über ihn baoontrug, gönnte
er nicht ben Triumph, fie unter ihren Slugen heranreifen
SU fehen.
Bläßlich h«lt ber SBagen an. 2luffdf)recfenb erfannte
er eine 2lrt Sanbfchänfe, bie ben 3Jiittelpunft eines fleinett
©ehöfteS bilbete. Blanche ©tunbe bei $ag unb bei Badjt
hatte er bafelbft mit gleichgeftnnten ©enoffen »erlebt, roenn
eS galt, im ©tiffen müfte ©elage ju feiern unb bem ©piel
ju fröhnen.
2>er 2Birth, ein furjer »ierfdhrötiger 3*länber mit auf*
gebunfenem ©aunergeficJjt, ftanb in ber 2tjür unb 50g
untermürfig bie Blüße. Bßäljrenb ©riffith »om ffiagen
Digitized by Google
80
JJÜtftff von 33<i!<cii?
ftieg, fudjte ^cncr bie Gelegenheit, mit Soobfirf eine
Geberbe beS @inoerftänbniffeS j^u mechfeln unb burdj ben
über bie Sdjulter ^eigenben ®aumen beffen 2lufmerffam*
feit auf baS hinter ihnen liegenbe (seffenfter ju lenfen.
Verftoljlen fpähte Soobfirf hinüber, unb roitbe Ve=
friebigung leudjtete in feinem Geftdjt auf, als er hinter
ben Scheiben ein bleiches grauenantlifc oon ungemöhn*
lieber Schönheit entbeefte. Sein faum bemerfbareS, jebodj
ermuthigenbeS Zeigen beS §aupteS mürbe burch einen
ängftlichen Vlicf aus grofjen ejotifdjen 2lugen beantmortet.
2luf einen grillen Vfiff beS $rlänber8 erf^ien ein
halb oerroachfener jottiger Vurfche, ber baS ^Sferb in Gnu
pfang nahm, roorauf audj Soobfirf ben Sagen oerfief}.
„3ft baS Gffen bereit?" ^atte Griffith ben Sirth ge«
fragt.
„3n einer Viertelftunbe fann’S aufgetragen merben,"
hie§ eS mit einer unbeholfenen Verbeugung jurücf.
„3)ann oorroärtS, in beS Teufels Vamen. 2)er Seib
oerlangt fein Siedjt. ®a hinter mir erfuhr ich feine goofje
Gaftfreunbfdjaft."
35od> anftatt ben Seg burch bie £ljife frei ju geben,
roedjfelte ber Sirtl) feine Äörperlaft oon bem einen $ufe
auf ben anbern, unb mit einem fpred;enben StuSbrud oon
Verlegenheit bie Sü$e jroifdjen ben fünften brehenb,
fchien er einfältig nach Sorten ^u fuchen.
„SaS foE baS?" fragte Griffith unmirfdj, „ift’S Sleifch
in ber Vfanne oerbrannt, bafj Sie barein fchauen mie ein
§unb, bem man ben geftohlenen Knochen ab jagte?"
„9fid)tS oon ber Sorte, $err; aber 2tnbereS gibt es,
baS ^ihnen oieHeicfjt fein Soljlgefatlen bereitet. Vei $efuS,
id) mollte nicht h eran an baS Gefdjäft — "
„3um genfer, Sann, um maS Ijanbelt eS fich benn?"
„3ch fann’S nidjt fagen; fehen müffen Sie eS, um’S
ju glauben," betheuerte ber oerfchlagene ^rlänber, unb mit
Digitized by Google
Roman von Saßmii UToCßnnftn. gj
bev 2lufforberung, ifjm ju folgen, fd;ritt er in bas §aua
hinein.
Sefrembet lehrte ©riffitlj fid^ SBoobfirf 5U. tiefer,
anfdjeinenb nidjt minber erftaunt, jucfte bie 2ldjfeln. ©leid)
barauf betraten fie ben als ©aftjimmer bienenben 9 launt,
mo bereits für fte gebedi mar. 2)er Sauber Ijatte fid)
nad) ber Slüdraanb hinüber begeben unb ftanb, ben ©dfilofjs
griff in ber #anb, oor einer 3 :|ür, burdj roeld)e bie Ser*
binbung mit bem §interjimmer Ijergefteßt mürbe. 3 u 9^ e ‘^
bebeutete er bie beiben ©äfte burcf> ©eberben, jebeS ©es
räufd) ju oermeiben. ©obalb fte bei ifjm eingetroffen
maren, öffnete er beljutfam, unb ©riffitlj ben Sortritt eins
räumenb, mieS er auf ein mittelft mehrerer ©tüljle unb
Riffen ^ergeridjteteS Säger, auf meinem ein ljöd)ftenS jmeis
jähriges ßinb fdjlummerte.
©in rüf>renbeS Silb bot bie Ijolbe kleine mit tfjren
fdjntaraen Soden, ben 00m ©djlaf gerotteten 2 Bangen unb
ben jierlidjen £änbdjen, beren eines bie $ede gepadt ^telt,
mogegen bie anbere ftdj um ein ©tüddjen Srob gefcl)loffen
fjatte. ©ie festen roäfjrenb beS ©ffenS oon 'üJiübigfeit übers
mältigt roorben ju fein. 3>efct atljmete fte lang unb tief.
2 öie ber Slbglanj Weiterer Sträume ruf)te eS auf ben roeidj
gerunbeten 3ügen.
Seim erften Slid auf bie garte ©d^läferin prallte
©riffitlj beftürjt jurüd. 3 )ann ftanb er, mie ju ©rj ers
ftarrt. 9 lur auf feinem plöfclid; entfärbten ©efid)t arbeitete
eS, inbem fRatljlofigfeit, auffteigenbe 2 Sutl) unb eine fdjtoadje
Slnroanblung oon SDiitlexb fid) in feiner Sruft begegneten.
SEBoobfirf unb ber ^rlänber maren hinter iljm fteljen ges
blieben unb fjarrten neugierig feiner erften ßunbgebung.
Unb nodj jrcei anbere Slugen, bie fidj in angftooßer
Grmartung oergröfjerten, maren auf i^n gerichtet, biefelben
fdjmarjen 2 lugen, bie oon bem ©dfenfter auS nad) bem
Ijerbeiroßenben 2 Bagen auSgelugt Ratten, ©ie gehörten
IV. 1895. 6
Digitized by Google
82
Keiften V
einer fdjlanfen ©rfcTeinung, bie, ein Sßüb oottenbeter 2ttn=
mut^ rntb ©efcTmeibigfeit , non aufien burcT bie f(f>male
©palte ber angelernten ^lurt^ür fpä^te unb mit fliegenben
Wulfen ben fommenben ®ingen entgegenfar.
©nblicT regte ©riffitr ficT mieber. ©inen finfteren SJlitf
fanbte er burdT bag ©emacT unb leife fc^Iid^ er in bag
SSorgimmer gurücf. ®ocT evft, nad^bem er bie 2^0* ge*
väufd^foö hinter ftcT gcfc^Ioffen r<*tte, fe^rte er ftcT bem
$rlänber gu, unb feine ©timme bämpfenb, fragte er förmlidt;
broljenb: „2Bie lommt bag Äinb fjierljer? 2öer brodle eg?"
„©ine alte $rau," lautete bie 2lntrcort, „eine orbent*
Iid^e Sabp mar eg nietjt. 3 rac > ©tunben ift eg tyzt, als
fie üorfuf)r unb mit bem ß'inbe abftieg. 34) meinte, fte
motte nacf) lurger fRaft roeiterfarren. 2H§ fie aber be*
rauptete, meine $rau miifjte bas 58abp big gu 3r rer 2l n '
funft in Db^ut nehmen, raeigerte iö) micT, barauf ein*
jugef)en. SDod^ mag Ijatfä? 33ei £$efug, fte beftanb fo feft
auf irrem 5Bitteit, ba| icT fcTIiefelidT nacTgab. Nebenbei
befcTmor fte, ©ie mürben atte Äoften tragen unb bag fleine
®ing gern bei fi<T beralten."
©riffitr nagte an feinen Sippen. 3$or fid) nieberftarrenb,
befämpfte er fidbtbar einen 2lu§brucT ber in irm gärrenbett
SSutr* SßMc Stufflärung oon irm erroartenb, far er buttf)*
bringenb in SSoobfirfg ftumpf fcTauenbe Sttugen.
„2Bag fagen ©ie bagu?" fragte er auf bem ©ipfel
feiner fRatriofigfeit.
•JBoobfirf blingelte gmeifelnb, meinte aber befcTraidTtigenb:
„3$ r a ^’ g ©efüri, bajj ©ie fi<f; beg elenben -JBurmeg
erbarmen müßten. ®ie ©ettora ift eine rabiate 5)3erfon.
$n irren 2tbern ragt fpanifd^eg 33Iut. $)er ift bag 2Iergfte
gugutrauen."
„3$ fott alfo meine gangen Sieifeptäne umftofien, nid)t
gu gebenfen, baf} eg mir ein Sftät^fel ift, roie icT mit bem
3)ing fertig merben fott."
Digitized by Google
Kornau von 33af&um Utdfltynifen. gg
„Sit ©elb beseitigt man bie größten Unbequemlich'
feiten, unb eine Särterin ift balb gefunben."
„$ol’S ber Teufel!" fefenaubte ©riffith erbittert. 2)ann
gu bem $rlänber gemenbet: ,,©ie fjaben eine Dummheit
begangen, aus ber mir bie gräfelidhften Überlegenheiten er*
machen, konnten ©ie bai Seibsbilb nicht fammt bem
Kinbe gum genfer fefeiefen?"
„©(Riefen ©ie ^emanb gum genfer, ber ftörrifdh ift
mie ein fotterigeä Saultljier. 33ei ^efuä ! $d£j rebete noch
auf bie ißerfon ein, ba fafe fie fd^on auf bem Sagen, unb
baoon ging’ä fo eilig, mie bie ©äule einen $uf oor ben
attberen gu ftetten oermodhten. §atten meine §rau unb
ich bodfj unfere liebe 9iotf), ba§ jammernbe $)ing gu be=
fchmidhtigen. Ütufeerbem ift hier eine gufdhrift. 25ie hänbigte
bie alte §eje mir mit bem Aufträge ein, fte $hnen gugu*
ftetten. ©ie behauptete, roa§ ba brinnen ftänbe, mürbe ©ie
roohl barmfeergig ftimmen."
©riffith nahm ben 33rief unb vertiefte fidh in beffen
Inhalt, ©dhon nadh Kenntnisnahme ber erften 3eilen ent=
beeften bie oor ihm ©tehenben, bafe feine §änbe gitterten,
ferner gu bänbigenbe ©rregung ihm baä Ü3lut gu Kopfe
trieb. Sit einer railben SBermünfdEjung Ia8 er bie Unter:
fdhrift. 3 ä ^nefnirfd^cnb ballte er bai Rapier in ber $auft,
glättete e§ inbeffen alsbalb roieber, um e§ in fleine ^efeen
gu gerreifeen.
„Sine oerbammte ©efdEjicfete," grollte er oor fidh hin-
unter foldhen Ü3ebingungen bleibt mir atterbingä fein am
berer 3lu§roeg. §ier laffen barf idh ba§ elenbe ©efchöpf
nidht. @3 aber gurücfgufdjidfcn ift gur Unmöglidhfeit ge*
morben, feitbem bie Sutter mer mcife raohin flüchtete."
@r tiefe fich oor bem Xifdf) nieber. $>ie ©peifen mürben
aufgetragen. Soobfirf hatte il;m gegenüber Üblafe genommen.
dv felbft afe nur roenig. Um fo lebhafter fpraefe er bet
glafdhe gu. @r fdhien feine Ü3ebtängnife forttrinfen gu
Digitized by Google
84
pon 33ti6«n?
rooßen. 2)abei »erliefe fein äüort feine Sippen. ©rft als
in bem 9iebenjimnter baS ßinb fläglid) fdjrie, ging er felbft
f)in, um es §u ^olen. Unter bcr SCBirt^sfrau 3ufpru<$
beruhigte eS ftcT halb. fOlit ficTtbarem SBe^agen nafjm e§
bie gereifte ©peife ju ftd^, unb lange bauerte es bann
ntcfjt, bis eS in gefaßten Sauten feine 3«fmbenf)eit ju
erfennen gab, uiaS befänftigenb auf ©riffitf) einmirfte.
Sn bem 3* mmer / in meinem bie kleine gefdjfafen
^atte, ftanb je$t bie bunfeläugige fcTIanfe ©eftalt mit bem
fRabenfjaar neben ber angelernten ^fjur unb Iaufdjte mit
angeraltenem Silent nad) bem lEifd) rinn& er - 2luf bem
frönen bleiben 2lntli$, mit bem fdjarf ausgeprägten SeibenS*
jug um ben feingefcfjnittenen -Diunb, lämpften in fd^neßer
$olge um ben ÜBorrang roifbe Sßerjroeiflung unb bange
Hoffnung, glürenber §afe, ©raufamfeit unb eine 3ärtfid)'
feit, bie immer «lieber reifee Spänen über bie etroaS ein*
gefaßenen SBangen fanbte. —
2flS jroei ©tunben fpäter bie beiben ©efärrten, baS
ffeine 2Sefen marm eingerüßt jraifd)en ftd), i^e Seife
fortfefjten, ba fpäfjten bie egotifdEjen SCugen abermals non
bem (Sdfenfter aus bem enteitenben SÖagen nadj. 5ßie
eine ©tatue ftanb bie anmutige ©eftaft. ©rft afS ba§
feicTte tJu^rroerf aus if;rem ©eficTtSfreife trat, raarf fte
bie Slrme empor, unb bie §änbe oberralb beS Hauptes
frampff)aft ineinanber »crfcTränfenb, ftö^nte unb feufjte fte,
als rätte fte mit bem EEobe gerungen.
2)er fjerbft ging in ben äßinter über. ©S niedte bie
grüriingSfonne baS in ©cTeintob oerfenfte Seben in bem
burdjfälieten ©rbenfdjofe. ©s folgten bie ^eiteren färben
beS ©ommerS. SSu^ernbe Kräuter unb ftd) erfdjliefeenbe
Söfütren unb Slumen atmeten füfeen $uft, unb mit irnen
atrmeten bie SJtenfcTen auf unter bem fegenSreid)en ©in*
ffufe beS »on oben gefpenbeten roarmen Sicktes.
Digitized by Google
Äomatt peil Saftum HTC'CiJaufcn.
85
2ßte bie 9?atur in ihrem erneuerten geftfleibe, lachte
auch bie fßlantage inmitten ber fdjattigen Umgebung. Unter
bem finnigen SBatten ber 33efitjerin Ratten Triebe unb
grohftnn bort mieber feften gufj gefaxt. 2Bo 33ianfa,
felbft nic^t jur §anb, ba malten bie 2lugen juüerläffiger
2luffeljer roie bie beS jungen ©oanbale, ber mit rüljrenber
Siebe feiner mütterlich gefinnten 23erwanbten ergeben mar.
$h* ©lücf aber fanb fie in ber ^Beobachtung beg ©nt»
widfelnS i^reä £öcf)tercheng, ihre ©enüffe bagegen oorjugSs
roeife barin, baff fie in einem non ©broarb gelenften leisten
Sßagen in ber fftachbarfcfiaft umherfuhr, abroedjfelnb über
gelber unb 333iefen, ober auf ben fdjattigen Söegen beS
weit hinauSreidjenben SSalbeg.
©o auch an bem heutigen guniabenb, ber nach beg
fEageg brücfenber £i£e erquicfenbe Äühle braute. gh r
Stöchterdjen h Qtte fie unter ber Cbhut ber bewährten
braunen SBärterin jurüdgelaffen. ©ie muffte es fidler ge*
borgen in einer bicht beranften Saube auf ber mit bem
SBalbe jufammenftofjenben ©artengrenje.
fDie Stacht mar bereits hereingebrodjen, als fte heim*
feljrte, unb, baS §aug betretenb, fofort ©ufann mit bem
Äinbe uermifjte. 33oit Unruhe ergriffen, trat fie burdj bie
§interthür in’S greie hinaus. ©broarb unb anbere .fjaugs
genoffen, bie baS $inb Iängft jur Siuhe gebracht mahnten,
folgten ihr. 2)er Stuf, ben fie burdj ben ©arten fanbte,
blieb unbeantwortet, unb oon ben fchrecflichften Stiftungen
gefoltert, flog fie Sillen ooraug nach ber ©teile hinüber,
wo fie bie SBermijjten ju finben hoffte.
©in burcfjbringenber Klageruf oerfünbete, bafj bie Saube
oeröbet lag. Stodj aber fämpfte fie gegen bie fchmärgeften
ÜBorftettungen , alg aug einem finfteren SBinfel Mögliches
Slechjen ju ihren Dljren brang unb ihr Sprache wie 33e=
megung raubte, ©bmarb mar ber ©rfte, ber bei ihr eins
traf. Unterftüht oon ben ihm golgenben, überjeugte er
Digitized by Google
86
Don Äeii>«u?
fich, bafc ©ufann bis gut StegungSlofigfeit gefeffelt balag
unb burch ein jtmfdjen bie 3ähne gegrcängteS Sfcucfj am
Stufen gefjinbert morben mar. Sicht mar fdhnetl gur ©teile,
unb jefjt erft entbecftc man, bajj bereits geronnenes SÖIut
iljr ©eftcht bebecfte. Aber felbft nadhbem man fte oon ihren
Sßanben befreit hotte, bauerte es noch lange, beoor fie bie
^äljigfeit beS ©pre^enS hinlänglich gurücfgemann, um ber
in rafenben ©eelenqualen oergehenben SJtutter nothbürftig
AuSfunft über baS ©efcheljene gu ertheilen.
Stad) ihrer, oon Sommern unb SBehflogen oielfacf)
unterbrochenen ©dhilberung h at t e f* e ft<h über baS in einem
^orbmageit f^lumtnernbe $inb fjingeneigt r um eS in'S
§auS gu tragen, als ein leifeS ©eräufdh im ©ingange ber
Saube fie oeranlafjte, fich aufgurichten. bemfelben Augem
blicfe aber hotte ein furchtbarer ©chlog mit einem ferneren
©egenftanb fte auf ben $opf getroffen unb betäubt gu
Soben geroorfen. Als ihre 93efinnung gurüdfehrte, ^errfcf)te
ginfternijs um fie fytx. $n ber qualooüen Sage unfähig
gu fdhreien, unb gemaltfam nach Athem ringenb, hotte nur
baS balbige ©rfdfieinen ber ^g>itfe fie oor bem ©rfticfungS:
tobe burch baS in bie Suftröhre einbringenbe 33Iut be*
mahrt.
®ie nächften Stadhforfchungen, an benen 33ian!a mit
ber Äraft ber SSerjroeiflung ftch betheiligte, ergaben, bafj
oon ber Sßalbfeite h er groei SJtänner in ben ©arten ein-,
gebrungen roaren, mährenb eine britte ^ßerfon auf ber
Aufcenfeite ber ©infriebigung fich bereit gehalten hotte, baS
SUnb in ©mpfang gu nehmen, ©o ging aus Allem her--
oor, bafj ber Staub bebadhtfam oorbereitet morben, man
oielleicht fchon feit 2Bodf)en auf eine günftige ©elegenheit
gur Ausführung beS hinterliftigen planes gelauert hotte.
33on mem bie ©ntführung in’S Söerf gefegt morben,
barüber malteten bei Siaitfa feine 3ro e if e f- durfte fie
aber baraufhin ber Uebergeugung fidh h*ogeben, bafj ber
Digitized by Google
Koumn t>on Biiff'uin Uloff^aufnt.
87
Äleinen fein ©dfjaben an Seife unb fieben brofje, fo fiel
if>r um fo fernerer auf bie ©eele, bafe, menn ein Sieber«
feljen überhaupt nocf) ju Ijoffen, e§ in roeiter $eme liege.
35odf) gerabe biefe Sefürcfjtungen trugen am meiften baju
bei, bafj fie, anftatt läljmenber Serjrceiflung anfjeim ju
faden, eine gemiffe $ a ff un 3 bewahrte unb felbft an bie
©pitje ber einjulehenben 9?acf)forfdE)ungen trat.
9?ocf) in berfelben 9?acf>t mürben reitenbe Soten nadf)
aßen ßtidjtungen entfenbet, um beim SlnbrudE) be§ £age§
fofort mit bem 2luffpüren ber gäfjrten beginnen ju fönnen.
2>od fo bereitmißig $eber fidj jur Verfügung fteHte unb
mit bem Eifer tiefer Erbitterung an bem Serf ftd? be«
tfjeUigte: ju ernften Hoffnungen oermodfjte deiner fxd^
emporjufcfjmingen. San geftanb ficf), bafj roenn bie Ent*
füfjrer ben näd^ften glufj, ber auf roeite ©treßen un«
gelistete Urmalbung burdf)fcf)nitt , jum Sege für iljre
$ludjt gemäht Ratten, »oraugfidEjtlidf» alle Serfucfje jur
Siebererlangung be§ $inbe§ fcfyeitern mürben, ©ogar ba§
Einfdjjreiten ber Seljörben mie ba§ Erlaffen oon Aufrufen
in 3eitungen oerf)iefien unter folgen Sebingungen erfolg«
lo3 ju bleiben.
So<fjen unb Sonate gingen bafjin, ofine bafj man auf
bie leifeften ©puren ber SerfdEjrounbenen geftofjen märe,
bis enbUcf) ber Eifer erlahmte, unb fernere ©dritte al§
nu^Ioä eingefteßt mürben. San neigte ju bem ©tauben
fjin, bajj ber betreffenbe Entführer mit feinem Sfaube einen
anberen Erbtljeit aufgefudt f>abc. ßhtr ba§ mtitterlide
Sangen, ©eignen unb Hoffen fanb fein Enbe. E§ roieber«
polten fid immer mieber bie Serfuc§e, einen 2lriabnefaben
ju entbecfen, ber enbtid, mie in einem Sabprintl), an ba§
unbeirrt im Sluge behaltene 3^ füfyre. Sofß Hielten bie
unabläffigen 2lnftrengungen , benen Sianfa ju folden
3mecfen fid untermarf, ben gebrodenen Körper aufrecfjt;
allein ber gemarterten ©eele boten fie feine Erleid&terung.
Digilized by Google
88
oo n TSeiftn?
©o mürben auS ben fDlonaten $af)re, unb ungelidjtet
blieb baS ©unfel, meldjeS ben 9laub beg SfinbeS umbüflte.
Veit bem ficb ftetS erneuernben ©ram ber tiefgebeugten
Butter ging §anb in $attb, baf} if>r ©emütb oerbitterte.
2öo früher fDfenfdjenfreunblicbfeit ihr ©innen unb (Krachten
beftimmte, ba trat aßmätig mehr unb mehr finftere 21b*
gefcbloffenljeit in ben Vorbergrunb. ©djarf ausgeprägte
©leidjgiltigfeit ^inberte fte, nach gemahnter 2Beife an ber
Vermattung ihres VeftbthumS fitb ju beteiligen. Xbei U
nahmloS bulbete fte, baf$ bie einft ba§ 2luge entjücfenben
©inricbtungen ber Vernadjläfftgung anheimfielen, bie ißlam
tage mit 2lßem, mag ju ibr gehörte, ftd) gleicbfam in ein
(Krauergeroanb f (eibete, baS einem büfteren ©chatten ähn«
lieb fte umlagerte. —
Unb neun $>ahre gingen bahin unb unter biefen bie
erften beg furchtbaren VürgerfriegeS, beffen non fKorb unb
Vranb begleitete ?öogen fid) auch über bie gefegneten 2anb*
febaften beg füblidjen ^entudp h*nrcäläten. SBohin bie
nörblidb oorbringenben Vebeflenfcbaaren famen, roütbeten
geuer unb ©cbmert, um bei ihrem fd^tiefelicfjen 3 u rüd*
roeidjen jerftampfte gluren, krümmer unb 2l[cbenfelber
hinter ficb jurüdplaffen.
2lucb Vianfa’S ^lantage mar ber Vernichtung anheim;
gefaßen. 33iö auf bie maffiuen dauern beg SßobnbaufeS
unb einige 9?egerl)ütten mar 2lßeS ein 9faub ber flammen
gemorben. Vferbe unb SHinber hatte man &u ßriegSjroecfen
oermenbet. (Die ©flauen butten ftd) beim §erannahen ber
©efahr geflüchtet, unb mit ihnen mar Vianfa uerfdjraunben.
Söohin fie ficb roenbete, roufjte Vientanb. $aum baf}
ber eine ober ber anbere ber burdj ben ©cbladjtenlärm uer»
triebenen Vad)barn ihrer noch beiläufig gebadete. Db fte
je roieberfchrte: mer ahnte eS? Unb mer fonnte eg be*
red)nen, mie lange eg noch bauerte, big bie oerreiiftete Sanb*
fd;aft ficb toieber beuölferte, auf ben ©tätten einftigen goI=
Digitized by Google
Roman ®on J3atJain KT?II?auft«.
89
benen grieben§ neues Seben bem banfbaren Erbreid) ent*
fpriefeen, neue $erbe aus ©djutt unb 2lft^e erfteljen füllten.
Es mar eine traurige $eit. Unb bennodj: roaS bebeutete
ber Untergang ber lebten §abe im SSergleid^ mit bem $8er*
Iuft eines geraaltfam oom fÖiutterfjerjen geriffenen Sieb*
lingS? ^ene fonnte erfcfjt merben. fDiefer blieb eine
blutenbe -JBunbe bis §um SBredien ber Slugen.
drittes Kapitel.
®rei ^aljre Ijütte ber auf beiben ©eiten mit gleicher
Erbitterung geführte $rieg amifdjen bem -Rorben unb bem
©üben geroütfjet, unb nod) immer mar fein Enbe abfeljbar.
Ueber unermeßliche Sänberftrecfen jerftreut unb burd) meite
3roifdjenrciume non einanber getrennt, errangen bie oer*
fdjiebenen Slrmeen halb §ier halb bort in blutigen Kämpfen
Erfolge, bie auf anberen ©teilen mieber »erloren gingen.
2lbmed>felnb nad) ber einen unb ber anberen ©eite hinüber
fdjroanfte baS ÄriegSglüd, unb ber $rül)ling beS ^aljreS 1864
Ijatte feinen 2lnfang genommen, olpte bafc einer ber beiben
mächtigen ©egner entmutigt morbcn märe ober juoerftdjt*
lidj auf ben enblicf) entfdjeibenben ©ieg geregnet fjätte.
2Bie man am Sltlantifd^en Dcean unb am ffResifanifdjen
©olf unter fDiitmirfung eifengepanjerter flotten unabläffig
fämpfte, maren audj an ben fDliffouri, ben föiiffiffippi unb
beffen fRebenflüffe: ben 2lrfanfaä unb ben fCejaS im meiten
S3ogen burd)fd)neibenben fReb fRioer 5friegStljeater oerlegt
morben. 2luf bem julefjt genannten ©ebiet ftanben bem um*
fid)tigen SRebellengeneral $rice bie unioniftifd)en ©enerale
ÖanfS unb ©teele gegenüber. SDiefe ftü^ten fidj auf eine ftarfe
flotte friegStücf)tiger ^luBbampfer, bie unter bem Sefeljl beS
Slbmirals porter bei Ijofjem fffiafferftanbe ootn fÖiiffiffippi aus
ben fRcb fRioer fjinaufgebampft mar unb jefjt bie unioniftifdjen
©treüfräfte unterftü^en unb ftromabmcirts begleiten füllte.
Digitized by Google
90
ook 3S«rttn?
©ie gelangte nicht weit, fonbern fuhr ftdj infolge uw
erwarteten ©infeng beg SafferfpiegelS oberhalb ber be-
rüchtigten ©tromfdjnellen feft. 3^re Sage wie bie ber
beiben Äorpg war baburd) eine äufeerft gefährbete geworben,
jumal bie Äonföberirten bie SJiünbung be3 Sieb Slioer blocfir*
ten unb ben Hnioniften bie Bwfuhr abfchnitten. Slur noch
furje $eit reiften bie Stationen; trofjbem jögerten bie
Gruppen, fid^ oon ber flotte ju trennen, bie, unbeweglich
unb baher wehrlos, entweber ben Siebellen preiSgegebeit
ober oerbrannt werben mufste.
Da erfcfeien in fester ©tunbe ein einfadher ^oljfäller
unb glöfeer, StamenS Bailep, unb erbot fkh, bie ©chiffe
ju retten. Slnfangg fd^üttelte man bie ßöpfe $u bem oor=
geflogenen abenteuerlichen Unternehmen. Siachbem er aber
feine $läne entwidelt hatte, ging ber Slbmiral ohne Be^
benfen barauf ein. @3 hobelte fuh nämlich barum, ober*
halb ber ©dhneHen Dämme quer bur<h ben ©trom ju
bauen, baju beftimmt, ba3 SBaffer bis ju einer £öhe ju
flauen, bie e3 ermöglichte, nadj Durchbruch beg §aupti
wehrS bie ©djiffe bicht hinter einanber oon bem furchtbaren
SSafferfchwaU über bie gefährliche ©teile hinwegtragen 5 «
laffen. Der fdjliefeliche ©rfolg war !aum ju bejweifeln;
allein ein Sliefenwerf, ju beffen Bewältigung fonft SJlonate
erforberlidj gewefen wären, binnen wenigen Dagen hetju--
ftellen, war mehr als jweifelhaft. Doch Bailep liefe fid)
burd) feine (Sinmenbungen beirren. Siur bie einjige Be=
bingung ftellte er, ihm bie freie Verfügung über alle nur
möglichen SJiittel einjuräumen.
Die betreffenben Befehle würben ertfeeilt, unb afsbalb
erhob fich ein ©etöfe, ßradjen, ©tiirjen unb Dröhnen, als
ob ein oon 2Betterf<hlägcn begleiteter SBirbelfturm mit oer*
nicfetenber ©ewalt lo8gcbrod)en wäre. Daufenbe oon SJlän*
nern fchwangen auf beiben Ufern bie Siebte, unb wie burd)
Bauber lichtete fid; ber Urwalb. Baum auf Baum fanf
Digitized by Google
Koma» von Saftuiu l£M!I?aufett.
91
gu 33oben, um alsbalb fammt feinem ©eäft gum fEranßport
Ijergericfüet unb an ben ©trom gefdjafft gu rcerben. Sitte
in erreichbarer ttiacfybarfdjaft »orljanbenen Sauroerfe, ©äge:
müßten roie 93Io<f^ütten , mürben niebergeriffen, um ba§
baburdf) geroonnene SJJaterial gu bem S3au gu oerroenben.
$löjje unb Prahme entftanben unter ben regfamen
ben, bagu beftimmt, mit ©eftein belaftet unb nerfenft gu
rcerben.
£ag unb Stacht rcurbe unoerbroffen im SBaffer roie
auf bem £rocfenen gearbeitet. 2Bo -äJlänner erlahmten,
ftanb eine hoppelte Slnga^l anberer bereit, an beren ©teile
gu treten. $n ber Segeifterung , mit ber man bie le|te
Äraft baran fe$te, ben ©rfolg gu fidlem, terrieth ftd), baf$
jeber Güngelne bie broljenbe ©efa^r nicht unterfdhäfcte, ber
Perantroortlichfeit flc^ bercufet roar, bie auf ihm, roie auf
aßen Slnberen laftete. @8 ermutigte gugleidh bie Seobad^s
tung, bafj fdjon am brüten £age baß Söaffer unterhalb
beß §auptroehr8 fiel, oberhalb bagegen bie ferneren Dampfer
fid£) in ihren feften Sägern gu regen begannen. SJlefyrte
ftch aber bem nur langfamen ©mporroachfen ber $5ämme
gegenüber roirfUd^ bie 3aljl ber 3 roe ‘f^ er / f° blieb Paüet)
in feinem Vertrauen auf baß ©elingen be§ SBerfeß un»
erfchütterlidf). Ueberatt roar er gut §anb. 2So man »iel*
leidet jagte, fdhöpfte man neuen SHuth auß feinem Peifpiel.
2)od) auch bie nähere unb weitere Umgebung rourbe
nicht aufjer Sicht gelaffen. 9ttan roufjte ftch einem oer»
roegenen Heerführer gegenüber, bem gugetraut roerben burfte,
bafj er, nad^bem er Perftärfungen an ft<^ gegogen, unter bem
©dfjufj oon Salbungen unb Pobenerhebungen plöhlich roie
ein ©eroitterfturm auf bie Pebrängten ^ereinbrad^, unb
roar auf ber Hut. Patrouillen burchfireiften baß Sanb
nach aßen ^Richtungen.
ÜRamentlidh leifteten gute SDienfte alö Äunbfc^after bie
am Slrfanfaß angefiebelten Gljerolefen unb ß^octaroS, bie
Digitized by Google
92
JE«rd5t P£>!i Seiten?
ftch halb nad) SluSbrud) beS 5lriegcS auf bie ©eite ber
Unioniften gefdjlagen Ratten. Sitglieber attberer ©tämme
gelten gu beit ©eceffioniften, unb fo erlebte man, ba|
barbarijdie Srätidje, bie man längft oergefjen glaubte, Ijier
unb ba wieber jum Seben gelangten, Kriegsbeil unb ©falpir»
mejjer ihre unheimliche 9loHe fpielten.
SDer führte SBau beS StiefenwerfeS hatte bereits eine
Sodje gebauert, unb nach 2lblauf breier weiterer Stage
hoffte man mit bem ©urdjbrechen ber ©chleufen beginnen
ju fönnen, als in ber Entfernung einer Sagreife öftlidj
non bem ©trom jwei oon bem ©eneral SBanfS entfenbete
Kunbfchafter ihren Seg nörblidh oerfolgten. %n einer
trodenen OueErinne unb überbad^t oon bid)ter Salbung
einherfchleichenb, fugten jie einen jdjmalen Nebenarm beS
3leb jRioer ju erreichen, um in beffen tief geroühltem S3ett
ihre Sanberung fortjujefcen.
SSorauf ging ein im fräftigften SanneSalter ftehenber
£hoctaw*3nbianer, befannt unter bem jJiamen Kintaduhfa,
ber fdjon bei oielen ©elegenljeiten ftch als ebenjo geroanbt
toie juoerläfftg auSgeroiefen h°tte. 3h m auf bem gujje
folgte ber UnionSfapitän Ebwarb Eoanbale, ein hodj unb
Iräftig gebauter Sann, ber oon ben einjtigen ^Bewohnern
ber heimatlichen Plantage tro§ beS ftarlen braunen 23art=
toudhfeS ficfjer fofort als ihr junger #auSgenoffe wieber*
erfannt toorben märe, jo wenig hatten bie formen beS
wettergebräunten hübfd^en ©efidjteS fid) oeränbert. Eine
gefährliche Slufgabe war eS, ju ber er fid;, oon Xhaten--
burjt getrieben, erboten hatte, inbem es nid;t genügte, über
bie ©teEung ber feinblichen ©treitfräfte ©ewifjheit ju er*
langen, jonbern jich auch über beren in nädjfter 3eit
geplante ^Bewegungen ju unterrichten. SaS aber einer
ftärferen ifktrouifle nicht möglich gewefen wäre, auch nic^t
bem oerfd)lagenften Eingeborenen auf ©runb beS mangel*
haften SBerftänbniffeS ber englifd;en ©prad;e, baS hoffte er,
Digitized by Google
Roman non SSar&uin 3 ftöH$attfen. 93
Beraten burd^ bcn fc^arffinnigen Braunen $äger, am fidfjerften
allein ju erreichen.
5Die ©omte näherte fidE) ber weftlicfjen Sßalbung, als
bie Beiben ©efälirten not bem gefugten ^lufjbett eintrafen.
23eoor fte Ijinabftiegen, prüfte ßintaslulifa argwöljnifdj bie
©puren, bie er jwei £age früher, als er nad) Entbedung
einer oorgefdjobenen gelbwadlje ben Siüdweg nad} bem
9teb SRioer antrat, bort ausgeprägt fjatte. damals Begleiteten
iljn jwei junge 9Ränner feines ©tammeS, bie ficfj aber oon
ilpn trennten, um bie ^Bewegungen ber geinbe S u über*
machen.
2Bie er fuf> üBerjeugte, roaren feine §äf>rten oon feinem
anberen berührt morben, ein fidlerer ^Beweis, bafj bie
gegnerifd>en Äunbfdjafter bie fRinne überfefjen ober nid)t
Beadjtet Ratten, dagegen lenfte er Ebwarb’S Slufmerf*
famfeit auf einen §afelfdjöfjling gerabe in ber 2Rünbung,
beffen fjeroorragenbfte ©pijje fo eingefnicft mar, bajj bas
SBrudjenbe ftromabwärts wies.
„2Bir werben bie Surften finben," Bemerfte er juoer»
ftdEjtlicf); „eine ©trede ftromaufwärts galten fte fiel) oer*
Borgen." 2luf eine ficlj nur wenig auSjeidjnenbe Staudas
wolle jeigenb, bie, oon iljrem Isolieren ©tanbpunfte aus
ficf)tbar, in ber Entfernung einer falben englifd^en -3Reile
nebelartig oberhalb ber im erften ©rün prangenben Saum«
wipfet in ber ftiHen 2ltmofpf)äre f)ing, fügte er tjinju: „®er
SErupp lagert nocf) auf berfelben ©teile. 2lnbertljalb $ufsenb
müffen es fein, ©ie finb mifjtrauifdlj. SEag unb SRadjt
ftreifen fte untrer. ©ie fürsten bie SRälje ber Unioniften.
2lber iljre Slugen finb bie eines SRaulwurfS. $>er SBljiSfp
trübt fte. ©ie oerfteljen nicf)t, eine ffäljrte feftsufjalten."
Er neigte fid> ü6er ben Uferabljang. Sßon bem fünfte
aus, wo er ftanb, betrug eS gegen breijjig $u|5 T>ig ju bem
^lüfjd&en hinunter, baS, jur $eit nur wenig 2Baffer füljrenb,
faum ben britten Xljeil ber ©cf)lud[jtfoljle bebedte. ©trom*
Digitized by Google
9(>
MltTd?« »oh 33ci6eit ?
Jungen an fiel; jief)t unb einen ©djlag oorbereitet. $d) befinbe
mid; nämlid) mit meiner ^oc^ter auf ber $lud)t oor ben
iRebeßenabtfjeilungen, bie baS Sanb burd)freujen unb mefjr*
fatf) mein ftiHeS länblid)e§ §eim gefäfyrbeten. 2lu&er einigen
SebenSmitteln Ijaben mir Jaum mefyr als baS nacfte £eben
gerettet. ©S lag alfo bie bringenbfte SBeranlaffung oor,
anftatt über bie 3roede ber feinblic^en Raufen mid) ju
unterrichten, ihnen meit auS bem 2öege ju gehen. ©eit
einer 2öodje irren mir umher, immer mieber burdj Sie*
beQenpatrouißen ju Umroegen ober längerem 2Sermeilen in
einem SSerfted gejroungen. §offte ich aber geftern, bie
größten ©efafjren hinter unS gelegt ju Ijaben, fo mufjte
ich heute erfahren, bajj gerabe in biefer ©egenb ju jeber
©tunbe ein böfeS 93erhängnif$ auf uns ^ereinbre^en
fann."
„$aben bie ©ecefftoniften befonbere ©rünbe, auf ©ie
SU fafynben?" fragte ©broarb jrceifelnb.
Der grembe mürbe unruhig. „DaS nid)t," antmortete
er nach furjern ©innen mit einer geraiffen 3 urüc f^ a ^ tun S»
„mer aber fönnte fidf) rühmen, oor ihren SJlifshanblungeit
beroaljrt $u bleiben, menn man einen Unioniften in ihm
argroöljnt? 3><h benfe mit ©rauen an einen gemiffen
Sßaughan, ben ßommanbeur einer meiter jurüdliegenben
Slbtljeilung , ber midj auf meinem £anbfi$ nicht nur be»
läftigte, fonbertt auch fchroer bebroljte. ©in magrer Deufel
in SJienfchengeftalt ift er, ber feine größere 23efriebigung
fennt, als auf ben blojjen SSerbad^t ber ©pionage f)in
Seute Rängen unb füfiliren ju laffen. 3Bie fo mandjer
Slnbere, mürbe auch idj meinem ©chidfal nid;t entgegen,
geriete ich in feine §änbe. D, idf) fenne ihn, fenne ifjn,"
fügte er erbittert ^inju, unb mie in SSeforgnifj, juoiet ge»
fagt ju ^aben, gab er feinen ÜÜJltttljeilungen eine anbere
■JBenbung: „Söäre an mir felber nidjt oiel gelegen, fo
frage id£j, meinem fürchterlichen Soofe fiele meine Dodjter
Digitized by Google
Roman von JSaßmn WolTljanfcn. 97
anheim, ftänbe fie inmitten beS non f^einben über«
fdpoemmten Sanbes allein unb ljilfloS ba?"
Stffeitnaljmuoll falj ©bwarb auf ben fidjtbar fdpoer be*
brüdften $reinben nieber. 2Bar feine gurdjt »or ben 9ic=
bellen unter ben obwaltenbcn SBerljältniffen erflärlid), fo
erfdpen ißm anbererfeitä rätßfelljaft, baß er jur $fud)t ben
2ßeg mitten jroifdfjen ben serftreuten ^ruppenablßeilungen
ßinburdß mäl)lte. (Sr errietß, bafs feinem SBerfaßren wie
ber 3$erfleibung ein ©eßeimntß ju ©runbe lag, weldjeö
S» offenbaren er fürdjtete, oermieb aber, weiter in ißn su
bringen, unb befcßränfte ftd) auf bie $rage uad^ feinem
3id- 2Uö nädjftes nannte ber fyrembe ben fReb fRioer ; uon
bort auS gebeitfe er »ielleidjt unter bern ©cßuße ber Unio=
niftcn ben fBtiffiffippi ober bie Hfcereöfüfte ju erreichen.
(Sr fnüpfte baran bie '-Bitte, (Sbwarb auf feinem Siüdfwege
begleiten su bürfen. ©ern willigte biefer ein, gab aber
ju bebenfen, bafi er unter fold;en ^Bedingungen gezwungen
fein lönne, einen ober mehrere Xage in feinem SßerftedE
auSjufjarren.
®ie ©oitne war um biefe $eit f° tief ßinabgefunfen,
baß fie bie ßödjften ©pißen ber Söaumwipfel berührte.
®er (Sßoctaw trieb jur CSife. (Sine furje SSerabrebung traf
er nod) mit bem gvetnben, bann trennten fie fidj oon ein*
anber. (Srfterer entfernte fid; in ber 9linne aufwärts,
wogegen (Sbwarb unb fein brauner fyüßrer an baS $luß«
bett juriid fd)lid;en unb in baffelbe Ijinabftiegcn.
Söäßrenb fie, unabläfftg feßarf um fid) laufeßenb, if;ren
2Beg ftromaufwärtS an bem feiert riefelnben ©ewäffer ßin
»erfolgten, beßielt Äintadußfa bie llferabßänge fortgefeßt
im 2luge. ©ie fenften fidj atttnälig bis ju einer $öße
»on adßtjeßn bis jwanjig $uß unb waren oon ben bort
jeitweife einljcrfturjenben {£lutßen fo tief unterwüßlt
worben, baß mit ben entblößten SBurjeln nod; fteßenber
'-Bäume bie jäße ©raSnarbe fammt baran ßaftenbem (Srb*
JS95. IV. 7
Digitized by Google
* *. r*i
<)g von 3ßei&en?
reid; als eine 2lrt 33ebad;ung fid; bcm fylufe juneigte.
SBor einer biefer 2luSl;öl;lungen blieb ber Gf;octam ftcf;eu.
©iitnenb betrachtete er baö 2öurjel* unb $afergemebe, baS
gcmcinfdjaftUd; mit angefd;roemmten ©räfent unb Steifem
t>orhangäl;nlich ben ©ingang üerfd;leicrte. ©egen jcf;n §uf}
oberhalb ber ©djludjtfohle Iiegcnb, ragte bie §öf;lc mehrere
Schritte in bie Grbmanb hinein. 2)aS ©urjelcnbc eines
oor fahren feines kaltes beraubten niebergebrochcncn
23aumeS bilbete gcmiffermajjcn eine ©d;uijmchr oor ber
Deffnung. SJtit ben oerraitterten rinbenlofen 2leften fid;
in bem ^lufjbett ftü^enb, ermöglid;te er cS, ohne auffällige
©puren in baS SßerftedE hinein ju gelangen.
Söieberum Icnfte ber ßhoctam bie S3Hefe be§ ©cfährten
auf eine burd; ©inlnidett eines ÜSurjelenbeS ^crgefteECteä
3cid;ett unb bemerlte : „2Bir hätten fie fc^on fel;en muffen,
mären fie nid;t gel;inbert roorbett. §offentlid; gerietf;en fie
nid;i in bie ©emalt ber ©i'tblidjen. ©in brauner SDtann,
bcm fie nid;t trauen, gilt ihnen nid;t mehr, als ein Dpof=
fum. ©ie fdjlagen if;n tobt."
©ic fetjten fid; roieber in Scmegung unb fd;lid;en mit
erhöhter i8orfid;t bis ju bem näd;ften, burd; eine Biegung
beS $lüfjd;cnS entftanbenen Sßorfprttng. 33el;utfam um if;n
herumlugenb, reid;ten il;re 33licfe bis ju ber ©teile, mo
bie ©d;lud;t aus ihrer §auptrid;tung fd;arf abbog, unb
auf ber Qnnenfcite beS SBinfclS baS Ufer als eine 21 rt
Hap mit fd;roffeit SSänben in baS Flußbett hineinragte.
CSottjcliuitQ futflt.)
Digitized by Google
Jin 5er ($ren?e.
Örjäbfung von B. fr. Xutfli»0rff.
tttit SWiiflrationtn von R. Rirc§er.
<nad?t>ru(f verboten,)
1.
|||fpnmeit be§ Kurortes 9toljitfdjs©auerbrunn in ©üb-
fteiermarf liegt bie 3 ottftation Soglajen. Säefclbc
beftanb im ^afjre 1847 auä nur wenigen Käufern. Sie
©trafte non ©teiermart nadj Ungarn führte über beit
^arijbad), fnapp cor ber 23rüde erf)ob fidj bie gottfdjraufe,
ftanben bie fdjmarjgelben ©renjpfäfjle, wäfjrenb uom jctt--
feitigen Ufer bie roeifj=rotb=grün geftridjenen ©djranf'cu
fjerüberteudjteten.
$er 21mt3uorftanb biefer ©tation mar ein nodj junger
•Oiaitn, .§cinridj o. ©pliigen, ber ©ofjn einc§ öfterrcidjifdjcn
Offiziers. .vjeinridj Fjatte bie Älamcralmiffenfdjaften ftubirt
unb feine Prüfungen mit gutem ßrfolge abgelegt; ba e 3
ifjm aber gänjlid; an jeber ^Sroteftion mangelte, er aud;
bie Mittel nidjt befafi , fidj bei einem fiameralamt burd;
eine oft viele ^af;rc mötjrenbe unentgelblidje s }>raftifantcn=
Sienftjeit 511 crfjalten, fo mufjte er mit einem fleineit,
sientlid; auofidjtcdofcn -poftcn uorlicb neunten, ber gcrabe
fo viel an ©cfjalt abmarf, bajj man notdürftig baooit
leben tonnte.
©ein ^jerj gehörte nidjt ben $amcralmtffenfdjaftcn; er
batte baS Solbatenblut feines 5ßater§ geerbt, unb wenn
27541 fi
Digitized by Google
» * —
100 *n 6tr •««?*•
er fo in feiner fleinen, niebercn Stmtsftube am ©cljreibtifdfj
faß unb bie Sollredfjnungen prüfte ober bie $äffe oifirte,
füllte er ftdj meift tief unglüdlicß.
©ein SSater fjatte if;n gurn Beamten beftimmt, ba bie
militärifdje Saufbafjn leine Stugfid&t bot. Sie breiig:
jäfjrige ^rieben§jeit, bie ben napoleonifcßen Kriegen folgte,
braute feine Seförberungen, eg gab £ieutenantg mit oier=
unbgmangigjäfjriger Sienftgeit, unb mer eg big gutn §aupt«
mann ober Sfittmeifter gebracht fjatte, mürbe fdjoit alg ein
gang befonbereg ©lüdsfinb angefefjen. Ser fteine £ein=
ridj mudjg in ber ©djmabron auf, in meldjer fein Später
biente, er mar ber Siebling ber gemeinen Dragoner unb
bag befonbere ©dljoßfinb bes brummigen unb bärbeißigen
SBadjtmeifterg. tiefer Ijatte eg fidj in ben $opf gefeßt,
auä bem jungen einen Sfeiteroffigier Ijerangubilben, toie bie
gefammte ^aoallerie Defterreidjg feinen groeiten aufgumeifen
Ijabe, bei bem gemanbten Knaben fanb er aud; bas »ollfte
(Sntgegenfommen, fdjon mit gmölf ^nßren fonnte ber Heine
©plügen alg fertiger Leiter gelten.
Stilen biefen fcfjönen Sräumen bereitete ber SSater ein
jäfjeg ©nbe. §einricfj mürbe in bie ©tabt getfjan, begog
im £aufe ber ,3eit bie Uniuerfität unb mürbe enblidfj 3ol(:
unb ^}aßamtg:S3orftanb an ber uitgarifdjen ©renge am
Qarigbadfj.
'Ser eingige S3erfeljr, ben ©plügen fjatte, mar ber Sipo;
tfjefer beg Drteg, ber gugleidj Slrgt, barbier, Krämer unb
Defonom mar. 3 W bem fnm §einridj manchmal in’g §aug,
aber er fanb bort fein SSerftänbniß. Dgrifegg, ober, mie
er fidfj lieber nennen Ijövte, Softor Dgrifegg, fjatte nur
©inn für ©elbermerb, mag barüber ßinaugging, begcicfjnete
er alg leere Sllfangereien, in feinen Singen fjatte nur ein
praftifdfjer SRann einen Sßertfj, unb |>err o. ©plügen mar
ifjrn ber ^ngebriff eineg unpraftifdjen SJienfcfjen.
3m Sommer madjte Jgieinric^ meite Stusflüge in’g
Digitized by Google
ÖnS^fung t>on 13 . v. Jti?c§&£>rff.
101
flooenifte 2anb. 92adj Ungarn fatn er nie hinüber, ob*
n>of;£ bie ©renje burd; einen ©teinmurf ju erreichen mar,
er ßaßte bie ißaßplacfereien. Ungarn fuc^te bamals feine
©elbftftcinbigfeit burt ein oerfdjärfteS $aßmefen j\u be=
tonen, unb obgleich §einrid;’S SlmtSfollege non jenfeitS beS
^argbateS ißn red^t moßl fannte, mußte er bot nur flu
gut, baß iljm aud; nid;t ein titelten aU’ ber ©tcrereicn
geftenft merben mürbe. $er Slpotßefer ließ ißm jeitmeife
feinen ©aul, unb ba er com Sater ererbtes ©atteljeug
befaß, fo oergaß er auf bem Stücfen beS $ferbeS ßin unb
micber fein momentanes @lenb.
©o fam ber SBintcr in’S £anb. SDer Kurort ©auer=
brunn rüftete firf) jur 23eranftaltung beS alljährlich am
25reifönigStage ftattfmbenben großen Sattes. $ie 33abe;
uerroaltung gab $u biefem 3mccf ben oon ben Sanbftänben
ncuerbauten ©aaf ßer, bie SBanbelbaßn mürbe in Heine
Staunte abgetßeilt, rcorauS Staut* unb ©pieljimmer ge;
matt mürben, furj, bie fonft feßr einfachen Sofalitäten
rcpräfentirten ftdj im ßerjenglanj gaig oortrefflit-
43einrid^ hatte feine £uft, ftdj an biefer $eftlitfeit *u
beteiligen. @r mar gerabe über Jßelben’S ,,©efdfiid)te ber
Xaftif" gerätsen unb hatte fit ganj oertieft in biefeS SBerf.
®er 2Ipotßefer aber rebete ißm ju, bot mit nat ©auer»
brunn ju fommen. 2Benn er fit «ut nitt am Stande
beteiligen molle, fo mcrbe ißn baS geft bot einigermaßen
jerftreuen, unb fo ließ ftt §einrit Überreben, ben SaU
mitjumaten.
Ißünftlidj jur feftgefefcten ©tunbe erftien er im 2tpo=
tßeferßauS. 2öic aber ßatte er fit ueränbert! 2>er $-racf
ließ feine fd;öne $igur prädhtig jur ©eltung fommen, unb
mie ber junge Wann jefct oor bem Slpotßefer ftanb unb
fit trnr gräulein Sltnalia, ber Dotter beS §aufeS, ocr;
neigte, fonnte er jebem oorneßmen ©alon jur 3ierbc ge;
reiten.
Digitized by Google
102
An Ser ®renje.
Ser ©dritten führte bic fleinc ©cfcllfdjaft im $lugc
nad) ©auerbrunn. Ser Sang fjatte bereits begonnen.
9ticinanb beamtete bie 9feuangefommcnen fonberlid;. 3>n
einem 2lnfaHe oon SDiitleib bat §cinrid; bie SlpotljeferS*
todjter um eine ^olonaife, bic fie iljm freunblidj gufagte.
Sa jebod; nod) eine Steife »on Siunbtängen bagmifdjen tag,
fo Ijatte er 3eit unb ©elegenljeit genug, baS anroefenbe
fßublifum gu muftern.
(Sine unfidjtbare, aber trotjbcm fetjr folibe ©djeibemanb
ging mitten burdj ben ©aal, ober beffer gefagt, fdjnitt
eine (Sde bcS ©aateS ab. Sicfe Heine bcfdjcibcnc (Sde
gehörte ber bürgerlichen ©cfeltfdjaft, bie ben 23aE ocrans
ftaltet hatte unb für bie Soften auffommen muffte; bic
anberen gmeibrittel nafjm bie eingetabene 2lriftofratic für
fid; in 2lnfprud;. 3» gafjlreidjcn ©dritten roaren bie 9Jiag«
naten mit ihren grauen unb Södjtern aus Ungarn unb
Kroatien fjerübergefommen. Sie .fjcrrfdjaften Ratten für
bie bürgerliche ©efcllfdjaft feinen 93Iid, langten unb unter*
hielten ftcf; nur untereinanber, mit einem 2ßorte, fie traten
fo, als fei aufjer ifjnen 9iiemanb im ©aale anroefenb. Ser
bürgerlichen ©efcllfdjaft aber fiel eS audj nicht im Sraunte
ein, biefe ©djranfe burdjbrcdjcn gu mollcn. ©eit 3)ienfd;cn«
gebeuten mar ber Sreifönigsball in ©auerbrunn fo roic
heute ocrlaufcn, unb es mar gar nicht cingufefjen, marunt
cS auf einmal anberS fein folltc.
©plügen fam biefe bürgerliche ©efcUfdjaft unfagbar
lächerlich uor. Sffiit fritifdjem Slide bemerfte er, mie bie
grauen fid) bemühten, in ©tcllung unb 33emcgung bie
ariftofratifdjen Samen nadjgualjmen ; mie bie jungen Seutc
alle Slnftrengungen madjten, um jene ©emanbtfjeit gu fopi*
ren, moburd) bie Slaoalicre fid) fo oortljcilfjaft auSgeidjne*
ten. $einrid) füllte rcd;t bcuttid;, baff er gur uorneljmcn
©cfcHfd)aft gehöre, feine untergeorbnete ©tcllung oermieS
ifjn aber gelüeterifd; in bie bürgcrlid;e (Sde. (Sin tjeirn*
Digitized by Google
tfrwljrmtij von t>. 103
licfjcr ©rot! nagte au tf;nt, er ärgerte ft cf), baff er fief; f>attc
überleben raffen, beit 33aff mitjuntadjen, ber ifjm für feinen
©tof,} nur eine bittere Tcntütljigung brachte.
Tie klänge ber Vofonaife roedten if»n auS feinen Trau*
utereien. Gr eilte 51 t feiner Tänjerin, bie if;n mit Unge*
bulb ermartet, oerneigte fid; oor if;r mit betn ooffen 2 fit=
ftanb unb ber ©id;erfjeit eines SBeftmanneS, bot if;r beit
2frut unb trat mit if;r in bie 9tcif;e. Tie fßolonaife «er*
lief bis juin ©d;lttf) of;itc Störung, als aber ber 2frrcutgcur
eine ^ßromenabc fomntanbirtc, trat ein anberer §err oor
unb ocrftelftc (Splügen unb feiner Tättjerin beit 2öcg.
Splügen, feine Tante ttod; immer am 2frm, roanbte
fid; ju beut $ernt unb ntadjte if;n barauf aufmerffam,
baft bie Tour jetjt nid;t an if;itt fei, ttttb baff er roieber
in feine Steifje surüeftreten möge. SJtit erftauntem 23licf
f;örtc if;n fein ©egenüber an, brcfjtc if;m bann, offne ifjtt
einer 2 fntmort 31 t roürbigen, beit 9t liefen, reichte feiner
Tante ben 2frnt unb fdjnicbte mit ifjr baoon, bem oer*
bfiifftcn (Splügen baS 9?ad;fef;cn überfaffenb.
ffräufein 2(malia f;attc mit 3ittern am 2(rm iljreS Tätt*
j$erS gegangen, beffen eben nodj bfüfjenbc ©efid;tSfarbc freibe*
toeifj gemorben mar.
„Ilm ©otteS toiffen §err o. Splügen fagte fic jc|t,
„roaS für eine cntfcljlid;c Taftlofigfeit f;abcn ©ic begangen!
Stein, baS ljätte id; oon ^fincn nid;t ermartet! TaS mar
ber ©raf SJtogoöfjiijt; , ber rcidjfte SJtagnat jenfeits bet-
örende, er tätigt mit ber ©räfiit Staboüfaofjcoic, fd;attcn
©ic nur, mic fid; bie Tante ttad; uns umfdfaut — nein,
$err 0 . ©pfiigen, id; möchte am (iebftcn in bie Grbe oer*
finfen."
©pftigen ermieberte fein SBort. Gr führte baS SJtiib*
d;ett ju if;ren Gftern, burd; eine ftutnme Verbeugung oer*
abfdjiebcte er fid; oon feinen 2tad;barn.
Ter 2(potf;cfcr, ber oon feinem ©ifje aus ben fteinen
Digitized by Google
104
Rn 6er ©reit«.
3mifdjenfaIF qletdjfatlö bemerFt Fjatte, fanbte ifpn einen
giftigen 331icf nadE). „2öaS tjat’S benn gegeben, Slmalia?"
fvug er feine £od)ter. „!3ctj glaube gar, ber aufgebtafenc
Saffe, ber unpraFtifdje -iBlenfctj, mar Fed gegen ben ©rafen?
.ffätteft if)it foHen gleicfj fielen taffen, ba hätten bie $err;
fdjaften menigftenS gefetjen, bafj Söitbung t)aft, baff
mir eine gute gamilie finb, bie meifj, ma? fic^ gehört."
„3cf) Fjabe otpieFjin bagegen gefprodjen, it)n fjiertjer mit»
junefjmen," tnifdjte ftd) bie Butter in’ö ©efpräd).
tjabe ben 9Jtenfdt)en mit feinem uornetjmtFjuenben 2öefen
nie teiben mögen, aber unfer 33ater Fjat im SBaHfaat mit
iF)tn grofjtljun rooFfen, baä f)at fid) aber gerädd, unb ict)
miß nur roünfdien, bafs bie gräfliche Familie eö unS nidjt
entgelten Faffcn mirb."
„2Ber ift benn eigentlich biefer junge |>err?" frug eine
tFjeilnetjmenbe fftacljbarin. „(Sr fdjaut au§ mie ein ®ava--
tier, unb ber 9leib muff e3 ifjm Faffen, er ift ein bilbljübfdEjer
SJJenfcF», man Faun ifjn uon unferen $errfdfiaften gar nicht
unterfdfjeiben."
,-,2öer er ift," entgegnete $rau Dgrifegg, „fann idj
^tjnen fagen. (Sin armer §unger(eiber ift er, ben mir
heute auä SRitteib F)ierljer auf ben Satt gebraut tjaben,
aber nie mieber gebe icij midj *u fo einem (Sjrperiment
her !' y
3BaF)renb über §errn u. ©pliigen in biefer Sßeife ab;
geurtFjeilt mürbe, ging berfetbe quer burdj ben ©aal, fein
SFuge fudjte ben ©rafen. SDiefer ftanb heiter plaubernb
in einem $rei§ uon jungen ®amen, Feine ©pur uon (Sr=
regung mar an if)tn fidjtbar, er Ijatte offenbar ben Fleinen
2luftritt non uorljin gänslich uergeffen. ©pliigen beobad);
tete ben ©rafen uon einer ©de be3 ©aaleS au§; er mar
eine Ijodfygemadjfene, ariftofratifcfye (Srfcljeiming mit etroaS
uerFebten, aber geiftreicljen giigen, §aar am ©djeitcl
mar fpärtid;, an ben ©d;(öfen fctjon ftarF ergraut, ber
Digitized by Google
Ärjü(?r«n<5 von 5. t>. ifcßiorff. 105
©raf modjte immerhin bie künftig fdjon überfdjritten
haben.
®ie einfallenbe Xanjmufif rief bie ifkare in ben ßreis,
ber ©raf, ber offenbar nur eine ^flidjtpolonaife getankt
batte, Hemmte ba3 9)fonocle in’ö 2luge unb fab ben babin=
fdjroebenben SRäbdben mit b^terem $8lide nad). liefen
Moment benützte ©plügen, trat an ben ©rafen heran, oer-
beugte fidb flüchtig unb fagte:
,,©raf SJiogoöbäjp b a & en meine frühere Anfrage feiner
Sfntmort gemiirbigt. ®arf ich je^t um bie ©rflcirung bitten,
mit meldjem ÜRedjte ©ie mir in ber ^olonaife oorgetreten
finb? SDlein üftatne ift §einricb o. ©plügen."
®er ©raf oermanbte feinen Süd oon ben Xanjen*
ben, er lädjelte in ftd; hinein, furj, er betrug ftd), al3 gebe
e§ gar feinen ^errn o. ©plügen auf ber Söelt.
^n §einridj’§ innerem fod;te e3. ©eine ©timrne Hang
metallbart, al§ er bem ©rafen noch einmal feine Sfnfrage
roieberbolte.
9?un mürbe SRogosb^i) aufmerffam. @r betradf;tete
ben Sprecher, au3 beffeit 2fntli£ jeber S3 lutstropfen ge-
midjen mar, mit falten 33liden unb fagte: ,,9ttöglid}, baff
id) Sbnen früher in ber ^olonaifc oorgetreten bin. 9Ba§
Sie aber barüber für meitere ©rflcirungen roünfdjen, begreife
idb nidjt."
„Sie rnerben mid) oielleicht beffer begreifen, ©raf 3Ko-
goSlfäjt), menn idj Sbnen fage, baff ich midf burch Sb r Be-
nehmen oerlefjt fühle, unb baff ich für bie mir angetbane
Seleibiguttg ©enugtbuung oerlaitgc."
„§err!" entgegnete ber ©raf. „Silber mar mir bie
©ad;e fpaffljaft, nun treiben ©ie ben ©djerj ju mcit.
SBenn ich jebem $eberfud;fer ©rflärungen geben füllte
über mein 2bun unb Saffen, ba märe ich überangeftrengt.
Saffen ©ie eä ftcf> bamit genügen, unb roenn Sic fonft
noch etmaä reünfdjen füllten, fo meubeit ©ie ftd; an meinen
Digitized by Google
106
®n 6er ®renje.
SBermalter, bn3 ift jener biefe §crr bort, ber mit ber
SlpotljcfcrStodjtcr langt."
„Zft baS 3fjr Icljtcö Sßort, ©raf fDiogo3fjdj;t)?" frag
Splügen mit vor Grregung jitternber Stimme.
„©ernifi ift c<3 mein le^tcö Söort. $>ebcr an feinem
^la£e, imb 3cbem ba3 Seine. $dj an ber Magnaten*
tafel, unb Sie, junger $err, an ber Zollfdjranfc!"
Splügen fafj bem langfam ©avonfdjrcitcnbcn mit jorn*
fitnlelnbcn Singen nadj.
So leife fid; and) bic ganje Saelje abgcfpielt Ijatte,
ber SBortmcdjfel mar bodj von mehreren Seiten bemerft
tvorben. Splügen mar eine neue ©rfdjcinuug in Sauer*
brunn, bic bürgerlichen Greife mufften nidjt redjt, moljin
er einjutfjeilcn fei; bie Slriftofraten, bie fidj untercinanber
Sille fannten unb beiten audj bie 83ürgcrfreife nidjt fremb
maren, nannten erft 9?oti} von feiner 5)3crfon, als fie iljn
fo nadjbri'tdlidj mit bem ©rafen SJlogoäljdjij fpredjen fallen.
„2Sa3 Ijat’3 beim gegeben, ©epja, f;aft ©u Streit
gehabt mit bem jungen SRenfdjen, ber bort an ber Säule
mie angemurjelt fteljt unb ©idj mit gtüljenben 23liden
verfolgt?" fo frug ein alter Magnat ben ©rafen.
„Streit?" cntgcgnctc biefer, „Streit habe idj mit biefem
SBurfdjen nicht gehabt, idj Ijabc ihm cinfadj feinen Staub*
punft flat gemadjt, baö ift 2HIe§."
,,©u hätteft ba§ nidjt tfjun füllen," erraieberte ber alte
.§crr. „®u meifft, ©eij^a, mie jetjt bic SScrljättniffe liegen,
mit mcldjem SJiijjtraucn mir von ber Siegierung beobadjtct
merben. SSielfcidjt ift ber Sfienfdj ein politifdjer Sfgcnt,
einer au3 ber SBaitbc bc3 fyrciljerrn v. SBruitcd, ber unS
am liebften Sille in ben Werfern bc3 SpielbcrgS fefjcit
möchte."
„®a fauit ich ®idj beruhigen, lieber Sllter. ©er junge
$crr ift Zollbeamter unb feit ungefähr brei 9)ionaten in
23oglajen im Slmte. 3;dj fjabc mich moljl unterrichtet, ma3
Digilized by Google
firjä^fung von V. v. XqcQborff.
107
für eine SPcrJönlidjfcii von Sßien auS an nufere 3°fl ;
fd;ranfcn gefegt wirb ; bie lange Stange bort ift gänjlid)
Ijarntlofcr SRatitr, wenn id; iljn red)t »erftanben l)abc, fo
ljat er rnidj mit einer ^erauSforberung bceljrt, baS tljut
fonft wof)l fein politifdjer 2 (gent."
„§aft ©u bie gorberung angenommen?"
„2So benfft ©u F>in ! $>d) l)abc jefjt 3Bid)tigcrcS ju
tl)un, als mid) mit einem jungen fiaffen Ijeritmjufdjicjjcn,
id) Ijabe ifjit furj ablaufen laffen, unb glaube, baf) bamit
bie 3ad)e erlebigt ift."
,,3d) wollte in ©einem unb unferer 2lHer ^ntcrcffe
wüitfd)cn, baß fie eS wäre! 9iur jct)t, in biefer 3 cit
9htl)C unb 23efomtcnl)eit! ©u bift trotj ©einer ^aljrc
immer nodj 51 t fjcifjblütig, eS bleibt ju überlegen, ob
mau bem jungen 9Jlann nid)t bod) feinen 2BiHcn erfüllen
foH."
„2Bie ©u glaubft; idj überlaffe eS ©ir unb ©einem
□Tafte, bie Slngelegcnfjeit ^u fdjlidjten, unb bin im voraus
einoerftanben mit allen ©einen Verfügungen."
©ie Herren fdjüttelicn fid) bie §änbc, ber 9Jiagnat
fudjte Splügen im ganjen Saale, in ben 9iaud)= unb
Spielzimmern — ocrgeblidj! §einrid) war, offne ftd) von
IJemanb zu oerabfd)iebcn, vcrfdjwunben.
9
<_ .
$n feinen llcberrod gefüllt, ben Gplinber tief in bie
Stirne gebrütft, fcf;ritt Splügen auf ber befd)neiten Strafe
rüftig ciitf)er. GS war bitter fatt, bie Sterne funfeiten
am .fSir.imcl, ber Sd)itec f narrte unter feinen ©ritten, er
aber fiiljltc bie Halte nid)t, in feinem Innern ficbete baS
33lut. (St l)atte einen weiten 2öeg vor fid), bie 3oHftation
wollte er unter allen Uinftänben vor Sdjlufj beS ValleS
nod) errcid)cn. Sein ftäljlcrner Söillc lief) if)it feine (St--
mübung empfinben, fitapp vor ber ©renjftation flingcltc
Digitized by Google
108
Än Jfr firenje.
bev elfte ©erlitten mit heimfeljrenben 93atfgäften an ifjnt
uorüber.
(Splügen oerboppelte feine ©ile, er ervcirf;te baS Heine
Mauthhäusdjen, ftieft vafd) bie 3H)ür auf unb lieft mit ben
oor f^voft erftarrten §cinben, bie noch in ben Ükllhanbfcfjuhen
ftafen, ben ©d;lagbaum fallen. ©rft als bie $eber ein;
gefprungen mar, atf;mete er tief auf.
$n fieberhafter <5ile oertaufd;te er ben geaef mit bem
UMenftrocf, ftülpte bie Müfte auf, entj\ünbete bie Heine
§anblaterne unb begab firf; auf feinen 33eobad;tungSpoften,
ben alten Mauthner, ber fid) gäf)nenb unb fcftlaftrunfen
aus feinem 'ißolfterftuhl erhob, bebeutenb, baft er fidj ruf)ig
mieber fdjlafen legen möge.
(Splügen mochte noch feine jeftn Minuten am $enfter
geroartet ^aben , als ber jroeite ©dritten fam, unb ber
Hutfdjer um Deffnung beS MauthfdjranfenS rief.
„2Ber ift oor @ud; hier burd>gefaf)ren?" frug ©pliigen
ben Sfutfcher. ®iefer entgegnete, eS fei ber ©erlitten beS
$errn o. XraScoctj geroefen, ber ihn bei ©t. Margarethen
überholt habe. Heinrich leuchtete in baS innere beS ©e *
fährteS, eine ilpn ganj frernbe ©efeHfdjaft, in ^3el^e unb
Xiidjer oermummt, fah ihn mit fchlaftrunfenen 2lugen er*
ftaunt an. ©r roarf bie 2;ijür in’S ©d>loft, ber ©d;lag=
bäum erhob fidf, unb ber ©glitten Hingeltc roeitcr in’S
roeite Ungarlanb hinein.
®rei, oier, fünf fjuhrroerfe folgten. Mit peinlicher
©eroiffenhaftigfeit überzeugte fidh ©plügen, rocr bie
faffen roaren, unoerbroffen öffnete er ben ©djlagbaum unb
lieft iljn roicber fallen. ^eftt war er feiner Sfacfte fiefter!
©pät nad; Mitternadht fam eitblid; ber erfcljnte ©dritten.
2llS $einrid) feine Satcrne hinein hielt, erfannte er ben
©rafen MogoSfjäjt), neben bem nod; eine ganj in ^Iclje
unb ©harols oermummte ©cftalt faft.
®er ©raf frug mit fd;arfer ©timme, roaS eo hier gebe
Digitized by Google
«Srjäffung roti U. t>. jCi?c$6orff.
109
unb marunt nidjt meiter gefahren merbc? $>er $utfdjer
^mve manbte fid) com 93od gu feiner §errfd)aft unb er=
flävte bie Urfadje feines ©tißftanbeS. ®er ©djlagbaum
fei fjerabgelaffen.
©pli'tgen gab bcr Saterne in feiner §anb eine leichte
Drehung, fo, baf) er oon ihren ©tragen fc^arf beleuchtet
mürbe. 2)er ©raf erfannte fofort feinen SBiberfadjer, unb
bamit fam ihm baS 33emufitfein red^t lebhaft cor bie
©ecle, baff er fid) in einer feljr unangenehmen Sage be«
finbe.
„2>arf ich um bie Püffe bitten, bamit id) bas bicnft=
liehe Pifum barauf cermerfen fattn?" fagte ©ptiigen. „$ie
§errfd)aften miffen ohne ^rceifel, baff ©ie nadj ben 23e*
ftimmungen beS Paragraphen 362 bie öfterreicfjifdje 3oIl>
grenje ohne amtliche Keifebofutnente nidjt überfc^reiten
biirfen?"
„•$er Teufel hole Shr 93ifum, §err, unb $ljren Para*
graph 362. ©ie roerben bodh nicht glauben, bah ich mit
einem Paff jum 33aHe fahre?" rief ber ©raf.
,,3;d) bebaure," entgegnete ©pli'tgen, „aber burd) Shve
SBorte jmingen ©ie mich, bie 9 an Je ©trenge beS ©efe^eS
gegen ©ie in Slnmenbung ju bringen, $m -Kamen beS
ÜaiferS erflcire ich ©ie für oerhaftet !"
„.fjerr, baS geht über ben ©dferj! $d) meiff, bah ©ie
mich red)t ntohl fennen, öffnen ©ie augenblidlich ben
©chlagbaum, ober id) gebrauche ©eroalt unb merbe mir
bie $)urd)faf)rt S» erjtcingen miffen!"
,,©ie geben fid) ba einer argen Xäufdjung hi», »teilt
§err! 3jdj forberc ©ie unb 3h re » Begleiter nod) einmal
im Kamen beS ßaiferS auf, ben ©dritten augenblidlidj
ju cerlaffett. 2öenn ©ie biefer Slufforberung nidjt $otge
leiften, fo taffe idj burd) meine ©rensfager $>h r e Pferbe
erfdjiehen. ©ie finb oerhaftet, unb ein g(ud)toerfud) fönnte
$h»en baS Seben loften!"
Digitized by Google
110
Htt 6er ®renjt.
„Um <55ottcä mitten, SBaier ma§ gefd;iel;t beim I;ier?
£cr SJtenfd; mirb Sid; bod; nid;t einfperren motten, £u
I;aft ja nid;tS getljan, ljunbertmal finb mir fd;ott anftanbfi*
lo3 über bie ©renje gefahren."
2lu3 ber ^eljuermummung fdjcilte fid) unter bicfctt
SBortcn eine fd;lanfe, §arte SJtäbcfiengeftalt, bie fid; ängfts
lidj an ben 2(rm be§ ©rafcit Hämmerte.
„2Öir müffen auSfteigcn, ^ttona, id; bin ucrf;aftct, unb
mo id; bie 9?ad;t uerbringen merbe, ba3 mirb uon biefem
$errn l;ier abfjcingen, ber an mir jefct eine ganj unmürbtge
9lad;e nimmt," fagte ber ©raf mit uerbiffenent Ingrimm
unb »erlief mit feiner ^Begleiterin ben ©glitten.
„SBon einer unroürbigen 9lad;e fann nid;t bie Siebe
fein," entgegnete $einrid;. „Sie felbft f;abcn ntid; an
bie 3ottfd;ranfe oermiefen. SBarunt munbern ©ie fiel;,
mid; l;ier ju feljen, manun ntad;en ©ie mir je£t au§ bem
einen Söormurf, maä ©ie eine ©tunbe uorljer als meine
s 43flic^t bejeid^teten?"
^ttona fal; ben ©pred;er mit if;ren großen, fd;marjeit
Singen erfd;redt an. §cinrid; ftanb ljod;aufgcrid;tct bem
©rafen gegenüber, er l;atte bie 2)ienftmüfce abgenommen
unb bie langfam fattenben ©d;itcefloden tierfingen fid; in
feinen paaren unb glänjten bort mie ^Diamanten. Gin
3ug harter Gntfd;loffenf;eit lag um feinen feft jugeprefjten
Ittiunb, ba3 Sluge fpriil;te, unb eine bide Slbcr trat auf
feiner ©time l;cruor. S'ie ntänlid;c, fraftootte Grfdjeinung
uerfcf;ltc if;ren Ginbrud' auf bie Konttcfje nid;t, bie, faunt
ber ißenfton cntmad;fcn, baS 5löpfd;cit noch uott romaiu
tifd;er ^beeit l;attc.
„SJlcin §err," ronnbte fic fid; an $einrid;, „mein $err,
fßapa unb id; finb in 3f;rcr ©cmalt; follten Sie nid;t
ritlcrlid; genug fein, bauen feinen ©ebraud; ju mad;ett?
^d; bitte ©ie l;erslid; barunt."
Grft jetjt mürbe Splügen bie junge Same gemaf;r.
Digitized by Google
(Srjä&tuiig pon 33. v.
111
Sie ßatte roäljrenb be§ Sprcd)eit 3 bie $änbc gegen iljn
erhoben, fo baß ber fdjmere Sßeljmantel il)r non ben
Sdjultern glitt. 9 Jtitten im tiefen Sd;ncc ftanb fie in
33 aßtoilettc mit entblößten Sdjultern unb 2 lrmen, in bflnnen,
feinen 2ltlaßftf;uljen.*)
Splügen ftarrte bie reijenbe Grfdjeinung an, bie iljm
wie aud einer anberen 2Selt erfdjien. Gr biiefte fidj nad)
bem SJiantel, legte ifjn bem DJliibdjen um bic Sdjultern,
öffnete bie SBagentfjüre, unb bat fie unb ißren SSatcr,
nneber einjufteigen.
„©er §err ©raf ßat midj beleibigt unb mir ©enug;
tljuung oerrocigert," fagte er. „3$ roerbc bie Seleibigung
um ^^retioillen uergeffen, unb cd rcirb für mid) ftctd eine
fdjmerjlid^e Griniterung bleiben, ^Ijnen, $lomtcffe, eine
unangenehme Minute bereitet 31t haben. Sie finb frei,
geben Sie Scfeljl 311m Söeiterfaßren."
©ie §crrfd)aften mareit eingeftiegen , §cinridj füllte
einen leisten ©rud ber §anb, alö er ber ßomteffe in
ben Sdjlittcn Ijalf. 2 öic ein fyeuerftrom burdjbraitg iljn
bcrfelbe, er benüjjtc bie ©unfelfjeit, um bie jartc .§aitb an
bie Sippen ju jicf;en.
©er ©raf beugte fidj nod; einmal aus bem fünfter
unb fagte ju Splügen: „Gin ©ienft ift bed anberen
lucrtf;; hören Sic alfo, junger 2 )iann, mad idj Offnen in
Syrern eigenen $ntercffc nodj mitjutßeilen ßabe. ©ort,
iuo bie mcif5=rotf):grüncn ©renjpfäljlc fteljen, beginnt meine
Jfjerrfdjaft. ©ort bin idj ©cridjtdherr, Siidjtcr unb Kläger
in einer iperfon. .jpüten Sic fiel), je biefe ©renje jtt über*
fdjreiten , Ijüten Sic fiel) , mir auf meinem ©runb unb
!öobcn in bie §tinbc 311 fallen. Sie fennen bie ungarifdjc
Quftij nod; nidjt, $f;ncn mirb fein Gugel sur Seite ftcl;cn,
wie heute mir!"
') Stilfc baS Sittlbilb.
Digitized by Google
112
Hn 6«r ®rtn;e.
fDie ^Sferbe legten fid; in bie ©tränge, ein leidster
ruf beS ftutfdjerä, unb baä ©efäljri flog über bie glatte
33af;n baljin, in ber fDunfelljeit oerfdnoinbenb.
§einrid; ftanb nodj lange auf berfelben ©teile unb
faf; bem ©dritten nad;. SDie fd;öne Itomteffe Ijatte auf
fein jugenblicheS $erj einen tiefen, unauälöfchlidjen ©in«
brud gemacht.
2)iefe 9iad)t lam lein ©djlaf in feine Slugen, unruhig
mälzte er fiel) auf feinem Säger l)in unb l;er, enblid; fdjlof?
ein fieberhafter ©dhlummer feine müben Siber, unb als
er am fpäten Vormittag erwachte, fühlte er fid; meber
gelräftigt noch geftärft.
SWifjmuthig, uneinö mit fid; felber, trat er in feine
SlmtSftube. SDie niebere, raudhgefdhroärjte SDede beS gim«
merS moHte ihn fd;ier erbrüden, ber tintenbefpri^te ©dhreib«
tifd; mit ben aufgehäuften Sitten, bie uerfdjjiebenen, an
ben SBänben aufgellebten SSerorbitungen auf oergilbtem,
an ben ÜRänbern jerriffenem Rapier fdjienen ihn ju uer«
höhnen, ©r ftütjte ben $opf in bie £änbe, unb ein paar
fdjroere Scheinen entquollen feinen Slugen.
o
O.
®er ©ommer mar iit’S Sanb gelommen, bie SBiefen
unb gelber grünten unb blühten, aber je fröhlicher im
greien bie 3>ögel fangen unb jroitfd;erten, befto mehr oer«
büfterte fid) baä ©emüth ©plügeit’S. ©r Ijatte auch ben
Umgang mit bem 2lpotI;efer abgebrochen unb lebte nun
fo oereinfamt, mie feinerjeit Stobinfon auf bem gelfenriff
im ftiden Djean. ©eine einzige ©rljolung mären ©pajier«
gange längs beS garijbad;e3. gm SBadfjen unb träumen
fah er bie fchöne gllona oor fid;, immer roieber fühlte er
ben $rud ihrer garten §anb, fah er bie tieffchmarjen
21ugen flehenb auf fich gerichtet, ©r hatte leinen greunb,
in beffen oerfchmiegenen 23ufen er feine ©mpfinbungen
Digilized by Google
tfrjä^tung von H. p. Xpc^Jorff.
113
hätte auäfdjütten fönncn, unb fo fd)Iug bie forgfant ge--
pflegte Seibenfcfjaft immer tiefere unb tiefere SBurgeln in
feinem $erjen.
2lnfängli<h hotte er fic^ mit ber Hoffnung getragen,
bie ©räfin einmal am jenfeitigen Ufer be§ ^origbadjeS gu
feljen. 2)ort aber führte fein gebahnter 2Beg; bie 2Beibe,
auf melier ftd) bie gahllofen fRinber be§ ©rafen herum
trieben, reichte bis an ben 33adj, unb feine Vernunft
fagte ihm, bajj bie junge ®ame unmöglich mitten bur<h
bie §eerbe ifjre ©pagiergänge mähten bürfte.
©o hotte er auch biefe Hoffnung gu ©rabe getragen.
(Sine tiefe 5Reland)olie bemächtigte fich feiner; bie SlmtS*
gefchäfie oernad)läffigte er immer mehr unb mehr, unb
roenn eine bienftUche 9tüge fam, fo berührte ihn biefelbe
faum mehr, als mürbe fte eine ihm »ötlig frembe Sßerfon
betreffen.
©ein §erg roanbte er ben gieren J u - 3Rit bem alten
§ofhunb, ber oor bem gollhoufe feine §ütte hotte, ftanb
er im freunbfchaftlichften SSerfehr. (Sr nahm ihn auf feinen
einfamen ©pagiergängen mit, bem £ljiere, melcheS bie
grojje $ugenb beS gebulbigen 2lnhörenS unb unoerbrüdj*
liehen ©chmeigenS hotte, fc^iittete er fein ganges §erg
aus.
(SineS 9fachmittagä mar §einrich mieber längs beS
$arigbacheS fpagieren gegangen. $>er alte ©ultan fprang
luftig beEenb oor ihm her, ©plügen fchritt tapfer aus, er
hatte baS SBebürfnifj nach förperlidher ©rmübung. ®a er
nicht um fich bliefte, fo merfte er nicht, bafj ihn in an*
gemeffener (Sntfernung am jenfeitigen Ufer oier $irten
begleiteten, bie jebe feiner SBemegungen beobachteten. 2>er
©raf hotte einen $reiS oon Ijunberi ©ulben für bie
^abljaftmerbung beS SlmtSoorftanbeS oon 33oglajen auf
ungarifchem ©ebiete auSgefejjt, eine ©umme, melche für
bie armen §irten ein Vermögen bebeutete. ©eit bem
1898. IV. 8
Digitized by Google
*"VET
114 **«*?«•
EDreifönigätagc mürbe Heinrich ununterbrochen Beobachtet,
ohne bah er auch nur eine Stynung baoon ^atte.
2Irf;tIo§, in feine ©ebattfen oerfunfen, geitweife mit
bem §unbe fpredEjenb, fchritt ©plügen bahin. $ür ©ultan
galt baä Serbot be§ Setretenä ber ungarifdffen ©rbe nicht,
unb fo trieb fid£) berfelbe halb am rechten, halb am linfen
SBad^eäufer herum. 3Jierfte ©plügen zufällig , bah ber
$unb fidh am jenfeitigen Ufer befanb, fo rief er ihn ju*
rüd, meift aber beachtete er bie§ nicht weiter. SEudE) heute
mar ©ultan auf feinblidEjeS ©ebiet gelommen, ©plügen
bemerfte e§ erft, als er bas 5£^ier laut aufheulen hörte
— ©ultan hatte ftch in einem gudEjSeifen gefangen.
Ohne e§ fidEf auch nur einen 2tugenblicf ju überlegen,
hatte Heinrich bett fchmalen Sach überfprungen, mar ju
bem §unbe hingeeitt unb bemüht, ba§ eingellemmte Sein
oon bem ©ifen ^u befreien. fBlitien in biefer ©amariter*
arbeit fah er fich plö^Iid^ oon oier toilbauSfehenben Sur*
fdhen umringt, fühlte er ftch non rüdfroärtS umfdhtungen
unb ju Soben geriffen. ©plügen mar ein fraftooller
ffflann; mit einem fRucf hatte er fich feineö ©egnerS ent*
lebigt, mit gewaltiger $auft h^b er bem ihm 3unädf)ft=
ftehenben in’S ©eftdht, bah er mit einem $IudE) nach rücfs
wärtS taumelte. ®a traf auch ihn ein fdEfroerer §ieb mit
bem gofoS, bem ungarifdhen $afenftocf, über bie ©time,
bas heifse SBIut riefelte ihm über bie 2Iugen, er fühlte,
wie fi«h ber fiaffo be§ ungarifdjen ißferbehirien über feine
2lrme manb — er mar in ber ©emalt feiner geinbe!
®er gefdhlagene SurfdEje erhob fidh mühfam oon ber
@rbe, bie oier Wirten berathfchlagten nun, was weiter ju
gefcheljen habe. 9Rit Sorftcht banben fie ©plügen bie
$änbe auf ben fRücfen feft, unb fo trieben fie ihn mit
©töfjen unb ©plagen in ba§ ©cfjloh be§ ©rafen 3Jlogo§hää9-
3m ©djloh angelangt, banben fie ihren ©efangenen
an bie Srunnenfäule, bie inmitten beS geräumigen §ofe8
Digitized by Google
•rjä^tung von t>. X^c^&orff.
115
ftanb, bann eilten fie jubelnb gum SSerroalter, um iljm ben
glüdlid;en ^ang angugeigen unb bie bafiir oerfprodljenc
33eloljnung gu forbern. .fjerr ©an;, fortft ein feljr bequemer
unb langfamer §err, erljob fidj mit iugenblid;er Seicljtigfeit
oon feinem bequemen ^ßolfterftn^l unb eilte bie kreppe
Ijinab, um fidfj perfönlidjj oon ber SSaljrfjeit ber Stngabe
gu übergeugen. Slnedfjte unb 9Jtägbe Ratten einen bitten
$rei§ um ben ©efangenen gebilbet, ber regungäloS an
bie ©äule gefeffelt ftanb. ©art; trieb bie Neugierigen
auSeinanber, jagte fie an il;re Slrbeit, unb oerbot iljnen
bei fernerer Seibeäftrafe, fidE) bem ©efangenen gu nähern
ober mit ifjm gu fprecfjen. dsr i'tbergeugte ftd; perfönlidl)
oon ber £altbarfeit ber $effeln, fdijfang ber ©icljerljeit
falber nod; einen knoten hinein unb begab fidj bann gum
©rafen, um iljm Nielbung gu ntad;en, bafj e§ gelungen,
ben 2tmt§oorftanb oon 33oglajen auf ungarifdfjem ©ebiete
bingfeft gu madjen.
©raf Niogoöfjdgt; erljob fidf), eine roilbe $reube leudjs
tete au§ feinen Slugen. „galjlen <5ie ben Seuten iljren Sofjn
au§, fie fjaben ba§ ©elb reblidfj oerbient! ©eben ©ie ben
maderen Surften nocf» eine ©pedfeite unb eine §lafclje
93ranntn>ein, fie mögen fjeute einen oergnügten £ag Ijaben!"
©o rief er triumpt;irenb. darauf begab er fid^ in ben
§of, unb trat gu ©plügen.
,,©ott gum ©rufj, junger §err!" rebete er §einrici)
an. „3llfo bodfj ©ebraudlj gemalt oon ber ©aftfreunbfcljaft
auf ©dEjtofj ©gent NlifloS? §abe idjj ©ie nid;t al§ oäter*
lid^er $reunb geioarnt, ber ungarifdjjen ©renge gu nalje
gu fommen? SSarum Ijaben ©ie biefe Tarnungen, bie fo
feljr in 8(? rem eigenen, roofjloerftanbenen 2>ntereffe raaren,
in ben Sßßinb gefd;lagen? ©ie finb ja felbft ein ©efefjegs
funbiger, e§ mürbe geroifj mit öftrer juribifcfjen lieber;
geugung nid^t ftimmen, roenn idj meinem £auägefefc nidfit
freien Sauf tiefje."
Digitized by Google
116 Än &tr #renje. Ärjä^fiuig t>on T). p. ii^Sorff.
©pliigen rüljrte fid; nidfjt. $>en Süd finfter jur ©rbe
gemenbet, raubte er, roeldjeä ©d;idfal feiner Ijarrte. $>ie
bRat^e be§ ungarifd&en Magnaten würbe ifjn fcfeonungöloS
treffen. (Sv mar bevfelbcn weljrloS auägeliefert.
„2)a§ ift nun fo ber Seicfjtfinn ber $ugenb," begann
fDiogoäfeäji; non Steuern ju feöljnen, „ber Seicfetfinn ber
^ugenb, ber bie ©efal;r nicljt fd;eut! Süden ©ie iljr nur
mutljig in’§ Singe, es wirb nicfet ba§ £eben foften! (Sin
fo fräftig gebauter junger Wann, wie ©ie e§ jtnb, ber
Ijält ol;ne ©dfjmierigfeiten unb offne fonberüd; üble folgen
feine ^ünfunbjmansig au3!
3ano§," wanbte fxdj bann ber ©raf ju einem ba*
fteljenben Wiener, „rufe mir uitfere beiben ^anburen, fie
foUen fofort mit bem nötigen Söerfjeug erfd;einen, in
einer fjalben ©tunbe ift ©jefution."
£>ie beiben ftämmigen, in eine 2lrt non £ufarenuniform
gefleibetetx Schuren evfdjienen; ber (Sine trug eine lange,
Ijölgerne San!, ber 2lnbere ein Sünbel §afelftöde. ®ie
San! würbe in 3Jiitte beä fjofeö geftellt, feft in ben ©anb
gebri'xdt unb geprüft, ob fie nid;t wadelc ober fonft fiel)
irgenbwie bewege. $ano3 nafjtn auf einen 2öinf beä ©rafen
bie §afelftöde unb warf fie in einen Xrog nott SBaffer.
„(Sigentüclj," begann ber ©raf wicber, „eigentlid; foUten
bie $aälinger brei oolle ©tunbcn im SBaffer liegen, nur
fo werben fie entfpredjenb gefdjntefbig, unb fo nerlangt
eä aucjj ba§ ©efefe. 2tber icf) will ©ie nid;t fo lange
warten laffen, eine fealbe ©tunbe wirb fjeute genügen. $d;
erwarte nur nodjj ben Sefudfj jweier $reunbc, benen id;
ba§ Sergnügen beS 3ufcljen3 gerne mad;en möd^te. Sllfo
©ebulb unb Raffung, junger §err, oerfpotten ©ie nid;t
unfere ^uftij, i^re oolle ©eredf)tigfeit foU $f)nen werben!"
2)amit wanbte fiel) ber ©raf unb oerliefe ben ©d;lofe=
feof. 2)ie beiben ^anburen featten ben ©Ratten aufgefudEjt
unb eö fid; bort bequem gemalt. $f)nen war e * n folcfeer
1
ler (Sine trug eine lange, t)9ljerne lüant, Der KlnDte etn ibünbei Jjjaieijtöde.
( 6 . 116 .)
Digitized by Google
118
Rn 6er (ßrenje.
Vorgang nidjtS 9feue§, fte faljen ber gangen ©adje mit
ber größten Steife unb 3^^eilnal;mälofig?eit entgegen.
2Inber§ ©plügen, ber feine Kräfte bis gum .gerreifjen
anftrengte, um fic^ ber ©triefe, bie tief in feine §anb*
gelenfe fdpiitten, gu cntlebigen. 2)aS Stefdofe feiner 33e=
mütjung enblidj einfeljenb, ergab er fief» fdjeinbar in fein
©djidfal, feft entfcfjloffen, fobalb er feiner S3anbe lebig fei,
einen ßampf auf Xob unb Seben gu beginnen.
iDa f)örte er über fiefj ein ^enfter flirren. ©r falj f)inauf
unb erfannte bie junge ©räfin, bie fidj IjerauSbeugte. ©ie
Ijatte offenbar oon bem glüdlidjcn $ange bereits gehört,
benn ifjre UebUd>en _3üge trugen nid)t baS ©epräge ber
lleberrafc^ung.
©ie niefte ©plügen freunblidj gu unb oerfdiroanb oom fjem
fter; für fjeinrid) mar bamit bie letzte Hoffnung gefunfen.
SBenige 2lugenblide fpäter fam ein SDiener über ben
$of gegangen ; er führte an ber £anb ein gefälteltes Sßferb,
meines er am offenen ©djloftljor anljielt. ®ort prüfte er
forgfältig bie ©attlung unb Räumung, fufjr bem $f er ^ e
mit ber flauen §anb unter bem ©urt burdj, fjafte bie
Slinnfette etroaS fdjärfer ein, lief} bie ©tange Ieidjt gmifdjeit
ben Ringern fpielen, gog bie 3t‘8 e I burd) bie §aitb unb
legte fte auf ben ©attelfnopf. ®ann trat ber ^Diener gu
ben beiben if?anburcn, bot Qebem oon iljnen eine ©igarre
an unb begann ein ©efpräd), in beffen Verlauf er ftdj fo
gu ftellen roufste, bajj ber ©efangenc feinen Sföädjtern im
S^üden ftanb.
Qn biefem Slugenblid öffnete fid; rcieber baS $enfter,
ein ©artentneffer mit gebogener klinge fiel gu ben ^üfjen
£einrid)’S in’S ©raS. ©r biidte fidj unb griff eS mit ben
gefeffelten fjänben auf. ©inen SBlicf oott Ijeijjer Siebe unb
®anfbarfeit fanbte er feiner Spetterin gu, baS $enfter aber
Ijatte fid) roieber gefdjloffen, nur auf ber ©djeibe fafj er
mit großen 33ud)[taben baS 2Bort „ijSferb" aufgemalt.
Digitized by Google
tfrjd^ftmg oon B. v. Jti?($&orf[.
119
Dljne ©dfpoicrigfeit gelang e§ il)m, mit bem fdjarfen
^nftrument feine Sanbe gu bur^fc^neiben. ©inmal baS
SJleffer in ber §anb unb ber ©tride lebig, mar »olle 9ful|e
unb ©ntftfjloffenljeit über iljn gefommen. 2ll§ er feinen Slid
nacf» bem £l)ore richtete unb bort ba3 angebutibene ißferb
gewährte, ba oerftanb er ba§ SBort am $enfter. SDZxt
einem Sprunge mar er an ben ©aul fjeran, Ijatte bie
leidste Seine burcfjfdjnitten, fiel) in ben ©attel gefdjnmngen
unb mar gum Sljore IjinauS.
SDie ißanburen unb ber Wiener fd^lugen Särm. 3> m
©djlofe liefen bie $necf)te gufammen unb oben in üjrem
©emadEj falj bie fd)öne S^ona mit ftopfenbem §ergen auf
bie ©trafee fjerab, roo fid) jeben SlugenblidE ber Leiter geigen
mufete. 5Die wenigen Minuten fcfjienen fid^ gu ©tunben
auSgubeljnen, ber ©ebanfe fiel iljr ferner auf bie ©eele,
bafe ©plügen be§ 91eiten3 unfunbig fein lönnte, bafe ba§
eble $ferb, weldjeS fie iljm Ijat oorfüljren laffen, ifen ge*
raben 3Seg§ roieber in bie ©efangenfcfiaft gurücffüljren werbe.
$a Bog ^einridj um bie ©de. @r Ijatte ba§ ißferb in
einen leidsten £rab gebraut, ^Hona fanb feine ©rflärung
bafür, warum er nidEjt fofort eine fcfjarfe ©angart gewählt
tjabe, aber er fafe gu gut unb fidjer im ©attel, al§ bafe
fie iljre frühere Sermutfjung Ijätte beftätigt finben fönnen,
audEj bemerfte fie, wie er bie fjarte ©trafee »erlief unb ba3
ißferb auf bem weiten Nebenweg laufen liefe.
©plügen mufete, wollte er bie ©renge erteilen, baä
SJloor umreiten, weldieä fidE) in einem weiten Sogen um
ba§ ©djlofe feerum au§bel>nie. lieber baS fumpfige ©ebiet
führte ein gufeweg, ber jebodfj für ißferbe nid)t gangbar
war, ba man bei jebem ©dljritt in ba§ weiche ©rbreidf)
einfanf. ^Jllona faf), wie er au§ bem £rab in ben ©alop
überging, unb jefct Ijatte fie aud^ feine Slbfic^t oerftanben.
©r wollte offenbar bem $ferbe, weites ben gangen $ag
geftanben Ijatte, ©elcgenfeeit geben, feine 3Jiu§feln gu beljnen,
Digitized by Google
120
Rn 6tr firtnu.
unb »olle Sunge gu nehmen; mit Stecht »ermutljete er eine
Verfolgung, alä geübter Leiter »erftanb er eg, bie $raft
be§ ^iere§ gu fronen, um im lebten gegebenen SCugen=
blicfe bie »öde Seiftung »erlangen gu !önnen.
(Sr roanbte fid£) im ©attel um, feine Vermutung fjatte
iljn nidjt getäufdjt. 2Bag fid^ an tnännlidjer Veoölferung
im ©djloffe »orfanb, mar aufgefeffen. -Riemanb fjatte fidEj
$eit genommen, erft gu fatteln unb gu gäumen. 3öie bie
$ferbe an bie $utterfrippe gebunben mären, fo Ratten bie
Surften fie IjerauSgejogen unb fid^ oljne 2)eden auf ben
lebigen Slüden gefcfjroungen.
(Sine roilbe ^ößb begann. 35ie Verfolger, be§ SBegeg
funbig, Ratten fidf) fächerförmig auSgebreitet unb fugten
bem glüdjtling bie ^arigbrüde abgugeroinnen. $einridj
fjatte raeber ©poren nodj ißeitfcfje, ber eble fftenner, ber
iljn trug, »erftanb feine Sprache audj oljne biefe rofjen
Mittel unb flog mit ifjm über bag Vlacljfelb. §einricf)
nafjrn bie $ügel furg, bie ©tange ^atte er fallen (affen,
um nidfjt burdfj irgenb einen böfen $ufall bag empfinblidfje
2;fjier gu »erregen.
®er ßreig um iljn fdjlofj fiel) enger unb enger. ®ie
ungarifdjen Vurfdjen, »on früfjefter 3>ugenb auf mit bem
ißferbe »ertraut, maren ifjm ebenbürtige ©egner. (Sine
roilbe Suft !am über ifjn, bag ©elänbe roar ifjm günftig,
unb fo entfdjlof} er ficfj, mittenburdj gu brecfjen. (Sr gab
bem Ißferbe eine furge 5Benbung, trieb eg gur »ollen
Karriere an, unb roie ein ififeil fdjofj er auf bie 3^5=
brüde gu, bie er roeit »or feinen Verfolgern erreichte.
üDie ©rengroädjter fjatten ber tollen ^agb gugefefjen;
unbefannt mit ben Verfjältniffen fonnten fie ficfj ben 2luf«
tritt nidjt enträtseln. §einridj fjatte bag Vfetb nodfj eine
©trede laufen laffen, eg bann langfam parirt, roar ab=
gefeffen unb fjatte eg an ber §anb gurn ©rengfjaug geführt.
Dbgleidj feine ©tirnrounbc »on 9?euem blutete, ifjn bie
Digitized by Google
Svjä^futiij von V. v. £t}d/botff.
121
burd) bie ©triefe jerf^nittenen §anbgelenfe heftig fchmerjten,
begehrte er fofort ©troh, nahm bem Sßferbe ben ©attel
ab, unb begann ba§ bampfenbe, mit fliegenben $lanfen
unb meit offenen Lüftern bafteljenbe £l>ier funftgered^t
ab^ureiben. üftadhbem bag ißferb oollfommen troefen mar,
legte er ifjm ben ©attel roieber auf, fdjnallte bie ©urte
lofe ein unb 50 g bie 23ügel an ihren Kiemen in bie |>öfje,
bann friste er bag eble £f)ier, bag iljn fiegreief) burdj bie
©efahr getragen; auf bie ©time unb rief einen ber an
ber ©cfjranfe abgefprungenen gräflichen Unechte
bag $ferb ihm abjunehmen.
©in alter ©jifog trat aug bem Greife ber Surfchen,
bie ftaunenb, mit offenem SJiunbe bem ^Beginnen ©plügen’g
oom ungarifdjen Ufer aug jugefehen halten, ©r überfcfjritt
bie ©renjbrüde, nahm bag ißferb beim $ügel unb fagte
ju ©plügen:
,,©ie haben ung heute gezeigt, §err, roag ein tüchtiger
Sieiter oermag. SSSenn mir ©ie aud; gerne toieber auf:
gegriffen hätten, fo müffen mir bodh Sille fagen, bajj ©ie
eg oerbient haben, ung entfommen ?u fein! ©d^ön oon
Ehrten ift eg, bafs ©ie bag ißferb fo gut geioartet haben,
bie ,§ätiu‘ gehört unferer gnäbigen Homteffe, unb fie liebt
fie feljr järtlid). ©chabe, §err, bajj ©ie ein ©chroab ftnb,
©ie mürben oerbienen, ein Ungar ju fein!"
®er Gjifog übernahm bag $ferb, flopfte ihm järtlid)
ben fdjlanfen §alS, unb bie ganje Gruppe fefcte fidh bann
nad) bem ©chloffe ju in 33eroegung. -Dian hörte fein fröh-
Iid)eg ©eplauber, ^eber fürchtete ben 3 orn beg ©rafen,
unb ba bie 23anf fd;on einmal im §ofe ftanb, unb bie
„§aglinger" eingeroeicht roaren, fo fonnte bie ©jefution
immerhin nodj oor fich gehen, eg brauchte fi<h nur bag
Dbjeft ju änbern.
Siachbem fich Heinrich etroas erljolt hatte, fetjte er fich
an feinen ©chreibtifdj unb fdhrieb lange unb cmfig. ©g
Digitized by Google
122
An 6er •rcnje.
fc^ien iljtn nicf)t reefjt gelingen ju motten, benn immer
mieber jerrijj er baä Statt unb begann bie Arbeit non
feuern. 2tu§ einer 2abe natjrn er einen 9ting non fetjr
alterttjümlicfjer $orm; ^atjrfjunberte lang tjatte fief) biefeä
Stteinob im Seft^e ber Familie ©ptügen erhalten. §einridfj
roidette ben Siing forgfättig ein, fcfitofc ben Srief unb
übergab beibeä einem »erläjjlid&en Surfdfien mit bem Stuf*
trag, e§ ber Sfomteffe ^ttona ju überbringen, er ttcrfpradj
ifjm eine anjeijnlidje Selofjttung für ben $alt, baft er ben
tjeiffen Auftrag gtüdtict) unb jur 3 u f r i e ^cn^eit auäfüfjre.
Sann aber oerliefren bie Kräfte ben armen ©plügen;
bie ßopfrcuttbe, bie er bisher gar nietjt beamtet fjatte, be*
gattn ifjn heftig ju fetpnerjen, c§ fauäte itjrn in ben Dljren,
bie ©tube breite fid^ im Streife tjerum. ©eine ganje Energie
mufjte §einricf> aufbieten, um nur ba3 Söett ju erteilen,
er roarf fidj auf’s Säger unb oerfanf alsbalb in einen
tiefen, tobeSät)nticE)en ©df)tummer.
4 .
Stuf ©cf)to& ©jent SJtiffoS tjatte fid) miitlerroeile
mandjertei ereignet, maS ju ernftem 9iad;bettfen Seran*
laffung gab. Ser ©raf fjatte jmei $reuttbe ermartet, betten
er baS ©ctjaufpiel ber (Srefution geben rooHte. Sie beiben
Herren maren aud) pünftlidj erfdjienen, ber ©raf fjatte
fic auf fein geführt unb bie Sljüre fjinter fid;
unb feinen ©äften forgfättig abgefdjtoffcn.
Sie beiben §erren maren Magnaten, bereit auSgebeljnte
Scfiljungen an baS ©ebiet beS ©rafett fließen. 3utn Streite
tagen bie ©iiter nicfjt ntefjr in Ungarn, fonbern fefjott in
Kroatien, baS bamatS eine eigene ©efetjgebung unb eigene
9ted)tSpfIege f;atte. Ser Stettere ber beiben Herren, ein
23aron DroSättap, ergriff bie fiäitbc beS $ausl)errn unb
fagte:
„©epja, bie Söürfel finb gefallen, jefct gitt fein 3 aUl
Digitized by Google
Ärjä^fung t>on 5. p. JCtjcß&oirff.
123
bcrn mehr! 2ttailanb haben fte (oSgefchlagen, 23erona,
Sftantua unb Sefchiera ftnb gefallen, ©arbinien nimmt
fidj feiner bebrängten SanbSleute an, ber Krieg an Defter*
reich ift oon ben Italienern fo gut mie erflärt. Sott
©tunbe ju ©tunbe erroarten mir 9?adjrid)ten aus 2öien
unb Subapeft, rao 2llleS jum 2Iufftanb oorbereitet ift,
Tralau unb Semberg rcerben fiel) gleichzeitig ergeben. 2Bir
merben baö ftolje Defterreich bemütf;igen, unb ein freies,
nationales Königreich Ungarn mirb ftegreidh auS bem Kampfe
heroorgefjen. 25ie beften unb ebelften 9Jlänner beS SanbeS
fteljen an ber ©pi£e ber Scroegung, roo ein Sattljpanp,
ein Stnbraffp lämpft, barf ein SKogoShäjp nicht jurücf*
bleiben; mir ftnb 21tle ©lieber einer Familie, lafjt uns
Zufammenljalten jum 2Bof)le unfereS SaterlanbeS."
©raf ©e^ja mar fehr ernft gemorben. (Sr Ireujte bie
§ä»tbe auf bem Süden unb ging mit heftigen ©dritten
auf unb nieber. 25ie geplante ©jefution hatte er toll*
ftänbig oergeffen.
„®u roeißt, DroSjoap, bafj unfere Sage hier an ber
©renje beS SanbeS eine ooUftänbig anbere ift, mie im
Ämtern ober korben Ungarns," oerfetjte er. ,,^n Kroatien
fteht ber SanuS ^eflacic mit ben ©renztruppen. 25er
SanuS mar nie unfer ^reunb, er h fl t unS längft mit
Slijjtrauen beobachtet, in tnerunbzrcanzig ©tunben fann
er hier einrüden unb in feiner ffikife Drbnung ntadhen.
SDann ftnb mir zu ©rutibe gerichtet unb frfjlimmer baran,
als mie ber Settier oor unferer 2d)üre."
,,©ei ohne ©orgen, ©cpza, Sellacic mirb hier nicht ein*
rüden. 25aS Dtocacer, baS Krenz'-©renzregitnent unb bie
Dguliiter haben bereits SJarfchbefehl nad) Italien befommen;
mährenb mir hier oerhattbelit, finb unfere gefährlichen
geinbe fdjon abmarfdjirt. Son ©teiermarf aus broht uns
leine ©efaljr, in ©raz unb 2ftarburg gährt eS, in erfte*
rer ©tabt ift es zu ©trafjenbemonftrationen gefom*
Digitized by Google
124
Ätt 6er «reitje.
men, baS SRilüär roeigerte fid^, gegen bie Seoölferung ein»
juf dir eiten."
„DroSjo ap, fei efjrticlj gegen deinen alten $reunb!"
bat ber ©raf. „®u toeifjt, idf) bin ein fo guter Patriot
roie irgenb ©iner, unb icfj liebe mein Satertanb über SlUeS.
3Z Ijabe £(jeil genommen an ben politifc^en ^onferenjen,
aber id) fürste, bafj ber richtige 3eitpunft nocf) nid(jt ge=
fomtnen ift, bafi unfer 2tufftanb ju früE) beginnt!"
SDa tönten heftige ©erläge an bie 3mmertf)üre. „Stuf»
machen!" rief eS oon braunen, „aufmacljen! 3Z Bin eS,
Ißifta DroSjoap!"
Saron DroSsoap erfannte bie ©timme feines ©offnes.
(Sr fdjob ben Stiegel jurücf, ber junge SJtann glühte oor
©rregung, er tonnte faum fprecfjen.
„Satour ift ermorbet roorben, 3iZv fjaben fie am
Saternenträger ber Hefter $ettenbrüde aufgefjängt, baS
SJtinifterium ift auf ber Stucfjt, ber ißalatin unb ber ßaifer
ftnb nadfj ^nnSbrudf abgereist!"
$aS roaren infjaltfdjroere StadfjriZten ! 3)ie oierSRänner
fafjen fidfj ftumm an, bann reiften fie fiel) bie §änbe.
SJtogoS^djt) ergriff baS 2Bort unb fagte:
„@iner oon uns mu| fofort nad) ÄaniSja, bort f)at
baS ©entralfomite feinen Vertreter, ©r fjole bie nötigen
Sefeljle ein, mir raerben gefjorcfien."
„3ft nicf)t nötljig," fagte ber alte DroSjoap. @r griff
in bie Srufttafdfje, jog ein Radlet forgfältig jufammen'-
gefalteter Rapiere fjerauS unb überreizte ein Statt bem
©rafen.
„§ier, ©raf ©ep^a 9Rogosf)ajp, ift 35eine SeftaHung
jum ^ommanbanten unfereS ^omitateS; ßoffutfj fiat baS
$efret felbft ausgefertigt. 3Z fjabe fjier meine SRiffton
erfüllt unb reife nod) fjeute 2lbenb nad) Ofen, mol;in mid)
ber 2luSfcf)ufj berufen fjat. — $)u, $ifia," roanbte er fidj
an feinen ©ol)it, „riidft ju ben .ffonocbS ein, ®cin ©ammcl-
Digilized by Google
fir;ä§fu«<j ooit D. t>. £nc$&orff.
125
pla| ift Jüreb am ißlattenfee , bort wirft ®« btc weiteren
'-Befehle finben. 9)?orgen frii^ mufjt 35u bort fein unb
®idj im ßomitatSljauS orbnungSmäfüg melben."
2BäE|renb DroSjoap feine ^Befehle auSgab, erfd>ien ber
gräfliche 33erwalter in ber ÜEljüre. ©r melbete bem ©rafen
bie flucht beS ^otfamtoorfteljerS unb fah nicht offne Sangen
einem gewaltigen 3°™eSauSbruch entgegen. Söiber alles
Erwarten legte ©raf 3JlogoS^dj9 ber ©adfe gar fein ©e--
wicht bei. ©o feljr er fiel; noch t>or einer Siertelftunbe
biefeS Ranges erfreut hotte, fo gleidjgiltig lief} ihn bie
©odffe je$t, er fanb es nicht einmal ber -Blühe werth, fid;
nach ben näheren Umftänben ber flucht ju erfunbigen.
,,©arp," antwortete er, „erwarten ©ie micf) unten in
ber Äanjlei, fagen ©ie gugleidf) ben beiben 2SirthfdjaftS=
beamten unb bem Dberfchaffner, ba| id) fte gleichfalls ju
fpreeffen wünfeffe. $jn einer halben ©tunbe werbe ich unten
fein."
2)er ©raf geleitete barauf feine Sefucher gu ihren 2öagen.
3n ber ©rregung holle er ganj feiner §ausherrnpflichten
oergeffen, nidht einmal eine fylafdffe 2Sein hatte er feinen
©äften üorgefe|t.
DroSjoap bat beim ©infteigen um einen Qmbif}. „Saffe
mir etwas ßalteS in ben SJBagen geben, ©epga, baju eine
^lafche 2Bein, id) habe noch eine weite fyahrt oor mir unb
wei| nicht, wann ich tüieber ju einem Söffet ©tippe fomme.
fDlein .fjauS höbe ich beftellt, je|t ruft mich baS Sßater*
lanb."
©in SDiener brachte baS fJlötfjige herbei, bie Herren
reidhten fidf) noch einmal bie §änbe. „Eljen a magyar
orszäg ! “ rief DroSjoap, als bie Sferbe anjogen.
„Eljen!“ tönte eS ihm jurücf.
©raf ©epja fPlogoShäsp fah ben baoonrollenben 2ßagen
lange nacf>. ©ine bichte ©taubwolfe jeigte ihren 2Beg an,
fte fah aus wie ^uloerraudh, baS Slufleu^ten ber Söagen*
Digitized by Google
126
Hn Jcr ®r«njf.
ruber mie baä gunfein von Sajonneten; ei lag ein fd(jmcrer
SDrucE auf feiner ©eele, er fonnte ftdj cinei bangen Sor»
gefügtes nidfjt erroeljren.
gn ber ßanglei regnete er mit bem Sermalter ab ; bis
in bie üftadjt fafien fie über ben 2BirtI)fd;aft§büdjern, unb
ali fie enblicf) bie Silang gegogen Ratten, ba fal) ber ©raf,
ber gemöljnf mar, au§ bem S3oCfen gu fdjöpfen, bafj ifjm
nur eine uerfjältnifjmäfiig geringe ©umme baren ©elbei
gur Verfügung ftanb. SDie §errfdjaften maren aßerbingi
erträgnijjreidf), ber befte SSeigenboben gehörte bem ©rafen,
unb bie auögebefjnten 2BaIbungen, bie fidf) bis gur 9Jiur«
infei f>inabgogen, befaßen einen gerabegu uttfcfjcitjbaren SBertl).
316er bai 3lßei mar im 31ugenblide tobtei Kapital, roeldjei
fiel) nid£)t gu ©elbe madjen lief}. 2Benn ei ben faiferlidjen
Gruppen gelang — unb biefer gaß mar ber mafirfdfeins
liefere , — bie §errfd(jaften gu beferen, bann mar ©raf
SJlogoifjägp fo gut roie ein Settier!
3>n feinem Zimmer ging ber ©raf noef) lange auf unb
nieber. Sluf bem ©dfreibtifd; lag bai oerljcingnifmoße
Slatt Rapier, rceldjei ifjn gum $errn bei ^omitatei
machte. @r füllte bie uoße Serantrcortung, bie er mit
ber 3tnnaf)me biefei ^ßofteni übernommen ^atte, er fannte
bie ©djrcierigfeiten, mit benen er gu fämpfen Ijaben mürbe,
bie 3ufunft erf<f>ien if)tn feineimegi in roftger Seleudjjtung.
SDagu !am bie ©orge um feine Sodjter, fein eingigei Äinb.
Siiijer Ijatte er fidE) um $ßona nur menig befümmert; bie
©räfin, feine grau, mar furg nadfj ber ©eburt bei 2md)tcr=
dijeni geftorben, unb Qßona unter ber Dbljut einer ©outer*
nante unb bann in einer beutfdjjen ißenfion Ijerangeroacljfen,
uon mo fie oor Safireifrift in’i »äterlidfje §aui gurücf*
gelehrt mar.
$e$t geilte gßona ftebgeljn gafjre. 2Bai fodte nun
aui i§r merben? 2)er ©raf ermog ben ©ebanfen, fie mie*
ber in’S Sluilanb gu fenben, lief} benfelben jebodEj nad;
Digitized by Google
tfrjcil?fung ran 3). v. Xqdfborff.
127
furjer Ueberlegung fallen, ba bei ber politifchen Sage
(Europas ooraugjufehen war, bafj bie Senfionen unb @r*
Zieljungginftitute gefdjfoffen werben bürften. 3^ona füllte
alfo oorläufig itn ©d; loffe oerbleiben unter ber Dbljut beö
23erwalter§ ©arp unb ber ber alten 2Birtf)fchafterin, bie fdjon
über breiig $aljre im $aufe biente. ®en 3teft be§ baren
©elbeg, an fünfje^ntaufenb ©ulben, fanbte ber ©raf an
bie San! t>oit (Snglanb mit ber Seftimmung, bafj er feiner
£od)ter an ihrem jroanjigften ©eburtgtag au§bejaf)lt roerbe.
3)ann oerpadte er ba§ ganje ©ilberjeug beg £aufeg
mit SCugnafjme jener Seftede, bie für ben tägigen ®e*
brauch bienten, fomie ben ^umilienfchmud in eine eifern
befdjlagene Stifte. 3toch aug ber $eit ber £ürfenfriege
beftanb im gufjboben ein Serfted, ba§ alg unauffinbbar
angefefjen merben fonnte, bort hinein fenfte ber ©raf bie
Stifte unb oerwifdjte alle ©puren forgfältig.
SDie dreigniffe waren bem ©djlofjljerrn über ben Stopf
gewachfen. Cbwohl oon ber politifchen Sage beg Sanbeg
genau unterrichtet, hatte er bodj immer noch auf einen güt*
liehen Sfuggleidj mit ber Regierung, auf eine Serftänbigung
mit ber Strone gerechnet — je|t mar bag oorüber, unb
bie ©ntfdjeibung lag auf ber ©djneibe beg ©djioerteg.
$Kona, bie fiefj nie um politifdje fragen befümmert,
bie bisher forglog in ben £ag hinein gelebt hatte, foHte
fo wenig als möglid; oon ben Sorfommniffen erfahren.
2)er ©raf fd^rieb ihr alfo ein SiHet beg ^nfjaltg, bafj er
gejwungen fei, plöjjlich abzureifen, er bat fte, aufjer ©orge
ju fein, wenn er längere 3eit nicht jurüdfehren füllte.
SefteHungen an ihn möge fie ©an; übergeben, ber biefelben
beforgen würbe.
darauf oerbrannte er zahlreiche Rapiere im Stamin,
ganze ©töfje oon Sriefen übergab er bem geuer, bj e 2 jj^ e
ftäubte er oorftdjtig augeinanber. @r fchlofj oerfchiebene
©chränfe ab unb oerwahrte bie ©djlüffel in einem ge*
Digitized by Google
128
An &tr &reuj«.
Ijeimeit $ad; feine§ ©dfjreibtifdjeä. $ann fal) er fidj ttod>
einmal in bem iljm fo »ertrauten Staunte um. (Sr füllte,
bafj e§ einen langen 2lbfdf)ieb ju nehmen gelte, einen 21b*
fd^ieb »ielleidfjt auf immer.
2lber er roollte nid&t roeiclj merben. (Sr gab 33efeljl jum
2tnfpannen. Stur ba§ notljmenbigfte ©epäd mürbe auf ben
leidfjten SBagen gelaben; ber ©raf ergriff felbft bie 3 ü gel,
fein Wiener 3mre fprattg hinten auf, nodl) einmal grüßte
er ju ben $enftern jener 3iwmer hinauf, roo 3fl° na mofinte
unb je£t »ieUeidfjt einen füjjen bräunt träumte — bann
rollte ber SBagen jum ©<f)loj}tljor l)inau§.
* *
*
©anj Ungarn mar in 2lufruljr. $ie Eaiferliefjen Gruppen
maren jurn großen SC^eil in’3 ungarifdfje Säger übergegangen,
an tüchtigen Offizieren aber fjerrfdjte Mangel. ®er unga«
rifdfje §od^abel mar jmar mie ein SJtann unter bie SBaffen
getreten unb Ijatte bie $üf)rerftellen übernommen, aber e§
gab Stegimentöfommanbanten, bie ba§ adjtjeljnte Sebenäs
jafjr nocfj nidf)t überfdfjritten l)atten, bie fidf) »on einem
Unteroffizier in ben notljmenbigften $ommanbomorten unter*
raeifen laffen mufjten. ©anitätSanftalten unb eine tüchtige
^ntenbang mangelte bem §eer ber 2tufftänbifc§ett gänjlicf).
Stidjt beffer fal) e§ in ber politifdjen ffüljrung au§. $>a§
SJtinifterium befanb jtclj im »ollen ©egenfa§ jur $rone.
(S§ ^errfd^te eine ganj unglaubliche SSerroirrung, bie
ginanjen be§ Sanbe§ maren »ollftänbig zerrüttet,* ber
Ärebit im 2tu$lanbe auf Stull gefunfen, Stiemanb fdfjroebte
ein flareä, beftimmteS 3iel„ »or Stugen, bie gü^rer ber 33e*
megung mußten nidfjt, ma§ fie moUten, unb bie menigen
befonnenen (Stemente »erfd^manben rafc^ »on ber 33ilb*
fläche.
5Dtogoäf)äst> ergriff mit fefter £>anb bie 3 ü gel ber
^omitatSoermaltung, aber fdjon in ben erften £agen mufjte
Digitized by Google
Ärjä^fttng von V. n. X i/djioxff.
129
er einfeljen, bafs er mit bem beften SBiHen nichts ju teiften
im ©tanbe fei« bürfte. ©in entfliehen bemolraiifcijer 3ug
trat allenthalben heroor, bie oornehme ariftofratifche 2lrt
beS ©rafen mar ben Rührern ber SolfSmajfe ein $orn
im 2luge. ÜJJan oerlangte oon iljm, bajj er fid) populär
machen folle, bajj er ju allen £age8* unb SRachijeiten in
ben oerfdljiebenen ®.aft= unb Sßeinroirthf «haften erfc^einen
foHe, um mit ben SBäljlern ju trinfen unb ju fraterni-
firen. 3^ alt’ bem mar SD^ogoS^äjg nicht ju gebrauchen;
man ^atte baher feine anfangs unumfdhränfte ©emalt immer
mehr unb mehr eingebämmt, in abfehbarer 3eit mujjte er
jum teeren ©pieljeug ber rabifalen Häupter herabfinfen.
9Za<h reiflidher Ueberlegung fatn ber ©raf ju bem ©nt*
fchluffe, feine ©teile nieber jutegen, bem politifchen Seben
ju entfagen unb fidh auf feine ©üter jurücfjujiehen. @r
hatte feine ©hrenfdjulb an baS Saterlanb abgetragen, er
hatte gethan, roaS in feinen Kräften ftanb, um bie Se*
megung in georbneten Sahnen ju erhalten, feine ßraft mar
baju nid^t auSreidfjenb. %n ben fedljS Monaten, bie er an
ber ©pi£e beS ÄomitateS ftanb, mar er um oiele ^afjre
gealtert, unb eine fReroofität machte fich an ihm bemerflich,
bie baS ©(hlimmfte befürchten liefi.
3n biefem 3uftanb fchrieb er an DroSjtap, ber mittler*
meile in bie ^Regierung eingetreten mar unb baS Sorte*
feuille ber SanbeSoertljeibigung übernommen h fl tte.
fe|te ihm bie unglücflidhe Sage be§ $omitateS meitläufig
auSeinanber, bie gänjliche 3errüttung ber ginanjen, baS
©mporfommen jmeifelhafter ©lemente unb jum ©dhluffe
bat er, man möge ihn feiner ©teile entheben.
©tatt aller Slntmort fanbte ihm DroSjoap baS eben
frifdh aus ber ^Breffe gefommene faifetliclje Slmtsblatt; an
ber ©pi$e ber roegen ©mpörung unb #odfmerrath jum
£obe burdh ben ©trang oerurtljeitten Ungarn las ©raf
©epja ^RogoShdjp feinen eigenen fRamen.
1895. IY. 9
Digitized by Google
130
flu fctr iSreiijt.
5.
SSierjehn Sage Ijinburdh lag $einricfj o. ©plügen nach
feiner erfolgreichen gfucht ohne flareS 93emuf}tfein, bie
ßopfmunbe war burch bie Stnftrengungen unb noch mehr
burch bie ungeheuere Stufregung, in ber er fidj befunben
hatte, fehr f(hlimm geworben. Sie fräftige Statur ©plügen’S
leiftete jebocf) SSMberftanb, unb mehr wie alle SJiijturen be§
$errn Softor Dgrifegg beförberte feine ©enefung ein tag*
lid) auf feinem Sfachtfäftchen liegenber frifcher 33Iumen*
ftraufj.
Site Heinrich bas erfte 9Jtal ba§ 3i mmer »crlaffen
tonnte, fanb er bie 3oßftation S3ogtajen gänjti<h oeränbert.
Sieben bem 2Rauthhaufe mar eine lange SReihe oon §otj*
baraefen aufgefdhtagen, feine Äanjlei mar in ein Sßadht*
jimmer oermanbelt, ©olbaten gingen auf unb nieber,
muffen im ^arijbach ihre SBäfche, unb an ber ©renje
ftanb ein ftarfer gnfanteriepoften.
33on aß’ bem, wa§ fich in ben testen SBochen abgefpielt
hatte, mujjte Heinrich fo gut mie nid^tä. Ser bienftthuenbe
Dffijier erzählte ihm oon ben 33orfommniffen in 2ßien,
$rag unb Subapeft, oom Stufftanb in ber Sombarbei, unb
theilte ihm mit, baj? bie in 33ogIajen Iiegenbe Compagnie
roahrftheinlidh fchon morgen abgelitet werben bürfte, um
nach Italien ju marfdhiren, wo ber greife fRabetjfp ba§
Jfommanbo übernommen hatte, unb wo man erwartete,
baf; bie ßntfeheibung juerft faßen werbe.
Heinrich wanbeite wie im Sraurne umher, ©eine wie*
ber übernommenen SlmtSgefchäfte hatten ftclj fehr oerminbert,
$anbel unb SSerfehr ftoeften, feine mit ©ütern ferner be*
labenen grachtwagen überfdEjritten mehr bie ftmbeSgrenje,
fein Sfeifenber lieft ftdh feiert. Unaufhörliche Gruppen*
burdhmärfdhe fanben ftatt, geßacif hatte mit feinen Kroaten
ba§ omitat befe^t; bie ©üter be§ ©rafen SRogoSh^W#
v Digitized by Google
V ...
drjä$rutt9 »oit V. ». Jtrjd^orfT.
131
ben mon als einen bet fjeroorragenbften gürtet ber fReoo»
lution bejeid>nete, waren non ber ^Regierung eingejogen
worben.
(Sr lonnte ungeljinbert hinüber naclj ©jent -IRiftoS
geljen, wo er ber unglüdlidjen ^llona wie ein tröftenber
(Sngel erfdjien.
$aS arme SJiäbcijen Ijatte böfe Sage erlebt. $)er 33rief,
ben fie am 2Rorgen nacf) ber plö^lidjjen Slbreife iljreS 3Saterö
oon iljm erhalten Ijatte, war bie lefcte 9?adEjridjt, bie ifjr
geworben. $eljn £age fpäter befehlen faiferüdje Gruppen
baS ©dfjfojj, ber $ommanbant, ein alter §auptmann, ber
oon ber $ife auf gebient, nafjnt §errn ©arp bie ©dfjlüffel
ab unb jagte iljn oljne Umftänbe oom §ofe. ^ßona wur*
ben nur ifjre 3i mmer beiaffen, wie ber $auptmann be=
merfte „bis auf weiteren 33cfeljl oon 2öien".
©plügen fonnte in feiner ©igenfdjaft als öfterreid(jifdE)er
Beamter bie militärifdfj befefjte ©renje ungeljinbert übers
fdfjreiten. ©obalb es iljm feine Kräfte erlaubten, eilte er
ju Stfona, um iljr feine Snenfte anjubieten. Sie ßomteffe
empfing il>n wie einen alten Söefannten. §einridjj tfjeilte
ifjr mit, was er über ben ©rafen in biefer bewegten 3 e ü
fjatte in (Srfafjrung bringen fönnen, aber felbft biefeS
2öenige gab ju ben fdjlimmften SJeforgniffen 23erans
laffung.
Sie militärifdfjen Operationen würben geheim gehalten,
man erfuhr audfj barüber fo gut wie nicfjts, bafiir oers
breiteten ftcfj bie wiberfpredfjenbften 9Jad(jrid(jten mit 23lifceSs
fdjneUe. 33alb fjörte man, bie Ungarn Ijätten 2Bien erobert,
bann fjiefj eS wieber, bie ©mpörer feien in einer blutigen
©dfdacfjt bis auf ben lebten 2Rann oernidf)tet worben.
§einridfj teilte 2WeS, was er erfahren fonnte, feiner jungen
greunbin mit. 2Benn er bann Stbenbs nadf) §aufe ging,
ba begleitete ifjn 3>llona meift eine gute ©trede 2BegeS,
unb ba er bas Fräulein in ber Dämmerung bodf) nid£)t
Digitized by Google
132
Htt Ser 6ren;e.
allein jurüdgeljen laffen fonnte, fo geleitete er ftc ftets
mieber bis jum ©dl)lof} jurüd.
$ür (Splügen rcaren bieä bie feligften ©tunben feines
SebenS; er genoft baS ©lüd ber 33ertraulid^!eit mit bem
reijenben 2Befen, baS er anbetete, mit »ollen 3ügen. ^einridf)
erjagte iljr »on feiner freublofen ^ugenb, »on beit 9Jlül)en
unb ©orgen, bie il)n fdjon frü^geitig fjeimgefud&t ffatten,
»on feinen geringen 2luSftcf>ten für bie gulunft. $llona
Ijörte ifjrn ftets mit »ödem ^ntereffe ju. Sftemanb Ijatte
bisljer fo ju iljr gefprod^en , eine neue, iljr »öllig frembe
Söelt, in ber 9Jfülje, 2lrbeit unb ©orge IjerrfdEjte, erfd^lo^
fidj iljr. $ljr S3ater mar iljr ftets fremb geblieben, ber
mütterlid;en Siebe aber Ijatte fie »on ^inbljeit auf entbehrt.
^einricl) fanb nid)t ben 3Jlutf), bem geliebten SdäbdEjen
eine Srflärung ju machen, 3roar fonnte 3ßona jefct aucf)
als arm gelten, ba bie ©üter beS ©rafen »on ber Regierung
eingejogen roaren, aber ©plügen gab fiel) ba feiner ^äufdjung
^in. ©S mußten in abfeljbarer 3 e ^ lieber georbnete 3« s
ftänbe eintreten, unb ba mar es fef)r roaljrfcfjeinlicl) , baft
3Hona mieber in ben 33oHbeft$ beS Vermögens gelangte,
um fo meljr, als t|r mütterlidjeS ßrbtljeil mit auf ben
©ütem lüftete. Unb meldje ©jiftenj fonnte il>r §einrid^
bieten? ©ein feiges 3lmt mar fo fcfjlecfjt bega^It, bafj es
faunt baS -Jiotljbürftigfte jum Seben eintrug. Unb enbliclj —
ber ungarifefje ÜJtagnat bünfte fid) jebenfallS oiel ju Ijoclj,
um einem einfachen $errn ,,»on" feine Softer ju geben.
2)iefe trüben ©ebanfen befdfiäftigten ©plügen £ag unb
•Kadjt, er fanb feinen SluSmeg, feine Rettung. SDafj er
ofyne 3ßona nid(jt §u leben »ermüdete, mar iljm längft flar
geraorben; menn er an ben ©eraeljrpgramiben ber ©olbaten
»orübergittg, roeldEje oor ben Sagerbaraden aufgeftetft maren
unb im ©onnenfdfjein funfeiten, fo fam iljm ftetS ber ©e*
banfe, ob eS nidfjt beffer märe, burclj einen ©d;uf$ ad’ biefen
3meifeln ein Gnbe ju madjen. Sr brandete aber bann nur
Digitized'by Google
■ - n,
firjj$tiing t>on 31. v. 133
Sdona 31t fefyen, ifjre füj$e ©tim me 311 fjöven, um einen
foldjjeit ©ebanfen roeit non ftcfj 311 roeifen.
©in 9tegicrungSbefdf)tuf5 führte bie ©ntfdjeibung Ijerbei.
2 ln alle Staatsbeamten, bie baS breifcigfte ScbenSjalfr nodf)
nidEjt Übertritten Ratten unb bie förperlid;e Sefäljigung
befaßen, erging bie Stufforberung, in baS §eer ein3utreten.
§einridf)’S ©ntfcfylufj mar fofort gefaxt- nafyrn feine
Rapiere ju fidf) unb fragte ben $ommanbanten ber ©rens*
ftation, roo baS nädjfte ^aoallerieregiment ftelje. SDiefer
feilte iljm mit, bafi in ißolstrau, eine ftarfe ©elfftunbe
non Soglajen entfernt, eine Slbtljeilung polnifdjer tüanen
einquartiert fei. ©plügen fteHte fidj bem bärtigen 5 ?om*
manbeur oor. ®iefer empfing ilfn feljr freunbliclj unb naljm
ifjn fofort an. @r erjä^Ite ifjtU/ baf? fed^je^n ber Offnere
beS ^Regimentes 3ur potnifdjen Segion 2 >embinSfp befertirt
feien; baS ^Regiment müffe in ©iltnärfdjen oon $o!omea,
roo eS früher ftanb, nadj ©teiermarf gebraut roerben, ba
ber ©eift ber ©mpörung, genährt burdj baS fdjledjte 33 eU
fpiel ber Dffaicre, fi< 3 j audj unter ber 9 Rannfd;aft in S 3 e=
forgnif} erregenber 2Bcife bemerfbar madje.
®er fRittmeifter iiber3eugte fidjj halb, baff §cinrid; mit
^Pferben fo gut um3ugeljen uerftelje, roie nur irgenb ein
alter ^Reiter; an militärifdfjen $enntniffen fehlte eS ©plügen
audlj nid;t, unb fo fonnte i^n ber SRittmeifter aufforbern,
fid; fo halb als möglid; als Sieutenant 311 equipiven unb
3ur ©ibeSleiftung 3U melbeit.
©plügen fuljr noi) felbigeit Vormittag nadE) SRabferS«
bürg, roo er alles fJZötljige befteUte ; bann melbete er ftd;
als Beamter ab unb übergab baS 2 (mt feinem üRad)«
folget.
93 alb roar auef) bie befteUte Uniform angelangt. 3 n
feiner fleinen ©tube naljm ©plügen bie üßanblung oom
Zollbeamten 3um SReiteroffijier oor. 2 llS er ft ben tont
23 ater ererbten ißallafclj um bie §üfte gürtete, ba füllte
Digitized by Google
134
Ru btt *rtnj<. Änä^runj oon ü. v.
er, bajj er nid^t nur einen neuen 3Jtenfdjen angelegen
flotte, fonbern baff audj ein neue§ geben beginne !
6r fuljr l)inau§ nadj ©jent SRifloä. 2tl§ ber SBogen
in ben ©djlofsljof roßte, unb ein glänjenber Ulanenoffijier
auöftieg, ba fdfßug gßona ba§ $erj fjeftig. gmmer $öfe§
oermutfjenb, !am fie langfam bie kreppe fyerabgegangen.
©plügen eilte i^r entgegen, fie erfannte ifjn unb ftreefte
iljm wortloä bie §änbe entgegen.
„2Ba§ ift gefdjeljen, §err u. ©plügen, roie fomtnen
©ie in biefe Uniform? ©o moßen audE) ©ie rniclj oer:
laffen?" unb Ijeifse Sljränen ftürjten iljr au§ ben 2tugen.
©plügen füfste Ujr bie ^änbe, bie oon ben reidfjlid)
ftrömenben frönen bene^t roaren unb bat fie, iljm nur
eine für je Unterrebung ju gemäßen .
gßona führte iljn auf iljr gimmer; eg war ba§ erfte
9ftal, ba3 ^einrid^ biefen 3*iautn betrat. @r ergriff $ßo=
na’3 §änbe, üifste bie rofigen ginger unb fagte mit bebem
ber ©timme: „gd; fomme, um Stbfd^ieb ju nehmen." @r
fonnte oor Bewegung nid£)t meiter fprecfjen. gßona falj
ifjn mir i^ren großen fdjwarjen 2lugen in wortlofem
©cljmerje an. Sa jog er ba§ geliebte 9J?äbd^en an feine
33ruft, er füfjte iljre Sfugen, er brüdfte bie garte ©eftalt an
fein fjocfjflopfenbeä §erj.
„$ßona, mein ©ngel, mein füfjeä ftinb, idj fiabe Sidj
geliebt mit ber ganjen 5hraft meiner ©eefe oon bem Slugen«
blidfe an, ba idf) Siclj jum erften ÜTiale gefeljen fjabe, unb
meine Siebe Ijat meinen ©ntfdfßufj beftimmt. ©ei mein
ftarfeä unb tapferes 3M>dfjen! ^e^t, roo id; weifj, bajj
Sein §erj mir gehört, jielje icf> frofjen ÜRut^eä unb ooß
Vertrauen auf bie $u!unft oon bannen, gdfj werbe auf
ber 23aljn ber @ljre oorwärts fdfireiten, unb wenn ber griebe
einfeljri, bann foßft Su mein geliebtes Sßeib werben!"
$ßona weinte ftiß oor fidj fjin, um if»re SERunbwinfel
judte e§ in Berbern ©d^merj. §einridf) lüfjte iljr bie SfircU
Digitized by
136
Rn &«r «renje
nen oon ben 2öimpern. ©ie manb fidE) auä feiner Um=
armung, Ijolte ifjr ©dfjmudfäftd&en unb entnahm bemfelben
einen fRing.
„(Sä ift ber SSerlobungäring meiner -Mutier," fagte
fie, ,,idf) fjabe iljn als t^euerfteä SBermädjtnifj ftetS in Ijoljen
(Sfjren gehalten. Xrage ®u iljn je$t gum Slngebenfen an
miclj, er foH ®id^ ftetö baran erinnern, bajj ein armes,
oerlaffeneä SJlcibdjen um ®id; meint, ©ei mir treu, roie
iclj es SDir fein merbe."
§einridjj entmicfelte feine $läne. (Sr Ijatte nid^t unbe=
bad^t gefjanbelt, als er ben 33eamtenrocf mit ber Uniform
oertaufcfjte. ©eine juribifcfjen ©tubien fonnten iljm oon
großem Mufsen fein. (Sr t)atte bie 2lbftdjt, eine 3ä&m9
als aftioer Offtjier gu bienen unb bann gum Slubitoriat
übergutreten. MadE) ben bamaligen 93eftimmungen fonnte
er in biefer Stellung oljne Kaution fjeiratljen.
®ie Siebenben befpradEjen nodE) eine 9leil)e oon ^leinen.
QUona rcottte fidE) bei ber alten §au§E)älterin in ber $üc§e
auäbilben. §einricf) betradfjtete läcljelnb il)re feinen, fpiljen
^ingerdfjen, in feiner fräftigen §anb oerf^roanb bie irrige
ooHftänbig. ^llona erriet^ feine ©ebanlen.
„©laube nicfjt, §einridfj, baf$ idfj nur fdtjmärme unb nidEjt
roeifj, roa§ icfi fage! l)abe ben beften unb eljrIidE)ften
^Bitten, unb maä ebenfo fermer in’ä ©emicf)t fällt — xd)
l)a6e für bie Äüdf)e roie für baä §au3mefen ftetä lebhaftes
^ntereffe gehabt. SGBie oft §abe idE) ben SBater gebeten,
ba§ £auSmefen führen, in $üdje unb Kelter fdjalten unb
malten gu bürfen — immer umfonft!"
©plügen gog bie ©eliebte noclj einmal an feine Sruft;
e§ mufste gefcfüeben fein. (Sr oerfprad^ oor feiner Slbreife
nodf) einmal nadfj ©gent fUlüloä gu fommen, eä mufsie iljm
eine geroiffe 3eit gur Drbnung feiner Slngelegenljeiten ge*
geben roerben, biefe 3^it moUte er gang feiner 23raut
mibmen.
Digitized by Google
CrjäfCunc von D. p.
137
SDie ©adje fant jebo<^ anberg. gn feiner ©tubc fanb
er einen Vefeljl oor, fofort in fßolgtrau jur dibegleiftung
ju erlernen. dr ging nodj ju Dgrifegg, um ftdf) ju »er*
abfdffieben. gm VaberlfäugdEjen trauten fte ifjren 2lugen
nicljt, alg fte ben Ulanenoffijier faljen. grau Dgrifegg
machte iljm eine tiefe Verbeugung, fpradj non oieler dljre
unb fjoljer 2lugfteicfjnung, gräulein Somalia mar bie Siebend
rDiirbigfcit felbft.
9J?it biefem Slbfd^ieb fjatte er alle feine f]3flid;ten er*
füllt, dr fuffr nadf) fßolgtrau, mofelbft iljn ber Stütmeifter
mit Ungebufb erroartete. ®ie dibegleiftung ging in ber
Ijerfömmlidfjen Seife t>or ftd^, ber SRittmeifter nerjeid^nete
biefen 2lft in fein ^rotofoll ünb fd^üttefte bem neuen
Sfameraben Ijerglicl) bie §anb.
„dg ift jefct brei Uf)r, lieber greunb, ber Sarfdjbefe^l
liegt feit elf Ul>r Vormittag bei mir in ber Hanglei. gd;
felbft fantt nodf» nicf)t fort, ba idj nod^ nicljt alle 3 a ^ s
Jungen gemalt fjabe. gljr rüdt mit ber ©dfjmabron in
einer Ijalben ©tunbe ab, um adfjt, längfteng um neun Uljr
2tbenbg fönnt gljr in Sarburg fein; für Unterfunft muft
ber Vürgermeifter forgen. Um oier Uljr frülj bredjt mieber
auf unb fudfjt fo rafcfj alg mögliclj ©örj ju erreichen,
bort finbet gljr auf bem ©tationgfommanbo rceitere Ves
fefjte, tclj Ijoffe dud; übrigeng fcljon jmifdfjen ©örj unb
fDiarburg eingufjolen. ©dfjont bie Vferbe, barauf, baf?
fte gut abgerieben merben unb überjeugt dud^ oor bem
SCufftfcen ftetg baoon, bajj bie ®eden feine galten rnadjen,
baff fein fßferb einen ©attelbrud befommt. Unb bamit,
lieber greunb, auf Sieberfeljen!"
§einri<fj fanb faum 3eit> einige 3eilen an feine Vraut
gu fcfjreiben, morin er nodfj einmal 2lbfd;ieb naljm unb
tljr mittfjeilte, bafj er gum $eer nadj gtalien einrüde; er
oerfpracf», fo mett eg nur möglidj fei, fleißig gu fdjreiben.
®ie ©d&roabron ftanb fdjon bereit unb ©pliigen mu»
Dlgitized by Google
138
An itx <5r<nj«.
fterte bie Mannhaft, erftattete bem gurücfbleibenben Ritt«
meiftcr bie SJlelbung unb gab ben Befehl gum Slbmarfd;
— fein ©djicffal fottte fid) erfüllen.
6 .
Srei 3>a^re waren feitbem »ergangen. 3> n einem ^clb*
gug »on nur acht Sagen hotte Rabefcfp bie italienifche
2lrtnee bei Rooara oernid^tet unb $arl Stlbert »on ©ar«
binien gur 2tbbanfung gegwungen.
2llä ©plügen mit feinem Regiment auf bem ÄriegS«
fcf)auplaf5 eintraf, war bie ©ntfdjeibungSfchlacht fdjon ge*
fdjlagen, für $einrid) aber begann eine $eit parier Arbeit.
Man hotte höheren DrteS halb hevauSgefunben, bafj er
ein RechtSfunbiger fei unb mit ber $eber »ortrefflid^ um«
gugefjen raubte; ba gab eS fofort 33cfd;äftigung. Sie bei«
ben ifßrooingen SBenetien unb Sombarbei mürben unter mili«
tärifdje SSerroaltung geftellt, Heinrich gum ifkrfonalabju«
tanten beS ©ouoerneurS beförbert, unb in biefer ©igenfdjaft
fafs er ftetS bis Mitternacht am ©djreibtifch, um bie lau«
fenben ©efdjäfte gu erlebigen. Um oier Uljr früh muffte
er fdjon wieber gum Morgenrapport fertig fein. Rur feine
»ortrefflidje ©efunbljeit unb ^ugenbfraft »ermochten biefe
geiftige unb phpfifdie Ueberanftrengung gu ertragen, ©ene«
ral ber SaoaHerie, SBaron MaUmoben, ber Dberft feines
Regimentes, muffte biefe latente beS jungen DffigierS aber
aud; gu mürbigen. ©plügen aoancirtc ungewöhnlich fchnett ;
bereits nach einem Soljre war er Rittmeifter.
©eine SluSfidjten geftalteten fid; immer giinftiger. @r
muffte, roogu unb für wen er arbeitete. 2Senn er oft oor
Mübigfeit gufantmengubrechen meinte, fo hielt ihn ber ©e«
banfe an bie ©eliebte aufrecht. ^llona war in ihrer ©in«
famfeit eine fleißige SBrieffdjreiberin geworben; fte lebte
nod; immer auf ©chloff ©gent MilloS unb hotte ftch, wie
fie ftets oerfidjerte, gur guten §au8frau herangebilbet.
Digitized by Google
9Sr};il?fitit<j von X>. v. JC nc^&orff.
139
traurig lauteten bie 9iödjvi$ten über Ungarn, bie bei
bem $eere in Italien eintrafen. •Kadjbem e? ^eKacic
nicfjt gelungen war, ber Empörung $err 3 U werben, über*
naljm §apnau ba§ ßommanbo. 25ie blutige ©ditacfjt bei
fRaab unb bie !urj barauf erfolgenbe $ataftroplje non
23ilago§ entfliehen baS ©djidfat Ungarn?, ©cljwer laftete
bie eiferne gauft §apnau’§ auf bem Unglücken Sanbe.
©raf SBattljpanp, ber ehemalige ©inifterpräfibent, mürbe
jum Sobe burdl) ben ©trang oerurtljeitt. ©eine gelben*
mütljige ©emalflin fanbte iljm in ben Werfer einen Saib
SBrob, in melden fie felbft einen ©lagfdjerben eingebaden
Ifatte. 25er unglüdlidjje SJiann bradjte ftd) mit bem ©d;er=
ben mehrere §al?rounben bei, fo bafj ba? Urtfjeil nur nodff
burd) (Srfdfpefjen »ollftredt werben lonnte unb er bem
fdf)impflicl)en Sobe am ©algen entging. Droäjoap gelang
e?, mit ßoffutf) in bie Sürfei ju entfommen; in 2 lrab
aber Ratten breijeljn ber fjeroorragenbften ^ü^rer, barunter
ein ©raf 2 einingen=©efterburg, ein 9ieffe ber Königin non
Grnglanb, an einem Sage am ©algen geenbet. 33on © 0 =
goä^ijp f)örte man nidf)t3, $einridfj glaubte, bafj ber ©raf
bei einem Sreffen geblieben fei.
$ut (Säuberung ber füblid^en Sanbeägrenje, wolfin fidf)
bie (Empörer in bie 25onaunieberungen jurüdgejogen Ratten,
würbe ba§ Ulanenregiment, bei welkem ©plügen ftanb,
nad; Ungarn befohlen. §einridE) oertaufdlfte wieber bie geber
mit bem ©äbel; in (Sifmärfcfjen rüdte ba§ Regiment bei
23oglajen über bie ©reitje. ©plügen fal) wieber feine
3lmt?ftube, ein alter inoaliber gelbmebel oerfaf) feinen
Soften. 25ie Sruppen mußten ©djjlofj ©jent ©iflo? paf=
firen, $einricfj ^atte ^Kona non feinem 25urd^jug üerftäm
bigt. ©ie ftanb unter bem ©cfitofstljor unb winlte if)tn
fd>on oon ©eitern mit bem Sud;e. 6 r brüdte feinem $ferbe
bie ©poren in bie ©eidjen unb flog auf bie ©eliebte ju,
fprang au? bem ©attel unb fciflofs baö erglüf^enbe 9Jläb«
Digitized by Google
140
Ru 6er ® reu je.
cfjen in feine 9trme. 9htr wenige fBtinutcn waren bem
Sßaare uergönnt, nur wenige Sßorte fonnten fie wecfyfelit,
ftd£> ben ©cfyrour ewiger £reue erneuern — §cinrid^ mufjte
mit feinem Regiment weiter.
Sei ©ifloS fließen fie auf baS Hauptquartier, ©ptü*
gen erlieft Sefeljl, bie ©onaunieberungen 511 fäubern unb
jeben Siebellen, ber mit ber SBaffe in ber §anb ergriffen
würbe, fdjonung§Io§ erfdjiejjen ju taffen. $ie ©egenb um
bas ®orf ©pörifaloa würbe ifjtn befonberS empfohlen. 25ort
Hatte ft<H ben eingejogenen -iRacfjrictjten jufolge ber teilte
JReft ber HonnebS gefammelt, ein entfe^toffener güfjrer fcfyien
an iljrer ©pilje ju fteljen. ®er Siücfjug nacij bem ©üben,
unb bamit ber Ueberiritt auf türfifd&eS ©ebiet war tfjnen
burdE) ©renjtruppen unmöglich gemalt; »on allen ©eiten
eingefdfdoffen blieb ben Ungarn fein anberer 2Beg übrig,
als ju fterben.
Unterwegs gefeilte fidj jur ©dljwabron ©plügen’S ein
$ug Infanterie, ber non einem Dberlieutenant geführt
würbe. ®er Infanterie fiel biefetbe Aufgabe ju, wie ben
Ulanen. Heinrich übernahm baS Sfommanbo über bie ganje
©Epebition. ®ie ©olbaten ftiefien wäljrenb ifjreS langen
fDiarfdfjcS auf fein menfctjlidjeS Sefen; jerftörte Säuern*
geljöfte unb niebergebrannte Hütten bejei^neten ben 2öeg,
ben bie feinblidEjen Gruppen genommen Ijatten.
Sor einer einfamen Gfarba malten fie H Q ^- ® cr
ffiirtlj ftanb bemütljig in ber £fjüre unb frug bie Herren
nadf) iljrem Segefjr.
fmb oorgeftern ungarifdje ^ufurgenten Ijier burclj*
marfdEjirt, wetten 2 Beg Ijaben biefetben genommen unb
wie t>iel SDiann ftarf waren fie?" fragte ©ptügen.
„©näbigfter Herr, ©ott möge ©ie erhalten nodE) ljunbert
Sialjre! 2 Bie fott idtj armer, alter SJlann wiffen, rooljin fie
fmb? 3 >n ber finfteren Siadit finb fie Hier burdjmarfdjirt
— wie fott id) wiffen, wie oiele eS gewefen fmb!"
Digltized by Google
®rjfl§fung con V. r. JCqfibotff.
141
„IDiefe 2tuöflucfjt fjilft 2)ir nichts!" oerfetjte Splügen.
„®u fennft f)ier bie 2öege unb Stege, $>u mufjt roiffert,
roeldje Stiftung bie $onoeb§ genommen f)aben ; unb roenn
®u fie felbft nidjt gelegen l)aben fottteft, fo mufft $u an
ber 3eitbauer be§ SBorbeimarfdfjeS erfannt ffaben, ob fie
jalflreicf) roaren ober nidjt."
„©ott möge mid) (trafen, gnäbiger $err, roenn idf)
^jfjnen nid^t gefagt fjabe, roaä icf) roeifj ! ffiofjin roerben fie
marfcijirt fein? $ie Straffe fü^rt nacf) fßalcgap, bortlfin
roerben fie gegangen fein."
„3ft fßalcjap ein größerer Drt?"
„U)em gnäbigen §errn su bienen, nein! fßalcjap ift ein
33orroerf, ba§ bem gnäbigen §errn ©rafen Wiloffouid;
gehört, eö ift fjier roeit unb breit fein größerer Drt ju
finben."
SDer froatifc^e Dberlicutenant fjatte ber 23erfjanblung
biäfjer ftumm jugefjört. ^efjt roanbte er fid; an Splügen unb
fagte: „Seib fo gut unb erlaubt, baff icf) einmal in meiner
SBeife mit bem Surften oerffanble. @ud), lieber greunb,
merft man an, baff Sfj* @ud; meffr auf bem $arfett, als
auf bem Sdf)lacf)tfelb beroegt ffabt. So, roie ^Ifr bie Sadfje
angreift, roerben roir nie bie SBaffrffeit erfahren."
®er Dberlieutenant langte nadj bem fpanifcffen (Rofjr,
roeldje§ Splügen im Stiefel ftedfen Ifatte, trat an ben Söirtfj
fjeran unb fjieb iffm mit »oder ©eroalt über ba§ ©eficfft.
©in blenbenb roeiffer Streif jeidjnete fiel) fdjarf auf bem
braunen 2lntlifc ab. 25er Wann fd^rie auf oor Sdjmerj
unb bebedte mit ben §änben ba§ ©efid&t.
„^df) roerbe SDir bie Süge eintränfen, 2>u alter Sünber !
2)u roirft fofort bie 2Baffrf)eit gefielen ober icf) laffe ®ir
oon meinen Solbaten 2)eine alte, oertrocfnete Pergament--
Ifaut bei lebenbigen Seibe über bie Df)ren jiefjen! Söann
finb bie $om>eb§ burcfjmarfdjirt?"
3n roortfofem Scf)merj falf ber alte Wann feinen
Digilized by Google
142
Än 6er ®renje.
Reiniger an. „9lun, toirb’S halb!" unb ein neuer #ieb
fiel faufenb bem SBirtlj über’S 2lntlt$.
©plügen, ben biefe Brutale 9Jtif$ljanblung empörte, roollte
eingreifen.
„33erjeiljt," fprad^ ber $roat, „öerjeifjt! m * r
bie SSer^anblungen übertragen, unb es ift ,$sienft‘, toaS
iclj tfjue. UBeidjfjerjigfeit tft l)ter gar nid)t am $la$e, mir
toerben Ijeute 2lbenb nod) Bi§ über bie ßnödfjel im Slute
fielen! — 2llfo, SBurfdje, fag’ bie 2ßa^r^eit, ober — "
®er 2öirt!j jammerte Ijeftig.
,,©ie finb geftern um adjt Uljr frülj burdjmarfdfjirt unb
ftnb nad) IfMcjap, um bort ju raften," ftotterte er.
2luf einen SBinf beS DBerlieutenantS trat ein 9ftann
aus ber 9tei|e unb Banb bem Söirtlje bie §änbe auf ben
dürfen.
„3}u roeifjt jebenfallS meijr, als idf) oermutf)ete, $tt
toirft un§ naclj ijklqap führen, unb jtoar auf bemfelben
2Beg, ben bie §onoebS gegangen finb. 2Bieoiel SJlann
ftarf roaren fte?"
„@S mögen fünfjeljn gemefen fein, id& Ijabe fte nid&t
jaulen lönnen."
„SBaren Leiter babei?"
„9?ein, nur ©iner ift geritten, idj Ijabe iljn nic^t ge*
fannt."
„2Baren fie Beroaffnet?"
„3a. ©te Ijaben ©etoeljre getragen unb ißatrontafd^en,
aber fie Ijaben feine ©dfjulje tneljr gehabt, fte toerben nocf)
nidfjt toeit fein oon ^alcjap."
„2Bol)in füfjrt ber 2Beg oon Ißalcjap roeiter?"
„SDer 2Beg füfjrt über bie Steife, aber man fann il>n
nid}t meljr geljen, bie ©olbaten Ijaben bie SBrüde abge*
Brodten unb oerbrannt, fdE)on in ber oorigcn SßodEje."
„@ut!" fagte ber Dberlieutenant. „$)u fteKft SDidf) jefct
an bie ©pifje, ©pifjbube, unb SDu," toanbte er ftdfj ju einem
Digitized by Google
<Sr;ä?fung von 33. v. &rj$boxft. j[43
Storperal, „$>u nimmft deinen fiabftodE unb Ijilfft iljm
bamit geljen."
3>ie ©ppebition fe|te fidj in ^Bewegung.
■JtadE) einftünbigent StarfdEje melbeten bic oorgefdfiidften
Ulanen, bafj baS Sßorwer! in ©id&t fei. @r war bie§ ein
mafftoeS ©ebäube, au§ Srud&fteinen aufgefüfjrt, weldEjeS
fid) mit feiner rüdwärtigen ©eite an bie Sfjeifj lernte.
2lu§ bem ©dfjornftein ftieg Staud) auf, ein geidjen, baf$
ber §of bewofjnt mar.
SDer 3ug Infanterie ftettte ftd(j an bie ©pifje, ©plügen’3
Ulanen fugten bie ©egenb ab.
Stit SSorfid^t näherte man ftdj. 3 m £°f e f»att e man
bie fommenben Gruppen gleichfalls Bemerft, es roarb lebenbig
unb ©emefirläufe büßten über bie Stauer. $>ie $onoeb§
mußten, meines ©cfiidfal ifjrer Ijarrte, unb jogen es r>or,
lieber in offenem Kampfe ju fterben, als nach enbloS
langem sßrojef} fc^tie^li^ ju $uloer unb 23Iei „begnabigt"
ju werben!
£)er Dberlieutenant orbnete feine Stannfdhaft jum 3lm
griff, ©plügen lieft jum ©ammein blafen.
$a fragte ber erfte ©<hujj aus bem SSorwer!. 3«
bie ©time getroffen, fdjleuberte ber Dberlieutenant ben
©übel weit oon fich, breite ftch um ftdj felbft im Streife
herum unb brach jufammen. ©plügen faft ab, ftellte ftch
an bie ©pi$e ber Infanterie unb führte fte §um ©türm.
3m 2lugenblicf mar bie 3Jiauer genommen unb überftiegen,
unb 2WeS, maS ftch in ben 2öeg ftellte, mit bem Skjonnet
niebergemadfjt.
®er 3teft ber 3»f^genten ^atte ftch in baS ©ebäube
prüdfgejogen, aber bie üEljüre fiel unter ber SBud^t ber
Stolbenftöfje. 3 n einem ©emaefj Ijatten fidf) bie wenigen
Ueberlebenben noch einmal öerfdjanjt.
©plügen wollte bem S9Iutoergie|en ©inhalt ihun, er
forberte bie Seute auf, fiel) ju ergeben. $ie SBerljanb:
Digitized by Google
144 Rn & er Ärjä^rung oon v.
luttgen waren furg, bie $Ijür öffnete ftdjj, unb Splügen
trat ein.
3wei oerrounbete ^onoebä lagen am Soben. 3» n bex
9Ritte ber Stube ftanb Ijodfj aufgericljtet — ©raf ©epja
3Rogogl)ägp.
Splügen ftarrte il>n an roie ein ©efpenft, ber ©raf
Ijatte feinen Säbel gerbrodjen unb übergab bie Stüde baoon
bem fRittmeifter.
SDie 3Rannfc^aft mar oor ber Stljür fcijufjbereit fielen
geblieben. Splügen fommanbirte fie ab unb befahl, ben
tobten Dberlieutenant in’g §au§ ju tragen.
fftadjbem er alle Slnorbnungen getroffen Ijatte, trat er
roieber gu 2RogogIjäjp.
„§err ©raf, eg ift bie fdfjtoerfte Stunbe meinet Sebeng,
in ber idj $ljnen fo gegenüberftefjen muff!"
„3d(j roeifj eg, lieber greunb ; icf) bin glüdflicf), Sie nodlj
einmal im Seben getroffen ju Ijaben. $d) Ijabe längft ab*
gefdjloffen mit bem SDafein, Sie aber wollte idj oor meinem
©nbe nocf) einmal fpredjen, barum ergab icf) midi), alg icf)
Sie erfannte. 2lber — feit brei Stagen ift fein SBiffen
S3rob über meine Sippen gefommen, laffen Sie mir etroag
reifen, bamit meine Kräfte nocfj fo lange galten mögen,
big idfj $fjnen SlUeg gefagt fjabe."
Splügen teilte bem ©rafen oon feinem 33orratlj mit
unb reichte ifjnt bie gelbflafd^e. $n langen, gierigen 3ügett
tranf ber unglücflicfje 9Ramt. ©ine brennenbe SRötf)e tourbe
auf feinen fallen Sßangen jicfjtbar, er fetjte ficf), ftütjte ben
5?opf in bie £anb unb meinte.
Splügen trat ju bem ©rafen. SRogogfjägp reichte ifjm
bie §anb unb fagte: weif} Sllleg. $Uona fjat mir ge*
fdjrieben, unb Sarp mir bie Briefe gufommen laffen. SDen
armen Sarp fjaben fte oor einer Sßocfje ftanbrec^tlid^ er*
fdwffen, ber alte 3Rann ftarb toie ein foelb ! ^llona melbete
mir iljrc Verlobung mit $ljnen, icfj gebe ifjr meinen Segen,
Digitized by Google
3» bcr Witte ber Stube ftanb I>od) cuifaetictjtet — Övnf
Öeijjn 'JJ!o(|o«f)äjl). (S. 14-J)
1»95. IV. 10
Digitized by Google
146
Kn 6«r Kren;«.
matten ©ie baS arme -JRnbclien glüdlicl), fte oerbient eS.
3n ber Sanf oon ©nglanb liegen fünfjefjntaufenb ©ulben
für meine £odjter, ba§ ©elb reicht für bie Kaution unb
für bie erfte ©inridjtung be§ §au3ftanbe8, bringen ©ie
3$rer Sraut meine lebten ©rüfje."
©plügen Ijatte erfdfjüttert bie $änbe beS ©rafen erfajjt.
„ÜRein, ©ie bürfen nicf)t fterben, e§ mufs fid§ Rettung
für ©ie finben!"
„IJS Ijabe bie Hoffnung aufgegeben. 9Z ie mürbe idj
baS Opfer non $>ir annefjmen, mein ©oljn. SReine Rettung
mürbe $>S 3)eine ©Ijre, SDeine ©tellung foften."
„Unb menn idj 2lHeS cerlieren foHte, 5Du barfft nic^t
in bie $änbe deiner $einbe fallen. ®ein blutiger ©djatten
mürbe ftetä jroifdjen mir unb meinem Sßeibe fielen —
nein, eä barf nidjt fein!"
$er 2lbenb mar mittlerroeile IjereingebrodEien. ©plügen
entroidelte feinen 9ßlan unb neuer SebenSmutl) erfüllte ben
©rafen.
$einrid(j entlebigte ben ersoffenen Äameraben feiner
ßleiber, unb eine ÜBiertelftunbe fpäter mar ©raf 2Rogoö--
fjäjtj in einen öfterreicfyifdfjen Dffijier oerroanbelt.
„3)ie für freute auSgcgebene Carole ift ,23elgrab‘, für
morgen ,$atljarina‘; bie SofungSroorte Reifen 2)ir burdj
bie foften, ber 2öirt^ foH 2)idf führen," fagte ©plügen.
$ie ©olbaten liefe er im $ofe antreten gum 33egräbnife
ber ©efallenen. ©ine ©rube mürbe au§gel)oben, unb bei
Saternenfdfiein mürben bie Unglüdlicfeen jur lebten SRuljes
ftätte geleitet. ®ie $eierlicf)feit benufete 9Rogo§^djp, fiel)
ungefefjen ju entfernen. 2ll§ bie ©Ijrenfaloe Iradjte, Ijatte
ber ©raf ba§ ©ef)öft fdfjon im fRücfen; jmei SCage fpäter
mar er glüdluij auf iürfifd)e§ ©ebiet gelangt.
$)er ©türm ber fReoolution mar oorübergebrauSt, SRulfe
unb Triebe mar eingefeljrt in bie Jütten roie in bie ^Saläfte,
Digitized by Goosle
«rjä^fmtg t>oti ®. p.
147
25er junge, ritterliche $aifer $ranj Sofeph ^ atte DOn bem
fdjönften Vorrecht ber Jtrone ©ebraudj gemalt unb allent*
halben ©nabe malten taffen. 2luch ©raf ©epja ÜJlogoS^äj^
gehörte ju jenen ©lüdlichen, bie rnieber in ihren früheren
Vefttj eingefefct mürben.
©plügen hatte ben SDtilitarbienft als 9Jiajor oerlaffen,
auf SBunfch beS ©rafen baS junge (Sfjepaar feinen
2öohnfi^ in ©jent üülifloS geroonnen, mo fich ©plügen mit
ber Vemirthfdjaftung ber ©üter befdjäftigte.
®er 25rei!önigSbalI, ber mährenb ber ÄriegSjaljre aus»
gefegt morben mar, fottte heuer ju neuem ©lanje aufleben,
bie umfajfenbften Vorbereitungen mürben baju getroffen.
25er ßurfaal, ber lange £eit als fiajareth gebient §atte,
mürbe oon ©runb aus reftaurirt.
Stuch $err 25ofior Dgrifegg mar jum Vati oon Vogtajen
herüber gelommen, er hatte fuh roie gemöhnlich etmaS oer*
fpätet, ba feine 25amen forgfältiger benn je Toilette gemacht
hatten.
Heinrich erfchien, feine junge, bliiljenbe ©emahlin am
2lrm, in ber Xradjt eines ungarifchen Magnaten ; ber ßaifer
hatte ihm für bie beraiefene $reue unb £apfer!eit baS
ungarifdhe ©taatSbiirgerredjt oerliehen.
25er Vatt nahm feinen Slnfang, ©plügen eröffnete bie
f^eftlidjfeit mit feiner ©emahlin.
2tfs bie Volonaife gefpielt mürbe, trat er ju $*üulein
Slmalie Dgrifegg unb bat fie um ben 25anj; ein 9ieffe
Dgrifegg’S, ber fiel) als 25oltor ber SJtebijin in Voglajen
niebergelaffen hatte, fafjte fid; ein §erj unb bat bie @e=
mahlin ©pliigen’S um bie £our, bie ihm auch freunblid)
jugefagt mürbe, ©o mar enblich bie ©djranle gefallen,
bie fo oiele ^aljre lang bie bürgerliche unb bie ariftofratifdje
©efeUfchaft getrennt hatte.
Digitized by Google
3 ugett&.
Tloretrc von J^anl
(lladjStiKf ottbotfn.)
1 .
Iw^JS ift ein fc^öner froftfTarer ^anuartag.
h.~M 5lurt Hagenau fiijt an feinem 2lrbeitStifdE| unb
vertieft ftdfj in ein bidfbänbigeö ©efdjidjtSroerf, au§ bem er
©tubien madjen miß für fein neues fDratna.
(Sr fjat ben f£ifd) bid^t an ben $adjelofen gerüdi, benn
eS ifi falt im 3immer, unb bie $enfterfcf)ciben finb mit
cifigen gli^ernben ©Turnen bebecft. (Sin f^roftf^auer rinnt
bem Sefenben ü6er ben fRüden, fein ganjer Körper gittert
unb äroifdjen feinen fTappernben 3ö^nen ringt firf) eine
leife ©erroünfdjung Tjcruor.
(Snblidj roirb es ifjm ju arg. (Sr fann nid;t mefjr
arbeiten, bie $älte madjt es if;m jur Unmögliddeit. (Sr
ftejjt auf, beibe .fjänbe in ben §ofentafcf;en, unb läuft
nun im 3intmer F;in unb I)er, um mieber roarnt ju merben.
„®iefe föäTte," fprid;t er ju fidj feTbft, inbem er auf
baS ^^ermometer fiefjt, „babei fotf man arbeiten, gan$
unmöglich ! 2Xber bieS Sumpenleben foU je£t ein (Snbc
Tjaben, idf) ertrage eS nid)t länger!"
®a roirb gef Topft , unb auf $urt’S „herein" tritt ein
junger SOiann ein, bcr ©Taler ©olfgang Söalter, fein
befter greunb.
Digitized by Google
STordTc von TaiiT Sfiß.
140
„911), mein lieber 28olf!" $reubig begrübt if)u $urt
unb füljrt ifjn an’ö ©opfja. „SDag ift lieb oott SDir, baft
2)u gleicf) gefommen bift."
„2lber trenn ®u mir einen foldfjen 33rief fdjreibft, mag
bleibt mir benn ba anbereg übrig!"
„92un ja, ber 33rief — SDn Ijaft redji, aber erfahre
erft, mag mid) baju reranlafjt f)at. — 9BiUft SDu nidE>t ab*
legen?"
„iffieifjt SDu, eg ift rermünfd)t falt Ijier, eg fdfjeint mir
am beftcn, id) bemalte ben Hantel um, benn id^ bin fdjon
etrcag erfdftet."
„3Bie ®u millft. SBenigfteng fef$’ ®idf) unb Ijör’ midj
an, benn id) braudfje deinen 9tatlj, — aber offen unb
eljrlid), lieber 2Bolf."
„©ollft ®u l)aben, mein §unge, mein 2öort barauf."
@r feijte fid) in bie ©opfjaede unb jog ben Hantel eng
an fid). ,,©o, nun lege log."
@in Söeildjen nod) fd^mieg Äurt unb ging ftnnenb im
3itnmer fjin unb l)er, alg fuclje er nadlj ben redeten
■Jöorten.
„$jd(j beabfid)tige , mid^ ju oerloben," ftiefs er enblid)
furj l)eraug unb ftanb ror Söolf ftiH.
ficid^etnb faf) if)n ber $ reii nb an. „Unb barum läfit
®u mid) ju ®ir fommen? 9lber, lieber ^unge, roa§ Scl)en
mid) $)eine £iebfd)aften an."
„®iegmal ift eg ernft," rerfefjte $urt.
„92a, um fo meniger braud)ft ®u bann meinen 9tatf)."
„9tber ja, iclj braune if)n bodj!"
„9llfo ift eg ein armeg 902äbef, nid)t mal)r?"
3lurt fd)mieg.
,,$|cf) neunte $ein ©djmeigen für eine SBejaljung," ful)r
2öolf fort, „unb ba gebe icl) ®ir benn ben moljlgemeinten
9tatfj: rerlobe 2)id^ nidjt, unbebingt nid)t! ßg märe Un*
redjt unb £ljorf)eit, trenn 2)u ein SÖßeib an ®idf) feffeln
Digitized by Google
150
Sugtnb.
iDoHteft , urtb wenn SDu fte nodj fo Ijetfj liebft. ©ie Ijat
nichts , $Du Ijaft nichts , ®ein 2>erbienft ift gleid^ S^ull ;
alfo toooon mollt iljr leben? $er Siebeäraufdj ift halb
oerflogen, bann fotnmt bie fd^ale 2lHtägIidE)feit, bie ©orge,
bie 9?otlj, bie ©djulben, unb bann ift Siebe, ©liicf unb (Sim
tracfjt futfd), unb bie 2Belt ift um eine unglüdlidlje ßlje
reicher, ßin armer Zünftler foH nur bann Fieiratljcn, toenn
bie ffrau ifjm oiet ©elb mitbringt. Sa§ ift meine SJteinung."
„^djj banfe $ir, 2öolf," bamit reichte $urt bem f^mmbe
bie §anb, „toa§ ®u mir fagteft, ift audj meine 2lnfd>auung.
2Iber Ijier liegt ber $aH anberö: baö 9Käbd)en, an baS
iclj backte, fjat ©elb, fefjr oiel ©elb fogar, aber — id;
liebe fte nidjt."
ßine ißaufc entftanb. gragenb falj 2Bolf ben $reunb an.
„2Benn 5Du fie nid^t liebft unb bennodj an eine $eiratf)
benfft, fo liebt fie ®idj alfo?"
,,^d; rnufj eö annefjmen, benn fte Ijat mir bie unjtoeU
beutigften 23crueife bafiir gegeben. 3$ war woljl ein
bu^enbmal mit iljr jufammen, natürlich immer nur in
©efeHfdjaften, unb ftetS mar id£) ber ©egenftanb iljrer
2lufmerff amfeiten."
„Unb SDeine ßitelfeit täufd)te SDiclj nidjt?"
„2lber ®u fennft midj bod)!"
„9?un, bann Ijeiratfje fie getroft. 2Benn fte ®idfj roirfs
Iidf> liebt, bann mirft audf) $)u fie lieben lernen, ober
reben mir beutlidjj: iljr merbet eitel) aneinanber getoöljnen."
SBieber entftanb eine Saufe. ßurt fajj brütenb am
SlrbeitStifdj , unb ein finfterer $ug oon Sitterfeit unb
©djjioermutlj lag auf feinem ©efidljt.
„Uebrigeitä, toenn e§ nicf)t inbiäfret ift," begann 2Bolf
toieber, „fo möchte id) fefjon ttad) bem -Kamen fragen; ober
fenne icf) fie nidjt?"
„1£)u fennft fie fcfjr gut, bie Stocljter beS oerftorbenen
ßommeräienratljS Steijjner ift eS."
Digilized by Google
Xo»eKt von 3Pauf JSCift.
151
„®ie Sötte, bas fletrte luftige ÜJZäbet?"
„9?ein, bie fenne i<f) nodj gar nidE)t, bie foH ja jefjt in
irgenb einem ©djioeijer ^enfionat fein; idjj meine bie
ältefte £ocfjter au§ SJieifjner’g erfter (5f)e, bie Sujie."
„2tber 9Jienfcfi!" begann 2Boff nun lebhaft, „bie ift ja
ftcfjerficf) oier ober fünf galjre öfter al§ 2)u."
„3>dj roeifj e§," fagte Sfurt ernft, „unb idtj toeifj auefj,
bafj fte eine fcfjiefe ©dufter Ijat, aber bie Slugen — fiel)
ifjr 'mal in bie 2lugen! ©eefentiefe liegt barin, fein galfcfj,
feine ©iteffeit! SBunberbare Sfugen ftnb baS, bie ein reines,
ebfeä $erj oerratljen, unb barum allein fjabe idf> miefj
rneljr mit ifjr befcf)äftigt, af§ man fonft e§ tfjut. SRein
pfpcfjologifcfjeS gntereffe fjat fie mir eingeflöfjt."
„Unb SDu gfaubft, bafj fte 2)icfj liebt?"
„gd) toeifj e§ beftimmt."
„9?un, bann fjeiratfye fte alfo. ©ie fann ja über iljr
93ermögen oerfügen. gf)r fönnt eucf) ein f)übfd>e§ §eim
grünben, unb 2)u braucht mit deiner geber fein 33rob
meljr ju ertoerben."
$urt fafi nod) immer ba unb ftarrte oor ftef) f)in mit
forgenootter SJiiene.
„SBeftnnft ®u SDidj etwa noefj?" fragte 2Bolf.
„(SS ift für’ä Seben," fagte Jfurt, „für’ä ganje Seben!"
„9?un ja, fi'tr’3 ganje Seben bift ®u oerforgt."
„2fber meine gugenb, 5Kenfd), meine gugenb opfere
icf) f)in!"
SBolf fädelte reftgnirt: „3)a8 bissen gugenb fff Ö ar
halb oerpufft, id£) toeifj baä, benn icf) bin jefjn ^aE>re älter
af§ $u, unb naefj bem Igugenbraufdj folgt ber moralifdje
Jammer; bann fiefjt man einfam ba, bie §aare ergrauen,
bie galten unb fRungefn fteEen fid) ein, bie 2Bäfd)e ift
etoig in Unorbnung, bie 2Jfanfdf)etten unb fragen franfen
an ben kanten au8, feine forgenbe §anb beffert etioag
au§, 2lHe§ öbet unb efelt un§ an. 9?a, unb toaS ift baS
Digitized by Google
152
S>ii4cn&.
©nbe? Gitie Vernunftljeiratf). ©o ober fo. Gnblid) eins
mal lanbet unfer ©djiff boc^ in bem §afen ber Glje. 2llfo
roennfcfjon, bann beffer jung gefreit! ®a fjaft $u meinen
roo^lgemeinten 9iatf)."
„2lber tcfj fü^le, bafj id; ein Unre<f)t begehe, raenn id)
fie an mid) feffefe. $d) ocrfprecfje etmaS, baS id£) nidfjt
galten !ann. ^d) liebe fie nid^t, allein i^r ©elb ift'S, baS
micf) anjieljt! Unb id) bin jung, iä) fjabe nodf) nie mafjr*
Ijaft geliebt. 2öie, rcenn icf) fpäter foldlje Siebe fänbe?"
„25ann mujjt ®u ftärfer fein, als ®eine Seibenfdjaft."
„$aran glaubft fDu ja felbft nicf)t, maS 2)u eben
fagteft! §at benit leibcnfdjaftlidje Siebe jemals nadjge:
badjt? 9?eiit! 2Benn man liebt, bann fprengt man alle
Ueffeln, ober eS ift eben nid)t bie Siebe, bie id; meine!"
„§err ©ott, 9Renfd), roiHft fDu benn fo lange jungem
unb barben, bis SDu jene Siebe finbeft ! ? ©ei boclj fein
9?arr, benf’ bod; oor 2Wem an SDeine Äunft, bie allein
fottte fDir beftimmenb fein für SDein §anbeln."
Gine lange $aufe entftanb. 2)er 3Jfaler fafj nod)
immer in feiner ©opljaede, unb .(lurt burdfjfdjritt mit
großen ©dritten ben 9laum. Gnblid) mürbe eS 2öolf ju
falt, er ftanb auf unb fagte: ,,%d) meijj ®ir nidjtS anbereo
3U ratljen, lieber $urt. 2llfo folge mir. Unb baS Uebrige
tnadjft ®u am Beften mit 2)ir allein ab. 2tuf 2Bieber*
fefjen, unb fei oernünftig !" . . .
9hm mar $urt mieber allein in bem falten 3< n,mer /
allein mit feinen 3>oeifeln. „Unb fei oernünftig!" — ©aS
tönte nod; immer oor feinen Dfjren. Vernünftig fein, ja,
fo nennt man eS, menn man aHeS mafjre ©cfüljl in fid;
tobbrüdt, unb fid) unb 2lnberen bie $omöbie oorfpielt,
bie bem lebenSflugen 9)lenfd;en ©tellung unb 9Jeid;tf)um
oerfdjafft. Gr Ijatte einen unfagbaren Gfel oor foldjem
Unfein! Gin bitterer ©roll erfaßte iljn, unb einen
2(ugenblid badjte er an ©elbftmorb. 2lber einen 2lugeiu
Digitized by Google
TtotiflTc »ou Tauf 33fi(t.
153
Mief nur, bann fiegte bie $raft ber 3ugenb barüber, unb
ein Ijeijjer 5Ero£ loljtc in iljm auf. Sldj, iljnen Sillen
einmal bie gäufte geigen, einmal etrcaä ©rofjeä, ®eroal=
tigcS fdjaffen fönnen, baf} fie Sille ftaunenb baoorftefjen
unb e§ anevfennen muffen! 2)a§, ba§ allein machte
baä Seben noc^» lebenäroertf)! Unb bann — iljnen Sillen
geigen , bafj man ein Stnberer ift mie fie, baff man nid)t
mit bem großen Raufen läuft, fonbeut feine eigenen ijlfabc
gel)t. $aä, ja! ja! baä mödjte er all’ ben f lugen 3Dlen=
fdjen einmal beroeifen! Slber, aber —
©in ©d)auer burdjlief feinen Körper. Sin ben ©Reiben
rüttelte ber eifige Söinb, unb er falj ein, bafi eä mit feinen
fdjönen träumen cor er ft nod) nichts mar. 9lod> fanntc
iljn nur ein fleiner $reiö Siteraten unb einige befannte
Familien, bie an fein Talent glaubten, für all’ bie anberen
SJliUionen mar er nocf) nidjt ba. ©in 9lid)tä, IjilfloS unb
oljne ^roteftion, fjungernb, frierenb unb einfam. Sld>!
unb babei in ber S3ruft biefe ©el)ttfud;t nacf) 33etfjätigung
feiner $raft, biefe glüljenbe S3egeifterung für eine grofte
erhabene 5lunft ! $a3, baä burdjmogte iljn. Unb nun
liebte er Ijier an ber ©djolle, nun erlahmte feine ©eifteä--
fraft an ber gemeinen ©orge um ben Seib, nun fror er
unb hungerte unb litt unb fonnte nidjtS, nichts fdjaffen.
©ine bittere Sßeljmutlj erfüllte if;n. Sllfo Ijatte ber gretmb
bodj reefjt; nur biefen einen SluSmeg gab e§ für iljn,
biefe ©Ije , biefe ©elbfjeiratf) — ja , ba§ mar je£t bie
le£te Rettung, eine anbere 2Baljl Ijatte er nicfjt!
Unb er fanf f)in auf ba§ Ijarte ©opfja, briidte ba§
©efidjt an ben Seberbejug unb meinte Ijeifje, bittere 2djräs
neu. . . . ©3 gab für iljn feinen anberen Sluäroeg . . . unb
alle Hoffnung auf Siebeögliicf , alle füfjen 3ugenbträume,
Sllleö, aUeä baä begrub er mit biefem ©ebanfen.
$a! eä füllte gcfdjeljen! ©nergifd) raffte er fid) auf.
Sllfo eine ©elbljeiratlj. . . . Unb nun briidte er alle 2öeidj=
Digitized by Google
154
9u<jtn&.
heit herunter, unb nun roar au§ beut ^Jüngling ein Wann
geworben.
©ine ©elbfjeirath — ba§ roar bie Rettung.
2 .
Sujie Sfteißner ftanb an bem genfter i^reS traulichen
©tübchenS unb fah finnenb hinab auf ba§ ©erooge unb
©etriebe ber ©roßftabt.
2tuf ihrem ©eficht mit ben regelmäßigen 3ügen lag
ein ftitter griebe, eine fiiße Hoffnung auf ein ©lücf, ba3
fte bemnächft erwartete, ©ie träumte ftdh eine golbene
glücf ließe 3ulunft, fte liebte! S'ieununbjroanjig ^aßre roar
fte alt geroorben, unb jum erften -Blal liebte fie je$t,
roahrhaft unb innig, mit ganjer Eingebung ihrer felbft.
©ie fan! guriief in ben ©effel, preßte bie §änbe an’S
©efteßt unb roeinte heiße, freubige Sßränen.
ffiie roar ba3 nur fo fcßnelt gefommen? ©ie Befamt
ftdh auf 2lHeS, auf jebe ßleinigfeit; roie fte ißn juerft ge*
feßen, roie gleich bamalS etroa§ in ißr aufgeroeeft roorben
roar, etroa§, ba§ lange gefeßtummert hatte; roie bann bie
ganje üftaeßt unb alle folgenben SCage fein SBilb fte oerfolgt
hatte, roie fte fieberhaft bie $eit erwartete, bis fte ißn
roieberfehen fonnte; roie er bann bie erften freunblichen
9Borte ihr gefagt hatte, unb bann bie SBeildßen, bie er ißr
brachte, weil er gehört hatte, baß fie SBeilcßen gern habe.
Unb roie lieb unb gut er ftetä ju ißr geroefen roar, tüel
lieber al§ alle bie 2lnberen, benen fie at§ eine alte Jungfer
galt. D, auf 2llte§ befann fte fidß.
^a, fie liebte biefen 9Rann. Unb wenn fte bi§ßer ttodß
im 3roeifel roar, ob auch er fie gern hatte — feit geftem
2lbenb wußte fie nun auch ba§, benn geftem auf ber
fjeftlicßfeit bei fRöberS hatte er ihr füße, liebe SBorte in’S
Dhr geflüftert, unb heute nun rooltte er lommen unb um
ihre $anb anhalten.
3Rö»etft t>cn Sauf 155
$a§ war e5, wa§ fte erwartete, baS ließ ißr ba§ £e r;\
fdjneßer Hopfen unb beraufdßte fie.
©ie lernte ftdß gurticf in ba§ ^olfter unb fdßloß bie
2 Iugen.
2ldß, fo woßl tßat ißr biefer ©onnenftraßl be3 CÜIücfS,
fo unenblidß woßl nadß alt’ ben langen ^aßren bitterer
©nttäufdjungen!
Unb nun badete fte jurüd an ba§ Seben, ba§ hinter
ißr tag. ©infam mar fte groß geworben, »on ben ©ttern
mit übergroßer ©orge unb $ärtticßfeit beßanbelt, weit fte
oon früßefter $ugenb an atS ba§ arme franfe, oerwadßfenc
ßinb angefeßen worben war. 9iie ßatte fie mit ben anbeten
$inbern fid; ßerumtummeln bürfen, nie fidß auStoben, nie
an ben ©treiben ber ©efpietimten tßeitneßmen bürfen.
©ie war ja ju fdßwadß, 51 t gebredßtid), fie mußte baßeim
ßoden, bamit fie fidß nicßt erfältc unb fidß feinen ©dßaben
tßue. Stdß, wie bitterlich ßatte fte oft geweint, unb wie
oft ßatte fie gewünfcßt, baß fie nie geboren wäre!
Unb at§ fte älter war unb benfen fonnte, unb bie
elften SCnjeicßeit ber auffeitnenben ^ugenbluft ficß zeigten,
aucß ba ßatte fte nicßt fo geburft, wie fie wollte — nicßt
tanjen, nidft ©cßtittfcßuß laufen, nidjt rubern, — nidßt§
oon aU’ ben ^ugenbfreuben ßatte fie genoffen, ©ie faß
baßeim unb ta§ unb Ia§, unb baute fidß eine anbere 2 Selt
auf, in ber fie mit ißren ©ebanfen unb ©efüßten allein
lebte.
Unb bann famen bie $aßre be§ Sebenglenjeä, audß ißrc
©eete erwadßte, aud) ißr $erg feßnte ftdß nadß Siebe unb
©ßegtüd, unb mit ßeißer ©eßnfudßt ßatte fie geßofft unb
gefudßt — aber 2 ttte§ war umfonft gewefen. 9Jtan be=
ßanbelte fte mit ©üte unb Sftitleib, man ßiett fie für ein
arme§ aerbredjtidjeS ©efdßöpf, aber baS 2£eib, ba§ Siebe
ßeifcßenbe unb Siebe fpenbenbe SJBeib faß man nidßt in
ißr. — D, ba§ tßat weß, bitter weß! Unb feit ber $eit
Digitized by Google
3ugcn5.
156
hatte fic fidj fclbft oerbannt, anö ©roll unb ©djmerj unb
Vitterfeit. 2ldeä ertrug fie, nur nidjt bied fürdjtedidje
dttitlcib.
Tann roaren ihre (Sftern geftorben, fdjned nadjeinanber,
unb nun mar fie ber Vorftanb beS §aufe3 gemorben. —
Ta§ ©rfte, mad fie mar, bie um jeffn ^afire jüngere
©d)roefter in ein ©djmeijer ißenfionat ju geben, raeil fic
eä nidjt ertragen fonnte, Tag für Sag ju fef;eit, bafj man
biefer ©djmefter ad’ ba§ in §üde unb fyüdc entgegen:
bradjte, rnad fie umfonft ^erbeigefe^nt hatte. ©in maljrer
.fja$ ergriff fie oft, roenn fie fal), mie bie in ftotjer ^ugenb:
fc^önc prangenbe ©d>roefter Sötte oon aller 2ßelt gefeiert
unb umringt mar.
©eit bie ©djmefter fort mar, lebte fie nun allein mit
ber alten Tora, bie ifjre ^aitsbame mar, unb mit ber
alten Äödjin §anne, bie and) fdjon feit ^aljrje^nten jum
§aufe gehörte ; abgefdjloffen oon ader 2Bclt unb oertraut
mit bem ©ebanfen, bafj fie al§ alte Jungfer iljr fDafein
beenben mürbe.
Unb nun mit einem -Blale mar ba3 ©lüd gefommen,
in ifjr öbe§ $eim fiel ein ©onnenftrafjl , ihr alternbeS
§erj gliifjte nod) einmal auf, unb alle Vorfälle, ade fRufje
unb lleberlegung mar baljin, benn fic hatte je£t mit ein:
mal ben gefunben, ben fic liebte, mafjr unb roahrljaftig
liebte. 2lnfang3 hatte fte’ö nicht glauben rooden, ju neu
mar’3 ifjr unb ju unermartet !am eä iljr, bann aber, al§
fie nidjt meljr lo§ fam oon bem ©ebanfen, alö fein Vilb
fie immer unb immer ocrfolgte, ba hatte fie fid^ biefem
©efüljl Angegeben mit fdjludjsenber SBonne, f;atte ade
Vergangenheit, adeS Uitgliicf oergeffen. Tad ©ine nur mar
nodj ba jefit: Tu liebft unb Tu wirft mieber geliebt! . . .
©o fehr mar fie in ihren Träumereien oerfunfen, baff
fie ganj überhört hatte, mie Tora eingetreten mar unb
nun neben if;r ftanb.
Digitized by Google
JlotJelTe ron 1 ?a»C 157
,,©r ift ba, Fräulein Sugie," faßte lädjelnb bie 9Jia*
trone, „ber $err Softor, unb in großer Toilette."
Sugie lourbe purpurrottj im ©efidjt, fprang auf, fudjte
ifjre SSerlegenljeit gu oerbergen unb eilte an ben Spiegel,
um nad) itjrer Reibung gu fefjen.
2Iudj bie alte £ora trat oor ben Spiegel unb orbnete
an ben Spißen unb Sdjleifen, bie Sugie’3 Toilette gierten.
„Gä ift ja 2tlle3 in Drbntmg," begann bie 2llte. „Sic
feljen prächtig aus, unb idj mödjte ben 9Kann fe^en , ber
ba nod) miberftefjen fönnte."
„Slber ®ora!" Sugie lächelte oerlegen.
„2?a, laffen Sie man — eS ift fo, mie id) fage. 52a,
unb jetjt fann id^ ben §errn 3>oftor rcof)l ’rein laffen?"
Sugic nidte.
„23iel ©liid!" flüfterte ifjr bie 2llte gu, beoor fie f)in--
auSging.
21(3 Sugie allein mar, pochte ifjr §erg gum 3erfpringen,
ba3 23lut pulfirte ftürmifd) unb jammerte an ben Schläfen.
ÜHuf;e! 9tulje! — fie prefUe ba3 2ütd() an’3 ©efidjt unb
ging im 3immer auf unb ab.
@3 Köpfte.
Sie rief „herein!" unb (fielt an fid).
>Da trat Äurt ein, toirflidj in großer Toilette. 2tber
fein ©efid)t mar bleicher als fonft, unb ba3 Säckeln mar
fonoentionell. SJierflid) gitterten feine §änbe.
2lber oon allebem merfte Sugie nid)t3. Sie Ijiefi il)n
fjerglid) millfommen unb lub ifyn ein, ißlaß gu nehmen.
Sie faffen fid) gegenüber, einen 2lugenblicf fdfjroeigfant.
(Dann begann $urt: „Sie rciffen, ^räulein Sugie,
marum id) l)ier bin. $d) will fragen, ob Sie meine $rau
merben möd;ten."
©ine ffjaufe entftanb. ©nblitff fagte Sugie leife: „^a,
id) meifs c3." 2öeiter fomtte fie nid;t3 fagen, beim bie
©rregung in if;r mar gu grofi.
Digitized by Google
158
„Unb beoor ©ie mir antworten, gräulein Sugie, muf}
idj 3$ nen nod; etwas fugen." @r madfjte eine $aufe,
fjolte tief Sttfjcm unb fuljr bann fort: „Selben ©ie, gräu=
lein Sugie, icf) bin arm, nod^ toenig befannt, unb mein
latent bringt mir nod) nidfjtS ein, wenigftenS nic^t fo oiel,
baff idj baoon SßSeib unb $inb ernähren fönnte, unb beS*
Ijalb — idj muffte gljnen bieS oorljer fagen! — beSljalb
fonnte icf) nur eine grau braunen, bie mir etwas mit in
bie @f)e bringt."
@r fdjwieg. Unb fte, bleicf) unb gittemb, fal) if;n
angftooll an.
„2lber erfcfyrecfen ©ie barum nicljt, gräulein Sugie,"
fprad^ er mit fixerer, tnilber ©timme raeiter, „idfj bin
beSfjalb bodjj fein fo fdjledljter $erl, ber nur an bie reiche
fOiitgift benft, o nein ! 28enn idf> fyeute fjier bin, um 3>l)re
§anb anguljalten, unb ©ie mir ^Ijr gawort geben, fo
weifj id; feljr genau, welche 33erpflicljtung id) bamit auf
mid; tteljme, unb idj fage nidjt gu oiel, toenn idj) gljnen
oerfpredfie, ein treuer, liebeooller unb fürfovgenber ©atte
gu fein. $war werben ©ie oft 9iadf)fid)t fyabett müffen
mit mir, bemt mir Seute oon ber geber finb oft über*
arbeitet unb neroös, aber id^ weiji ja, baff ©ie für meinen
Seruf gntereffe f)aben, unb icfj glaube midi) auc| nidf)t gu
täufdjen, toenn icf) annefjme, baff ©ie mir ein bissen gut
finb. 2)aS, baS allein läfft micf) 2WeS hoffen, unb barum,
2ugie, barum glaube icfj, baff toir 33eibe miteinanber gut
fertig werben bürften."
@r mar aufgeftanben, gu iljr f)htgeireten unb ffielt iljr
nun bie rechte §anb f)itt. Unb fie naf)m feine $anb,
roortloä, unb briidfte fie feft unb innig. Unb aus ifjren
Stugen laS er baS „ga!"
®ann beugte er fidfj nieber unb gab iffr ben erften
ßuff.
Unb ba fcfjlang fte ifjre beiben Slrtne um feinen §alS
Digitized by Google
Xoptffe »on 3?auC 380#. J5Q
unb flüftcrte ihm leife in’S Dbr : „ 3 $ ^abc SDidb ja über
Stiles lieb!"
Unb fo füffte er fie normal unb normal, felbft ftcb
erroärmenb in ber ©rregung bes Slugenblicfs. —
Slls er roieber unten auf ber ©trabe roar, farn er ftd)
roie geblenbet oor. SDie ©onne, ber ©cbnee, 2ltle3 flirrte
unb flimmerte oor feinen Slugen. Unb in ihm tobte eine
mafflofe Erregung.
(Snblicb mar er gu §aufe.
(5r marf ficb auf ba3 alte ©opba, bi^t bie §änbe an ’8
©eftcbt geprefft unb fcblofi bie Slugen. Unb nun 30 g noch
einmal Silles an ihm oorüber, roa 8 er eben burdjlebt
batte.
$>er ©timmungSraufdj oon oorbin mar nun oerflogen.
3 roar fab er je|t eine forgenlofe 3 ufunft oor ftcb, unb er
muffte aud), baff liebenbe g-ürforge ibn nun immer um*
geben mürbe. 2 tber gang leife merfte er fcbon je^t einen
2 )rucf auf ficb laften, unb in meiter ^erne fab er brobenb
bunfle ©olfen fid) auftbürmen, bie ber ©onne feines
fommenben ©lücfeS baä Sid^t gu nehmen brobten.
2 (ber enblicb raffte er ftcb auf unb rebete ficb roieber
fKutb gu. „©ei ein fPlann unb trage 25ein ©efdbicf!"
— Unb bann fefjte er ficb an ben ©cbreibtifdb, feinem
greunbe ©offgang mitgutbeilen, baff er nun biefen groften
©cbritt hinter ftcb b a & e -
3.
$a3 gab einmal ein Stuffeben unter ben beiberfeitigen
Sefannten! Stuf biefc Verlobung mar fein ©enfcb oor*
bereitet gemefen.
©ang entrüftet ftcllten ftcb ßurt’3 greunbe. ©ie be=
neibeten ben SllterSgenoffen, ber je£t burdb bie reiche §ei=
ratb allem (Slenb enthoben mar; nun fonnte er arbeiten
unb ftdb 33erbinbungen fcbaffeit, bie ihn halb auf ben
Digitized by Google
160
3ugen(.
©djilb heben, t^n berühmt madjeit mürben, währenb fte,
feine $reunbe unb 23erufSgenoffen, nac^ wie nor im &ienft
ber 33robfd)rei&erei ihr Talent — fofern foldjeS oorhanben —
oergeuben mußten, ßinige oon ihnen fagten ftolj : „Sieber
arm bleiben, lieber ein Dpfer feines Berufes werben, als
folch’ eine ©elbheirath fdjliehen;" aber ^ebem merfte man
eS an, bah er an Äurt’S ©teile auch nid)t anberS ge--
hanbelt haben mürbe.
Stber aud) bie SDlütter non ljeiratf)Sfäf)igen Söcljtern,
bie mit ber Familie Sfteifjner SSerfe^r pflegten, mußten
nid^t ^latfchgefdjichten genug in Umlauf $u bringen, ©o
eine ipartfjie Ijatten il)re ^öc^ter fcfion längft machen
fönnen , raenn fie gewollt hätten ; fo einen armen
©djriftfteUer, ber nichts hat unb nichts ift, wenn man
ben jum ©djmiegerfohn ^ätte haben wollen — o, fd;on
$ef)nmal war ©elegenljeit baju geboten worben. Unb
überhaupt fanben fie eS unerhört, baff ein 9Jiäbchen wie
Suflie, bie boc^ ein halber Krüppel war, an’S $eiratl)en
badete ; nod) unerhörter aber fanb man eS oon $urt, baf$
er einen folgen @h e ^ un b fdjloh, benn oon Siebe fonnte
man hier bodj wirflich nidjt reben! —
Sujie, bie glüdlidje $8raut, merlte unb ahnte non äße*
bem nichts, ihr ©lücf machte fie blinb für 2WeS, waS um
fie her oorging.
dagegen empfanb eS $urt hoppelt peinlidj. Unb bie
ßufunft erfdjien ihm burdjfauS nidjt im golbigen Sichte.
^nbeffen ging er jeben Sag gu Sugie, unb je länger
er nun bei iljr aus unb ein ging, befto mehr warb bie
Hoffnung in ihm rege, bah bodh nod) 2lUeS gut werben
fönne.
ßr lernte einfehen, bah Sujie ein reines, ebleS Sßeib
war, baS für alles ©rohe unb ©cfjöne fid) begeiftern
fonnte; er merfte, bah fie für 2WeS, was ihn intereffirte,
eine ungemöhnlidje Sernbegierbe hatte, unb fo fam eS benn,
JlorttTe ron Jour Kfifi.
161
baf er ifr oft ftunbenlang auä feinen ©Triften uorlefen
unb fie mit feinen planen befannt macfjen mufte. ©tili faf
fte neben ifrn unb förte ju, menn er fpracf, unb ifre
2lugen glänzten, menn er ifr feine ißoefien oorlaä. Dft,
menn fie ifren ©ntpfinbungen feine SBorte leiden fonnte,
lernte fie ficf an ifn, umfaßte ifjn, unb mar glüdfelig,
menn er einen $uf auf ifr §aar ober auf ifre ©tim
brücfte. ®ieä ganje Seben fd^ien ifr fo neu, fo munber«
bar fdjön, baf fte, bie fo oiele l^afre in ©infamfeit ge=
fcfmadjtet, nun in einem enblofen ©lüdfäraufd; lebte.
9fi<f»t§ gab eä für fie alä ben geliebten ÜJlaitn. ©ie fannte
feine Sieblingäblumen, unb trug nur biefe, fie raufte, mas
er an ifren Toiletten liebte, unb ffeibete fid; nur in färben,
bie ifjnt gefielen, fie fatte ifjtn nacf unb nacf entlodt, raaä
feine Sieblingsfpeifeit roaren, unb ftetä fanb er nur, baf
fein ©efdpnacf ifjr tnafgebenb mar ; feine fleinen 2ßünfd;e
unb (Eigenheiten fannte fie längft, unb immer trug fie
iljnen fltedfnung.
2llleä baä hatte er mit Vercunberung roafrgenommen,
unb menn er fie fo ernfig fantiren faf, mie fie nur ifm
immer 2Weä ju 2)anf machen moHte, immer nur ifm allein
ju gefallen beftrebt mar, bann überfam ifn oft ein 0e*
fühl, baä er oorbem nie gehabt hatte — er hätte fte um=
faffen unb füffen, ifr liebe, järtlicfe Sßorte fagen unb
ifr fod) unb f eilig oerftcferit föntten, baf er fie immer
lieb fabelt mürbe unb fie fcfüfen unb fdjirnten roolle, fo
lange er lebe. Unb biefe ©mpfinbung oerlief ifn nicht,
aucf menn er nidjt bei ifr mar, eä fcfien iljm, alä fei bieä
feine ^flicfjt, alä fei eä feine ©egenleiftung für alle bie
funbert fleinen Siebeäbienfte, bie fie ifm erraieä.
2lber er raufte nidjt, ob eä Siebe mar ober nur 3Jlit=
leib. —
©nblid) mareit alle Vorbereitungen beenbet, unb bet-
rag ber Jjjodjjeit fonnte feftgefeft merbcn. 9)fan mar
181)5. iv. u
Digitized by Google
162
3ugtn&.
baljin übereingefommen, bafj nur eine Heine freier int
Greife ber nächften 33efannten ftattfinben foHte; natürlich
tmtrbe audf) Sötte, bie jüngere ©chrcefter ber Sraut, be»
nachricfjtigt, bafj fte nun aus ber ißenfion fommen foHe. —
$ie $eit oerfchroanb fd)neH. @S nmrbe ^ü^littg.
2ln einem fonnenljellen £age !am S?urt ju feiner 93raut
unb braute iljr ben erften grühlingSgrufj, einen ©traufj
buftenber 93eild)en, bie er felbft im 2Balb gepflüdt hatte.
Dfjne ftdj erft anmelben ju laffen, [türmte er in’S 3immer.
2lber faum eingetreten, ftanb er ftitt, roie gebannt, unb
fat; auf baS Silb, baS feinen 2Iugen fidj barbot.
Bitten im 3* mme r, oor bem großen ©piegel, ftanb
Sujie, gefdjmüdt mit ber meinen Örauttoilette unb um fie
herum fjocften bie ©dfjneiberinnen, bie an ben galten unb
©pifjen orbneten unb nähten. 3Jian ^ielt grofje ÜHttprobe.
Sujie fah i^n im ©piegel. ©tolj lächelte fie ihm ju
unb rief, er möge nur näher fommen.
Hurt aber ftanb toie aus alten Fimmeln geriffen ba.
•Koch niemals mar iljm bie ©ebredf)lid)feit feiner 33raut fo
frafj erfdjienen, roie in biefem 2lugeitblid, mo er fie ge*
fd^müdt fah mit bem eleganten SBrautlleibe ! ^e^t auf ein«
mal ftanb eS mie mit glammenfdfirift oor iljm fjingefdjrieben,
meldhe 33er!ehrtheit er begehen roollte. if) 1 » lebte bie
$ugenbfraft noch ooll unb ungebrochen, in ihm tobte ber
roilbe ffrrühlingSfturm, ber nur burd; junge, fräftige 9?a=
turen rast; — unb baS 2Beib, bas ba oor ihm ftanb,
mar oerroadjfen, engbrüftig, bleidjfü^tig, über bie Qugenb
hinaus. Unb biefeS Söefen mollte er füv’S Seben an fidf)
feffeln als fein 9Beib!
fftein, nein! ©ein ganges befferes $d) empörte fich
auf einmal bagegen. 2WeS, maS oorhergegangen mar,
bie SJionate, in benen er Sujie fennen gelernt hatte, bie
Hoffnungen auf bie 3 u ^unft, feine Stellung, feine Hunft,
fein ©lüd — SHIeS, 2WeS oerfanf in biefev Minute, unb
Digitized by Google
3Tot>«tTe t>on Jfauf
168
»or ifpn ftanb nur immer ber ©ebatxfe: ®u ^aft ®eine
3ugenb, SDeine Straft oerfZaZert für elenben 3Jlammon,
unb nun bxft ®u jeitlebend gefeffelt an bieä arme gebredj;
liZe Söefen!
@r rang nad) 2uft. ©Zioeifs perlte auf feiner ©tim
unb an feinen ©Zläfen {jammerte baS ftebenbe 93Iut.
§inau§! §ort! fo tobte eö in feiner 33ruft. 9?oZ ift e§
3eit, flieff! @r lernte fiZ an ben Stammen ber ^ür unb
fdfjlofj einen Slugenblid bie Slugen.
„Siber, $urt," rief 2u$ie herüber, „warum fommft ®u
benn nicfjt nälfer? Ober glaubft $u ju ftören? $eine
Slngft, fomm nur getroft herein."
3ebe3 2Sort füllte er wie einen ©tief). Slber er be=
Swang fid^, er fam uälfer, ganj langfam, überreizte if)r
bie SSeilZen, wofür fie ifjtn IjerjliZ banfte, unb ftarrte
mit weit offenen Slugen auf ba§ weiffe S3rautfleib.
„fftun, bift ®u jufrieben?" lächelte fie.
„3a, ja, ed gefällt mir feljr gut." @r ftrid; fidf> über
bie ©tim unb fdfjlofj bie älugen.
„2BnS l;aft 2)u fjeute, Äurt?" fragte fie beforgt. „$u
fiefyft ganj blaff aus."
„D, eä ift nidftS , iZ bin nur wieber ju fZnell ge»
laufen," beruhigte er fie.
„fDann gef)’ in’S ©peifejimmer unb rul/ f£iZ ein
wenig auä. SDu bleibft boZ f)ier jum Slbenbeffen?*
„ÜJiein, baS tonn iZ niZt, ^u mufft ntiZ fZ° n ent*
fZulbigen, iZ muff feilte nodj eine wiZtige Slrbeit er*
Iebigen."
„©Zabe," rief fie, „iZ ^atte miZ fo auf f)eute Slbeitb
gefreut — na, bann alfo morgen. 31Z! baö fjätte iZ ja
beinalje oergeffen ! fOlorgen Vormittag fomrnt 2otte. 2ßir
fjolen fte boZ Seibe ab, niZt wafjr?"
„©ewiff!" er tourte fautn, was er fügte; bann uer*
abfZiebete er fid), Ijaftiger als fonft, unb ftürmte fjinauö.
Digitized by Google
• « •* w *
164 3«ge«6.
©nblidjj mar er bafjetm in feiner einfamen 3>ung*
gefeffenBube, unb nun fanf er auf fein ©opfja fjin unb
prejjte bie $änbe an’S ©eficfyt. @r füllte fid£) fo elenb,
u>ie nie juoor. —
@r tourte nicf)t, mie lange er im bumpfen dritten fo
gelegen Ijatte, aber als er «lieber flar benfen fonnte, mar
es -Jladjt um if>n, unb er füfjlte einen ftecfjenben Äopf:
fdjmerj.
2llS er an’S $enfter trat, Bot fidf il>m ein rcunber«
Bare§ SBxtb. ®er ganje $arf festen iffm magifd^ be*
leuchtet. @S mar Sollmonb, unb baS milbe Sidjt lagerte
über ber fdfjlummernben ©rbe.
©r öffnete ein fünfter unb fog bie ■’ftacfytluft ein.
2öelcf)e 9Bof)ltl)at! @r atljmete tief auf. 2tclj, baS gab
mieber Straft unb Hoffnung! @r ging hinaus.
Sattgfam burcfyroanberte er ben $ar!, mie träumenb
ging er meiter. (Sine rounberbare 5UleIobie erflang in
feiner ©eele, bie SRufif ber (Sinfamfeit. Unb er l)örte bie
fd^meljenben £öne ber -iftadjtigallen unb baS leife 3tau=
nen beS 9fad)tminbeS , baS aus ben fronen unb 93aum=
mipfeln ju iljm herunter flang, unb all’ bie geffeimnifj;
oollen SBunber fo einer grüfjlingSnadjt mit ifjrem Treiben
unb Söerben unb ©ebeifjen, all’ baS füllte, Iförte unb em=
pfanb er.
Um biefen märdjenfiaften £raum nidjt $u jerftören,
fe£te er fiefj auf eine San!. Unb nun fjufcf)ten an feinem
geiftigen Sluge ©eftalten unb (Srlebniffe »orüber, bie iljn
lange, lange nidjt befefjäftigt Ratten. $n feine $ugenb
füllte er fid) jurüdoerfe^t, all’ bie $reuben unb Seiben
feiner ^nabenja^rc jogen mieber an iljm oorbei; aber ber
greuben roaren menige, baS Seib, bie üftotl) unb (Snt*
Beßrung maren ifjnt immer ^Begleiter geroefen; früf; »er»
maist, mar er bei fremben Seuten erjogen. grülj mar er
an ©elbftftänbigfeit gemöljnt, unb faft immer auf fiel) felbft
Digitized by Google
3Tot>et[e von 3faur ®fi&.
165
angeroiefen geroefen; oon jef)er Ijatte er eine Siebe jur ©in*
famfeit, unb einmal nur, toie ein läcljelnber ©onnenftraljl,
fyatte ifjtn bie ^reube jugenidt — eine Äinberliebe roar'S *
geroefen. ©r lernte feine Keine Siacfybarin , feine einjige
treue Begleiterin, lieb gewinnen. ©in Keines, roübeS
SRäbel roar’S geroefen, immer luftig, immer taufenb tolle
©treibe im $opf, aber immer bjerjig unb gut ju ifjm.
2)ieS SJläbdfjen liebte er mit aH’ ber ©lutfj eines früf)*
reifen Knaben, für fte f)ätte er fein Seben geopfert. Slber
ba fam eines 5£ageS eine fd^feicf;enbe böfe Äranfljeit in
bie ©tabt, unb ber $ob raffte ben füfien Bfonbfopf roeg.
Unb nun roar er roieber allein unb oon Sillen oerlaffen.
©infamfeit roar feine liebfte $reunbin, unb füfseS träumen
feine ljöd)fte Suft. Unb fo roar eS geblieben bis auf ben
heutigen SDtg.
4 .
Slm näd;ften borgen fam $urt ;\u Sujie, um fte ab*
juljolen.
SJlan fam gerabe jur redeten 3eit auf bem Bal)nfjofe
an, benn als ber SSagen Ijielt, fuf>r ber $ug fdjon in bie
Baf)nf)ofSfjalte ein.
SllS bie Beiben ben Bafjnfteig betraten, rourbe an einem
SBagenfenfter jroeiter klaffe ein blonber $opf ficfjtbar unb
im nädjften Slugenblid fd^on lag Sötte am .fjalS ber ©djroe*
fter, biefe immerzu umarmenb unb füffenb.
Unb 5?urt ftanb babei unb falj auf ben blonben SBilb*
fang, immerju, unauSgefettf. Unb roieber fam iljm bie
©rintterung an feine tobte Äinberliebe.
Unb bann trat Sötte ju ilfrem jufünftigen ©djroager
Ijeran, unb reichte iljm bie <f)anb. ©inen Slugenblid trafen
fi d) iljre Blide, fidf) fud^enb oon beiben ©eiten, bann aber
lächelte Äurt, unb Sötte lief? errötljenb ben Blid ftnfen.
SltfjemloS ftanb Sujie babei. deinen fÖloment tiejj fie
Digilized by Google
16G
Shigeub.
btc 33eiben aus ben 9lugen. 'Dass .fierj pod)tc iljv fo ftarf
bafc ber 2ltf)em faft ftodte. 216er fie begmang ftd) unb
fagte nidjtS, nur einmal blifctc eS oor ihren 2lugen auf,
unb ba gähnte ein bro^enber 2lbgrunb oor iljr, ber all’
il)r bissen ©lüd unb Hoffnung ^inab^og in bie bunflc
Xiefe — einen 2lugenblicf nur, bann mar 2lHe§ oer=
fcbmunben.
2luf ber Heimfahrt fafjen bie ©dbmeftern auf bem
■Hüdfifj beS -JöagenS, unb $urt ifjnen gegenüber.
Sötte pfauberte unauSgefefd, rcie froh fie fei, aus biefer
entfefclidjen ^üenfton fortjufommen. ©ie Ijatte bunberterlei
ju er^n^lcn.
23oit allebem fjörte Sujie faft nichts, nur manchmal
nidte fie unb roarf ein 2Bort ^in, aber ihre ©ebanfeu
maren anberSmo; fie beobachtete $urt unb fie mcrfte, mie
er 23ergleic^e anftellte, mie feine 2lugcn unauSgefetjt auf
Sötte ruhten, unb mie nach unb nach eine heimliche 33e»
geifterung in ifjm auffeudjtete. $DaS traf fte mie ein ©tief),
llnb oon biefem Sfugenblid mar ber alte §af? non efje:
bem mieber ba. $a! fie h a f> te b* e f e ©djmefter, fie Ija^te
beren ©cfjönljeit, beren 2lnmutb, bereit $ugenb, 2lUeö,
2ltle3 an ihr hafete fie, benn fie fühlte, bafj fie nun oor
bem 2lbgrunb ftanb, ber ihr oorber entgegengäbnte —
fie fühlte e3, feit fie bemerlt, mit meldien 33liden Äurt
bie ©d^mefter angefeben batte.
3u §aufe angefommen, empfahl ftch Äurt, ba er nodb
raidhtige ©efdmfte gu erlcbigen hatte.
ÜRit lautem $ubel jog Sötte ein in baS $eimatbsbau§.
®ie alte 35ora unb bie bide §anna meinten oor 5t' eu b c >
bafi ber Heine Sßilbfang nun mieber ba mar. 3>m ©türm
ging’S bie kreppe hinauf, flugS in ihr 3iw mcrc be n > baö
fie mit luftigem ©efang begrüßte. Unb bann, mie fie
mit ber alten $ora allein mar, ging’S gleidj an’S 2lu3*
paden.
Digitized by Google
. - - m**
JtopelT« von 3?itu[ &fiß.
167
Stach einer SBeile, roäljrenb ftc ber Patrone alle Streidjc
unb Soßheiten aus bem ißenfionat erjagt hatte, fpvach ftc
ju iljr mit halblauter ©timme: „Sagen ©ie 'mal, Sora,
rote gefällt Sh nen ber O err Bräutigam eigentlid)?"
„D, ein fchmuder junger §err," fchmunjelte bie 2llte.
„SaS roiß ich meinen!" fagte Sötte Befriebigt. „9Kir
hat er gerabeju großartig gefallen, ich hält’ 'h m öleidh einen
Stufe geben fötmen!"
„Sta, roaS märe benn auch f° <Sdß' mmc 3 babei geroefen !
@in ©dhroager fann bodj feine ©chroägerin lüffen, foHt’ id)
mohl meinen."
„Süchtig! ©ie hoben auch recht, Sora; ben Stufe mufe
er mir nodj nadjträglid) geben."
©ie lad;te laut auf.
„Gsin ©chetm finb ©ie bod) immer noch, ^räuleinchen,"
lachte bie 2llte mit.
Stad; einer Söeile fragte Sötte roieber halblaut: „©agen
©ie 'mal, Sora, ift eS benn eine §eirath auS Siebe?"
Sie Sllte judte bie ©djulter. „$|a, roer roeife baS!"
fagte fie leife. „Sie Seute fagen jraar äße, ber -fjerr Soltor
nähme unfer $räulein um’S ©elb — aber roer roeife baS !"
„Sie Seute fagen baS fdion?"
Sie Sitte nidte roieber.
„Sta, roenn ich bie Sßahrljeit fagen foß, ich glaube baS
auch."
„2lber $räuteind)en!" fchalt Sora.
„^a, ja, mir fam baS gleich fo oor — fie thun ja gar
nicht etn bissen oerliebt. ^d) bitt’ ©ie, in jefen Sagen
ift §od)äeit, unb SlßeS geht fo fteif ju, als ob fie fid) erft
acht Sage fennen rourben."
,,©ie oergeffen, f^räuleinchen, bafe unfer ^räulein Sujie
älter ift, roie ©ie," fchaltete bie Patrone ein.
Sötte nidte: „Stber er, er ift hoch ein junger, flotter
Stert, roenn er bie Sujie lieb hätte, bann roäre er anberS.
Digitized by Google
168 Sugtnfc.
Uebrigeng — ba§ ©infacfjfte ift, wenn ich ihn felbft ’mal
frage."
„216er, $räulein Sötte!" $>ie 2l(te mar mafslog er*
ftaunt.
„flia ja! 3<h fann bodfj nicht bulben, bafj Sujie uns
glücflid) wirb. Unb bag würbe fxe in einer folgen ©he bo cfj
fidler !"
®ie Unterhaltung würbe geftört, ba man EDora abrief.
fftun pacfte Sötte allein weiter aug, orbnete all’ ihre
taufenb Keinen Habfeligfeiten in ©cfjränfe unb ©chublaben
unb fang fiel) luftige Siebdhen baju.
3ur felben $eit fafj Sujie in ihrem 3^ rnm ^r unb lief*
nun ben wilben ©chmerj augtoben, ben fie fo lange hatte
äurüdljalten muffen, ©ie fajj ba unb ftarrte oor fid£) hin.
2Sag folfte nun werben? -Koch war nicf)tg gefdjeljen, wag
ihr jur ©iferfucht SSeranlaffung gab. Unb fie bachte aud;
feinen 2tugenblidf ernftlidh baran, baft $urt jeijt im lebten
2lugenblidf nod) ^urüdtreten würbe, nein, fie traute feinem
2Bort. 2lber wenn er fdjjon ihr 2Jiann würbe, wag follte
bag für eine ©he fein? ®enn bas ©ine hatte fie nur ju
bcutlidj gemerft, bafs feine ©mpfinbung für fie nicht Siebe,
fonbern nur EDiitleib mar.
Saut auffd)lud)jenb fanf fie aurüd in’g ifJolfter.
SBarum war ihr biefer lefjte grojje ©ihmerj nicht er=
fpart geblieben? 2ld;, wenn ftc hoch aud) fo jung unb fo
fcfjört wäre, wie bie Sötte! ®er jubelten alle §erjen ju,
fobalb fie fid) nur geigte. — 3>ugenb! Schönheit! ©efuitb*
heit! — ®as war ja 2l(leg! ®ag allein ift Seben, ©lüdf,
bag allein ift 2ldeö! Unb fie ftanb jefjt an ber ©renje,
wo bag Seben 2lbfd)ieb nimmt oon ber $ugenb; für fic
fam nun bie $eit, p a a fl e Hoffnungen unb 2Sünfdhe oers
glimmen, unb aug ber 2lfdhe bleibt ©ineg nur, ein mübev
ETroft, bie fRefignation.
Digitized by Google
3Topttfe pon lauf 38fift.
169
ÜRodj einmal Bäumte fidE) in iljr baS lefste günfdEjen
SebenSfraft auf, unb fie badete baran, aud) biefen lebten
^ampf um ben geliebten SRann nodj ju beftefjen-, nicf)t
freimütig mollte fie jurüdtreten, fämpfen mollte fie um bieö
letjte ©lüd.
2lber nur einen StugenBlicf Blieb üjr biefer ©ebanfe.
®ann falj ftc ein, bafj eS ^^or^eit mar, unb baff fie mit
üjrer ©df)roäd£)e unb ©ebredjlidE)feit nur eine erbärmlidfje
SRoHe fpieten fonnte.
5Rein, es mar SllleS aus! 3(ef$t füllte fie es flar, jefü
gab eS nur GfineS nod;, bulben unb ertragen.
216er nid^t meidf) follte man fie fef)en! ©leiclj morgen
mürbe fie fiurt fein 5K?ort gurüdgeben. SDann mar er frei.
®ann fonnte er glüdüdj roerben! —
3llS fie aber am nädEjften S£age $urt mieberfafy, merftc
fie, bafi fie eS iljm nid^t fagen fonnte. -jounbertmal madfjte
fie fid) ftarf unb raollte fpredjen, aber immer roieber oer*
faßte iljr im lebten Moment ber fDtutfj.
Unb $urt fdjjlidfj umljer mit bleichem ©eftdjt unb Bren*
nenben Slugen; unruhig, neroöS unb ^erftreut. 2tudj er
fjatte erfannt, bafs er biefe Gsfje nicljt fcljlieften burfte, benn
eS märe ein feiger betrug gemefen, eine (üfyrtofigfeit, bie
iljm aH’ feine ©cfjaffettSfraft geraubt Ijätte. Unb alles
baS fjatte er erft eingefe^en , als er geftern bie beiben
©cijmeftern §um erften -SOlale gufammenfitjen falj. Sftun
mar eS flar bei iljm, bajj er jurüdtreten mufjte. Unb barum
mar er nun Ijeute gefomtnen, baS erlöfenbe 2öort ju fprecfjen.
Slber er fanb es nicljt, fo oft er audl) ©elegenfjeit baju
fudjte.
Unb fo gingen benn bie beiben -äJienfdfjen nebeneinanber
l>er, $ebeS mit berfelben Slbfidjt im £erjen, unb deines non
Reiben fanb ben -äftutf), fiel) auSjufpredjen. —
9lm fRadjmittag Ijattc Sötte ben SöunfdE), einen ©pajier*
gang ju machen, ba fie ben neuen SSillenoorort unb bie
Digitized by Google
170
3iu)tu5.
neuen ißarFanlagen nodj nid)t Fannte. Su^ie mar nidjt roof|l
genug, unb fo begleitete fie $urt.
Sötte mar jufrieben. ©o Ijatte fie eb gerabe geroünfdjt.
9fun fottte er ifjr beichten.
2llä bie Seiben fort roaren, ftanb Sujie am $enfter
unb faf) iljnen nac§. „@in fdfjmucFeb $aar, roie für ein--
anber gefdiaffen," fagte fie (eife unb prefste iljr £udl) an’b
©eficf)t. SCber bann ging fie fort oom fünfter, Fämpfte bie
2Beid)l)eit hinunter unb begann barüber nadjjubenfen, roie
fie, ofjne ©Fanbai ju erregen, bie Verlobung löfen fönne.
3nbeffen gingen ®urt unb Sötte burd) ben ifkrF.
„SBiffen ©ie aucf), $urt," begann fie übermütig, „baf$
icF) allen ©runb fyabe, ^fjnen ernftlicl) böfe ju fein!"
„Üftein, bab roeifj icF) ganj unb gar nid;t," oerfe^te er
oerrounbert.
,,©o mill idf) eb ^j^nen fagen! ©efiern, alb ii) anfam,
Ijaben ©ie midj feljr, feljr Füf>l begrübt!"
„®ab lag aber roirflid) nidl)t in meiner Slbfidjt."
„•Jüd)t einmal einen $ujj [jaben ©ie mir gegeben!"
3meifelnb faf) er fie an.
„durfte icF), alb 3$ re ©d^roägerin, ben nicf)t bean<
fprucfyen?"
„■iftatürlidj," läcljelte er, „iclj roeifj felbft nid^t, marum
icf) eigentlich fo jurüdfjaltenb mar."
„3a, roenn ©ie bab nid;t miffen, idf Fann eb bod^ erft
recf)t nicf)t miffen."
tlebermütljig lad^enb ftanb fie oor ifjitt. @in 33ilb ber erften
prangenben 3 u 9 e nb, fo baff iljm bab §erj roarm mürbe.
„tt?a miffen ©ie, Sötte, ich ^ole bab nach, jefjt gleich !"
rief er.
„2)ab fehlte mir gerabe!"
,,$ocf), nun erft recht!"
„®ab motten mir bocf) 'mal feljeit !" Unb bamit entlief
fie ihm, be^enb unb leichtfüßig.
Digitized by Google
JRopfffc von TauC 3Sfi(j.
171
dr aber lief ifjr nac^, unb in einigen Sefunben Ijattc
er fie eingeljolt. Unb nun italjm er fie in feine Sirme,
preßte fie an ftc^ unb füfjte fie auf ben 2Jlunb.
„Äurt!" ftiefi fie Ijeroor unb fucfjte fic§ aug feiner Um=
armuitg frei 511 machen, aber eg gelang i£)r nidf)t.
2öie oon feliger SBonne trunfen, l)ielt er fie um-
faßt, unb füfjte fie wieber unb wieber. mar, alg ob
SlUeg um iljn fjerum oerfunfen märe; er unb fie allein
rnaren hocf) ba, lebenb unb liebenb unb raonnige greube
atljmenb.
Slber ba, mit einem fftud mar fie iljm entfdjlüpft.
„dntroeber Sie finb jettf vernünftig , £urt, ober id)
gefje fofort nad) £aufe, aber allein!"
s IRit blitjenben Slugen fal) fie ifjn an.
dr nidte nur. 3 je§t mar er mieber ernüchtert. Unb
nun machte er fich SSormürfe über fein Sljun.
dine ffkufe entftanb, minutenlang. Sangfam gingen fie
neben einanber f)er.
dnbli<h begann fte wieber, nun aber im crnften Xon:
,, 3 >d) muff Sie etmag fragen, $urt; aber Sie müffen auf
dfjre unb ©eroiffen mir antworten."
„fragen Sie nur."
„Sieben Sie meine Sdjwefter?" ißrüfenb fal) fie iljn an.
„Slein," antwortete er ruhig , ,,icf) liebe fie nicht, unb
id) werbe nodfj freute mein SBort oon Sujie jurüd erbitten."
Sie ftanb füll unb fal) iljn an. dr war bleich, feine
Slugen funfeiten unljeimlidfj, unb ein bitterer Sdjmerj lag
auf feinem ©efid;t.
„Slber fagen Sie mir nur, wie alleg bag fo l>at fommen
fönnen?" fragte fie leife.
„fragen Sie nidjt meljr, Sötte," prefjte er tjeroor,
„laffert Sie mirf) gellen. dg ift aug, Sllleg aug. dg war
ein SBa^nfinn. Slber fürwahr, icl) bin nicht allein Scljulb
baran!"
Digitized by Google
172
9ugen&.
„2lber nur ein Sßort, Hurt!" Bat fte.
, ( 9jc^ fann nic^t! #eute nic^t ! (Sin anbereS fDlal oiel*
leicht. Seben ©ie woljl, Sötte, 3df fdEjreibe an Su^ie."
$amit eilte er fort.
2Ufo Ijatte fie fidfj nid)t getäufdjt. (Sr liebte Sujie nid^t!
„2lrtne ©diwefter, bas wirb $ir einen gewaltigen
©djtnerj bereiten," fagte fte laut.
Sangfam ging fte toieber nadfj $aufe. Unterwegs pflüefte
fte ein paar ©lumen, bie fie ber ©djmefter mitbringen
wollte. Unb wäljrenb fie fo allein weiter ging, muffte fte
toieber an Hurt unb an bie ©eene oorljer benfen. ©ie
füllte, wie fie errötfjete. Unb mit einmal befcfjleunigte fie
iljre ©dritte, mit einmal überfatn fte ein 2lngftgefüljl, fo
mutterfeelenallein im 2Balbe ju fein, unb fie lief fo fd>nell
fte nur lonnte.
2llS fie aber bafjeim war, ging fte nidjt erft flu ber
©d^wefter, fonbern fcf)lid£) ftdj in il)r 3intmerdjen, fteHte bie
mitgebracf»ten ©lumen auf ifjren 9?ad)ttifdf) unb fefjte ftd;
in bie ©op^aede, um ju träumen. $>enn fie Ijatte ja Ijeute
fo oiel ÜJterfwürbigeS erlebt, wie nodf) nie.
5.
2öä^renb ber ganjen 9iadjt fyatte Hurt feinen ©d^laf
ftnben fönnen, ruhelos war er in feinem 3intmer l)in unb
fjer gewanbelt unb Ijatte nadjgebad)t, was nun werben follte.
2lber fo oiel er aucl> grübelte unb fann, er fattb feinen
anberen 2tuSweg, als fidj oon Sujie fein SSort jurüd ju
erbitten. SJlocfjten bie $reunbe unb ©efannten bcnfcit unb
fagen, was fie wollten. ©effer fo, als ein Seben enblofer
Seiben !
3war burd^udfte iljn ein Ijerber ©djrnerj, als er an
Sujie badete. (Sr wujjte woljl, was er il)r bamit antljat,
aber es gab nur ben einen 2ßeg.
9Jfit fdjwerem §erjen Ijatte er enblidjj ben ©rief an
Digitized by Google
KovtlTe »on lauf Sfig.
173
£u§ie fertig. -äJtit flaren ^Sorten, aber milbe unb gart,
Ijatte er iljr Sllleg gefdffrieben unb bat nun um Vergeilung,
bajs er ifjr fo tiefeg 2eib bereitet fjatte.
9iun mar eg gefdfielfen. Vun atfpnete er auf. 9?un
mar er enblidj frei »on biefer Vürbe, bie if)n nieberbrücfte.
2Ug fein greunb Söolf fatit unb Meg erfuhr, mar er
einfad) fpradjtog. @r ftarrte $urt eine lange $eit an.
„Vienfd; !" fdjrie er enblidj. „Wu bift reif für’g Darren*
fjaus! ©o fein ©lücf mit gmfseit j U treten!" Wer 9Jlaler
mar aujjer ficfj.
„Veruljige Wiclj," ermieberte $uri, „Wu fiefift, eg ift
bereitg gefc^e^en. Wer S3rief ift fort."
9iad) einer ißaufe begann 2ßolf mieber: „Unb mag
mittft Wu nun beginnen?"
„borgen reife idf) ab — nadf> ber .fjauptftabt. Vian
I)at mir bie VebafteurfteEe an einem fleinen 33tatt an=
geboten, unb idf) neljme fie an."
Wer Vlaler gucfte bie ©dffultern. ©o etmag begriff er nid()t.
Vadj menigen Minuten trennten fidf) bie greunbe, b«
Slurt nocf) Vorbereitungen gur 2lbreife gu treffen Ijatte.
Vtit gitternben Rauben nafjm Sugie ben Vrief in @m=
pfang. ©ofort erfannte fie bie ©dfjrift unb roufste, mag
in biefetn Vriefe ftanb.
3itternb erbracf) fie ben Unglücfgbrief.
3n atljemlofer §aft überflog fie bie ©eiten, mit ftarren,
glanglofen, trocfenen 2lugen 2llleg, 2tlleg, mie fie eg
erroartet f)atte ! Wann »erliefe fie bie $raft, ber Vrief ents
fiel ifyrer §anb, unb bemujjtlog fanf fie nieber.
©o fanb fie Sötte.
3m nädfiften Moment maren auf Sotte’g Vuf bie beiben
Wienerinnen ba, unb in menigen Minuten mar Sugie mieber
bei Vcmufjtfein.
Digilized by Google
174
9ugtnfc.
©S fei ntd^tS, nur ein leidjteS Unwofjlfein ! 3)amit
roieS fie jeben weiteren Seiftanb jurücf. 9iur Sötte blieb ba.
2IlS bie ©djweftern allein waren, fan! Sötte »or Sujic
nieber unb barg laut auffd^ludf>jenb ifjrett $opf in iljrent
©cfjofe.
„Safe nur," roeferte Su^ie fte ab, „eS ift beffer fo."
„Steine arme ©djroefter!" jammerte Sötte.
„2tber fo fei bod; oernünftig, Sötte !" 9Hit übermenfd);
lieber $raft madjte Su$ie fid) frei au§ ben Ernten ber
©djroefter. ©tarf wollte fie fein; fein 9Jlenfdj füllte feljen,
roaS fie litt.
©rft afs fie in ifjrem gimnter allein war, ba erft liefe
fte ifjrem Seib freien Sauf, ba erft roeinte fie lange,
lange. —
2tm nädjften Xage ju fpäter Slbenbftunbe reisten bie
©djweftern ab. 2>ora begleitete fie. 9?adj bem fonnigen
©üben ging bie Steife, ttad; bem ©enferfee. ®er alte $auS=
arjt fjatte angeblidj bringenb geratfjen, ein anbereS $lima
aufjufudjen, weil bei Sujie ein altes Suitgenleiben toieber
aufgetreten fei. infolge beffen war bie £od;geit l;inauS=
gefdjoben worben, unb bie 23erbinbung mit §errn Äurt
§agenau baoon abhängig gemadjt worben, ob baS Seibett
Sujie’S ju Ijeilen fein würbe ober nidjt.
■äKit biefent ©erüdjt, baS ooit Sujie oerbreitet worben
war, mufete fid) ber Älatfdj ber ©efellfdjaft pfrieben geben.
* *
*
'Jiadj einem 3afjr burdjmanberte Surt bie ÄunftauS»
ftellung ber Siefibenj unb madjte ftdj eifrig fftotijen für-
feine Sfritif.
©r war eben in ber 2lttfd;auung eines Porträts oer--
tieft, als er neben fid) leife feinen 9iamen rufen fjörte.
©rftaunt falj er fid; um.
„Sötte! — Fräulein Sötte!" rief er.
Digitized by Google
Äor»ir< rau y«ur Hfiß
175
23erounbernb fah er fie an. ©ie roar noch fchöner ge*
roorben, aber berfelbe ©d>alf lad;te auch heute noc^ aus
ihren 2lugen.
„9^0, rote ift’S Qtjnen benn ergangen, §err SDoftor?"
„D banfe," er lächelte, „unb 3hnen?"
„Vortrefflich !" jubelte fie. „ßin ganjeS 3 a h r lang war
id) bei ber 2ujie. ©ie ^at fid) ein £>äuSd)en ant ©enfer--
fee gefauft, ganz bici^t bei ßlarenS. Xort bleibt fie für
immer roofjnen. ßS ift ja aud) entjüdenb bort."
,,©o, fo!" ßr atmete erleichtert auf. „9?a unb ©ie?"
,,3d) bin feit ad)t Stagen hier auf Vefuch bei einer
Xante, bleibe aud) oorläufig noch hier."
©ie fafj ihn an mit freubeftrafjlenben 2lugen.
„9tun, menn ©ie geftatten," fagte er, „fo führe id) ©ie
ein raenig umljer."
„2l<h nein," lachte fie, „fomtnen ©ie nur, id) ftelle ©ie
meiner Xante oor. 2öir fißen braufjen im $arf."
Sie hüpfte ooran, er fam langfam nad), unb braußeit
mürbe er ber bemufjten Xante oorgeftellt, einer alten, freunb«
liehen unb gutherzigen Xante.
©leid) am nädjften Xage machte $urt feinen öefud).
ßr mürbe überaus freunblid) aufgenommen unb mußte feft
oerfpredjen, redjt oft unb recht halb mieberjufommen.
ÜJlati'trlid) tljat er baS. ©runb unb ©elegenljeit fanb
fid) immer. Uitb fo fal) er Sötte benn auch jeben Xag,
halb in ber 2luSftellung, halb im ^onjert ober in ©efell*
fdjaften. 21m liebften freilich mar er mit ihr baheim bei
ber alten Xante gufammen. ®a fafjen bie Xrci bei ein»
anber am Xifd), ber SXheefeffel fummte, unb mährenb bas
Xantchen nach unb nach einnidie, plauberte unb fdjerzte er
mit Sötte.
ßinrnal im ©pätfommer begleitete er fie nadj .häufe,
©ie rnaren im 21uSftclIungSparl geroefen unb junt erften
2Jcale allein, ba bie Xante nidjt ganz mohl mar. ßS mar
Digitized by Google
176
Sugcnft.
Dämmerung, al$ fte burcf) beit Xf)iergarten gingen. Xurdj
bie Säume flimmerte b aä golbige Stotf) ber fdfeibenben
Sonne. Xa nafjtn er ifjre Keine §anb unb jog jie an
feine Sippen, unb ganj leife fliifterte er ifjren tarnen.
(Sie entjog ifpn bie §anb nidjt, aber fie faf) ifjn aud)
nidjt an.
„Sötte, fjaft Xu micf) lieb ?" flüfterte er iljr ju.
Unb ba flaute fie if)n an mit ifjren braunen Schelmen*
äugen unb auf ifjrem ©eficf)t lag ein freubeftra^lenbeS
Säbeln.
@r muffte genug. @r nafjm ifjren blonben Ä'opf, brüdte
Üjn an feine Sruft unb gab bem geliebten 2Räbd)en ben
SerlobungSfufj. Xann gingen fie, 2lrnt in 2lrm, fdjerjenb
unb fofenb, nad) §aufe jur Xante unb erbaten beren Segen.
Xie Xante nidte nur läd)elnb unb reichte Seiben bie
$änbe. Sie fjatte ja längft geahnt, baff eä fo lontmen
muffte. Unb in bem fonnigen ©liid ber beiben Siebenben
faf) fie ifjre eigene $ugenb roieber uor fid^.
2lm nädjften Xage fjatte ft'urt eine längere Unterrebung
mit ber Xante.
„Sujie fjat mir oor einigen Xagen gefdjrieben," fagte
bie alte Xame. „^dj f)abe iljr mitgetljeilt, roaS icf) tmrauS
faf). Sic läfft Sie gri'tffen unb roünfd)t $f)nen oon §erjen
alles ©lüd. Sie gürnt Offnen nidjt. Xie .^iigenb gehört
jur $ugenb. Sie ift je£t auSgeföljnt mit ifjrem Sdjidfal."
$urt fonnte nichts barauf antmorten. @ine tiefe 2Sef)=
mutfj fam über ifjn, bie ifjn meid) mad)te.
„Unb bod) fjabe id) red)t getf)an !" fagte er fid). „9?ur
ba mar id) auf bem falfcfjen 2Bege, als icf) eine @f)e aus
Spefulation fcfjliefeen tuollte."
Unb als er in baS anbere 3immer trat, fam Sötte ifjm
entgegen. Xa fcfiloff er fie in feine Slrme.
i
L
I
Digitized by Google
Der fdjrpar^e 2&erf()ofö mb feine «ladjfofger.
3ur <ftefc$i<$fe 6er Äxprofivßoffe.
Von
Juflu» JranH
Mit 11 3ITu(irationtn.
(nadjbturf orrbotm.)
[enn man fidj redjt abfprccfjenb über bie geiftige 93e*
gabung eines Wenigen äufeern min, fo pflegt man
ju fagen: „(Sr fjat baä $ubcr nid)t erfunben." $n biefer
rooljl fdjon au§ alten $eiten ftammenben SlebenSart fpridjt
fid) bie ^od;ad;tung aus, roetdje baS Soll oor bem (Sr*
finber ber „fdjroarjen Jtunft" fiegtc, bie urfprüngüd) fo
rceit ging, bafj bie STnfidjt oorljerrfdjenb mar, e§ fei nur
mit §ilfe beS „©ottfeibeiunS" überhaupt möglich geroefen,
etrcaS fo §urd;tbareS mie baS ©d)iejjpuber ju erfinnen.
SDaljer fjeifst eS in einem befannten alten Slrtiöeriftenliebe:
„$aS Sßuloer, ba§ ein ÜRönd) erfanb,
SluS Sc^roefel, Satä unb Äoljlen,
$at er, rote aller Sßett befannt,
2)em Teufel a&geftofjlen."
9Kan l)at ja bie ©rfinbung beS ißuberä felbfi ber beS
33ud)brudS an fulturgefdjidjtlidjer 2Bidjtigfeit gleidigeftellt,
unb mag bie „^überfrage" für bie Nationen ber ^e^tjeit
bebeutet, baS Ijat erft fürjlidj gurft 23i§mard in feiner
treffenben SBeife bafjin jufammengefa|t: „(Sä ift meniger
1895. IV. 1»
4
Digitized by Google
178 ^ n ’ F<Sw«rj* 38«vt^c*ri> un& feint JTatfifofgtr. ®on Sbifhie 'SninM.
bic frieblidjc ©efinnung aller SRegierenben, bie beit grieben
bisher erhält, als bie miffenfdjaftliche Seiftungsfähigleit ber
Gtjcmifer in ber ©rfinbung neuer i|3ulüerforten unb ber Xcd)*
nifer in ber SOeroottlommnung ber militärifc^en Sattiftif."
lieber ben Gsrfinber beS Aulners ift fchon fehr oiel
hin unb ^er geftritten morben, allein gerabe je£t, mo bie
erfte eingreifenbe SSerbefferung unseres alten ißuIuerS, baö
fogenannte raudjfdjmadhe ©d)ief 5 puloer, in allen größeren
feeren eingefüljrt rcirb, bürfte cS moljl am ißlafje fein,
bie bisherigen gorfchungsergebttiffc barjulegen. ©S I;anbelt
fid; babei in crfter Sinie aber nicht um bie (frfinbung beS
$uloerS überhaupt, fonbern um bie ©rfinbung beS ©d)ief$en§
mit ijkloer. 2>aS ipuloer ift ber 9)ienfd;heit fdjon in älterer
3eit befannt geroefen, unb eS mürbe gang vergebliche fJJlühe
fein, über ben erften ©rfinber einer berartigen fDlifdjung
etmaS ©idjereS feftftellen ju motten. 2Öahrfd;einlich finb
bie ©hinefen bie erften gemefen, bie lange oor ben abenb*
länbifchen 33ölfern bie ejplofioen ßigcnfdjaften einer
fttiifchung oon ©alpeter mit ©djmefel unb löffle heraus*
gebradjt h atten unb e ' ne Slrt ifktloer barftettten, baS fie
aber nur ju fyeuermerfen unb bergleid;en benu^ten.
2öie Dr. $einrid; |>anSjalob ju greiburg im 33reiSgau
mit oielem ©djarffiitne ju erhärten gemußt h at / h Q| ben
allem 2lnfcheine nach bie brei fogenannten „^uloermöndje",
nämlid) ber ®ominifaner 2llbertuS -äJlagnuS (1200 — 1280),
ber englifdje ^-ranjislanermönd) fftoger 53acon (1241 — 1294)
unb ber ju ^reiburg im SreiSgau als ihr geitgenoffe
lebenbe granjislaner Sertholb, genannt Bertholdus niger,
b. i. SBertholb ber ©djroarge, nicht öertljolb ©djroarj, fo
ziemlich gleichseitig , etroa um bie SJlitte beS 18. $ahr*
hunbertS, unabhängig oon einanber baS ©djiefipuloer er*
funben. Slber nur ber jule^t ©enannte oon ben dreien,
ber fdjmarje Sertfjolb, oerftanb eS, bie neu entbedte ftraft
einjufpannen unb auSjunüfjen.
Digitized by Google
itized by Google
2>ic Ojptofion in btr Stile be8 fönmrjtn ©ertf)olb,
IgQ Der fdjwarje ®«tl}or& unf> feine Kadjfofijer. Don Jluftu»
Srubcr Sertljolb in $reiburg, bev non feiner „©djroar^
Junft" ben Seinamen „ber ©dpoarje" erhielt, roäljrenb
fein urfprünglicfier fjamtlienname ßonftantin 2Jngelifen
ober Stnflifcen geroefen ju fein fdfjeint, fott nadjj einer
fpäteren ©age ba§ $ufoer burd) einen 3ufaH erfunben
fiaben. ®ie meiften in Seiracfjt fomntenben älteren Gljros
niften bagegen oerfic^ern auSbrüdlid), baff er burcf) gorfdjen
unb ©Eperimente bie 2JttfdE)ung J>erau8gebradjt Ijabe. Siadf)
bem Drbenädfjroniften ber $ranji3!aner, SufaS SSabing,
Ijabe ©d^rcarj ©dfitoefel unb ©alpeter puloeriftrt unb in
einem gefcfjloffenen ©efäfje entjünbet, roaS eine gewaltige
©plofion in feiner 3 e ^ e uerurfadfjt Ijabe. ®ann fei er
baju übergegangen, baä ©cljiejjpuloer rationell anjufertigen
unb anjuroenben. 3 ucr fi Ijabe er Saumftämme bamit ge-,
fprengt unb bann erft au§ Ijöljernen unb juleijt aus eifernen
Stohren ©teine unb kugeln ju fdjiefjen oerfud;t. ©ne
anbere Freiburger Sage läfjt ben fdfjtoarjen 33ertIjoIb ftdf>
in jener ©tabt felbft in bie Suft fprengen, um bie 2Birfung
feiner Grfinbung barjutfjun.
@3 ift jebenfaUä auclj richtiger , als 3 e 't biefer @r«
finbung etroa bie SKitte beS 13., anftatt, wie fonft oiclfadj
gefdjafj, bie SJiitte beS 14. galjrljunberts anpneljmen.
geugfjaufe ju 93ern befinbet fid) eine eiferne, gefd^miebete
§anbfanone für Fufjoolf auS ber erften £älfte beS 14. Fafjr*
ffunbertä. ©eroifi mit Siedfjt fragt baljer Dr. §anSja!ob:
„2Bie märe eS biefer fixeren Sljatfadje gegenüber möglidj,
baff bie ©finbung erft um 1350, alfo um bie gteicfje $eit
ober gar fpäter als biefe $anbbiidjfe, gemadjt morben
märe ?"
Sn Freiburg felbft finben mir ©efd;ü£e bereite in ben
lebten Saljren beS 13. ober boef) in ben erften beS 14. Saljr !
IjunbertS angeroenbet; 1356 Jommen in Siedlungen ber
©tabt Nürnberg Soften für ißufoer unb ©efdjütj »or,
unb 1372 befaßen bie Slugsburger fdjon über jnjanjjig
Digitized by Google
Digitized by Google
$cr tiivlifc^c 'Dionitor 2itfi*35jd)eiit wirb bei Stai'Ia in bie 2uft ße(prcngt.
1^2 3>fr fdjn'arje Kfi l^oß un5 feilte Madjfofijer. Hon Oitfiu» HnuiM
metallene ©efdjüfje, mit benen fie baS 33etagerungSf)eer
beS §crgogS Johann non Bayern befdjoffen. 2öie ficfj
gang ungmeifelhaft ttadjmeifen täfjt, ift bie neue „roetis
erfchütternbe" ßrfinbitng auch non Seutfchtanb nach Italien,
^ranfreidj unb ben übrigen europäifchen Sänbern gelangt;
alte entgegengefefjten Angaben berufen auf Vlifjwerftänbs
itiffcn ober baren ©rbidjtungen.
Vewor mir nun bie »weitere ©efcf)ichte ber (Sjplofiws
ftoffe oerfolgen, muff gunächft feftgefteltt »werben, »was bie
3Ted^rtif unter ihnen werfteht. Sie 2tntroort tautet nach
^rofeffor Dr. §. ©dfjiwarg: „ßtjemifdje Verbinbungen ober
fotche, bereit (Stementarbeftanbtheite in folc^er 2trt mit ein=
aitber werbunben finb, baff fie fidj, fobalb ber Slnftojs bagu
burdfj eine mäßige Temperaturerhöhung , einen Junten,
einen ©cf)Iag gegeben, unter ftarfer ©rljitjung unb ©aS«
entmidelung in anberer, einfacherer Strt gruppiren. Ser
in fefter ober ftüffiger $orm in reidjtidjer -JJienge in ihnen
enthaltene ©auerftoff werbrennt ben nie fef)fenben Fohlens
ftoff gu gasförmiger $ohtenfäure ober StoljtenoEyb, ben
SBafferftoff gu SBaffcrbantpf ; ber mit beut ©auerftoff (gu
©alpeterfäure) werbunbene ©tidf ftoff »wirb ebenfalls als
©aS frei, unb and) ber fefte Vüdftanb, ben bie Vers
brennung liefert, fanit burd; bie ergeugte enorme Te»nperatur
werbantpfen. Stuf ben Srutf, ben bie ergeugten ©afe unb
Sümpfe auSiiben, bie Strbeit, metdjc baburd; geteiftet »wirb,
hat nicht allein bie aus einem beftimmten Volumen bes
tsrptofiwftoffS entmictelte ©aSmcitgc, foitbern mehr noch
bie burd) bie Verbrennung erzeugte SÜärmemenge, bie bas
burdj ben ©afen mitgetheitte Temperatur unb bie bamit
erfotgenbe StuSbehnung berfetben einen ©inftujj."
©ämmtlidje ©jptofiwftoffc älterer unb neuefter $eit
taffen fid; nun je itadj if;rer SBirfung unb wormiegenben
Vermenbung in 3 »oei §auptgruppen trennen. * Vei ber
erften bient bie erjieftc Straft guin $ortfd;tcubern fefter
Digitized by Google
I
Digitized t
®aS tleltro-magnctiitfjc Qijronoflop jum 'Utcffcn bet ©ejdjiuinbiflleit eines ©ejdjofJeS.
;|g| 3>er ftCwurje 33ertßon> nn5> feine JTncfifofäcr.
Körper Behufs ^crtrümincrung ber ooit iljnen getroffenen
©egenftänbe: ber ©toff wirft als Treibmittel. Sei ber
jmeiten ©rappe bngegen bewirft iljre 5lraft entweber un«
mittelbar bie 3 ct ftö run S non Körpern, inbem fie in beren
Tlntivinflen Bon unterfeeilijen 9Jlinenl5d)evn burefj laudjet.
innerem ober aber in beren unmittelbarer 9?älje jur ©nt--
widfefung gebracht wirb, ©ie wirft als ©prengmittel.
2113 Treibmittel fotT baS ijkloer in ©efdjiifjen unb
©eweljren wirfen, was bis in bie neuefte 3?it allgemein
nodj immer burdj baS adbefannte ©djiefjpuluer gefdjafj,
ein ©emifd; auS $alifalpcter, ©djwcfel unb ßoljle, wcIdjeS
i by Goc
Von 9u|tuo 38ranM.
185
ju fd;twefelfaurem unb foljlenfaurem $ali einevfeitS , ju
ßoljlenfäure unb ©tidgaä anbererfcitä perbrennt. ©in
©ramm, ba§ ungefähr ben 9taum eine§ $ubifcentimeter8
cinhimmt, beljnt fid(j bei ber ©ntjünbung auf 280 ^ubif=
centimeter aus. ®ie babei entfteljenbe §itje Ijat Vunfen
ju 3340 ©rab ßelfiuä gefunben, roäljrenb ber UttaEimal*
ga3brud nadj 9ioble unb 2lbel 6400 Sltmofpljären beträgt.
Uuttric(iid)c 5'lienlt>rtngimg mit Wtrogltjjerin
3Iuf biefen ©igenfdjaften beruht bie ®urd)fdjlag§!raft
ber oon ^uluer getriebenen ©efdjoffe. 3um ©prengen
roirb eS nur nodf) feiten benufct, ba man ja Iängft oiet
roirlfamere (Sprengmittel befttjt. $urd(jtbare Verheerungen
richten Vulperesplofionen an, rcenn etroa burdfj einen Vli$
ober burdf) Vöäroiltigfeit ein ^Suroertnagasin in bie 2uft
gefprengt mirb, mie ba§ fdjon oft oorgefommen ift, ober
wenn bie Vulperfammcr eines ©d;iffc3 ejplobirt. 3(uf
biefc ©eife flog im lebten ruffifd)'türlifd;cn Kriege ber
Digitized by Google
jyij J>ev fdjiravje 38erlßoß sitiß feine Jlacßfolijer. Doit dufttt* JSrauM.
türfifdje Monitor „£itfis$)fdje[ir, ben rufftfdje Batterien
oont Ufer aus befdjoffen, bei 93ra iTa in bic £uft. 21 ff er
Sßaljrfdjeinfidjfeit nadj ift aber nidjt ettoa eine ruffifdje
©ranate biä in bie bei mobernen Striegsfdjiffen am meiften
gefieberte ifMoerfammer gebrungen, fonbern bie dürfen
Ratten oielmeljr in ifjrer getoöfjnlidjen ÜRadjfäffigfeit, um eS
fidj bequemer ju machen, grofie 9JlunitionSmengen in ber
Batterie beS ©djiffeS aufgeljäuft unb bie jur ißuloerfammer
füfjrenben Xljürcn nidjt gefdjloffen. 2)aS gan^e ©cf)iff mit
ber au§ etroa fjunbert 9Rann beftefjenben 23efa$ung rourbe
in $e£en geriffen. 9?ur bie ©pi£e eines 9JtafteS, an ber
nodj bie türfifdje flagge fjing, ift baoon übrig geblieben.
$ur Prüfung ber ^raftciujjerung ober balliftifdjen
Sßirhmg beS ©djiefjpufoerS bebient man fidj oerfdjiebener
2fpparate. Sfeujjerft finnreidj fonftruirt ift baS eleftros
magnetifdje Gfjronoffop, baS jum föleffen ber ©efd;ioinbig=
feit eines abgefeuerten ©efdjoffeS bient, unb jnmr baburdj,
bafj beim 2fbfeuern ein llfjrioerf in 93eioegung gefegt unb
bann raieber gehemmt mirb, fobafb baS ©efdjojj baS $ief
berührt. 9Rit bem iJ3ot einer eleftrifdjen Batterie ift ein
©feftromagnet oerbunben, beffen Sfnfer, fo fange er ans
gejogen mirb, ein Ufjrioerf fjemrnt. (Jrfifdjt bie Alraft beS
s DfagnetS, fo jiefjt eine geber ben 2Xnfer ab, unb baS
Ufjrioerf fommt in ©ang, bis ber SRagnet oon feuern
wirft. 5Bon einem oor ber ©efdjüfjtnünbung aufgefteHten
Rafjmen lauft ein Srafjt jum ©feftromagneten unb fdjliefjt
ben ©trom. 2öirb baS ©efdjüfj abgefeuert, fo jerreifjt
ber fDrafjt, unb baS Ufjrioerf fommt in ©ang. $n bem
Sfugeitbfid aber, 100 baS ©efdjof} baS 3tel berührt, ftetTt
in einem jroeiten fRafjmen ein ■’Dietaßftüddjen bie 33er*
binbung fjer jioifdjen jtoei SDräfjten, moburdj ber ©trom
oon Reucm gefdjfoffen unb baS Ufjrioerf angefjaften mirb.
2Ran fann nun unmittelbar bie $eit abfefen, mefdjc baS
öefdjofj jum fDurdjlaufen ber ©trede gebraucht fjat.
Digitized by Goojle
\
by Google
Äapitän Ware« Lägt auf feinet 'Jtoröpolcxpeöition bas <5is jur Qetfttllung eines freien fjapnoaffets mit $qnamit fptengen.
188
Der fdjunirjc Keitljoß uuf> feine 3Xac$forgcr.
Um bie zahlreichen Uebelftänbe beS fdjmarzen ©chtej}*
putoerS ju befeitigen, finb fdjon feit fündig ^afjren häufige
SSerfud^e gemalt roorben, bie atferbingS oiele neue unb
brauchbare ©prengpuloer zu Xage förberten, rcäfjrenb als
©efchüfjs unb ©eroefjrpuloer bis in bie allerneuefte $eit
ftch feine ber oorgefchlagenen fJJlifdhungen als friegS=
brauchbar erroieS.
Sftit großen Hoffnungen mürbe anfangs bie im 3 a h re
1846 beinahe gleichzeitig oon ©dhönbein in 23afel unb non
Söttcher in ^ranffurt gemachte ©ntbeefung ber ©cf>iej 5 *
baumrooße ober Dtitroceftulofc begrübt. 58aron £enf oer=
befferte fie unb führte fte in Defterreidh als ©chiefjpräparat
für ©efchütje ein. ÜJtadhbem aber mehrere grofje ©plofionen
ftattgefunben hatten, oerfdfjraanben bie „©df)ief}roollbatterien"
mieber, unb auch uac 0 ben ÜOn bern Snglänber 2lbel
neuerbingS erfonnenen 23erbefferungen gilt bie ©chiejj*
baumrooHe noch immer für ju gefährlich unb zu foftfpielig,
um eine auSgebefjntere 2lnmenbitng zu finben.
3m beutfdhen Heere mürbe in ben achtziger 3<*h ren
ein neues ©emef)rpuloer eingeführt, baS oerntehrten ©alpeter*
geholt unb Höherprojentige ^oljlc unb beShalb eine fräftigere
Sirfung rcie baS frühere $uloer befafj; ferner ein grob»
förnigeS ©prenglabungSpuloer für ©ranaten (um beren
^repiren im 9loljr jit oerhüten) unb enblidh baS priSs
matifdhe ^uloer für fdhmere ©efdhüfje, baS ju ben fo=
genannten braunen fßuloerforten gehört.
3)aS braune $ulocr ift inoffenfioer, b. fj- es greift bie
SSBaffen meniger an, es geftattet baher größere Sabungen,
entmicfelt meniger fHaudh unb fann als Vorläufer ber
rauchfdhmadhen ifßuloerarten gelten. ©S befteht auS 78
ober 79 2:h e ^ en Salpeter, 18 ober 19 ^heilen brauner
$oljle (feine H°^ 0 h^» fonbern leicht angefoljlteS ©troh)
unb 3 ^he^en ©dfjmefel.
Slber feine ber bis bahin erfunbenen ffluloerforten ucr*
Digitized by
Bon Snftu* 33r<utM.
189
modjte ben 2lnforberungcn, bie man an ein ^uloer füv
9icpetir* unb 2)iagaäingemchre [teilen muffte, völlig ju ge*
niigen. 2IIS man biefe Söaffe neuerbingS in allen größeren
feeren einführte, galt eS bafjer, alle Hebel in SSeroegung
ju fefceit unb bie äufferften 2lnftrengungen ju machen, um
biefe £üdc auSjufüßen.
Bptengcn mittcljt Dynamit in einem Steinbrud).
®a mürben im 3>aljre 1887 äße Heeresleitungen burd)
bie 9Zad;ridjt in Aufregung verfemt, baff granfreicf) für-
fein fleinfalibrigeS Sebelgemefjr ein non 23ieiße erfunbeneS
neues ©djiefjpulner eingefüfjrt habe, baS neben ungeheurer
£riebfraft einen faum fühlbaren Stüdftoff unb nur ganj
roenig Stauch unb $naß erjeuge. £rot> aßer 23orfid;tS*
maßregeln beS franjöfifdjen $riegSminifteriumS gelang eS
ber djemifdjen 2lnalp[e halb, baS ©eljeimnil j\u löfen,
roobei fid; baS neue ÜBunbcrpuloer als ein ©djiejjbaum*
moßpräparat hcrauSfteßte.
Digilized byjCooglt
100
$>cv fdjii’cirje 33ertßoß mi& feine 3T«c$fof<jcr.
$ie $olge aber mar bod), baf? nun aud) bk anberen
(Staaten fid) cntfdjtoffen , ä^nlid^e 2Bege ju oerfudjen, um
non bent alten Sd)iefipuloer logjufommen ; eg mürben eine
9Jlenge fogenannter raucfjfdnoadjer ißuloer erfunben, non
benen fid) aber nur -JiitroceHulofe* unb 9iitrogli)jerins
Aulner als für ^rkgSjmecfe braudjbar ertokfen Ijaben.
Solche Aulner finb es benn aud), bie mir gegenmärtig in
®te eptfriflung beB gloobfeljenB im Wetu.^orlcr §afcn: ©eiierat Weloton’B
iöc^terdjcn briidt auf beu itnobf bet ctcftvijdjcu SBatterie.
beit Slrnteen faft aller $riegSmäd)te als fogenannte raudj;
fd)mad;e Aulner entrceber fdjon eingefüfjrt ober nod) in
(Erprobung finben. $5aS |ierftellungSoerfal)ren im ©injelnen
rcirb natürlidj überall als ftrengftcS ©eljeimnijj gehütet.
£)aS Jiitroglpjerin biente bis bal)ht nur als Spreng:
ftoff. SDer italienifdje ßfjemifer Sobrero l)atte im ^a^re
1847 gefuitbeit, bafc ©hierin fid) nitriren laffe unb bann
einen in feinen Sßirlungen ber ©d)ief)baummolle ä^nlic^en
Son Suflu* KrauM
191
Äövpci', eben bas Siitroglpjerin, ergebe. $ie[e [tidftofffjaltige
d)emifd)e 3>erbinbung [teilt man fjer, inbem man ©hierin
in eine -äJlifdjung non ©alpeterfciure mit fonjentrirter
©djmefelfciure fließen läfjt. ®ieS füfdid)fd)medenbe©prengöl
ift farblos, löst fic^ in 180 feilen Sßaffer (fe^r leidjt in
2tlfoljol unb 2letljer) unb ejrplobirt bei 180 ©rab GelfiuS,
[obalb eS, oljnc auSmeidjcn ju fönnen, einem [tarfen ©tofi
X>ie Sprengung beB gtoobfeljtnb im 9icro*7)oi!cr §afcn: ®it (Jpplofion.
ober 2)rud auSgefetd mirb. @S erftarrt in ber $ältc,
fann ange^ünbet merben unb brennt bann mit matter,
flifdjenber $fo mme r oljne iHaud^ unb oljne ßjplofion, rcenn
eS nid)t in [eften ©efäfcen bis auf 180 ©rab erfjittf mirb.
$er [dpoebifdje Ingenieur ß. Diobel begann im ^aljre
1802 bamit, baS ÜJiitroglpjerin im ©rofcen Ijerjuftcllen
unb ju ©prengungen ju benufcen. 9J?an [prengte uer=
fdjiebentlid; aud; unterfeeifdje Reifen bamit, nad)bem üHaudfjer
bie ©prenglödjer Ijergeftellt unb gelaben Ijatten. ©rötere
Digitized by Google
192 ^ tr ÄerlpofJ uii5 fein« HiuSfoftjcr. Hott Surttt» SSrotiSf.
©prengmaffen gelangten jur ^eftigfteii ©jrplofion, wenn
man barin eine geringe SKenge Änallquecffilber in einem
ßupferhütdjen jur Detonation braute.
Dro£ aller SBorfidjtSmaferegeln famen aber oerfchiebene
Unglüdifätle oor, unb bai ^titroglqjerin rourbe baljer
alibalb aufgegeben, ali Siobel 1864 entbecfte, bafj biefei,
roenn man ei mit poröfen Körpern mifdfjt, ©rplofioftoffe
gibt, bie alle feine Sßorgüge beftfcen, aber oiel weniger
gefährlich finb.
Diefe neuen ©Eplofioftoffe finb bie Dpnamite. 3 U *
$erfiellung benufjt man meift Äiefelgur, eine fe^r poröfe,
reine Äiefelerbe, welche 3 D^eile 9ZitrogIqjerin aufnimmt.
Dai Dqnamit bilbet eine graubraune, gerud)lofe, fette,
teigartige -Blaffe, bie nic^t burch ©tofj ejplobirt, im offenen
Staume ober in ber üblichen Sßerpadung ohne ©Eplofton
oerbrennt unb fid) oor bem ©chiefjpuloer burdj bebeutenbe
2lrbeitierfparnij}, grofje 3lrbeitibef<hleunigung unb ©rfpar*
nifj oon ©prengmaterialfoften auijeidjnet. @i ift jwar
oiermal tljeurer ali ©chiegpuloer, teiftet aber auch ad>t;
mal mehr.
■BZan oertoenbet ei in geleimten $apierpatronen unb
entjünbet ei mittelft 3ünbfd)nur unb einei auf biefe auf*
geflohenen unb feftgefniffenen $atentjünbhütd;eni. @i
bient ju Sprengungen aller 2lrt bei @ifenbaf)narbeiten,
fylufcforreltionen, §afenarbeiten , in 33ergn>erfen, ©tein=
brüten u. f. io. 2tuch bai @ii fann man bamit fprengen,
um einen gefährlichen ©iigang ju oerhüten, roie ei Kapitän
SZarci auf feiner -JZorbpolejrpebition (1875/76) auch meljr;
fach benufcte, um freiei $af)rwaffer he^äufteHen, bii jule^t
ber ^olanointer bodj ben ©ieg über bie 2lnftrengungen
ber 3JZenfchen baoontrug.
Die getoaltigfte Sprengung mit Dynamit, bie man
jetnali auijufüljren genjagt hat, mar bie bei $loobfelfeni
im §eH5©ate=ßanal bei üfteio^orler §afeni am 10. Dl;
Digitized by
/
1895. IV.
13
Digitized by Google
•inog uoa poß wi uojjojttSg »i®
194 3>er f<Sroarjt 38trl§ofi un& feint Äac§fi>fger. 3u(lus 38ranM.
tobcr 1885. GS fameit im ©ait^en über 280,000 ifjfunb
©prengmaffe jur SCnmenbuitg. 2llS ba§ SCödjtercfjen be§
©enerals Uiercton in bem am Ufer fteljenben gäljrljaufe
oon Slftoria ben $rüder berührte, ber bie au§ 50 Gle:
menten befteljenbe eleltrifdje ^Batterie in Sfjätigfeit fe^te,
oernaljm man ein unterirbifdfjcS Bonnern unb Stollen, mie
oon einem Grbbeben. Gine mädjtige, meififdfpmmernbe,
einem GiSberge gleidfienbe SJtaffe ftieg etiua 200 gufj Ijod)
in bie 2uft, blieb bort jmei bis brei ©efunben feftgebannt,
fanf langfam jurüdE unb ftieg nodEj einige SJtale empor,
mäljrenb rotlje flammen aufjudten, bie eine 2Bolfe gelb:
mcijjen StaudjeS jurüdliefjen. ®ie «Sprengung mar beftenS
gelungen, ber gloobfelfen befcitigt, unb fcitbem geftattct
ber §ett = @ate:$anal aud; ben fcljmerften ©cfjiffen ein
gefafjrlofeS Ginlaufen.
gnbem man bie üicfelgur burdj anbere poröfe Körper
erfe^te, Ijat man oerfcf)iebene ©orten oon ®pnamit l)er:
geftellt : Sitljofralteur, SDualin, gulminatin u. f. ro. Gine
befonbeve 2Irt mürbe eine 3citlang in ©enf unter bem
Stamcn SRatajiette Ijergefteftt. 2113 man fedf)3 Tonnen
baoon über bie franjöfifdje ©renje fdjmuggeln roollte,
mürben fie entbedt, mit 23efdjlag belegt unb in bem gort
oon gouj untergebradfjt. ®ie ©teueroermaltung oerfauftc
ben gefäfjrlidjen ©toff an eine ©efettfd^aft, unb als bie
franjoftfcljen 33aljnen ben Transport oerroeigerten, fanbte
biefe eine 2lnjaljl guljrroerfe. ^ßlö^lic^ entftanb — e§
mar am 18. ganuar 1877 — eine riefige Gjplofton, meld&e
baS ganje gort oon ©runb aus xerftörte, unb burdf) bie
aucf) eine 2tnjaljl -ütenfdjen baS Seben einbü^te.
2luf$er ben Gjplofioftoffen, bie au3 bem Stitroglpgerin
fjergeftellt roerben, oerbienen bie mittelft ißifrinfäure Ijer*
geteilten ißifratpuloer befonbere Sead^tung, rooju aud&
baS oielgenannte Melinit gehört.
GS gibt nun noc§ eine ganje SJtenge neuerer Präparate,
i by Google
(Sin 9)ic[«n-JtunftfeuerionI.
196
Der fcßumrje BertQoß im& feilte llntfifofo,«.
löte $anit, §effljoffit, fRoburit, Söetlit u. f. m. 25er eitfl-
lifdlje 2frtifferic*Dbcrftlieutenant (Sunbiff fläfjlt in feinem
SBerfe über ©prengftoffe nidjt weniger als 1061 ter;
fcfjiebene 2frten auf, bie mir fficr natürlidfj nidfyt affe nam=
fjaft tnadjen fönnen.
3um ©dfjluß fei nur nocß furj ber fjarmlofeften 58er*
roenbung gebadet, melcße bie (Srfinbung besl fc^roarjen
Sertfjolb bisher gefuttbeit ßat: mir meinen bie Suff* ober
Äunftfeuerroerferei, burcf) bie fidf; mirflid^ großartige 2Bir*
fungen fjeroorbringen laffen. 5Dian unterfd^eibet §^ ammen:
feuerfäfce, meldfje fc^öneS intenfioeS Sicßt unb tief gefärbte
Rammen in $ortn ton Sidjterfäßen unb Seucßtfugelfätjen
geben, unb $unfenfeuerfäße (©tifffeuerfäße unb Sriffant--
fäße), bie einen fdjöneit gunfenftrafjl liefern, aber aucf)
fo tiel ©«3 entmid'eln fönnen, baff fic riidmirfettbe $raft
auf bie §iilfc auSüben. ®ie ,3ufammenmirfung ton
Sfafeten, ©ottncn, $a§fabeit, $euertöpfen, ©djmärmern
u. f. m. öerntag ein roaßrljaft präd)tige3 unb blenbenbeS
©djaufpiel jn gemäßren.
23erüßmt gemorbeite Siiefeitfeuermerfe ber lebten ^al;re
roaren namentlich bas am 15. gebruar 1891 ju 9Jfo3fait
abgebrannte, meldjeä eine genaue $opie beä erften in Stuß*
lanb abgebrannten g-euermerfeS, baä Peter ber ©roße am
3./15. Februar 1691 ju Petersburg neranftaltete, lieferte,
unb ba§ foloffale (SröffnungSfeuermerf ber SMtauäfteffung
in Chicago.
(äin &utt6efrie&§of.
Äuriimjefc^ic^ffic^e öfiijjc von Bans 5tftarft»erft?r.
K7it 6 Sffuftratioittn.
(Hadibtucf rubottn.)
|er §unb," faßt ber berühmte -Jfaturforfcher Guoier, %
„ift bie merfmürbigfte, oollenbetfte unb nüfjlidjfte
(Eroberung, weldje ber fDienfd; in ber Sljierrcelt jemals
gemalt hat. @r gehört bem 9Jlenfd)en, feinem §errn,
gänjlidj an, richtet fid) nach feinen ©ebräudjen, fennt unb
uertfjeibigt fein (Sigentljum unb bleibt if;nt ergeben bi§ jum
£obe — unb alleä biefeä nidjt auä 9?oth ober furcht,
fonbern aus reiner Siebe unb Sfnffänglidtfeit."
2lehnlid;e Sobreben haben anbcre grofje 9)Jänner betn
$unbe gehalten; e§ ift befannt, roie hodj Schopenhauer
feinen meinen $ubel, $riebrich ber ©rofie feine -JBinbfpiele,
Siidjarb Söagner feine -Jfeufunblänber fd;ii£te, unb mie
biefe erlefenen ©eifter in trüben ©tunben für bie Sieb=
lofigfcit ber fföenfdjen oft 2roft fanben in ber Slnfjänglidj*
!eit ihrer treuen oierfüjsigen ©efährten.
föian brauet baher fein „$unbenarr", fein oerbitterter
©onberling ober feine oerfd>robene alte Jungfer i u fern,
um bem §unbe unter allen anberen $au§thieren eine 2{uS*
nahmeftellung einjuräumen unb ihn hochjufchäfsen. 2fudj
hat e8 in ber £f) at fogar berühmte $unbe gegeben, bereu
Digilized by Google
198
Äin &un&efrif&(?of.
Seiftungen aud) oont großen ^ublifum Ijöljer oeranfdjfagt
würben, als bie gewöfjnlid;er SJtenfdjen, unb es ift bafjer
nid^t oermunberlid), baf$ man biefen gieren alle möglichen
©tjren erwies.
21m befannteften oon allen ift wofil ber 23ernljarbiners
fjunb 33arrp, melier rneljr als oierjig ^ßerfonen, bie beim
Uebergattge über bie i)3af$ljöfje be§ großen 6t. 33ernljarb
oorn Sdjneefturm überfallen mürben, ba§ Seben rettete.
6r mürbe baf>er, als er alterSfdjmadj ftarb, auSgeftopft
unb im Stationahnufeum ju S3ern aufgeftellt, rao er nodj
je|t ju fefjen ift. ifjunbe, bie in 33ertljeibigung ifjrer $er*
ren gegen Stäuber ober roübe SC^iere ifjr Seben Eingaben,
mären ju Xaufenben anjufüljren; ju £unberttaufenben
aber bie, meldje als einzige fyreunbe unb ©enoffen iljrer
oerbitterten, menfdjenfeinblidj geworbenen Herren bas le§te
33anb bilbeten, baS biefe an baS Seben feffelte.
Söeitn foldje Spiere nidjt wie anbere if;reS ©feigen
nadj iljrem ütobc bem Sfbbcder anfjeimfaften ober in irgenb
einem SSinfel oerfdjarrt werben, fonbern auf bem ©runb=
ftüde ifjrer 23efi£er, im ©arten ober $ar!, ein ©rab er=
tjalten, fo finbet barin Stiemanb mefjr etwas Seltfames,
feit $riebrid/S beS ©rofiett SicblingSljunbe ^>IjiUiS, 2d)iSbe
unb 2lmourette im $arf oon SaitSfouci unter Steinplatten
ruljen, auf benen iljre Statuen eingemeifjelt finb. Sltfein
ein richtiger $unbefriebt)of, mit gefdjmüdten gut gef)al*
tenen ©räbern unb marmornen ©rabfteinen bürfte bodj
eine fo fonberbare StuSgeburt franfljafter ©mpfinbfamfeit
fein, bafj man an feiner ©giftenj zweifeln foKte. Unb bodj
gibt eS einen folgen, unb er befinbet fidj nid)t etwa im
fernen ^nbien, fonbern in ber mobernen Söcltftabt Sonbon,
unb jwar im faffjionabetften SEfjeite bcrfelbctt.
2Benn man oon Sßcften Ijer burd) baS SSiftoriat^or
beit Ijerrlidjen ^pbeparf betritt, in beffen SCßeen fid; mäljrenb
ber „Saifon" bie oorneljme SBelt oon Sonbon &u Sßagen
Digitized fc
Ton Aon» $cparn>trfter.
199
unb ju $ferb ein
©tettbidjein gibt,
fo ftö^t man
juerft auf einen
fteinen griedjU
fcf>en Tempel mit
einem ©arten
baljinter. $iefer
Tempel ift bie
3Bo^nung beä
föniglidjen 33es
amten, ber bie
Pforte ju über»
machen ^at. $er
alte, freunblidje
^^orroä^ter,
■SBinbribge mit
tarnen, ift ber
33efHjer , Ueber=
roadjer, ißftanjer
unb Xobtengräs
ber beä §unbe=
friebfjofä,unbmit
feiner Grlaubnifi
merben mir jetjt
bie alten §unben <rju. SBintinbge, bet 3riebl)ofSU>5d)ter.
geheiligte ©tätte ,( nt , 55otoBrapble Pon (SHiott & 3«), Sonbon.)
betreten.
2)er alte 9Jiann mar früher ein Wiener beä §erjogä
oon Gambribge unb erhielt , als er in baä ruljebebürftige
2Hter eintrat, in 2tnerfennung feiner SDienfte biefen ein*
träglicfjen unb leisten ißoften. 3Jiit freunbUdjem Säd^eln
fdjliefjt er unä bie Sfjür ju feinem ©arten auf, beffen
ganzer SHaum jc$t jum §unbefriebfjof benit^t mirb. Gr
Digitized by Google
200
(gilt &uu&tfri(M?of.
ift ftolj auf feine ©rünbung unb jeigi fie bem $remben
gern.
2Bir treten ein. @§ ift ein merfroürbiger Stnblid, ber
ftd) un§ barbietet. langen Steifen, umgeben oon grünen
Säumen unb Süfdjen unb burchfdjnitten oon Sieäroegen
geigen ft<h un§ ba f leine, blumengefdjmüdte ©räber mit
aufrechten -äWarmorfteinen, auf benen je ber SWame eines
tobten §unbe3, ber StobeStag beffelben unb meift auch
irgenb eine fleine SBibmung eingemeifeelt ift. 9Jttt roohl*
gefälligem Slide muftert 5W. SßBinbribge feine ©Köpfung,
bie in ber Stljat f° ^übfdh auSfieht, als man fid) nur irgenb
roünfchen fann, unb auf unfere $rage t^eilt er unS auch
mit, roie biefe SHu^eftätte oierfüfjiger Sieblinge beS 3Kenfd)en
entftanben ift.
SDurdj Zufall natürlich, burch bie Saune oon fiinbem!
©S hat fich gleichfam 2WeS oon felbft gemacht.
$)er erfte §unb, raelcher in 2Binbribge’S ©arten bes
graben mürbe, mar „©herrp", ber ©pietlamerab ber $inber
beS §errn 3- SeroiS Sarneb. ®ie kleinen pflegten im
$ahre 1871 täglich mit ihrem $unbe im §pbeparf fpa=
jieren ju gehen unb ben alten $horrcächter, ber nebenbei
einen fchmunghaften §anbel mit guderroerl, SonbonS unb
^ngroerlimonabe betreibt, babei regelmäßig in -Währung
ju fetjen. SDer griedpfche Stempel, ber fo herrliche ®inge
enthielt, unb ber roürbige 3Wann mit ber rothen 2Befte
unb bem golbbetrefsten §ut, ber fie oerlaufte, maren für
bie Slinber, roie für ben §unb, ber an ben Sedereien ftetS
feinen gebüljrenben Slntheil befam, auf baS ©ngfte oer»
fnüpft mit ihren füßeften ©rinnerungen , unb als baher
ber gute ©herrp eines XageS ftarb, beftanben bie $inber
barauf, bafc er in 2öinbribge’S ©arten begraben roerbe.
5Wan roiHfahrte ihnen; ©Ijerrp erhielt auf ihren 2öunfch
auch einen marmornen ©rabftein, ber nachmals baS 3Wufter
für alle übrigen rourbe.
Hon Aans $<$arn>erfier.
201
StnfangS blieb (Sljerrp ber einzige 53emoljner beS ©ar»
tenS. 2lber ba gefc^at; etmaS, roaS ben ^ßla^ für ariftos
Iratifdie §unbe faf^iouabel machte, ©ineS £ageS nämlid)
geriet^ ein
§unb beS
§erjog§ oon
©ambribge,
■JlamenS
„$rince",
unmittelbar
uor bem
§äuSd)en
beS £f)ors
roädjterS
unter bie
Staber eines
SBagenS.
Söinbribge
fprang eilig
jur Rettung
Ijerbei, aber
es mar be»
reitS ju fpcit.
■Jlur bie
SeidjebeSar:
men ißrince
fonnte er
noch in
<3id)erf)eit
bringen. 5ßrince mürbe neben ©Ijerrp beftattet unb er=
Ijielt ebenfalls einen ®en!ftein mit ber ^nfd;rift „Poor
little Prince* (bem armen fleinen ^rinj), unb nun lenfte
fid) mit einem SJiale bie Slufmerffamfeit ber reifen eng=
lifdjen ©efellfdjaft, bie ftetS fflaoifcf) nacfialjmt, roaS irgenb
3) it ©räber oon .prince* unb .5f)frrt)*. (91a* einet iPbotofltap&ie oon Gtliott k gnj in Sonbon.)
202
tfitt Aun&efrit&pof.
ein ÜJlitglieb ber föniglichen Familie ihr üormadjt, auf beit
bisher unbeachteten ©arten beä ShorroädjterS. tarnen
ber ©eburtä: unb ©elbariftofratie fanbten ihre §unbe jur
Seerbigung borthin, unb fo nmrbe aus bem ©ärtdjen nach
unb nach e > n richtifler $unbefriebhof, non bem mir bei«
folgenb einige nach Photographien angefertigte 2lnfid)ten
geben.
©S liegen bort faft auSfdhliefslich ariftofratifdje $unbe
— nahe an fünfzig. 9fur ein Proletarier h«t fid) einge»
fchlicfjen, nämlich „Fopper", ein gaitj geroöhnlidjer $öter,
oon bem weiterhin nod; bie 9lebe fein mirb. 2lHe anberen
finb bie »ermähnten unb foftbaren Sieblinge reidjer $amen
unb Äinber. ©ie fanbett merfmürbigcrroeife jum großen
£fjeile ih ren £ob burd; Ueberfahrenmerben, unb ein 3Jtos
ralift fönnte baran eine tieffinnige ^Betrachtung fnüpfen,
mie ffteidjthum, 33er^ärtetung unb Söohlleben bie §unbe
mie bie 9Jienfd;en für bcn $ampf beS SebenS untauglid;
machen unb ifjren frühen Untergang herbeiführen, ©oldje
©djofjfjunbe finb nämlid) fo gewöhnt, ftetS h erum Sßtragen
unb gehütet ju merben, bafj fie ooUftänbig ^ilftoö baftehen,
fobalb fie einmal burd; 3 u f a ^ * n baS ©eroühl »on -Uienfdhen
unb 2öagen, mie es jur $eit ber hohen ©aifon im $pbeparf
herrfcht, geraden, ©anj »ermirrt unb beftürjt weichen fie
bann meber ben Pferben nod) ben 9iäbern aus unb merben,
falls man ihnen nicht fchnell ju §ilfe eilt, regelmäßig
überfahren.
piebejifd)e §unbe, mie Fopper, fmb folgen ©efahren
faum auSgefeßt. ©ie finb gewitzigt im Kampfe um’S
®afein, gemanbt, ftarf, fdjlau, fvcd) — fie fallen aber
bafür oft ihren orbinären Seibenfdjaften jum Opfer, mie baS
SBeifpiel Sopper’S jeigt. ®odj baoon fpäter! Vorläufig
moHen mir uns crft einmal auf bem ^unbefriebljof um:
fehcn unb einige ber ^nfdjriften ftubiren.
GS muß ancrfannt merben, baß fid; in biefen faft nir*
Bon Jiane $c$art»erfi<r.
203
genbs altjüngferliche (Sentimentalität breit madjt, maS man
eigentlich errcartet hätte. ®a lefen mir jum Seifpiel: „Our
Prinnie. Nov. 1891.“ — Itnfer ißrinnie mar ein ebler $ad)§j
hunb unb
ßigenthum
beS Dberften
SJtontefiore,
non beffen
$inbern er
noch heute
nicht oergef
fen ift. @r
befafj alle
Xugenben
eines
beS, roenn er
[ich auch niel=
leicht nicht
rühmen
tan n, ber
ebten $ 06 ,
ber 9Zad;=
folgerin
Gljerrp’S, jju
gleichen, bie
ebenfallsauf
bein Triebs
hofe liegt
unb non ber
Familie SBarneb berartig gefd;ät>t mürbe, bafe 9Jir. Sar^
neb eine 2ebcnSgefd;id)te in $orm einer hünbifdjen
©elbftbiographie nerfafte. tiefer $unb h at benn aud)
bie längfte unb pompöfeftc ©rabfdjrift erhalten, nämlid)
eine poetifdjc, mcldje rautet:
aJlittltte $art< bt« §unbt[rifbtjo[9. ( < Ha<5) tintt H!potoßrapl)ie eon GQiott & SJrtj in Bonbon.)
204
tfili Äui^efriebtjüf.
Alas! Poor Zoö!
„Sldj! arme 3oS!" in SRadjaljmung bei flaffifcf)en
„Alas! PoorYorik!“ („§amlet"). darunter bie ©eburtS»
unb ©terbebaten:
Born 1. October 1879.
Died 8. August 1893.
Unb ben 93eri:
„As deeply moumed as ever dog was mourned
For friendships rare by her adorned.“
28ai in freier Ueberfetjung fxd^ etroa miebergeben liefje
mit:
„SBeit felt’ne Sieb’ unb Streue itjre $ier,
SSBarb fte betrauert, roie fein §unb cor ttjr."
2tnbere, weniger überfdjroänglidje ^nfd^riften lauten:
„In Memory of Jack. July 1892.* (,3um SInbenfen an
3acf.) — „Poor dear Tappy (bem armen lieben Sappp).
July 1892.“ — „In Memory of my dear little Bunda (jum
SInbenfen an meine liebe Keine 93unba) — 9. October 1891.“
„To dear Centi, tbe loved companion of 12 Years (bem
lieben ßenti, ber 12 !gaf)re niein geliebter ©eföfjrte mar)
September 1889. — Mona, born 2. November 1878, died
15. August 1892. Loved, mourned and missed* (ge»
liebt, betrauert unb »ermijjt).
Sleljnlidj lauten bie übrigen 2>nf Triften, bie mir natür»
lid) Ijier nicf)t alle anfüljren fönnen. 3lli ÜJlerfmürbigfeit
fei nur nodj non „Poor dear Tappy“ berietet, bem Sieb»
Iing bei Sorb $etre, melier im Suli 1892 ftarb unb non
feinem ©igentljümer nad) bem £unbefriebljof jur SBeerbi»
gung gefenbet mürbe mit ber 9Zad§ri^t, bafi er felbft am
nädjften Sage fommen mürbe, um ber 33eerbigung feines
armen lieben Sappp beijureo^nen. Slber bie Aufregung
über ben Sob feinei Sieblingi fjatte ben fcfjon bejahrten
Digitized by Google
Toit Ami» $cßarn'«iTt<r.
205
unb fränflidjen gorb berart mitgenommen, baß er jeine
Slbficht nid^t ausführen fonnte, ba er Bereite in ber ^rüfjc
be§ folgeitben £age3 ftarb.
2ßir fommen nun ju bem einzigen Plebejer unter ber
©djaar ber ^ier ruhenben §unbeariftofraten, auf befielt
©rabftein fte^t: „Topper. Hyde Park Police Stn. Died
9. 6. 93.“
Fopper fann ftdj an eblen (Sigenfchaften , ©chönfjeit
unb Äoftbarfeit feineäroegä mit ben übrigen $nfaffen beä
griebljofä tneffen, ja, er gehört eigentlich gar nid^t hierher,
benn er mar ein ganj gemöhnlidjer
$öter, aber eine Snbioibualität, ein
§unb non auägefprodjenem Proletarier«
djarafter, ein XgpuS fojufagen, unb fein
§ierfein bemeiSt, baff auch bei ben §un«
ben ber £ob alle ©tanbeäunterfdjiebe oer«
roifcht. ®a Fopper ber einige feines
©tanbe§ ift, auch bei feinen h^ren unb
©önnent nodfj in lebhafter (Erinnerung
fteht, fo finb mir im ©tanbe, über fein geben unb SBirfen
etmaö ausführlicher ju berichten.
Fopper mar ein ganj gemeiner f^ U( h g t er rier oon ftrup«
pigem ungepflegtem SluSfeljen, tüdifcfyem 33ticf unb unregel«
mäßiger geichnung. ©ein SleußcreS mar alfo feine§tueg3
f<hön unb bem Sleußeren entfpradj baä innere. 33on ben
lobenäroertljen (Eigenfdjaften feiner |yriebhofSgenoffen befaß
er fo gut roie feine, bagegen alle ^effler be§ unerjogenen
2öilblingS unb unbotmäßigen herumtreiberä. (Er gehörte
ben fÖlannfd^aften ber Polijeiftation beä hpbeparf, rceldtje
ißr SBad^tßauä nörblicfj oon ber berühmten ©erpentine
hat, roo bie elegante üßelt fpajieren fährt. (E8 fehlte iljm
alfo nicht an ©elegenljeit, burcf) ^Beobachtung rcohlerjogener
hunbe feine ©itten ju bilben, aber er machte feinen ©e«
brauch baoon. ©ein ©elbftbemußtfein ließ baS nicht ju.
Digitized by Google
206
flün Aitnitfritfr?of
3u beit brauen ißolijiftcn ber .ftpbcparfftation ftaitb
er in ben intimfien SSerßältniffen, unb fte ßabcn ftdß fogar
einmal gemeinfdfjaftlicß mit ißtn pfjotograpßiren taffen, benn
fie liebten ißn troß feines üblen GßarafterS. 3>m eilige*
meinen bemieS er ißnen übrigens feine Slnßänglidßfeit auf
alle mögliche 2ßeife, fotueit baS feine fonftigen l^ntereffen
geftatteten, roofür er alle 2lbfälle uon ißren fKa^ljeiten
oerfd;Iingen burfte, tuaS er ftetS mit einer unbefcßreiblicßen
©ier tßat. diejenigen ißolijiften, an bie er fid; befonberS
angefdßtoffen Ijatte, begleitete er auf ifjren $|nfpe!tionS*
gangen, mußte aber oft genug infolge feines fdjamlofen
unb freien Betragens ßeimgejagt roerben, benn er befaß
feineSroegS jene mufterßafte perfönlidje SKeinlidjfeitSliebe,
meld;e fidfj bei jebetn moßlerjogenen §unbe uon felbft oer*
fteßt, unb brachte baburd; feine ©öitncr oft genug in fdjmere
SSerlegenßeit. -Steift begleitete er aud; bei ber 2lblöfung
ber 2Bad;e bie SDtannfdEjaften auf ißretn 9Jlarfd;e nacf> ber
ipolijeiftation in 5hitg ©treet, fein ßödßfteS SSergnügen
aber mar, ben Seuten bei 9lad;tftreifereien ju folgen. dicfeS
§erumftrcidjen ju einer 3ett, tuo alle moßlcrjogenen unb
anftänbigen §unbe in ißrent $orbe ober auf ißrer dede
in fanftem ©d;lummer liegen, rcirft ein befonberS beben!*
lid;eS Sid^t auf dopper’S @l;arafter. 3«/ er ging nodj
tueiter. ©elbft folclien ^olfjiften, bie er fonft nidjt leiben
fonnte, ßeucßelte er fffreunbfcßaft, fobalb fie auf 9iad)t*
Patrouille auSgefdßidt mürben. Sieben biefe fidE) bann tau*
fd;en unb nahmen ißn mit, fo oerlief} er fie regelmäßig
ttadß furjer 3eit, »erlief fid; in ben ©haßen ber Süefen*
ftabt unb mürbe oft erft ttad; dagen Ijalb oerßungert uon
einem ißolijiften, ber ißn fannte, nad; ber $pbepar!ftation
jurüdgebradßt.
Stiles biefeS läßt nodß in Slnbetracßt feiner manget*
ßaften ©rjießung eine ©ntfcßulbigung ju, ganj oerroerflidß
unb unoerjeißtid; uotn mora!ifd;en ©tanbpunfte attS aber ift
Zion Jaiin* if ifun irerlitr.
207
c§, bafrXop*
per aud) uns
banfbar unb
untreu roar,
ja, gu 3eiten
feine §erren
unb Pfleger
fcfinöbe ocr»
leugnete unb
ben SBerfud)
inadjte, fid)
in eine
Iföfjere ges
feHfdjafttidjc
©pljärc
fjineinjus
fd;längeln.
SDiandjmal,
mcnn er mit
ben Sßolijei*
ntannfdjaf*
tenburc^ben
§i;beparf
marfdjirte,
ftaffl er ftd)
unbemerft
baoon unb
fd)lofj ficf> einem ber auf ben $uf$roegen promenircnben
eleganten Herren an, maljrfdfeinlid) in ber Hoffnung, man
mürbe glauben, baff er ju biefcm gehöre. ®iefe Slnfäde
oon ©firgeij unb gemeinem ^rofcentfjum befamen ifftn aber
ftetS fd)ledft. ©r mürbe infolge feiner üblen ©Uten offne
2tu§nal)me nad) furjer 3eit entbedt, entlarot unb mit $ lt fj 5
tritten unb ©todfdjlägen fdjimpflidf baoongejagt. ©r lief
Digitized by Googli
208
$in &mt6cfrifM}of.
bann ju feinen ©önnern auf ber ^Jolijeiftation jurütf, offne
nur bie geringften Stngeidjen non ©dfam über feinen 9Ser=
ratfj bliden ju laffen.
2)aS ©nbe Topper’S mar feines SebenS nritrbig; er
fanf oorjeitig in bie ©rube infolge feiner unmäßigen
©ier. $aS $ utter / weld^c§ man il)m norfe^te, ober ba§
er auf ber ©traffe fanb, oerfdflang er ftets in rafenber
Haft, aus 2lngft, ein anberer §unb mödjte melleid)t forn»
men unb baran tfjeilnefftnen. Fopper aber gönnte ÜRiemanb
etmaS, als fid; fclbft. ©o farn eS, baff er eines TageS,
um nur nid;t anberen etmaS übrig gu taffen , fid; ber*
rnafjen überfrafi, baff er ferner erfranfte. $>a er fürc^ter*
lid; burd) bie in feinem SRagen liegenben unoerbaulidjen
SJiaffett litt unb immer elenber umrbe, fo macffte man
enblidf feinen Dualen burdj einen ©dflag mit bcm ^olijci»
fnüppet auf beu Äopf ein ©nbe. ©ein ©nbe mar alfo
feines £ebenS unb GffarafterS roürbig.
SIber maS Fopper trot} feiner mieberlfolten 33erfud)e
im Sebcn nie erreichen fonnie — ben Eintritt in elegante
©efellfdjaft — baS füllte iffm n ad) betn Tobe toerben.
T>ie ^ßoligiften ber §pbepar!ftation befd;loffen, gufammens
gulegen, unb Fopper ein ariftofratifdjeS 33egrcibnif$ auf
bem §unbefricbf)of am 33iftoriatf)or gu oeranftalten. Unb
fo ruf)t ber ruppige orbinäre Topper nun an berfelben
©teile, mo ber liebenSioürbige „Gljerrp", ber erlaubte
„$rince", bie feinfüfylenbe „3oe", furg bie ebelften i^rer
2lrt beftattet finb.
Ueber bie 2lrt ber SBeftattung feien Ijier nocf> einige
SBorte gefagt. -DleiftenS roerben bie ^unbeleidjname in
Seinroanb eingenäljt unb fo in bie ©rube gelegt. Einige
febod) finb fogar in fleinen eleganten ©argen beerbigt
roorben. fDIr. SBinbribgc, als ©igentfjümer unb Pfleger
bes fjriebljofs, mie aud) als Tobtengräber, begieljt oon ben
„Hinterbliebenen" ber bort beerbigten Hunbe eine jäfyrlidje
Von Aon» idjarroerfier.
209
2lbgabe. 35afür oerfie^t er aber audtj fein 2lmt mufters
Ijaft. 2llle ©räber finb mit Ijübfcljer fftanbeinfaffung oer=
fefjen unb mit Stumen gefdfjmüdft, nirgenbä madf)t ficfj
33ernadf)Iäf»
figung ft<$t*
bar. (Eben
gef)en jroei
junge 3)0=
men an un§
vorüber,
roeld^e fom»
men, um ben
©räbern
ifyrer ©d) ojj=
Ijünbd&en
einen SBefucf)
abjuftatten
unb nacfous
fe^en, ob bie=
felben aucfj
nicf)t oer»
nacf)läffigt
ftnb.3)eralte
SBinbribge
läd&elt unb
fagt: „3a,
ja, im 2lm
fange fom*
men bie jun*
gen SDamen unb bie ßinber oft, um nacf» ben ©räbern ju
fefien. 2tber roenn bann ein anberer $unb getauft roirb
unb bie (Erinnerung an ben früheren erlifdfjt, bann fümmert
ficfj deiner mefjr um ba8 ©rab, unb aud; bie gafjlungen
fjören auf. 3$ M te a ^ e (jleid&mäfjig gut, taffe feincä
1895 IV.
14
Digitized by Google
®et j&unbefrttbljof : ffilid bom Gingang au!. (9!a$ einer ©Ijotogiartlt boit GUiott & 5rtj in Öonbon.)
210 6tn J6im6«frt«6fof.
nerfatten, eä würbe ja meinen ©arten fdjänben unb einen
fd)led)ten (Siitbrud machen."
'Bir ftnb unter biefen 'Borten roieber bi§ nalje an bie
2lu§gang3pforte gelangt unb werfen burdj ben f)übfd)en, non
©djUngpflanjen gebilbeten Sogen nod) einen Süd auf ben
§unbefriebt)of jurüd, ber einen ganj ibpttifdjen (Sinbrud
mad)t. Bie niete arg oerwafyrtoSte $riebf)öfe für Ben*
fdjen gibt e§, bie fid) mit biefem nid)t meffen fönnen!
f^reilic^, wie niete s Dienfd)en gibt e3 aud), bie eä in itjrem
Seben niemals fo gut Ratten, a(3 bie nertjätfdjelten nier*
füfjigen Siebtinge norneljmer SDamen, bie tjier mobern!
3)od) wir wollen biefe Setracfytung nid;t weiter auS=
fpinnen, fie würbe ju weit führen. Unfere 2lbfid)t war
eä ja audj nur, ben Sefern eine wenig gefannte, aber
ed)t engtifdje ©onberbarfeit SonbonS, ben §unbefriebf)of
am Siftoriatfyor bcS JppbeparfS, »orjufüfjren.
******************
l&o&erne Äod) (Täterinnen.
&ritmjtafiftifd?c 6!iijje non H. #gfftar Ktaugmann.
(£7nrfi»rutf otcboten.)
oc^ftapleriit begeic^nete urfprünglidj eine ^Bettlerin unb
©djminblerin, bie unter falfdjen ffiormänben fid^
Unterftüfjungen gu uerfdjaffen muffte. @rft bie 9ieujeit l)at
jene §odjftaplerinnen er^euaj, meldje ber ^riminalpotijei
aller ©taaten gemaltig uiel ju fcfjaffen machen, unb non
bcnen einjelnc ein Seben Ijinter fid) fjaben, bcffcn ©djilberung
roie ein pljantaftifdjer 9toman Hingt.
Sföarum gcrabe bie üfteujeit biefe 2lrt uon^odjftaplerinnen
erzeugt, läfft fid^ juin ;£fjeil baburd; erflären, baff bie 3Ser=
fefjrgoerljältniffe anberg gemorben finb, alg früher; bajf
fjeutjutage fefjr uiele 9Jlenfd;en reifen, unb eine innigere
Serüfjrung jiuifdjen beit uerfdjiebenen Nationen ftattfinbet,
baf; enblicfj aüeinreifeitbe ®anten gegenmcirtig nidjt meljr
auffallen, fonbertt etmag Sllltiiglicljcg finb. .fjeutjutage
finbet inan eg felbftuerftänblid), bafj uermögenbe grauen
auf eigene gauft reifen, um bie 2Belt $u feljeit. ®ieg ntadjt
natürlidj ben §od;ftaplerinnen bie Slugübung iljreg ©e=
merbeg leidjt. 2öag fie barin leiften, merbett mir an ben
folgenben Seifpielen aug neuefter 3^* erfeljen.
(Sine SBerüfjmtljeit unter ben mobernen $odjftap(erinnen
ift eine gemiffe Wlaxk 9)ieier, bie ifjr §anbmerf fdjon feit
Anfang ber 70er gafjre treibt, gm galjre 1873 madjte fie
juerft non fid; reben, alg fie unter bein tarnen einer
Digitized by Google
212
3tIo5<rnc & 0 <$jlapttrinn«n.
©räfin Steoentloo in Sortbort auftaud^te. ©ie tjatte Ijier
mit einer SBifitenfarte eines preujjifdjen^rinjen, auf melier
ein ©rufi an ben ^ßrinjen non %ed ftanb, ficfj ©ingang
in oorneljme §äufer oerfcf/afft unb babei bie Seute an*
geborgt ober fidj ©elb für rooljtttjätige ßmecfe erfctjroinbelt.
©ie ftanb aufjerbem im SSerbac^t, in 33erbinbung mit
2lgentcn ju ftefjen, roetdfje 9Jienfd;entjanbel naclj ©übamerifa
trieben. ©er Sonboner ^jSoIijei, meldfje fie oerfjaftete, er*
fdjien fie fo gefäfyrlictj, bafj man ißtjotograpfpen non iljr
an bie ^ßolijeibefjörben anberer §auptftäbie fdf)idte, unb fo
fanb man in Berlin tjerauS, bafj biefe ©räfin fReoenttoo
eine alte Sefannte ber bortigen ißolijei fei, nämlid^ eine
geroiffe SDiarie -äJleier aus -Kattjenoro. 23ereit§ ben $etb*
jug 1870/71 tjatte fie jur §od^ftape!ei benüfct. ©ie mar in
ber 23erf(eibung einer ©iafonifftn erft in ©lfaf$*2otljringen,
bann im 9teid^e tjerumgejogen, tjatte ftd) babei mit einem
eifernen ^reu^ gefdfjmüdt, ba§ fie einem fterbenben Offizier
geftofjten tjatte, unb unter biefer SOiaSfe größere ©elbfutnmen
ju erfdfjminbeln oerftanben. ©ie mar bamalS in 23erlin
ju einem ©efängnifj oerurtfjeitt morben, unb nun
taudjte fte als ©räfin SReoenttoo in Sonbon mieber auf.
■ftadfjbem fie in Sonbon i§re ©träfe oerbüjjt tjatte',
ging fie nadj ©eutfcfjtanb jurüdf unb oerübte in 2Jiünctjen
unter bem tarnen ©fjerefia ©cfpoanbel eine Stnjaljt oon
©ctjminbeteien. Seoor man fie inbefj ermifcf)te, begab fie
ftdj nadj 9öien unb lebte bort unter bem tarnen Suife
SJlütter auä §eibelberg. 2tt3 itjr aud; bort ber Soben ju
fjeif? mürbe, fefjrte fie nadj ^Berlin jurüd unb erlief in
illuftrirten Leitungen ^nferate, in benen fte oornefjnte ©amen
um Unterftüfjung für jmei oerarmte abelige ©rjieljerinnen
bat. ©3 gingen jiemlid^ oiele ©etbfenbungen ein, unb
mit biefen uerfdjraanb bie §odjftapterin unb gab in 2Bilb*
bab unter bem kanten Caroline o. 9iabenau eine ©aft*
rotte, mobei fie eine SJienge Seute rupfte.
t>on ft. ©«Aar ACaugmann.
213
boit SBilbbab fam fte nach berlitt jurüd, errichtete
in ber fRaupadhftrafjc ein ©ouoernantenheint unb plün*
berte bie Seute, bie in ihre $änbe fielen, ooÖftänbig
aus. (Sine junge abeligc ©ame, bie über einiges 33er»
mögen oerfügte, roufjte fte ooKftänbig ju umgarnen unb
ju Überreben, ihren brubcr ju ^eirat^en. ©ofort nad;
ber £eiratlj bemächtigten fid) bie ©efdhmifier beS ©elbeS
ber armen betrogenen, bie gegen ben 2BiHen ber ber»
raanbtfdhaft bie Ijeiratlj eingegangen hatte, unb oerfchmanben
bamit. ©aS arme Opfer blieb ohne alle ©ubfiftensmittet
in berlin jurüd unb ftarb feljr halb, nachbem fie burd;
Sllntofen bie lebten ©age if;reS SebenS gefriftet hatte.
©ie Söieier tauchte alsbalb in SBien mieber auf, mo
fte eine SJtenge ©djminbeleien oerübte, bie fie enbltdj
ber bortigen Äriminalpolijei in bie §änbe lieferten,
Saljre 1889 tourbe fie ju jmeijähriger ©efängnifjftrafe
oerurtheilt. badj Slblauf ber ©träfe feljen mir fte 1891
toieber in berlin, mo fte mit ber ^olijei in Sonflift ge=
rieth, meil fte einen fdjminbelhaften bertauf einer Seih'
bibliothe! an eine ältere ©ame mit bermögen in ©eene
fe^te. ©ie hatte ber Käuferin biefe Seihbibliotfjet als ein
feljr gut gehenbeS ©efchäft gefchilbert unb bie fReflettantin
aufgeforbert, einmal ©onntagS hinjufommen, um anjufehett,
roie gut baS ©efchäft gehe, ©ie ältere ©ame erfdhien aud;
unb mar erftaunt über bie 9Jfenge $unbfdjaft. ©ie SReier
hatte es oerftanben, ber Käuferin eine mahre $omöbie
oorjufpielen. Stile Seute, bie in baS ©efchäft tarnen,
roaren oon ihr baju engagirt unb famen nur auf bitten
ober gegen bejahlung ber fÖteier, um ber neuen Käuferin
ein recht lebhaftes ©efchäft oorjufpiegeln. ©ie ©ame taufte
baS ©efchäft unb fah ftd) betrogen, benn bie tägliche ©im
nähme betrug aus ber Seihbibliotljef unb ben berfauf oon
Schreibmaterialien taum 20 Pfennige, ©ie SJteier mürbe
ergriffen, oerfuchte ftd; burdj fchminbelhafte Eingabe oon
Digitized by Google
214
lfloJ>erne j&o<$fla|>rcrinntn.
©öttnern unb ©önnerinnen aus ^of;cn Greifen, weldje an*
geblidj t^re ©djulben bedfeit würben, oor einer 33eftrafung ju
retten, würbe aber ju einer fo langen ©efängnifsftrafe oer=
urtljcilt, bajj fie jetjt ttod) biefelbe ju oerbiifjen hat. Wan
fanb bei il)r, als man fie oerhaftete, eine größere ©elb*
fumme, bie Ifödjft wahrfdjcinlidj aud) auS einer $od)ftapelei
herrührt, über bie baS ©ericht jebocf) nidjtS 9iähereS er*
fahren hat. —
©ine würbige ©enofftn biefer §odjftaplerin, bie ebem
falls nod) im ©efängnifj fi£t, ift bie „©räfin Stebap".
$n Söirflicfjfeit I^eifft biefe ißerfon Warie $ranfe, unb ben
©rafentitel oerbanft fie einem fjödjft foitberbaren Umftanb.
©ie machte bie 33efanntf<haft eines ©chloffergefeden, ber
JRebieS l;ie^, aber behauptete, ber ©oljn eines ©rafen
fRebap ju fein, liefen ©chloffergefeden h^athete bie
$ranfe lebiglidj in ber Sibfidjt, um auf ben gräflichen
tarnen hin ©dhwinbeleien JU oerüben, ©ie machte mit
bem ©dhloffer, ber oiel jünger war als fie, einen $ontraft,
wonadj er ftdj nach be* §eirath augenblidlid) oon ihr
trennen unb bie (S^efc^eibungSflage einleiten müffe. Surd)
gefdhidte Säufchung ber 33el)örbe würbe fte in ber Xfjat
als ©räfin fRebap gefdjieben, unb biefen Sitel beniijjte fie
nun, um juerft nach Wien ju gehen unb bort fo groben
©djminbel ju oerüben, bafj fie jroei ^aljre fdjwerett $ers
fers erhielt.
3m Sahre 1884 fam fie nach ^Berlin, erfdjwinbelte
hier burch Urfunbenfälfchung unb allerlei romanhafte ©r=
jählungen bei reid^en ßeuten bie ©umme oon 16,000 Warf,
unb erhielt 3 3atjre 6 Wonate 3udjthauS. Ser ©räfinnen*
titel würbe ihr abgefprochen; beSljalb trat fie, als fie ihre
3ud;thauSftrafe ©nbe 1888 oerbüfjt hatte, jucrft als $rau
Baronin auf. ©ie fanb Unterfunft bei einem alten ^räu*
lein, ÜRamenS 93ertin. Siefe ftarb, oermad)te ber „§rau
söaronin" ben größten Sheil ihres Vermögens, unb bie
Hon 71. ®*fiar Afau Jtnanu.
215
©djminbleritt nahm jet)t beit kanten $rau SBertin an.
©ie mietete fid) eine »oritehme Moljnung unb machte
©elbgefchäfte. ©te raubte fid) mit bem Nimbus eines
aufterorbentlidjen SleichthuntS ju umgeben, beforgte SDar*
lehen an Sebemänner, madjte ^njpotljefengefchäfte, oer=
mittelte ben 2 ln= unb Verlauf oon Käufern, alles baS
aber nur ju bem groed, bamit man glaube, fie »erhielte
an biefen Manipulationen oiel ©elb. 2öir!licf)feit be«
[tritt fie iljr luj;uriöfeS 2 eben baburch, bafj fie fleinen Seuten
if>re ©rfparniffe ablodte. 2Ber mit ihr in Berührung fam,
»erlor fein ©elb. 3$ ren ®ienftmäbdjen locfte fte bie
©parfaffenbüdEjer ab; bem ©d^loffer, ber ihren ©elbfdjran!
auSbefferte, naljm fie unter fdjminbelfyaften Angaben
2000 Mar! ab; ber SCifdjler, ber bei ihr ^Reparaturen
machte, mürbe um mehrere ^unbert Mar! erleichtert;
Söittraen unb Arbeiter aus ber 9 ?ad;barfd;aft brachten ihre
(Srfparniffe in §ölje oon 1000 bis 2000 Marf, unb burcfj
2 luSfid)t auf aujjerorbentlidjen ©erainn mufjte bie ehemalige
©räfin jahrelang bie Seute ju tciufdjen. 6rft im ©ep=
tember 1890 mürbe fte mieber ergriffen, unb ba eS fid) um
§unberte »on 33 etrugSfäHen hanbelte, bei benen einjelne
Seute 10,« 00 bis 12,000 Mar! oerloren hatten, erfolgte
ihre Perurtljeilung ju fechSjährigent 3 ucf)thauS.
2Benn man näher bie ©d)roinbeleien biefer §odjftap=
lerinnen prüft, ift man ^mar überrafd)t oon ber ©efd)ic!=
liddeit, mit rceldjer fie biefelben in ©eene fefcen; anberer«
feitS aber fagt man fich bod), bafj berartige Prellereien
nicht möglich mären, menn nid)t eben baS Publifum in
einer Meife (eidjtfinnig, oertrauenSfelig unb habgierig märe,
bie faft unbegreiflich erfdjeint.
2 Bie plump ift 3. 33 . folgenbe Manipulation, meld;e
oon einer §ocf)ftaplerin rafd) hiatereinanber in Sonbon,
Petersburg, Trüffel, 2 öien, 33 erlin nicht nur einmal, fom
bertt mieberholt in ©eene gefegt mürbe, bis man fie im
Digitized by Google
216
Mc^ernt Aoc$fTaprcrtmten.
$ahre 1891 in Sonbon abfing! $iefe grau, bereu §er*
funft unb ©eburt eigentlich nie recht feftgefteCCt worben
ift, führte ftdh in reifen gantilien ein unb machte ftch
baburch intereffant, bajj fie fich für eine geheime biploma*
tifd^e Agentin auSgab. ©ie wufjte fo intereffante politifd)e
©eheimniffe gu ergähten, fo oortrefflidj gu reben, bafj man
ihr glaubte. $atte bie ©djwinblerin erft baS Vertrauen
ber gantilie erworben, bann überreizte fie eines £ageS
bem Hausherrn eine geheimnifwoHe, oerfdjloffene SJlappe
unb bat ihn bringenb, biefelbe aufgubewafjren, ba fte
aufjerorbentlidj wichtige Rapiere enthalte, welche man nicht
in ihrer Sßoljnung finben bürfe. Ausnahmslos gingen
bie Hausherren auf biefen ©djwinbel ein; fie nahmen bie
9)fappe in Verwahrung, ©obalb bann ber betreffenbe Herr
nur auf einen £ag oerreiste, !am bie ©djwinblerin in baS
Hau§ unb bat bringenb, ihr bie 9Kappe hernuSgugeben,
ba fie in berfelben eine größere ©elbfumme oerwahrt lja&e.
5Die SJJappe war nid^t aufgufinben, weil bie Angehörigen
beS HnuSherrn felbft nicht wujjten, n>o er fte hingethan
hatte. 35ie ©djwinblerin geberbete fich barauf gang oer=
gweifelt, weil fte baS ©elb bringenb bebürfe, unb um fte
gu beruhigen, gab man ihr Veträge oon mehreren taufenb
SJlarf, ba man ja glaubte, burdj baS ©elb in ber SDlappe
ooUfommen gebecft gu fein.
SSäre biefe VertrauenSfetigfeit im Verfehr mit gremben
nidjt bei ben Seuten ber befferett ©tänbe fo oerbreitet, fo
wären auch bie @h e f$n)inbeleien nid^t möglich welche bie
HoZftaplerinnen als ihre ureigenfte ®omäne in fester $eit
betrachtet hn&en. ®ie Weifterin in biefer Art ©d;winbel
war wohl bie ©nglänberin ©oeline Seal, bie gum
©djauplajj ihrer $£h«tigfeit fich uuSgeroählt hatte nnb erft
im Sahre 1892 gur Veftrafung !am. 3 u f am men mit einer
anberen H^ftapkrin führte fte nicht weniger als 43mal
foIgenbeS -Jftanöoer aus. ©ie fudjte oermögenbe junge
DiqiJizfcai
-< I l i.
Hem fl. 5P*ftav Äraufjuinnn.
217
Seutc in iljre Üiefce ju locfcn, inbein fie fiel; felbft für eine
reidje ©rbin auSgab. ®ie anbere -£)od;ftaplerin, reelle bie
ÜJiutter barjufietten fyattc, fpielte il)re Stolle fo gefdljidt,
baf; bie oerliebten ober mitgiftlüfternen ©impel fid; feljr
glüdlid; füllten, roenn fie ficf> mit ber reifen ©rbin »er*
loben fonnten. -ftadl) ber Verlobung gab eS natürlich feljr
reiche ©efefjenfe; bann erfolgte, jebeSmal auf SBunfdj ber
angeblichen SJiutter, eine Serljeiratljung in ©nglanb, unb
nadj biefer bejtafjl bie feljr fdjöne ©oetine Seal ben ©atten
um fooiel Sargelb, Juwelen unb ©djmudfadjen, als fie
nur befommen fonnte, unb feierte nach IßariS jurücf, um
hier mit iljrer Kollegin unter anberent tarnen baS ©e=
fc^äft fortjufefcen. ©ie l;at ftch, mie fcljon gefagt, in roe=
nigen 3 a h ren 43mal oerljeiratljet.
©in gall, ber im 3 a h re 1891 in Defterreidj fehr oiel
Sluffeljen machte, mar ber ©djjroinbel ber „Saroneffe Xrenti=
naglia". $iefe $erfon, bie früher Kellnerin unb ©tuben=
mäbd^en geroefen mar, trat in Saben bei SBien, einem
feljr beliebten Äurorte, als oorneljme ®ame auf unb branb*
fchatjte l)ier i(jre Sefanntfd^aft mehrere 9Jlonate lang mit
aufjerorbentlicfjer ©efcfjicflidjfeit. ©ie machte bie Sefannt*
fc^aft eines DberlieutenantS, ber fein Vermögen befafs,
aber bie Saronin £rentinaglia für aufjerorbentlidfj reich
hielt. ©ie oerlobte fidj mit iljm unb oeranlajjte iljn ju:
nädljft, mit einer Slnjaljlung oon 200 ©ulben eine Sitta
für 20,000 ©ulben ju laufen. Unb ba ber bis über bie
Dljren oerliebte Dffigier ber Ueberjeugung toar, bafj feine
Sraut eine fteinreiche Saroneffe fei, ber nur ber oon iljr
geriebene ©atte baS Vermögen oorentljielt, Uefi er fid;
oon iljr ju einer SJlenge oon äfjnlidjen Käufen mißbrauchen,
fo baß er binnen furjer $eit eine ©cljulbenlaft oon meßr
als 100,000 ©ulben hatte. 3Bie leichtgläubig biefer 3Jlann
geroefen ift, geht j. S. barauS Ijeroor, baß iljm oon rooljb
meinenben SRatljgebern mitgetheilt rourbe, feine Sraut fei
Digitized by Google
218
'Ulobtxnt JioifRiipfmttnen.
früher in einem ©aftljofe ©tubenmäbd;en gemefen. ©r fragte
bie angebliche Söaroneffe, ob baS maf>r fei, unb fte gab
bie Shatfache ohne 2öeitere€ ju, erflärte aber, fie habe bie
Stellung als ©tubenmäbdhen angenommen, roeil fie ftd)
furchtbar gelangroeilt habe unb eine 2lbroed)Slung münfchte.
3ERit biefer ©rflärung begnügte ftd^ ber £err.
$aft ebenfo leichtgläubig mar genau um biefelbe $eit
ein $amerab oon ihm, ber auf einer $8ergnügungSreife
nach $ariS eine junge ^ranjöfin f ernten lernte, bie mit
ihrem $Ranne, einem Sanfier, angeblich in ©(Reibung lebte
unb fidj in $ariS aufhieft, um il)r Vermögen oon einer
halben Million hie* ? u erheben. ®er fpauptmann, ber
felbft fehr oermögettb mar, oerlobte fidh mit ber inter-
effanten unb fdjönen 25ame unb lieg fid) bann oon ihr
länger als ein $ ß h r brieflidj fortmährenb um ©elb be*
trügen, ba er in feine ©arttifon jurücfgefeljrt mar unb
feine 33raut aus $)3ariS nicht fort fonnte, meil fiel) ber @r=
hebung ihres Vermögens immer neue ©djroierigfeiten ent*
gegenfteßten. ©ie brachte ben £auptmann um Saufenbe
oon ©ulbcn, bis er bie §ilfe eines ^rioatbeteftio^nftitutS
in 2lttfpruch nahm, baS bie angeblidje Saroneffe unb ge*
fdjiebene § rau eines 33anfierS als eine ber berliner $ri=
minalpolijei feF;r befannte §odjftaplerin entlarote.
©in ganj unglaublidher ©rab oon Seichtfertigfeit jeigt
fidh auch in folgenber 93etrugSgefchid)te, bie im 3> ß h* e 1889
in ©reij oorfam. $n ben Saben eines .fjanbmerfSnteifterS
fatn eine fein gefleibete ®ame, madjte einen ©infauf unb
fah im Söaarenfdhranf bie ^h oto S rft Ph' e eines jungen
9)knneS. ©ie geigte fi<h ganj entjüdt bei bem 2lnblicf
beS SilbeS unb erflärte bem Sabeninhaber, fie mode ihm
500 9Jlarf geben, roenn eS ihm gelinge, fte mit bem £)xu
ginal biefeS 93ilbeS befannt ju machen. $ieS mar nun
fehr leicht, benn ber junge ?0fann, ben baS Silb barftellte,
mar ber ©oljn beS fpanbrnerfStneifterS. ®ie 2)ame erflärte,
Digitized by
Hon H ®‘fiar Afaufnimim.
219
fie fei Sefifcerin eine§ foloffalen Vermögens, Ijabe fid;
ober fo in baS 33ilb tierliebt, baff fte bereit fei, baS
Original fofort gu fjeiratfjen. $!er $anbmerfSmeifter
lief} feinen ©oljn fornmen, unb menige ©tunben nacl)
ber 2lnfunft beffelben fanb bie 33ertobung ftatt. ®ie
junge ®ame forberte nun ben Sräutiaam auf, mit ifjr gu
ifjren reifen 93ermanbten gu fahren, unb rietlj iljrn, red^t
uiel ©elb eingufteden, bamit er bei iljren SBermanbten
nobel auftreten fönne. ®er Bräutigam ging aucfj auf
ben Seim, ftedte nicljt nur oiel ©elb gu fidjj, fonbern Der«
traute biefeS aucf» mäfjrenb ber $af)rt feiner lieben SBraut
an, bie ifjn bann auf bem SBaljnfjof in ©era, roo man
utnfteigen muffte, fifjen lief}, mäfjrenb fie felbft auf unb
baoon ging.
2luffer bieferSeicf)tfertigfeit unb §abgier ber betrogenen
bient ben 3 ,l)e ^ en ^ er §od^ftaplerinnen aucfj nodj ber
Umftanb, baff man einer $rau felbft im ©efdjäftSlebeit
niemals baS 9Jiifftrauen entgegen bringt, raie einem SJiantt.
©S fabelt fiel} in fester ,ßeit, befonberS in ©nglanb, nio
man feine ©infeiufe bar begabt, fonbern SllleS burd) ©fjedS
regulirt, eine 2frtgaljl oon ©djminblerinnen biefen Umftanb
gu 5Jfu^e gemalt unb burdj äufferft gefdljidt auSgefüljrte
©fjedfälfdjungen nidfjt nur Sabeninljaber, fonbern auef)
groffe 33anfgefdE)äfte betrogen, ©ine biefer ©dfmnnbterinnen
braute 1890 einen $oloniaImaarenf)änbler um Diel ©elb.
©ie Ijatte in feinem Sabeit einen gefälfdjten ©Ijed auS*
gegeben. ®ie §ocf|ftapterin nutzte fid) aber ein fo gutes
Seumunbsgeugniff gu oerfdfjaffen, muffte au<f) baS ©eridjt
berartig gu tauften, bafs fie freigefproefjen, unb ber SFo«
lonialroaarenf)cinbler roegen Seleibigung unb ©djäbigung
beS guten DiufeS ber SDante bagu oerurifjeilt mürbe, iljr
bie ©umme oon 750 fßfunb ©terling (15,000 -Bfarf) als
©dfjabenerfaj} auSgugaljlen. $>er Äolonialroaarenf)änbler,
ber faft ruinirt mar, muffte ratenroeife biefe ©ntfdjäbigungS«
Digitized by Google
220
Utoiernt AocSflapferintten.
furnmc aufgubringen fudfjen. 2lfö er aber bie jiueite 9iate
^a^Ite, mürbe bie ©cijminblerin bei einer neuen, gegen eine
33anf ccrfucljten Gljecffälfcfjuttg ergriffen, unb baburdß ber
fcfjroer gefd^äbigte $olonialmaarenfjänbler cor ber roeiteren
3aljfung ber @ntf<f|cibigung§raten bemaljrt.
Seiber gibt ei gegen berartige ©dEjäbigungen ber @e*
fettfefjaft burd) §oc§ftap!erinnen fein rabifaleä SRittel, e§
fei benn, baß bie Summen unb Sertrauengfeligen alle
mürben, bie 9Jiitgiftjäger auf hörten, auf reidje grauen
gu fpefuliren, unb bie Seute mit fleinen ©rfparniffen e§
unterließen, naeß ffiueßerginfen für ifjre Anlagen gu ftreben.
©o lange baä aber nidfjt ber $afl ift, roerben bie §ocfjs
ftaplerinnen ftets für ifjre Sljiitigfeit ©elegenßeiten genug
finben.
30ie &ie Htöger fingen.
Uaturroi([enfcöaftficb-allbefi|'cöe ^Betrachtung von S. K)ßJIf|Of.
Iflif 7 3tC«(lrafionen.
(Hadjbcucf oetboten.)
B ufjer bem 2Jfenfcben oermögen nur bie SSögel ©e*
fühle in roobllautcnben £önen auSjubrüden, aber
ber 3Kenfc^ mujj fid; biefe ©abe erft auf ben ©tufen beS
Kulturlebens mit gleifj unb 3Jili^e aneignen, bie ber ©ing=
oogel oon oornfjerein ererbt Ijßt.
©tumm ift fein SSogel, allein eS ift jroifdjen ©pracbe
unb ©efang toobl ju unterf Reiben, „$|ebe eingebenbere
^Beobachtung lefjri," toie SSreljm auSfübrt, „bajj bie SSögel
für oerfdjiebene ©mpfinbungen, (Sinbrüde unb begriffe be=
fonbere Saute auSftofjen, benen man ohne Uebertreibung
bie SSebeutung oon SBorten jufprechen barf, ba fid) bie
%bi e « nid^t allein unter fid; oerftänbigen, fonbern felbft
ber aufmerffame S3eobad;ter fie oerfteben lernt, ©ie loden
ober rufen, geben ihre $reube unb Siebe funb, forbern fid)
gegenfeitig jum Kampfe heraus ober ju ©djutj unb Srutj
auf, toarnen oor $einben unb anbenoeitiger ©efa^r unb
taufdjen überhaupt bie oerfebiebenften SDlittheilungen aus.
Unb nicht bloS bie SCrten unter ftd) roiffen ficb ju oer«
ftänbigen, fonbern Seoorjugte and; ju minber begabten
ju reben. 2luf bie Mahnung größerer ©umpfoögel achtet
baS Heinere ©tranbgefmbel, eine Krähe marnt ©taare unb
anbereS ^elbgefliigel, auf ben Slngftruf einer 2lmfel laufdjt
ber ganje Sßalb. SefonberS oorfidjtige SSögel fdjioingen
Digitized by Google
222
3Die Me Soijtf finge«.
fid) ju Sädfjtern bet ©efammtfjeit auf, unb if>re 2leufje*
rungen werben oon anberen wohl beherzigt.
Sährenb bet 3 e ^ ber Siebe unterhalten fidh bte 33ögel,
fcfjwafcenb unb fofenb, oft in atlerliebfter Seife, unb ebenfo
fpridhi bie Sutter järtlid) ju ihren Kinbern. ©injelne
wirfen gemeinfdhaftlich in regelrechter Seife am £eroor*
bringen beftimmter ©äfje, inbem fie fid[j gegenfeitig ant*
Worten; anbere geben ihren ©efiihlen Sorte, unbefümmert
barum, ob fie SSerftänbnifj finben ober nicht. 3u ih nen
gehören bie ©ingoögel, bie Siebliitge ber Schöpfung, wie
man fie woljl nennen barf, biejenigen Sitglieber ber Klaffe,
roetche biefer unfere oolle Siebe erworben hoben.
©o lange eö fid) um reine Unterhaltung hanbelt, flehen
fidh beibe ©efdhledhter in ihrer ©pradjfcrtigfeü ungefähr
gleid;; ber ©efang aber ift eine Skoor^ugung beS männ*
lidjen ©efc^lechteö , benn nur l)öd)ft feiten lernt eS ein
Seibd)en, einige ©trophen abjufingen. S3ci allen eigent=
liehen ©ängern finb bie SuSfeln am unteren Keljlfopf im
Sefentlidhen gleich entioidelt; ihre ©angesfertigfeit aber
ift bennoch hödfjft oerfd)ieben. 3>ebe einzelne Slrt hot ihre
eigenthümlidjen £öne unb einen gewiffen Umfang ber
©timme; jebe oerbinbet bie £öne in befottberer Seife $u
©trophen, welche fid) burdh größere ober geringere .f^üUe,
fftunbung unb ©tärfe ber Xöne leicht oon ähnlidhen unter*
fdheiben laffen; baS Sieb bewegt fid) bei einzelnen in wenigen
£önen, wäl)renb anbere Dftaoen bel)errfd)en. Serben bie
©efangötheilc ober ©trophen fd)arf unb beftimmt oor*
getragen unb beutlid) abgefeimt, fo nennen wir ba§ Sieb
©dhlag, währenb wir oon ©efang reben, wenn bie £öne
jwar fortwährenb wechfeln, fich jebod) nid)t ju einer ©trophe
geftalten. $ie 9ladhtigall ober ber Gsbelfinf fd)lagen, bie
Serdhe ober ber ©tieglifj fingen. 3 e ^ er ©ingoogel weif?
übrigens 2lbwed)3lung in fein Sieb ju bringen, unb gerabe
be§holb wirft eS fo mächtig auf uns."
Uoti A. 33Je)llJof.
223
2Bir ftaunen über biefe 9Kannigfaltig?eit unb SSers
fd^iebert^ett in ben ftimmlidjen Sleufjerungen ber 93ogelroeIt,
bie un§ ber berühmte S'Jaturforfc^er fo treffenb djarafteri*
firt, unb unroiHfiirtid; regt fid; babei in bem -Jiaturfreunbe
ba3 Verlangen, nun aud) bie Mittel fennen ju lernen, mo*
burdj alle biefe Unterfc^iebe beroirft roerben. 2Bie fingen
bie S3ögel, mit roeldjen Apparaten Ijat fie bie fftatur jur
fperoorbringung ber £öne auSgeftattet? SDiefe fragen
rootlen mir nacfjftefjenb in altge*
mein oerftcinblidjer Steife ju be=
antworten fudjen.
©d;on im 2leuf$ercn ber meiften
©ingoögel bemerfen mir, bafj ber
geftredt unb gefdjtneibig, bie
33ruft frei unb au§gcbe!jnt ift.
Sluf §ig. 1, bie eine blofjgelegte
SBogelbruft barfteltt, ift g — g ba3
©abelbein, jmei über bem S3ruft=
bein liegenbe gabelförmigeßnodjeit,
bie bem ©djlüffelbein ber ©äuge=
tfjiere entfpredjen. SDaljinter mirb
bei z ein 3 e ß en fi eiüe ^ e jmifdjen ben Sleften be§ ©abeU
bein§ fidjtbar, ba3 fein oerjwcigt, fadartig gepaart unb
burd;fid;tig ift unb fid; nortrefflidj jur 2lufnaljme non Suft
eignet.
hinter biefem .fjautgemebe mieber liegt in ber 23ruft;
fjöljlung bie Trommel (T) ober ber untere $ef)lfopf, ben
bie $'8- 2 jur 2lnfd;auung bringt. 9fadj unten oerjmeigt
fie fidj in jmei Stefte, bie in bie Sungen münbenbe Suft*
röljrengabel (g'— g')- 9Z«d) oben aber fcfct fM) über ber
Trommel bie Suftröfjre (L) fort, um in bie 3imge m it
bem oberen ßeljlfopfe ober ber ©timmri^e (St auf $ig. 3)
jwifdjen ben beiben 9feften beS 3ungenbein8 (b— b auf
gig. 4) ju enbcn.
V
gifl. 1. Soflelbtuft.
Digitized by Google
224
UJie 6it Hogef fingen.
Um biefeS Drgan beutlidf) feljen ju laffen, ift in $rig. 3
bie 3 un 9 e aug ^ er SRadfjenfjöljle unb oom Unterfiefcr loS*
gelöst unb ljeruntergefd)Iagen. Seim lebenbigen Sogei mufj
man fie fid) alfo roieber aufroärtS geflappt benfen, fo bafj
bann bie ©timmri^e (St) bem mit Sßarjenljärdjen oer:
(ebenen tiefen ©infdjnitte w in ber Sacfjenljöljle ober bem
Dberfiefergaumen genau gegenüber liegt.
Sßenn mir bie ©timmri^e für fid; näfjer betrachten, fo
fteHt fte fidf) unS als eine lippenförmige, beiberfeitS oon
feljr elaftifdjen Sänbern aus ring
förmigen ©ebilben umgebene Deff
nung bar. 2)urd) bie 3ungen»nuS
fein taffen fidf) biefe ©timmrifcen
bänber entroeber quer jur Sängen
adjfe öffnen ober jufammenjie^en
Sei oielen, jumal bei infeftenfreffen
ben ©ängern, roie IDroffel, Slmfel,
©taar unb ißirol, ift bie ©timm*
ri|e an ihrem einen, ber Äeljle ju*
gefegten ©nbe nodfj mit einer Steifje
3Barjen (h, gig. 3) auSgeftattet, bie
ftc^ in Ijornige, ^aarförinige ©ebilbe jufpifcen.
$ein Soge! ^at einen $el)lbedel jum Serfdfjliefien beS
Einganges jum &ef)lfopf, mie bie ©äugetljierc, fonbern an
bie ©timmritje fdfjliejjt ftd) unmittelbar bie Suftröljre (L auf
gig. 2 u. 3), eine auffaffenb geftredte ^o^Ie ©äule mit faft
burdjfidjtigen SBanbungen auS einer 9J?enge oon meinen,
jarten unb auSneljmenb gefchmeibigen ßnorpelringen. Sor
ihrer Serjroeigung in bie beiben 2lcfte ber ©abel erroeitert
ftd) bie Suftröljre ju ber bereits befprodljenen Trommel,
aud; unterer ßeljlfopf genannt.
$ig. 5 ftettt einen Ouerfdjnitt burdj ben oergröjjerten
Mjlfopf einer männlichen ©chroarjamfel bar. S ift eine
fdjeiberaanbartige ©rhöljung über bem $elta (d) ber Suft*
Si0. 2. $er untere Re^ltopf.
tfott &. Xßcfl$of.
OOK
rötjrengabeüEierjweigung, bie bei oerfdjiebenen ©ängern an
biefer ©teile mefjr ober weniger merflicf) in ben §of)lraum
ber Trommel eintritt. 33ei allen ©ingoögeln aber ift bie
Hrommel annäfjernb fugeiförmig geftaltet unb äljnlid) wie
bie £uftröfjre »on fefjr geftfjmeibigen Änorpelringen um*
geben, roäljrenb im Gcinjelnen fid; mandjerlei 33erfdjiebem
Ijeiten jeigen. ©o geigt fid) bie Trommel j. 33. bei ber
©djwarjamfel meljr als runbeS, bei bein
©taar ($ig. 7) meljr alä feitlidj platte
gebrüdtes eiförmiges ©ebilbe. $in ^ er
Siegel nimmt biefer Hljeil beS ©ing*
apparateS an ber Hinteren, bem ©djlunbe
(Sch auf gig. ö) jugefeljrten ©eite eine
abgeplattete $orm an unb weist gerabe
bei ben Ijeruorragenbften gefieberten
©angeSoirtuofen eine ftarfe Einlagerung
oon banbförmigen SJluSfeln auf.
Seim ßufuf geigt fid) fogar unten
&wifdjen ben ©abeläften eine beltaartige
©inftülpung unb eine fefjr ftarfe $nor=
pelringbilbung in ber -JBanbung, was
Stetes beutlid; barauf fjinweist, baff bie
Hrommel unferen ©ängern jur Eier*
ftärfung, jur Stefonanj tljrer Höne bient.
©erabe ber ßufuf t>at feinen weithin
fdjaKenben Ijofjlen Stuf woljl nur ber
eigenartigen Eiübung feines unteren 5?eljlfopfeS gu banfeit.
Söeiterljin trägt jur mufifalifdjen 3iefäf)igung ber ©ing*
oögel offenbar oiel ber ©djnabel bei, ben gerabe bie beften
©änger fo ungemein weit — bis über einen fjalben red)ten
2Binfel — öffnen fönnen, weil bie elaftifdje SSerbinbungS»
Ijaut jwifdien Dber= unb Unterfiefer fid) babei entfpredjenb
auSbef)nt.
%l)xe Bunge Ijat ferner einen oermittelft einer aus*
1895. IV. 15
5ifl. 3. Stimmrifet.
Digitized by Google
226
XBic Sir 2>ogef fingen.
gebilbeten ÜKuSfulatur hödjft beroeglidhen Zungenlörper unb
roirb gleich ber 2JIunbhöf)le burd) bie 2I6fonberung ber
©peidhelbrüfen , bie am reid^Iic^ften in ber ^eriobe beS
©ingenS, raelcfje jugleidh bie beS ffliftenS ift, ftetS glatt unb
fdffüpfrig erhalten. gaffen wir ben äußeren $h®tf beS
Zungenbeines an bem ßopfe eines t>om geberbalg ent*
blökten (Sbelfinfen (gig. 4) genauer in’S 2luge, fo fehen mir
bie beiben Zungenbeinhörner (aa— bb) ftdh »om Zungen«
bein (z) aus beiberfeitS unter ben Unterfiefergeroeben hin
am 9ianbe beS ^interfdjäbelS fjerumjfiehen, roo fie ftch rechts
unb linfS neben bem ©enief anfefcen.
gig. 6 macht nun ben ganjen 2JluSlet«
apparat am 3ungen!örper um bie ©timm«
ri$e bei einer ©ingbroffel anfdhaulidj.
®er Zungenbeinheber (h) hebt bie Zunge
etwas mährenb beS ©ingenS, roährenb
gleidfoeitig ber ÜJluSlel b — b bie Zungen«
fpifje (z) etmaS abwärts in ben mittleren
Zungentheit gurücfgiefjt , fo baff ftch bie
©timmrifce im Zungenförper ein roenig
öffnet. (Sin SBerengern ber ©timmrifje
bagegen läfjt ftdh burch ftärlereS §eben
ber Zunge mittelft eines am Unterliefet »erjroeigten 2JJuS«
leis beroirlen. Z e weniger aber bie ©timmrifce geöffnet
ift, befto höher roirb ber Ston, ebenfo wie bie Orgelpfeifen
um fo höher fielen, je f^maler ber (Sinfdhnitt baran ift.
©o ift benn bie Zunge aufeerorbentlidh fein organiftrt,
unb bei affen ^auptfängem fpielt fte roährenb ihres 9Sor«
träges unaufhörlidh , inbem fte oibrirt, ftdh ^ebt unb oor*
ober jurüdfdhiebt. 2ln bie Zunge fdhliefet ftdh nun bie 2uft«
röhre mit Trommel unb ©abeloerjroeigung, ebenforoohl bloS
bienftbar, als felbfttljätig unb muftfalifdh förbernb. 2ln ben
SBänbermuSleln um bie Trommel T fehen roir auf gig. 6
beiberfeitS befonberS bie fehnenförmigen 3JiuSleln m— m
SHb *
Hopf eines Gbelflnfen.
-Di(
»ott A. JXUP$of.
227
heroortreten, oon bencn ficf» roieberum bic ganj furjen b — b
abgroeigen. 2)urch baS gufammensiehen biefer KuSfeln
formen manche ©ingoögel bie Suftröhre »erfürjen , be*
äiehungSroeife abwärts gtefjen unb bie Trommel jufammen;
brücfen. VefonberS gut fie^t man baS an ber auf 7
in natürlicher ©röjse bargefteCften Trommel beä ©taares.
SBenn biefer Vogel feine bauchrcbnerifdhen Valjtöne
heroorbringt, fo gieren fidh bie furjen fehnigen KuSfeln
an ber Trommel gleich ben langen fabenförmigen jufammen,
oerfürjen bie Suftrö^re unb oerengern bie Trommel, fo
bajj bie Suft abwärts in bie Sungen unb bie bamit »er»
bunbenen Suftgetfen gepreßt wirb. 2Benn
er bann nadlet ju ben fnappenben,
fneifenben unb fchnaljenben Üönen ober
ju ben nadhaljmenben ©tropfen über*
ge^t, fo roirb bie jufammengeprefjte 2uft
burdfj Verlängern ber Suftröfjre theif-.
roeife toieber in bie Trommel unb 2uft*
röfjre ootgetriefon. 5 , u ,„ raI a „i lm |
®un$ btefen Wft furnieren ®e.
dhaniSmuS, ben mir im Vorftefjenben
näfiet fennen gelernt hoben, fönnen alfo bie Vögel fingen;
namentlich ber hoppelte, überaus bewegliche Kefjlfopf unb
bie eigenartig gebaute, elaftifche Suftvöljre machen bie
©timme mancher oon ihnen fo flangooll unb laut.
2Bie fchon ermähnt, fmb bie Vraoourfänger unter ben
Vögeln nur bie -Kännchen, mährenb bie äöeibchen mit
SluSnafjme einiger meniger Slrten es im ©ingen nicht über
ftümperhofte Kittelmäfjigfeit bringen. $ugleich fab &e:
fanntücf) bie 2Beibchen in ber Vogelmelt burdhmeg oiel
befcheibener gefleibet als ihre Ehegatten, dagegen ift bie
oft gehörte Vehauptung, bafj nur ganj unfdheinbate unb
fchticht gefärbte Vögel auch zugleich gute ©änger feien,
burdhauS irrig, mie fdjon Vlaulehldhen, Hänfling junb
Digitized by Google
228
JSit }>it Sii^ef
Äarmingimpel auS unferer Ijeimifdien SBogelweit beroeifen,
bie fef)r f|übfd| gejeicfinet ftnb unb babei allerliebft fingen,
roa8 ebenfo uon ben pradjtuott gefärbten rotfjen fiarbinälen,
^apftfinfen, ^nbigonögeln, ©onnenuögeln unb nodj oer*
fcfyicbenen anberen 2(u§=
länbern gilt.
$m ©rofjen unb
©anjen laffen fid> alle
bie gefieberten ©änger
^roei ©ruppen fc^ei=
ben: bie Driginalfänger
unb bie 9lad)aljmer,
weldje aud) ©pötter ober
©pottoögel genannt
werben. 3« öfteren
gehören oon unferen
einljeimifdjen SSögeln:
bie 9tad)tigaII, ber
©proffer , bie ©ing«,
©djroarj* unb
SJliftetbroffel, ber
s JttroI, bie fjelb*
unb 2öalblercf)e,
bas 9iotljfeljld)en,
ber $iti§ ober
grojje Sauboogel,
oerfdjiebene
©raämücfen, ber
©belfinf, ber
©tieglifs, ber
Unter ben nadjafjmenben
rotfjrücfige Söürger ober
fflß. 6. Slnijbrofltl.
Hänfling unb ber 3 aunlön ig-
©pöttern fteljen obenan: ber
®ornbrefjer, bie 23aftarbna$tigaH, ber ©umpffcfyilbfänger
unb unfer ©taar.
Digitized by Google
Xon £ .
229
Unfete begabteren ©ingoögel finb bie ©anberer, bie
un§ in jebem «§erbftc bis jur ©ieberfehr beö Senjeä t>er=
Iaffen unb nur roährcnb ber ^aarüngS-- unb Vrutperiobc
ihre entjütfenben ©cifen oernehmen taffen. Vachher nehmen
bie (Slternpflichten , namentlich bie ValjrungSforgen fie j\u
feljt in Slnfpruclj, fo bafi fte nur nod^ fetten jum ©ingen
Jommen, unb roäljrenb ber ©aufer unb ihrer ©anberungen
fdjroeigen bie Sieber gänjlidj. 2tucf) in ben fernen Sanben
erftingen nicht ihre ©clobien, fonbern ermacljen erft roieber,
menn fte §ur ^eimatfj
jurücffehren, um bort
ju lieben unb ju fingen.
3)en ©ang alter
Söögel übertrifft ber
©dhtag unferer Vad)=
tigatl an ©ohtlaut unb
9teid)haltig!eit. „St-
ift, " nach einer treffen*
ben 6h arfl ft er if*tf ^ aUs
ntann’3, „fo au§ge=
jeichnet unb eigentümlich, e§ fjerrfd^t in ihm eine foldje $üöc
won £önen, eine fo angenehme 2lbmech3lung unb eine fo hin*
reifjenbe Harmonie, rcie mir in feinem anberen Vogelfänge
mieber finben. ©it unbefdjreiblicher 2tnmuth mechfetn fanft
flötenbe ©trophcn mit fdhmetternben, flagenbe mit fröhlichen,
fchmeljenbe mit roirbelnben; mäh^enb bie eine fanft anfängt,
nach unb nach an ©tärfe gunhnmt unb raieberum erfterbcnb
enbigt, roerben in ber anberen eine VeUje Voten mit ge*
fchmacfooller §ärte heftig angefdjlagen unb melanchotifche,
ben reinften §lötentönen oergleichbar, fanft in fröhlichere
oerfchmoljen. 3)ie Raufen Jtüifd^en ben ©tropfjen erhöhen
bie ©irfung biefer bejaubernben ©etobien, foroie ba§ in
benfelben herrfchenbe mäßige £empo trefflich geeignet ift,
bie ©djönheit berfelben recht ju faffen." ®er ©djlag einer
Digitized by Google
230
ISit Mt Bäijtr fingen.
9?ad)tigatt umfa|t 6iä ju vierunbjmanjig verfchiebene
©tropfen, bie man fchon vielfach burch Sudjftaben mieber*
jugeben gefudjt h«t- @ine Uiachtigalt SBechftein’S fang jum
93eifpiet:
„2iuu tiuu tiuu timt,
Sjc tiu jqtta —
£io tio tio tio tiS tio tio tij;
Dutio qutio qutio qutio —
3quo aquo aquo aquo;
$äü t}ü fcü tjü fcü fcii ijii foti fyü fci" u. f. to.
2)iefer ißritnabonna unter unferen Driginalfängern fei
als $opift ober ©pöiter ber attbefannte ©taar entgegen
gefegt, beffen ©igengefang gar nicht viel roerth ift. 2)afür
meifj er aber alte Saute, bie in einer ©egenb überhaupt
vernehmbar finb: bie SEöeifen anberer 3Söget , raie baS
©acfern ber .£>ühner, baS 3roitfchern ber ©chmalben ober
baä knarren einer Sljür unb ©eHapper einer 9Jiühle
mit einer mähren SBirtuofität ttnb in ergöfjtichfter SSeife
mieberjugeben.
©ehr verfd)ieben ift ber Umfang ber SBogelftimmen:
Nachtigall unb ©proffer verfügen über mehrere Dftaucn,
Serben unb ©raSmücfen hüben nur vier unb anbere Nögel
nodh meniger &öne. 25er $ufuf, ber in jebern Frühling
feinen überalt mit g^eube begrüßten Nuf mieber burd) ben
2Balb fchalten läjjt, bringt nur jroei Siöne jtt ©tanbe, über
bie fdjon fetjr eingehenbe Unterfudjungen angeftettt morben
finb. ^ebenfalls ift e§ richtig, bafj — mic 33ref)m tyxvoxt
hebt — bem ÄufufSrufe -iNitlautev gänjlid) fehlen; er
ruft in Söirftidjfeit nicht „$ufitf", fonbern „u*uh". ®a
nun aber ba§ erfte „U" fdjcirfer auSgeftojjen mirb als ba§
jroeite, glauben mir „gu" ju vernehmen, ebenfo roie mir
ba§ jroeite gebehnte „U" ju 2lnfang unb ju @nbe burch
einen ©* ober $*Saut vervottftänbigen, obgteidh berfelbe
Digitized by Google
®on A. lßtfl$of.
281
nicht oorhanben ift. $>ie beiben £öne finb faft genau non
gleitet Sänge unb non ben beiben nädjftfolgenben burdfi
eine ungefähr gleid) lange $ßaufe getrennt. 25a§ ^nteroatl
ber Beiben SCöne unb bie Xonhölje toechfeln nach ben feiten
unb ^nbioibuen, aber nur innerhalb eineg mäßigen ©piel*
raumeg.
$)ag gröfjte non ^rofeffor Dppel in fjranffurt a. M.
beobachtete ^nteroaH mar eine oertninberte Quinte (Ges — C),
ba§ Fleinfte eine etroag gu fnappe grofse ©elunbe; beibe
mürben jebodfj nur oereingelt toahrgenommen. 35ie reine
Quart bagegen tft gar nicht feiten, am fjäufigften aßer*
bingg bie£erg: halb bie reine grofse, halb bie reine Heine
unb nod) weit öfter bie unreine — ein ^nteroall, ba§ für
eine grofse $erg etmag gu Flein unb für eine Heine etroag
gu grofs erfdjeint.
9ioch nie! feinere Nuancen oermag ein geübteg Ohr bei*
fpielgroeife gmifchen bem fRegifter non nier £önen bei ber
©ragmücfe unb Serdje gu unterfcheiben, bie oft gtoifchen
groei ^albert £önen noch geh n unb me l r Ueberganggftufen
einfügen, fo bafr fte im ©angen mohl über fünfgig 33er*
fdjmetgungen ihrer nier Xöne he^oorbringen.
2öie jebe 2lrt ihren beftimmten Umfang beftjjt, fo hat
fie ferner auch ih re eigentümliche SConbilbung im (Singeinen,
foioie begüglidj ber 33erbinbung gu ©trophen unb Siebern.
Manche 33ögel fingen gang gleich, aber mit burdhaug oer*
fdhiebener 93etonung, fo gum 33eifpiel ©belfinf unb §inH
meife, unb roer im Sßalbe fdharf gu hören unb gu unter*
fdjeiben gelernt hat, ber erlennt gulefst jeben eingelnen ber
©änger in biefem großen Bongert an feiner Sfcontoeife.
$>ie33ögel lehren unb lernen aber auch: ältere Männchen
inerben braujsen in Söalb unb $lur faft immer gu ©efangg*
lehrern, non benen bie jungen ©ingoögel bag ©runbtfjema
iljreg Siebeg lernen. Unb in ber ©efangenfcfjaft bringt man
befanntlidj einer Menge non jungen ©ingoögetn frembe
Digitized by Google
232
3ßit &ic Bi^ef fingen.
Söetfen bei, bie man itjnen »orpfeift, worauf mir jebod)
Ijier nicfyt näfjer eiligeren fönneit.
©nblidj ift bie lanbfcfyaftlidje Umgebung, in ber bic
Sögel rooljnen, oon ©influfj auf bie Statur unb ben ©fja*
rafter ifireS Siebes. ®er ©ebirgSoogel ftngt anberS roie
fein Slribruber in ber ©beite, fo baf$ alfo aud) in bem
muftfalifdjen Sortrage ber Sögel mic bei ber Sttenfdjen-'
fpradje eine 2lrt »on $ialeft ju Xage tritt.
3&annigf artiges.
gilt fittbiger (Saftwirtlj« — ©eljört e§ fc^ott nicht ju ben
Slnnetjmlichteiten, wenn man auf europäifctjen ©ifenbahnen in;
folge irgenb eines! iliaturereigniffeä an einem fünfte ftfcen bleibt
unb momentan nicht weiter fann, fo finb berartige Sorfommniffe
boc^ nicht ju »ergleichen mit benen, wie fte fich mitunter auf
ben Saljnftretfen beö amerifaitifc^en „roilben SBeftenö" abfpiefen.
£anbelt eä fiel} in ber alten 3Mt mit ihren faft burctjweg ge;
regelten 3 u ftönben gewöhnlich in fotzen gölten nur um wenige
©tunben, bie einen 3 U 9 an einen bestimmten fytecf bannen, fo
werben brübeit nicht fetten jwei, brei bi§ acht Sage barauä, elje
ein feftft^enber 3ug befreit wirb.
Qm Safjrc 1884 befanb ich mich in einer auS etwa jeljn
Käufern beftehenben Heinen Qrtf<f)aft, ütatnenä Saggett, in ber
fogenannten üJtojaoewüfte Äalifornienä gelegen, bie non Dften
nach SBeften ihrer ganjeit Sänge nach »on einer großen Ueber*
lanbbahn burcf)fc^nitten wirb. Sie 9Jtonate 3Jtärj unb 2lpril
brauten namentlich im füblidjjen Sfjeile beä ©olblanbeS ungeheure
2Bolfenbriiche, wie man fie feit nieten fahren nicht erlebt hatte.
6ine3 Sage8 langte in Saggett ein 3 U 9 «uS bem Dften an,
ber gegen jweifjunbert ißaffagiere beherbergte. SOBenn bisher in*
folge ber SRegengüffe auf biefer Sahn auch mehrere Heinere
Sammbriiche ben Serfehr oorübergehenb gehört hotten, fo waren
bo<h noch nicht größere Unjuträglicfifeiten entftanben. 2ln obigem
Sage aber foUte ba§ Serhängnifs h ere inbrechen. 2lt§ nämlich ber
3ug foeben ben Sahnhof oerlaffen fottte, traf eine Sepefdje »on
ber 9?achbarftation SBaterman ein, bafs ber bort burchftrömenbe
SKojaoefluf} fürchterliche Ueberfchwemmungen angerichtet unb ben
Digitized by Google
284
inannigfafligr*.
Sahnbamm auf eine lange Strede ooffftänbig gerftört habe. gaft
ju gleitet 3«it metbete ber Sraht oon ber anberen, öftlidjen
Seite oerfchiebene 2luSroafd)ungen, Ueberfluthungen unb gort*
fcfjroemmungen längerer Sljeile beS SaljnförperS; fomit fafi ber
3ug §ier roie bie 2JtauS in ber gaffe, fonnte roeber oorroärts,
noch guröd, fonbern muhte in Saggctt abioarten, Bis bie Sinie
roieber fahrbar geroorben. Ser roingige Drt in ber SBüfte, nahe
bei fehr reifen Silberminen gelegen, roar natürlich auf einen
3uroacfiS oon etioa groeihunbert Gffern nicht eingerichtet, gumal
oon oornherein nicht beftinnnt toerben fonnte, wie lange bie 2lb:
fdjliehung oon ber SSelt — eine fotche beftanb buchftäbtich —
bauern roerbe. Sie 9tadjrichten, ruelche gleich am erften Sage
eingegogcn mürben, lauteten fehr beftimrnt bahin, baf} oor 2lb=
(auf oon minbeftenS acht Sagen gar nicht an §erfteffung unb
gahrbarfeit ber Sahn gebacht toerben bürfe. So lange muhte
alfo minbeftenS 5Rath gefchafft toerben , bie fehhaften Seroohner
beS ^lafceS, foroie ben fel)r erheblichen 3 ul »achS oon mehreren
hunbert Äöpfen oor beni §ungertobe gu betoahren.
Sie Saft, biefe in ber Shat fdjroierige 2lufgabe gu löfen,
ruhte eingig unb affein auf ben Schultern beS SefifjerS eines
OafttjofeS, roetcheS, ohne Äonfurreng baftehenb, in biefer fdjroierigen
Sage gu beroeifen hotte, ob eS berartigen gang aufjergetoöhn=
liehen 2lttforberungen getoachfen fei. Ser Sefifcer mar gufäffig
ein Seutfcher, befunbete bei biefer ©elegenfjeit aber eine ginbig;
feit roie ber fchlauefte f)anfee.
Sobalb nämlich bie Sachlage ftar gu überfchauen mar, machte
er fofort einen Ueberfcfjlag aller feiner Gpeifeoorrätlje, ber ba§
9iefultat lieferte, bah felbige, normale 3eiten angenommen, nicht
länger als etioa brei Sage für eine foldje 3“hl oon Äoftgängern
auSreichett mürben. ©S herrfdjte aber ein offenbarer 2luSnahme=
guftanb, ber fich fehr mohl mit einer Selagerung oergleichen lieh,
unb bemgemäh muhten auch Wajjregeln getroffen roerben, bie
ben gortbeftanb biefeS Häufchens gufammengebrängter äJienfchen
gemährleifteten.
2US ber 2Birth mit feinem für gehntägige Sauer auSfalfulirten
Stechenejempel fertig geroorben, erliefi er eine Sefanntmachung, bie
etioa folgenben SBortlaut hatte: „geh fühle mich, gleichfam als Rom*
Mljimigfartigt».
235
maitbant, bem ba§ 2Bof)l fo unb fo »ieler Untergebenen anoer=
traut ift, »erantafjt, baS 9iad;ftef)enbe jur öffentlichen Äenntnifj
ju bringen, gür »olle jeljn Sage übernehme id) bie feierliche
S?erpflid)tung, jeben ber jur 3eit (jier 2lnroefenben fo weit tebenb
ju ermatten, als bieö bei »on jefct an »erabreid>ten SritteU
Portionen, ju benen idj) »on »ornljerein greifen muff, möglid) ift.
Sie »orfjanbenen 3Jorrcit|)e an [ebenbem unb tobtem ©peife^
material forbern gebieterifcf) biefe SSerlleinerung aBeS SSerab-
reichten, zugleich aber sroingt midf meine 3Hüfjemaltung unb bie
fdjroierige ©inttjeifung ber mir p ©ebote ftetjenben ©fimaaren
ju bem 2Infprud) auf eine ©djabtoSljaltung, bie ic§ baburcf) p
erreidjen glaube, baf? idj für biefe 9iotI)= unb SrangfatSperiobe
alle greife »erboppele. 93ei allen meinen guten SSorfä^en, rnicij
bem SBofjle meiner SRitmenfdjen bienftbar p machen, »erfjejjle
i$ mir nicht, bajj roäljrenb ber fommenben Sage .©djmalljanS“
etroaS ben Äüdjenmeifter fpielen roirb, eS biirfte fich baljer em=
pfeifen, frei) pr SBorforge mit ben Slortljeilen betannt p matten,
bie unter Umftiinbcn ein guter ©d)mad)triemen p bieten »er:
mag. Unter ben »orfteljenben Sebingungen geroäfjrleifte ic§ Gebern
fein lebenbeS Safein bis pr ©rtöfung, inbetn idj iljm gleichseitig
bie ©arantie gebe, bafs fein üörpergeroid^t nicht über fünf ißfunb
abgenommen Ijaben foH."
Sie 33eroofjner beS DrteS, foroie bie gfremblinge, in biefen
2lnorbnungen i§re einjige Rettung erblicfenb, gingen felbft»er=
ftänblid> mit greuben auf biefe ffeftfefcungen ein unb mürben
auf biefe SCBeife bis pr SBiebereröffnung ber 33a£)n, bie am elften
Sage erfolgte, burchgefüttert. freilich roaren ©djroeine= unb
tpüljnerftaü beS 2Birtf)eS bei biefer ©elegenljeit barauf gegangen,
man munfelte fogar, bafj feine pfjlreidjen Äa$en fich erheblich
»erringert hätten, bafür aber lag aud) ein nettes überfäiejjenbeS
©ümmcf)en im Äaften. Somit mar jeber Sljeil in fjoljem ©rabe
jufrieben gefteßt. ß- »■ ®nej«n.
f£tn Ritter jum Staunen. — ©egen ©nbe ber 9iegierung
Submig’S XIV. mar bie Serforgung beS föniglidjen §oft)alte$
bem Dberintenbanten SWarquiS @er»atS unterfteHt. 9Son §aufe
aus mittellos, »erftanb es ber gefäidte Jpofmann, ber ftch ber
befonberen ©unft beS 9Jlonardjen oerfi^ert raubte, burdj 2Iuf=
Digitized by Google
236
intinnigfaftigr».
fteüung galt j ungefjeuerlicfjer Kecffnuttgen, bereit Skjafjlung burcf;
beit fjinanjminifter ©olbert meift in feine eigene EEafdfe ftofj, ficf>
ein fürftlicfje« Vermögen ju erwerben. 3)abei jeigte er fidj fo
fjodjfafjrenb unb anmafienb, bajj Äeiner mit betn bünfet^afteit
«Könne ju tffun fjaben modjte. Vergeben« fjatte man bem Äönigc
Ieife Slnbeutungen über bie oößig nadjroeiäbare Untreue be«
Dberintenbanten gemacht, Subroig gab benfelben !ein ©efjör, ob*
roojjl ifjtn fetber ba« ©ebafjren feine« fjofjen Beamten nid^t gan 3
ftar erfcffeinen modjte.
3u jener 3 e *t war ber ©efanbte be« ©cfjafj« oon Werften,
Kija 33eg , in ^Jari« anroefenb, um bem gefeierten SKonardjen
ftranfreid)« ben Stusbrucf ber SBerounberung feine« §errfcl>erä §u
überbringen. Kija Sep mar ber §elb be« Sage«, unb überall
erjäfjlte man fidjj nidjt altein oon ber oon ifjm fetber entfalteten
märdjenfjafteu $radfjt, fonbern aud) oon ber ©lei^güttigfeit, mit
melier ber fremblänbifdje ©aft be« ipofe« bie erlefenften ©djau*
fteHungen, bie raffmirteften ©enüffe be« erften §ofe« ßuropa«
offne fidftlidien einbrucf an fid) oorübergefjen liefj. Sludj au
ber fönigticfien 2afel warb bie festere Saljrnefjmung eifrig be=
fprocf)en, unb in ffeiterer ©timmung fteHte ber Sonardj ben 2tn=
roefenben bie Stufgabe, irgenb etroa« oorjufdjlagen , roa« ben
perfifdjen Unentpfinblid;en au« feiner Setljargie rütteln unb iljn
jum ©taunen oeranlaffeit fönite. 2)ie« unb jene« roarb genannt,
aber bie «Keinung über ben ©rfolg roar ftet« bei bet Xafetrunbe
ein geteilter, bi« enblicfj ©olbert, ber fyinanäminifter, ba« Sort
ergriff: „Senn Sure üfJfajeftät bem perfifdfjen ©efanbten etroa«
nodj nidjt 35ageroefene« oor bie Stugen bringen rooHen, fo fdjlage
icij oor, bem Iperrn bie Kedjnungen be« Dberintenbanten ju prä=
fentiren; idj bin geroijj, er roirb ftaunenb betennen, bafj i$m fo
etroa« nodj nicijt oorgefommen fei, felbft rtid^t am orientalifcfjen
$ofe oon Verfielt."
SDer Äönig lächelte, aber rourbe bocij ernft, al« er bie uit=
geteilte 3ufthnmung ber Xafelgefeßfdiaft bei ben SBorten be«
efjrlidjen ßolbert bemerfte.
„Sir rooHen feljen, ob Suer SSorfdjlag ©rfolg fjat," erroieberte
er bem SKinifter, „aber nicijt efjer, al« bi« roir un« felber übet*
jeugt, ob bie Kedjnungen be« Sarqui« bie oon ©u<$ ange=
Digitized by Google
Ul.mtugf aftiijt*
287
beutete SBirhtng ^aben. 2Bir erwarten ®ud> morgen jum Bor=
trag." —
6b brauet roofjl nicht gefagt ju roerben, bajj Eolbert eb oers
ftanb, bem SJlonarchen oöHig über bie SBafirljeit feiner in einen
Srf)erj gefieibeten Slnflage gegen ben habgierigen Beamten bie
2lugen ju öffnen, unb ber überführte 3Jiarquib roarb fofort oom
.pofe oerbannt. §-b.
58ie^oethc’5»§!«ttfl w fluf bie JSüljne ßant.— -Sah©oethe’b
„Jauft" fich auf ber beutfchen Bühne einbürgerte, oerbairfen wir
ber Saune eiiteb fyürften. 3m 3 a h re 1828 lourbe ber Schau=
fpieler 9Jiarr alb Saft an bab fjoftheater ju Brauitfchioeig gerufen.
Ser — fpäter (im 3>ahre 1830) vertriebene — .'perjog Marl, ber
fich in feiner SBeife lebhaft für bie Bühne intereffirte, forberte
feinen 3ntenbanten Mlingemattn auf, 2Jtarr in feinem — Älinge--
niann’b — „gauft" in ber 9ioHe beb „Unbefannten" (SWepljifto;
pljeleb) auftreten }u Iaffen. Ser 3nteubant roarf befcheiben ein,
bah fein ein elenbeb 'Dtadjroer! fei gegenüber ber gewaltigen
(Schöpfung ©oetfje’b.
„3Bab?" rief ber Siamantenherjog, „hat ber autf; einen ge=
jd)rieben?"
„3a, Roheit."
„9tun fo befehle ich, baft 30tarr in ®oetf)e’b ,$auft‘ auftreten
foU."
„®r eignet fich aber nicht jur 2luffuhruitg auf ber Bühne."
Untoillig brehte ^erjog Marl feinem 3;ntenbanten ben
'Würfen.
9iach einigen Sagen trat er auf Älingemann ju, ein Buch in
ber §anb : „3<h h«&e Öoetfje’b ,3auft‘ gelefen, eb ift ja ein ganj
vichtigeb Sheaterftürf mit Ißerfonen, bie miteinanber fpred)en,
roaruin foK eb nicht aufführbar fein?"
2tUeb Sagegenreben mar oergebenb, ber ^erjog beharrte bei
feinem SGBiHen unb jog beit unterbeffen angefontmenen 3Jtarr auf
feine Seite. Mlingemann gab feinen SBiberftanb auf, machte b ab
Stüd burd) Striche unb 2lenberungen bühnengerecht unb ftubirte
eb mit feinen Sd)aufpielern unb 2Jiarr ein. 6r überjeugte fich
halb, bah ©oethe’b Srama auch auf b« Bühne gewaltig wirfen
mürbe. Unter ungeheuerem Slnbrang beb funftfinnigen ißubli«
Digitized by Google
238
Ulannigfatlig't.
!ums ging ber „Sauft" in Scene, Starr erntete alä Stepfjifto nie
bageroefenen SBeifatt. Xriumpf^irenb aber ftanb fperjog Karl hinter
ben Kuliffen, freubeftraf)Ienb brücfte er Starr bie §>aub, flüfterte
iljm jebot Ijeimlit ju, inbem er auf Klingemann beutete: „©ein
, Sauft* gefüllt mir bot beffer!" $.
ffitte ^urßmencnßefufügung. — ©iner ber beften Leiter
reitet in bie ©teppe tyinauä unb fjolt auä einer beerbe ein ©taf.
(Sr fdE)lacf)tet baffelbe unb reitet barnit jum Saget jurüd.
Kaum werben bie Anberen — unb eä nehmen oft 200 ^Jerfonen
Sf»eil — feiner anfittig, fo beginnt bie 3agb. So» allen ©eiten
ftürmen fie auf i^n ein unb fucfjen ifjm b aä Sljier, welteä er
an einem Sein an ben ©attel angebunben Ijat, ju entreißen, ©in
wirrer Knäuel von ^Jferben unb Stenften wäljt fid^ über bie
©teppe fjin, unb halb ift baä ©taf oon ljunbert barnat langen«
ben §änben in ©tüde jerriffen. Sie ©lüdliten, benen eä ge«
lingt, ein ©tüd S^ifd? 3 U er^afc^eit , erfreuen fic^ aber ifjreä
Saubeä nic^t lange, benn fofort fucfjen Anbere eä itjne» ju ent«
winben. Sie ©taar löät fit in eine Stenge Heiner Abteilungen
auf, beren jebe ben Säuber eineä ©tüdeä »erfolgt, unb biefe
Sagb finbet ni$t früher ein ©nbe, alä biä Alle, benen eä gelang,
etwaä ju erbeuten, bei ifjren gelten angelangt fmb. Sa 3 eher,
ber bem Anberen baä geraubte fJleifc^ftüdE entreißt, fid^ fofort auä
bent Verfolger in einen Verfolgten »erwanbelt, fteigert fit bei
langer Sauer beä ©pielä bie Aufregung fo fefjr, baff ber ©ter 3 oft
bem ©rnft weicfjt, unb baä ©piel in eine blutige Sauferei auä«
artet, bei welket nicfjt feiten einer ober mehrere Sfjeilneljmer
iljr Seben »erlieten. e. u
Pas ?3fumenmäbtett »on St. ijefena. — Ser verbannte
Kaifer Sapoleon I. laut eineä Sageä auf einem ©pajiergange
an ein ärmlid^eä £äuäten, in beffen Vorgarten er ein jungeä
Släbten erblidte, blonb, blauäugig unb frift wie bie Vlumen,
weite fie begojs. @r ließ fit in ein ©efprät mit iljr ein unb
erfuhr, baft bie Kleine eine SEßaife, Samenä ©mit Vranfton, fei
unb oon bem geringen ©rtrage ifjreä ©ärttenä fit erhalte. Ser
Seritt bewegte ben Stann, ben einft baä ©ttdfal oon Stißionen
falt gelaffen fjatte. ©r reitte bem Släbten einige ©olbftüde
unb forberte fie auf, iljm täglit einen Vlumenftraufj ju bringen.
Iflanntgfariigtt.
239
2lud) feine Umgebung fucfjte er für bie SSBoife ju intereffiren, bie
infolge beffen fmlb ben Setnamen „bte Rpmpije t>on St. f>elena"
erhielt. $ad lefcte Sätteln bed fterbenben ©jrfaiferd galt ben
Slurnen ber Ifolben ©ärhterin. SCud^ itt ©nglanb fprad^ man
oiel »on Rapoleon’d ©ippling unb bad begrünbete ©milp'd
$ufunft. ©in reidjer englifdf)er Sorb, ber eine grau fjaben roollte,
non ber man fpradj, reiste na cf) ber fernen gnfel, fjeiratfjete fie
unb nafjm fte mit nadO ©nglanb. e. R.
Qei^e ^orß. — 2lm 1. guli 1815 gerieten preuffifdje
fiufaren unter Dberfi ». Sof>r in ber malbigen Umgebung non
Serfailled unter bie elf Regimenter bed franjöfifd^en ©enerald
©jelmand unb mürben oon ber Uebermad^t umjingelt. gür bie
£ufaren galt ed, fic§ burdjjufcfilagen. Siete mürben jufammens
genauen ober mufften ftd) ergeben. 35er Soljn bed berühmten
preuffifcf>en ©enerald 3)or!, ber junge greiroiltige |>einrid) o. ftjorf,
f)atte fd)on jroei SBunben erhalten, rief aber, ald ifjm $arbon
angeboten mürbe, feines großen Ramend eingebenf: „gdj ^eif(e
^)orü" unb tjieb um fidfj, bid er, auf’d Reue oerrounbet, ju=
fammenbracfj. ©r ftarb am 6. guli in einem filofter ju Sers
faiHeS, roofjin er gebraut roorbeit mar. Stiidier felbft mar an
fein Äranlenlager geeilt. ß. fl.
(gteangefi. — ©iner ber berücf)tigtften englifdEjen fEafcfjenbiebe,
fEom Saplor, mürbe einmal im magren Sinne bed ÜBovted „ge*
angelt", gm 35rurplanetf)eater fjatte SEaplor nämlid) eined Rbenbd
einem neben ifjm im parterre fipenbeit £errn 40 ©uineen aud ber
Rocftafcfie geflogen, unb mar tedt genug, am anberen Rbenb mies
berjufommen, unb ba er ben Seftof)lenen roieber auf bemfetben
ifflafce erbficfte, fjatte er fogar bie grecf)f>eit, fiel) ju if)m ju fefsen.
3) er ©ngtänber, roeldier Xaplor trop feiner Serfleibung miebers
erfannte, [teilte fiel) ganj arglod unb ftecfte eine bebeutenbe Stenge
©uineen in bie Rodtafdje, in roelt^e laptor halb barauf feine
§anb praftijirte. 35ie Safere mar jebocfj am ©ingange mit Sßtbets
fjafen befefjt, bie bad gurücfjiefjen ber §anb oerf)inberten. Radj
einer SBeile ftanb ber ©nglänber, bem ber geangelte fEnpIor ges
jmungen folgen muffte, faltblütig auf unb ging über bie Straffe
in einen ©aftfjof, mo et ftaplor junt ©rfajj bed t)orf>er ©eftoljlenen
jmang unb ifjn bann ber ipolijet überlieferte. C. R.
Digitized by Google
240
UTomiigfiirttgt*.
ijaupt unb ^opf. — Saphir fefjerjt übet bie mit Haupt
unb Kopf gebilbeten SBörier unb Lebensarten folgenbermafjert:
Sßarum fagt man „überhaupt" unb nicht „überfopf"? Sßo
liegt bet Unterfcijieb jroifcfjen ^aupt unb Kopf? SBarunt fagt
man: „geh mufj bas behaupten", unb nicht: „geh mufs baS be:
föpfert" ? SBarum fagt man „föpfen" unb „enthaupten", unb
ntcfit auch: „$er ift gehäuptet toorben" ober „entföpft"? SBarum
forfcht man bei allen Gingen nach be* ^aupturfache unb nie nach
ber Äopfurfadje? äöarurn hot baS fleinfte Sanb eine ^auptftabt
unb baS größte Sanb feine Kopfftabt? SEBarunt macht man oft
fopfloS ein ^auptglücf? Licht jebet Houptmann ift ein Kopf;
mann, ein Hauptquartier ift noch fein Kopfquartier, unb raenit
ber gelbljerr ben Kopf oerliert, wirb er auf’s Houpt gefchlagen!
3n jeber Strafe finbet man eine Houptnieberlage, aber nirgenbS
finbet man eine Kopfnieberlage. Söeinahe ein jebeS Sanb treibt
eine Kopffteuer ein, um irgenb einen Hauptjroedt ju erreichen,
wo treibt man aber eine Hauptfteuer ein, um einen Kopfjwecf
3 U erreidhen?
ßebarf eilte girati? — 2)er berühmte franjöfifdhe
Schriftfteller gontenelle begegnete einft einem feiner greunbe,
ber ihm mittheilte, er höbe fich oerheirathet. „gft gh*e 5*««
fchön?" fragte gontenelle.
„3lh," antioortete fein greunb, „fte ift bie liebenSwürbigfte,
wifcigfte, talentoollfte grau oon ber SBelt!" —
„2lber," wieberholte gontenelle, „ift fie fchön?"
„D, Sie haben feine gbee oon ihrer (Mte, ihrer Sanftmuth — "
„2lber mein greunb," fragte gontenelle nochmals, „fagen Sie
mir boch lieber, ob fie fchön ift? ©ine grau bebarf überhaupt
nichts weiter — wenn fie nur fchön ift!" e. ff.
Digitized by Google
~- J 14*
Hnion BEittfrfie B e ri a 0 s 0 e f c 1 1 J'rf i a f t
Stuttgart, Berlin, ffeipjtg.
.
'^y' $ürf( von Qßtemarcß *&■
^%ÄÄ tn Jnebrtcßeruß.
I ^4* Jy "0 23IStter in f irfjtbrutf. <£Icg. gcb. ober in ITTappe 50 ITtarF.
1
3>ie 3üit>iera.
iüanber 3 tele ltnb IPinterafyle ber
ligurifdien Küfte r>. XTt 33 a bisSpe 3 ia.
S 3 oii
«Prof. ^Sofbemar -0aben
unb
SJfater &. Hc|W.
Glegcint gebunben 3J?. 35. —
Germania.
3mei 3aljr(attffnöe beutfdjfn Heßens
fultutflej^idjttid) geidjilbert
tJOll
^o6aitnc5 £dierr.
praitytauegabe. ©leg. geb. TO.70.—
Dolfeausgabe. ©leg. geb. TO. 20.—
jy Sa ßeffa (Ttapoft.
^ 2io feiten. 4 0 .
r .mit 11 XidjtBruflien, 59 Doliuilbetn unb 204 Certillultrationen.
elegant gebunben 40 .HOorli.
&. 3Sedkr£
IMfcjefcßicßfe.
Heu bearbeitet
unb bis auf bie ©egenroart fortgefüfjrt ooti
«Prof. pifö. IHüffer.
Üvitlc 'Auflage. 'JJiit über inoo Stluftratiouen.
bejieljen in ot> Lieferungen a 40 ipf.,
12 brojdjierteu fBüllben n 'DJ. 2.20,
ober ti gcbuubenen Sänbcn a 'Dt. 0. —
Uom UTorbpof m
m nun Hegitafor.
Populäre Porträge
Don
Dr. <Ä. ISreßtn.
OTit3Hujlrationcn rou K. Briefe, ©.tttfltjel, |
Sr. Specht u. 11 .
Glcgaut gebunben 93t. 12.—, brofibiertSK.lO.— ;
3u bejieljeit inirrij Die weißen gurijIjnttMuitgen
1
. «-
IM*
ifi«t
IK*
ll
rr
>-*
ib*
B*
5*
K*
«■■:•
K*
}J*
!H*
IM*
|f *•
ftä*
t>
>og!e
Digitized by Ä
r.dhjyiv.
Hnitm Bcuffilje Beul a ix 0 iu' Je U J'rij aff
Stuttgart, ßerlin, fieipjig.
3» unfer .111 Verlag erfc^ieu :
Deutfcfycr
t r
amr=
ftrfdjidjtc brr brntfiijrn Jhifrr in JJiogrnjiljicu
non
Anilin 6eMjatöt.
25Ut ^ffuffrutionen itad) ©riginafen tjerttorragenber ^Äünflfer.
Elegant gebunfcen J5 tTCart.
flucfi in 25 Lieferungen ä 50 ^Pfennig ju bcjielfen.
3c6e Lieferung cntßäff 32 Seifen ©e*f unö 2 Uoffbifbcr.
SaS Dorliegcnbc 2l>erf bietet in anjiefjcuber gemeinoerftänblidjer
Sarfteltung bie Siograptjien ber beutfefjen Jtaifer non ,£arf beut
oirofjen ßio jur JSegriinbung bcs neuen 3>euffdjcn gteidjes unb
ftettt ftef) a!3 ein §auöbud) cbelfter 2trt für jebe beutfetye Jamitie bar.
Sie meiften :3ud)t)anbtungen nehmen Seftettungen an; 100 ber
^3ejug auf ^iuberniffe ftöfjt, roenbe man f'td) birett. an bie 3krlags=
tjanblung.
Pl • rtinili
$o<fs kleine $efunbbeitslebr
3um Äennenfenteit,
(ßefunberßaffen unb Ckfmtbmadkn bes 3&enfd?en.
(Elegant in feinwanb gebnnben. preis } «larf.
«r:
I . .
2)ic „Alleine ©efunb^eitsle^re" non ^ßrofeffor Dr. G. C. 33'ocf
tft in ben meiften 33uc^f;anblungen ju fja&en. 3Bo ber Öe^ug nur
,'pin.berniffc ftöjjt, richte man bie iöefteltung unter Beifügung beö
SetragS in 23riefmarfen birett an bie SerlagSljanblung
(Srnfl ^etC’s 'glacßfofgcr t« -Setpgtg.
^erfag örr 3 . <$. (Sotla’lcfien •Bndifjanöfumi 2 Iadjlofnfr in Sifulhiarf.
Ojins 'Aran5ö)ifcbes Sörtcrbutb.
■ 3n>ci glaube (1500 Seiten).
3n einem ^3emö ge&itnöen 7 ^T. 50 '•Jff.
SRojinä fransöfifdj-'beutfdjeS unb bentfdj :franjöfifd;eö Ffaffifc^cö
Sßörterbud), neu bearbeitet »on ^rofeffor spefc^ier, leiftet foroobl
fiir ben ‘prioatgebraud) als für bie äSenufcung ju Sdjuljioecfen bie
beften Sienfte unb geicfjnet fid) burd; größte Sollftänbigfeit bei
biltigftem greife uorteiltyaft au3.
Sebert $ #>tar!: Klabierfcbnle.
teil I. 18. Äufl., teil II. 19. ÄufL. .©eil III. 12. Sufi,
preis jebes Teiles gcljcftct 8 p.; elegant gcbunöen 10 1«.
k
H*
I
&
I
I
fr
fr
fc.
fr
V.
fr
fr
b*
•>
!’*♦
H*
®eil IV. 8. Auflage.
Preis geljeftct 12 Park; elegant grbnnöcu 14 park.
Digitized by Gffogle
Digitized by Google